Um 10 Uhr geschah am Montag an der Rohstoffbörse etwas, was Goldanleger in Aufregung versetzte: Der Goldpreis fiel binnen Sekunden von 1254 Dollar unter 1237 Dollar, ein Minus von 1,6 Prozent. Zwar hat sich der Goldpreis mittlerweile nahezu erholt, doch der Blick auf den Vorfall lohnt auch am Tag danach.
Ein konkreter Anlass war nicht auszumachen, selbst Donald Trump dürfte zu dieser Zeit geschlafen statt getwittert haben.
Was also war es? Schnell machte die Theorie vom „Fat Finger Trade“ die Runde. Gemeint ist damit eine Fehleingabe bei einer einzelnen Order, die von automatisierten Handelssystemen unmittelbar umgesetzt wird. Ein Börsenhändler, der sich mit „Wurstfingern“ vertippt, kann so riesige Handelsvolumen auslösen, die die Kurse rapide steigen oder eben fallen lassen. In der Vergangenheit kam das durchaus öfter vor, es gibt eine Reihe von Beispielen.
Kuriose Börsenpannen
Fast 45 Minuten konnten am 29. Oktober 2013 an der US-Börse Nasdaq einige Indexstände nicht übermittelt werden. Wegen der fehlenden Daten wurde der Optionshandel vorübergehend ausgesetzt. Als Grund für die Panne nannte der Betreiber menschliches Versagen: Durch einen Bedienfehler seien Störungen in der Datenübertragung entstanden.
Wegen technischer Probleme hat die Derivate-Börse Eurex den Handel am Morgen des 26.8.2013 vorübergehend gestoppt. "Die Aussetzung wurde durch eine fehlerhafte Zeit-Synchronisierung im System verursacht", teilte die Tochter der Deutschen Börse mit. Aus diesem Grund sei der Handel zwischen 08:20 und 09:20 Uhr (MESZ) angehalten und sämtliche Produkte auf den Stand vor Börseneröffnung zurückgesetzt worden.
Eine technische Panne hat die US-Technologiebörse Nasdaq am 22. August 2013 für mehrere Stunden lahmgelegt. Grund für den Knock out sei ein Softwareproblem gewesen, teilte der Börsenbetreiber Nasdaq OMX mit. Die Übermittlung von Kursdaten an die New Yorker Börse an der Wall Street war offenbar zusammengebrochen. Auch der Optionshandel wurde bis auf weiteres ausgesetzt. Erst nach rund dreistündiger Zwangspause konnte die Börse den Handel mit den Papieren von Technologiefirmen wie Apple, Facebook, Microsoft oder Google wiederaufnehmen. Die Nasdaq rechnet aber bisher nicht mit Schadenersatz- oder Haftungsansprüchen.
Die US-Investmentbank Goldman Sachs hat am 21. August 2013 versehentlich eine riesige Menge von Optionsgeschäften getätigt. Die irrtümlichen Orders wurden kurz nach Handelseröffnung aufgegeben und betrafen Optionen auf Aktien, deren Börsensymbole mit den Buchstaben H bis L beginnen. Eine mit den Problemen vertraute Person, die nicht namentlich genannt werden wollte, führte die fehlerhaften Aufträge auf eine Computerpanne zurück. Diese habe dazu geführt, dass bloße Interessensbekundungen an den Optionen irrtümlich als Orders an die Handelsplätze versandt worden seien. Möglicherweise drohe Goldman Sachs ein Verlust in Millionenhöhe.
Ein Aktienhändler der UBS handelte durch Eingabe zu vieler Nullen im Januar 1999 innerhalb von zwei Minuten zehn Millionen Aktien der Pharmafirma Roche, von den aber überhaupt nur sieben Millionen Stück existierten. Das Handelsvolumen überstieg die Marktkapitalisierung von Roche um knapp die Hälfte. Den Verkauf versuchte er durch eigene Kauforders rückgängig zu machen. 2001 verkaufte ein Händler der Investmentbank Lehman Brothers aus Versehen immer hundertmal mehr Aktien als er wollte – vor allem von Schwergewichten wie AstraZeneca und BP – und vernichtete so zeitweise 30 Milliarden Pfund an Börsenwert.
