Gegenwind für Aktien Börsentanz in der Erdbebenzone

Die Konzerngewinne schwächeln, die Kurse haben sich seit Jahresbeginn kräftig erholt. Jetzt wird die Luft an der Börse dünner.

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Börse: Bitte keine schlechten Nachrichten Quelle: dpa Picture-Alliance

Restlos gut gelaunte Dax-Vorstände trifft man derzeit tief in der Provinz. In Herzogenaurach, zum Beispiel. Dort präsentierte Adidas-Chef Herbert Hainer am 12. Mai bei strahlendem Sonnenschein glänzende Zahlen. In den ersten drei Monaten des Jahres haben die Franken den Umsatz kräftig gesteigert. Der Gewinn je Aktie schnellte um gut 50 Prozent in die Höhe, den Ausblick für 2016 hob Hainer an. Die Börse feiert mit: Seit ihrem Tief Anfang 2015 hat sich die Adidas-Aktie fast verdoppelt.

Damit ist Adidas aber die große Ausnahme. Nachdem inzwischen 29 der 30 Dax-Konzerne ihr Zwischenzeugnis fürs erste Quartal vorgelegt haben, ist klar: Der Gegenwind nimmt zu. Auch ohne handfeste Skandale wie bei VW oder bei der Deutschen Bank musste jedes dritte Dax-Unternehmen fallende Gewinne melden. Laut einer Untersuchung von Ernst & Young steigen zwar insgesamt die Gewinne noch leicht. Die Umsätze aber sinken bereits auf breiter Front.

Noch dürften die anhaltenden Niedrigzinsen eine Massenflucht aus Aktien in Zinspapiere verhindern. Aber die Kurse sind seit Februar kräftig gestiegen, während Umsätze und Gewinne vieler Unternehmen bereits fallen – ein Paradox, historisch die krasse Ausnahme. Unwahrscheinlich, dass diese Entwicklung folgenlos bleibt. Viele Probleme, wie den möglichen Abschied der Briten aus der EU, blenden Anleger derzeit aus. „Die Börse preist klar ein, dass alles gut gehen wird“, sagt James McCann, Ökonom von Standard Life in Edinburgh. Viel Raum nach oben haben die Kurse so nicht. Nur wenige Aktien sind chancenreich.

Wo Strategen den deutschen Leitindex Ende 2016 sehen
Jahresendprognosen Quelle: dpa
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Konjunktur schwächelt

Ängste vor einer weltweiten Rezession, ausgehend von China, hatten dem Dax zu Jahresbeginn fast 24 Prozent minus und (nach 2008) den zweitschlechtesten Jahresstart aller Zeiten eingebrockt. Die gute Nachricht: Chinas Wirtschaft stürzt nicht ins Bodenlose und die USA nicht in eine Rezession. Die US-Notenbank Fed hat das aufkommende Wirtschaftswachstum nicht abgewürgt, indem sie zu aggressiv die Zinsen erhöht und die Geldmenge verknappt. Folge: Der Dax hat sich erholt, schlingert erneut um die Marke von 10.000 Punkten. Erholung bedeutet aber nicht Entwarnung.

Von der Konjunktur kommt kaum Rückenwind. „Ab Mitte Februar hat die Erleichterung darüber, dass sich Rezessionssorgen nicht bestätigten, die Kurse getrieben“, meint Ralf Zimmermann, Chefstratege beim Bankhaus Lampe. Die Dynamik nehme jedoch schon wieder ab. Zwar konnten sich die wichtigsten Indikatoren für den Dax, der ifo- und die Einkaufsmanager-Indizes, zuletzt stabilisieren. Doch die Kurse sind erstmals den ifo-Geschäftserwartungen enteilt (siehe Chart unten). Vor allem die Binnennachfrage – Konsum und Bau – stützt noch die deutsche Konjunktur; die Bundesbank warnte am Dienstag schon vor einer erneuten Abkühlung ab Jahresmitte.

