Flaggschifffonds Auf den Zahn gefühlt

Flaggschifffonds ignorieren Risiken zu Umwelt, Sozialem und Governance. Zwischen Fondsprospekten und Selbstverpflichtungen der Anbieter klaffen Lücken. Mehr Transparenz für Anleger muss her.

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Einige der Flagschifffonds unter der Lupe. Quelle: dpa

Entscheidungen von Fondsgesellschaften bestimmen mit, ob Ökonomien und Gesellschaften zukunftsfähig sind. Denn Fonds verwalten riesige Geldtöpfe. Man vergegenwärtige sich nur diese Zahl: 1339 Milliarden Euro. „Diese auch heutzutage noch unfassbar hohe Summe wird alleine von den zehn größten Fonds der Welt verwaltet“, schrieb Fonds Professionell 2014 zu einer Auswertung von Morningstar.

Wer über solche Beträge entscheidet, trägt als Investor zum einen treuhänderische Verantwortung für alle damit verbundenen Risiken, folglich auch Risiken, die sich aus Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekten (ESG) ergeben. Zum zweiten besteht eine gesellschaftliche Verantwortung für die Folgen des Kapitaleinsatzes.

Immer mehr Fondsgesellschaften sagen tatsächlich, für das Risikomanagement bei Aktien und Anleihen sei es bedeutsam, entsprechende Gegebenheiten zu beachten. Viele Akteure lancieren zudem Nachhaltigkeitsfonds (SRI-Fonds). Aber heißt dies, dass sie ESG-Risiken oder Chancen wirklich ernst nehmen?

Täten sie dies, würden sie sicherheitshalber für sämtliche Fonds zentrale ESG-Kriterien bei Titelanalyse und Portfoliomanagement beachten. Damit würden konventionelle Fonds nicht gleich zu Nachhaltigkeitsprodukten, könnten aber als verantwortliche Investments gelten. Das würde die Glaubwürdigkeit der Anbieter stärken.

Doch wie erfährt man, ob sie das tun? Es gibt zig Tausende Fonds auf dem Markt. Kein Anleger, und auch nicht die Medien, können sie alle durchleuchten. Das wäre Aufgabe von Wissenschaft und Dienstleistern. Bemerkenswerterweise nehmen Verbraucherzentralen die dominierenden Fonds hierzu nicht ins Visier - sie kritisieren lieber nachhaltige Produkte. Sicher ist zu prüfen, ob sie ihre Versprechen einhalten. Aber kann es egal sein, ob sich konventionelle Großprodukte um Ethik scheren?

Einigen Flaggschifffonds mit Zulassung im deutschsprachigen Raum wollten wir darum auf den Zahn fühlen. Sie sind die Aushängeschilder ihrer Häuser, verwalten jeweils die höchsten Volumina. Die größten Fonds heraus zu bekommen, ist schwierig.

Der Dienstleister Fondskonzept erklärte sich zur Unterstützung bereit –und sendete eine Tabelle mit sage und schreibe 27.426 einzelnen Fondstranchen. Derart große Datensätze veranschaulichen das Problem der Recherche – auch für Berater. Pro Fonds kann es zahlreiche Tranchen geben: in verschiedenen Währungen, für private und professionelle Anleger, ausschüttend oder thesaurierend (Dividende wird angelegt). „Das macht die Dateninterpretation zu einer Herausforderung“, sagt Finanzberater Marcel Malmendier, Geschäftsführer der Investmentkontor RheinRuhr in Bochum.

So fänden sich beim 1954 aufgelegten Templeton Growth, einer der ältesten und bekanntesten Strategien, auf der Homepage sieben Euro-Tranchen gleichen Volumens. „Telefonisch wurde mir bestätigt, dass es sich um Tranchen desselben Fonds handelt.“ Bei Angaben zu zwei anderen Tranchen für 2011 und 2015 habe sich herausgestellt, dass sie nicht mehr existieren oder keine Vertriebszulassung mehr hätten.

Fazit: „Beide Fondsteile, Euro-Teil und US-Teil, werden zwar rechtlich eigenständig geführt, aber die Strategie ist gleich. Da nur von kleinen Abweichungen die Rede ist, ist die Gesamtstrategie 20 Milliarden Euro schwer“, sagt Malmendier. Auf seine Vermittlung hin ermöglichte das Software-Unternehmen Edisoft unsere Recherche. Es sondierte die größten im deutschsprachigen Raum zugelassenen Fonds. Ergänzt um Top-Werte von Fondskonzept haben wir 18 Fonds analysiert (s. Tabelle) sowie einige kleinere stichprobenartig.


Dauerhaft ist nicht gleich nachhaltig

Explizit nachhaltige Anlageleitlinien oder wesentliche ESG-Kriterien fanden sich in keinem der Fondsprospekte. Manche Fonds bilden konventionelle Indizes nach, so dass sich nachvollziehen lässt, warum es dort keine Nachhaltigkeitskriterien gibt.

Durchweg ist das magische Dreieck aus herkömmlichen finanziellen Erwägungen oberstes Gebot. „Die Entscheidung, Schuldtitel zu erwerben, zu halten oder zu veräußern, (...) stützt sich auch auf eine interne Analyse, die vor allem auf den Kriterien Rentabilität, Bonität, Liquidität und Fälligkeit basiert“, heißt es zur Anlageidee des französischen Carmignac Patrimoine auf der Plattform Money Spezial.

Auffälligerweise haben insgesamt elf der 14 Fondsgesellschaften, die die 18 Fonds anbieten, die UN Prinzipien für Verantwortliches Investieren (PRI) unterzeichnet und sich somit zur Integration von Kriterien zu Ökologie, Menschen- und Arbeitsrechten sowie Governance verpflichtet.

Doch selbst in Sammelprospekten findet sich davon keine Silbe. Auch nicht bei Aberdeen, M&G, oder Standard Life, obwohl laut deren sogenannten „RI“-Transparenzberichten von 2017, die auf der PRI-Plattform zu veröffentlichen sind, formelle ESG-Leitlinien und andere Vorgaben für den Großteil bzw. bei Aberdeen für alle verwalteten Vermögen gelten sollen. Letzteres gilt auch für Fonds von LGT oder Russel.

Das Wort nachhaltig trifft man in Prospekten selten und nur in verkürztem Sinn an. So steht in dem des DWS Top Dividende die Gesellschaft könne mit einzelnen Anlegern die teilweise Rückzahlung von vereinnahmter Verwaltungsvergütung vereinbaren: „Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn institutionelle Anleger direkt Großbeträge nachhaltig investieren.“ Hiermit ist ganz klar „dauerhaft“ und keineswegs „nachhaltig“ im Sinne von öko-sozial verantwortlich gemeint.

Bei der Anlagestrategie ist davon auch nicht die Rede. Stattdessen sind bei der Aktienauswahl ökonomische Kriterien von „entscheidender Bedeutung“, darunter die „Nachhaltigkeit von Dividendenrendite und Wachstum“. Schon wieder wird dies Wort verwendet, statt, wie es korrekter wäre, Dauerhaftigkeit. Auch die Liechtensteiner LGT und Nordea bedienen sich dieses Sprachgebrauchs, sie schreiben über „nachhaltigen Wertzuwachs“ oder „nachhaltige Erwirtschaftung von Barmitteln“.
Dauerhaft und nachhaltig sind jedoch nicht gleich zu setzen. Dauerhaft schlecht ist sogar das Gegenteil von nachhaltig. Die Stichworte Umwelt, Soziales und Governance ergeben in den meisten PDFs ebenfalls keine Treffer.

Nur zwei Gesellschaften verweisen auf ESG-Politiken. Der Amundi Cash Corporate unterstreicht, derartige Kriterien für Qualitätsziele zu respektieren. Informationen fänden sich auf der Website und in den Jahresberichten. Tatsächlich erläutert der Bericht für 2016, dass nicht lediglich Landminen und Streubomben ausgeschlossen sind, sondern auch Unternehmen, die schwerwiegend und wiederholt gegen die zehn Prinzipien des UN Global Compact verstoßen haben. Diese betreffen Umweltschutz, Menschenrechte, Arbeitsnormen und Korruptionsbekämpfung.

Der Carmignac Patrimoine hebt den Hinweis hervor, auf der Website und im Jahresbericht stünden „Informationen zur Berücksichtigung von Kriterien hinsichtlich Umwelt, Soziales und Governance (ESG).“ Dort informiert der Anbieter, er habe die UN-PRI unterzeichnet und: „Wir berücksichtigen unter anderem die Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit auf die Umwelt und die Fähigkeit von Unternehmen, Produkte und Dienstleistungen anzubieten, die auf ökologische Herausforderungen eingehen.“ Wie das genau aussieht, wird nicht erläutert.

Es werde nicht in geächtete Waffen investiert sowie auf Arbeitssicherheit und Einkommensverteilung ebenso geachtet wie auf Korruptionstendenzen. Zu den Prinzipien der Franzosen gehören demnach ‚Verantwortungsbewusste Fondsmanager’ und eine ‚langfristige Sicht’. Noch fehlt offenbar die Integration von ESG-Kriterien. Dazu hat sich das PRI-Mitglied aber 2012 verpflichtet.