Diese Dax-Werte haben langfristiges Potential

Euro-Rückenwind lässt nach

Wichtiger für den Dax mit seinen vielen Exportunternehmen ist die Industrie. Zwar zog auch die im März 1,9 Prozent mehr Aufträge an Land als im Februar. Dabei hat jedoch vor allem der schwache Euro geholfen. Auf dem Weltmarkt waren deutsche Produkte, die in US-Dollar abgerechnet werden, billiger als in den Quartalen zuvor. Dieser Schub lässt aber nach. Der Euro hat seit seinem Tief im November gegen den US-Dollar fast neun Cent zugelegt.

Die ersten Dax-Konzerne merken das bereits: Chiphersteller Infineon musste Anfang Mai seine Jahresprognose zurückfahren, obwohl das operative Geschäft recht gut läuft. Aber: Jeder Cent, den der Euro gegenüber dem Dollar zulegt, drückt den Jahresumsatz Infineons um rund 30 Millionen Euro. Der Gewinn falle allein dadurch um acht bis zwölf Millionen Euro niedriger aus, sagte Infineon-Chef Reinhard Ploss. Dennoch ist der Chiphersteller einer der wenigen Dax-Konzerne mit mittelfristigem Potenzial. Bereinigt um Wechselkurseffekte, steigen Gewinn, Umsatz und Cashflow. Im zweiten Halbjahr dürften neue Handymodelle wieder für stärkere Nachfrage nach den Chips der Münchner sorgen.

Seit 2014 haben sich die Aktienkurse erstmals von den Konjunkturerwartungen abgekoppelt. Für eine detaillierte Ansicht bitte auf die Grafik klicken.

Auch Infineons früherer Mutterkonzern Siemens sowie SAP scheinen langfristig attraktiv; beide Aktien dürften vom weltweiten Trend zur Automatisierung, Vernetzung und Digitalisierung der Industrieproduktion profitieren. Vorsichtige Anleger können sich derweil mit Shortzertifikaten mit begrenzter Laufzeit auf den Dax absichern.

Wachstumsschwäche quer durch alle Branchen

Denn insgesamt zeigt der Dax ein unschönes Bild: 2015 sank der Nettogewinn der 30 Dax-Konzerne gegenüber 2014 um über 25 Prozent. 22 von 30 Konzernen verdienten 2015 teils drastisch weniger als in ihrem bisherigen Rekordjahr. Zwar gab es Härtefälle, wie VW und die Versorger E.On und RWE. Die Wolfsburger allein schrieben 1,6 Milliarden Euro Verlust. „Aber wir haben es mit einer Wachstumsschwäche quer durch fast alle Branchen zu tun“, sagt Zimmermann.

Dennoch halten fast alle Analysten an ihren hohen Gewinnprognosen fest. Die Schätzungen für 2016 sind seit Jahresanfang zwar um fünf Prozent gesenkt worden. „Die Hürde kommt aber in der zweiten Jahreshälfte und vor allem 2017, wenn die von vielen prognostizierte Gewinnbeschleunigung ausbleibt“, warnt Zimmermann. Die längerfristigen Wachstumserwartungen sind zuletzt sogar nochmals hochgesetzt worden – ein unwahrscheinliches Szenario. So rechnen die Analysten mit fast elf Prozent Gewinnanstieg für den Dax von 2016 auf 2017. Wo der herkommen soll, ist unklar.

Sorgen bereitet China. „China ist als zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde inzwischen fast so wichtig wie die USA für deutsche Aktien“, sagt Frank Wieser, Geschäftsführer der Vermögensverwaltung PMP, „auch, weil in den Jahren 2000 bis 2015 neue Wachstumsimpulse fast ausschließlich von dort kamen.“ 2015 ist die chinesische Wirtschaft offiziell nur noch um 6,9 Prozent gewachsen, das kleinste Plus seit 25 Jahren. Im ersten Quartal lag die schöngerechnete Ziffer bei 6,7 Prozent – gerade genug, um Anleger nicht erneut in Panik zu versetzen.