Nordea 1 hat im Prospekt für alle Fonds zwar im Kapitel Anlagebeschränkungen einen Abschnitt zur Auswahl nach ethischen Kriterien, wonach ein Teilfonds möglicherweise nicht in bestimmte Branchen und Unternehmen investieren darf. Aber sichtlich gilt das nicht beim Flaggschifffonds ‚Stable Return’.

Im Prospekt zu den Franklin Templeton Investments Fonds findet sich immerhin ein „Direktor Investmentrisiken – ESG“ sowie an mehreren Stellen Hinweise auf Arbeitskosten, sozialen Risiken sowie Umweltkosten, -vorschriften, -genehmigungen und –gefahren. Bei den Flaggschifffonds Global Total Return und Global Bond Fund aber sucht man unter den 21 respektive 17 aufgelisteten Risiken vergeblich die auch für Rententitel relevanten ESG-Risiken. Entsprechendes gilt für den Templeton Growth.

Großanbieter Pimco liefert auf zwölf ausführlichen Seiten über ‚allgemeine Risikofaktoren’ keinen Absatz zu ESG-Risiken, obgleich er die PRI 2011 unterschrieb. Die DWS-Mutter Deutsche Asset Management unterzeichnete sie bereits 2008 und müsste also inzwischen quer Beet ESG-Aspekte beachten. Der RI-Transparenzbericht jedoch belegt: Es gibt keine formellen Leitlinien für E-, S-, und G-Faktoren, sondern nur anlageklassen-spezifische und eine Stimmabgabepolitik für Hauptversammlungen.


Anzeichen für Glaubwürdigkeit

Eine zentrale Frage von Anlegern und Beratern an PRI-Mitglieder hat folglich zu lauten: Müssen deren Analysten und Portfoliomanager Vorgaben einhalten, dass und wie sie ESG-Aspekte zu beachten haben? Denn Nachhaltigkeit muss in die üblichen Prozesse integriert werden, damit man sie nicht ignorieren kann. Das ist nur erfolgreich, wenn die Menschen verstanden haben, worum es geht und dass es sinnvoll ist.

Anzeichen für Glaubwürdigkeit sind umfangreiche Schulungen und Vernetzungen von Produktentwicklern, Analysten, Portfoliomanagern, Vertriebsleuten und Beratern über alle Anlageklassen hinweg. Hierzu geben die Fondprospekte keinen Aufschluss. Auch die auf der PRI-Plattform veröffentlichten Berichte bleiben vielfach die Antwort schuldig, wie Verantwortlichkeiten gewährleistet werden. Um die Ernsthaftigkeit der Anbieter erkennen zu können, wäre folglich auch zu fragen: Existieren verbindliche Ziele und Zeitvorgaben für einen Ausbau nachhaltiger respektive verantwortlicher Kapitalanlagen? Zwar sind die Entwicklungen der Kapitalmärkte kaum vorhersehbar. Gleichwohl sollte sich ein Dienstleister ebenso dazu positionieren können wie ein Hersteller zur Aussage, welchen „nachhaltigen“ Umsatzanteil er bis wann erreichen will. Das ist eine strategische Frage.

Spannend ist, ob es Gesellschaften gibt, die konventionelle Flaggschifffonds oder ihre Fondspalette auf Nachhaltigkeit ausrichten. Bei Privatbanken wird man fündig. Die Metzler Asset Management richtete 2016 ihre beiden Aushängeschilder – Metzler European Growth mit 1,65 Milliarden Euro und den Metzler Smaller Companies mit 1,5 Milliarden Euro – neu aus. Sie wurden nicht komplett umgestellt, sondern „drei Elemente sollen sie nachhaltiger machen: Mindestausschlusskriterien, aktives Aktionärstum über einen Partner sowie eine zunehmende Integration einiger Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien“, erläutert Axel Hesse, für ESG-Integration zuständig.

Die Mindestkriterien seien nicht so streng wie bei Nachhaltigkeitsfonds. Aber es seien schon Titel aus dem Portfolio entfernt worden infolge schwerwiegender Kontroversen hinsichtlich internationaler Konventionen. Bei großen Benchmark-Titeln kann der Investmentchef über Ausnahmen entscheiden.

Die Bethmann Bank wählte einen anderen Weg. Sie orientierte sich um und legte 2011 eine nachhaltige Fondsfamilie auf, darunter ein Portfolio für Stiftungen. Die Anleger wissen das zu schätzen. „Seither hat sich der Stiftungsfonds mit aktuell ca. 450 Millionen Euro Volumen zu unserem ‚Flagschiffprodukt‘ entwickelt“, sagt Dorothee Elsell, Leiterin Vermögensverwaltung Spezial. Die klassische Fondsfamilie gibt es zwar nach wie vor, und deren ausgewogener Mischfonds, vorher am bekanntesten, ist immer noch der größte. „Aber er reicht vom Volumen und der öffentlicher Wahrnehmung her nicht an den Stiftungsfonds heran.“

Es ist folglich durchaus möglich, seine Flaggschifffonds oder sich als Anbieter auf mehr Verantwortung zu trimmen. Das ist ratsam, nicht nur aus Risikoerwägungen. Denn kaum glaubwürdig ist, über Nachhaltigkeit zu schwadronieren, wie das die Deutsche AM und andere tun, ein paar diesbezügliche Fonds anzubieten, aber den Hauptteil des Geschäfts mit herkömmlichen Produkten zu machen.

Berater Malmendier meint: „Nach unserem Eindruck kommt der Megatrend Nachhaltigkeit derzeit Schritt für Schritt bei großen Investmenthäusern an. Aber noch sind es zarte Pflänzchen.“ Manch großer Volumenfonds schließe Streumunition und Antipersonenminen aus, handhabe einzelne Positivkriterien wie Technologien zur Verringerung von klimaschädlichen Emissionen oder achte auf Reputationsrisiken.

„Unter den sehr großen Fonds finden wir derzeit noch keine umfassenden Nachhaltigkeitskonzepte. Ich persönlich bin aber davon überzeugt, dass dies kommen wird.“ Denn bei weltweiten Aktienstrategien sei die Performance nachhaltiger Strategien vergleichbar oder besser als bei konventionellen. „Zudem bietet die Integration von ESG-Kriterien in den Investmentprozess ein zusätzliches Risikomanagement.“ Gleiches gelte mittlerweile auch für defensive Mischfonds und andere Anlageklassen.

Die Entwicklung erhält möglicherweise einen Impuls durch die revidierte europäische Finanzmarktrichtlinie MiFID II, die unter anderem den Anlegerschutz verbessern soll. Alle in EU zugelassenen Fonds müssen derzeit daran angepasst werden. „Das wäre der ideale Zeitpunkt für alle PRI-Unterzeichner, ihre ESG-Politiken in die Fondsprospekte aufzunehmen, damit Anleger und Berater erkennen können, was die Häuser tun“, sagt Andrew Murphy, Chef der Bonner Vermögensverwaltung Murphy & Spitz. Er analysiert Fonds in Portfolien seiner Kunden inzwischen selber, weil er mit den Angaben der Anbieter unzufrieden ist.

Um einen Eindruck zur Ernsthaftigkeit zu gewinnen, können Anleger unterdessen ihre Bank, Berater oder Vermögensverwaltung fragen, welcher Vermögensanteil beim jeweilige Fondsanbieter in nachhaltige Produkte respektive verantwortlich gemanagte Konzepte investiert sind. Und ob zumindest einige nachhaltige Kriterien über alle Produkte und Konzepte hinweg gelten. Je mehr derartiges Interesse an die Gesellschaften gespiegelt wird, desto eher gehen sie auf solche Anforderungen ein.
Banken, Berater und Asset Manager fragen

Die Nichtregierungsorganisationen Facing Finance und Urgewald haben 2016 exemplarisch einige der größten und in Deutschland gängigsten Fonds unterschiedlicher Kapitalanlagegesellschaften untersucht. Fast überall finden sich demnach auch Rüstungskonzerne, wie die NGOs darstellen.

„Jenseits von Streumunition muss man explizit nachfragen, wenn man keine Fonds mit Rüstungskonzernen haben will“, sagt Barbara Happe, Finanzreferentin von Urgewald. Viele Institute böten solche Fonds, arbeiteten aber oft mit Schwellenwerten wie einem Umsatzanteil von fünf bis zehn Prozent. Darum könnten Konzerne wie Thyssen-Krupp oder Daimler trotzdem in solchen Fonds auftauchen. Das passiere manchmal sogar auch bei Produkten von bestimmten Kirchenbanken.

Die in der NGO-Liste genannten Kapitalanlagegesellschaften bieten alle auch zahlreiche als nachhaltig bezeichnete Fonds an. „Hier ist Vorsicht geboten“, sagt Happe, „Anleger und Journalisten sollten genau hinschauen, welche Ausschlusskriterien es gibt und wie Ausschlusskriterien formuliert sind.“

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