Schwächere Konjunkturprognosen dämpfen den Dax. Der Übernahmepoker um Monsanto ist eine zusätzliche Belastung. Wer trotzdem in Pharma-Aktien investieren will, sollte sich bei der Konkurrenz umsehen.
von Anton Riedl

Unabhängig davon, dass das echte Wachstum nur bei rund drei bis fünf Prozent liegen dürfte, ist das kleine Plus mit einem altbekannten Mittel erkauft: massenweise neuen Schulden. Im ersten Quartal pumpte die Zentralbank umgerechnet 1000 Milliarden Dollar in den Geldkreislauf – die größte Geldmengenausweitung seit 2008.

Nach Notenbankspritze im Zucker-High

Der Tanz auf dem Vulkan geht weiter: „Die massiv ausgeweitete Kreditmenge hilft wieder nur den ohnehin auf Blasenniveau befindlichen Immobilienpreisen und kurzfristig denen der Rohstoffe“, sagt Torsten Sløk, Chefvolkswirt von Deutsche Bank Securities in New York. Dass sie die chinesische Wirtschaft nachhaltig belebt, sei hingegen unwahrscheinlich. Sløk spricht vom „kurzfristigen Zucker-High“. Den deutschen Exporteuren hilft nicht einmal das. Im Februar sind Chinas Exporte gegenüber Vorjahr um 25 Prozent gesunken, die Importe fielen um 14 Prozent. „In den kommenden neun Monaten wird sich die Situation weiter verschlechtern“, sagt Victor Shih, Professor an der University of California in San Diego. Der Umbau der Volkswirtschaft zu mehr Binnennachfrage, weg von der reinen Exportindustrie, werde „zu Massenentlassungen führen und die Stabilität gefährden“. Bis zu fünf Millionen Industriearbeiter werden in den kommenden drei Jahren ihren Job verlieren, fürchtet der Professor.

Brexit und Trump als Risiko

„Eine Erholung des Dax in Richtung 10.700 Punkte in den nächsten Wochen ist zwar möglich“, sagt Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter bei Independent Capital Management, „dann würden wir aber Gewinne mitnehmen.“ Einige politische Probleme, die derzeit verdrängt würden, stünden „kurz vor der Eskalation“ und könnten der Dax-Erholung jäh den Garaus machen. „Der europäische Zusammenhalt bröckelt bedenklich. Das Risiko, dass mit Großbritannien ein großes Industrieland die EU verlässt, ist nicht viel kleiner als 50 Prozent“, glaubt Ehlhardt.

Unklar ist auch, wie die Börse auf Donald Trump als US-Präsident reagieren würde. Bei Hillary Clinton wäre die Reaktion eher positiv. Noch liegt Trump, der eine globalisierungsfeindliche Politik verfolgen dürfte, in den Umfragen hinter der Demokratin. Doch ein Unsicherheitsfaktor sind die vielen Nichtwähler früherer Jahre; liefe ein großer Teil von ihnen zu Trump über, könnte es noch eng werden für Clinton.

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von Christof Schürmann

Zuletzt wetteten Hedgefonds vermehrt auf fallende Kurse. Im April waren bei K+S 15 Prozent, bei der Deutschen Börse 13 und bei der Lufthansa zehn Prozent aller ausstehenden Aktien an Shortseller verliehen – Rekordwerte. Auch bei Allianz, Munich Re und bei Daimler zogen die Leerverkäufe an. Die Zocker können sich irren, aber taktisch wäre es riskant, jetzt neues Geld in deutsche Standardwerte anzulegen. Auch die Dividendensaison geht zu Ende. Rund 40 Milliarden Euro haben deutsche AGs dieses Frühjahr ausgeschüttet. Für viele kleinere Vermögensverwalter und Privatanleger ist die Ausschüttung ein gewichtiger Grund, Aktien auch bei drohender Unsicherheit noch nicht zu verkaufen. Der fällt nun weg.

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