Im Dezember 2001 begleitete UBS Warburg den Verkauf neuer Aktien des japanischen Unternehmens Dentsu. Ein Händler vertippte sich und verkaufte statt 16 Dentsu-Aktien zu 600.000 Yen gleich 610.000 Aktien zu 6 Yen an. Schnell verkaufte die UBS so 64.915 Aktien, was etwa der Hälfte des Emissionsvolumens entspricht. Die UBS verlor so 100 Millionen Dollar, weil sie die Aktien selbst zum Marktpreis kaufen musste, um die Käufer mit den Papieren zu versorgen.
Ein Händler von Bear Stearns verkaufte im Oktober 2002 Aktien für vier Milliarden Dollar anstelle von vier Millionen. Bevor der Vertipper auffiel, gingen bereits Wertpapiere im Wert vom 600 Millionen Dollar an neue Besitzer. Der Leitindex Dow Jones sank dadurch um 2,3 Prozent.
Der Hochfrequenzhandel war für den "Flash Crash" an der Wall Street verantwortlich, als sich im Mai 2010 durch einen blitzartigen Kurseinbruch aus heiterem Himmel binnen Minuten fast eine Billion Dollar Marktwert in Luft auflöste. Einige Aktien verloren in der kurzen Zeitspanne rund die Hälfte ihres Wertes. Schon davor hatte es Kritik gegeben an den immer schnelleren Börsengeschäften über Computersysteme. Beim sogenannten Hochfrequenzhandel werden tausende Transaktionen binnen Millisekunden durch Computer ausgelöst.
Ende Juni 2010 fielen die Aktien der Citigroup nach Massenverkäufen durch elektronische Handelssysteme zeitweise um17 Prozent. Da die US-Börsenaufsicht SEC nach dem „Flash Crash im Mai zuvor beschlossen hatte, Aktien aus dem Index S&P 500 vom Handel auszusetzen, sofern diese innerhalb von fünf Minuten mehr als zehn Prozent fallen oder steigen, stoppte diese Sicherungssystem den Kursrutsch. Fünf Minuten stoppte der Handel, dann beruhigte sich die Lage. Den Handelstag beendete die Citigroup-Aktie sieben Prozent im Minus.
Noch vor Facebook gab es einen weiteren verpatzten Börsengang: Die Erstnotiz der drittgrößten US-Börse BATS Global Markets Ende März 2012 endete mit einem Totalschaden. Die Aktien sollten auf der eigenen Handelsplattform ihr Börsendebüt feiern, aber die neuen BATS-Aktien sackten binnen Minuten von 16 Dollar auf unter einen Cent. Als Schuldige wurde eine neue Software ausgemacht. BATS musste falschen Transaktionen zurücknehmen - und nahm die eigenen Aktien nach dem peinlichen Vorfall gleich mit von der Börse.
Als das 900 Millionen Nutzer starke Social-Media-Portal im Mai 2012 den Sprung an die Börse wagte, bekam die Erfolgsstory deutliche Risse. Nach gravierenden Pannen im Handelssystem der Technologiebörse Nasdaq in New York stürzte der Kurs des Börsenneulings rapide in die Tiefe. Beteiligte Firmen erlitten hohe Millionen-Verluste, etliche fordern von der Nasdaq Schadenersatz. Die Schweizer Großbank UBS, die beim Facebook-Börsengang 349 Millionen Franken (290 Millionen Euro) verlor, drohte bereits mit einer Klage gegen die Börse.
Am 31. Juli 2012 versetzte eine fehlerhafte Handelssoftware versetzte Wertpapierhändler und Anleger an der Wall Street in Aufruhr: In den ersten 45 Minuten des Handelstages verzeichneten rund 150 Aktientitel so hohe Umsätze wie sonst an einem ganzen Tag. Die Folge waren heftige Preisschwankungen, und fünf Aktien mussten sogar ganz aus dem Handel genommen werden. Das Börsenhandelshaus Knight Capital räumte ein, Probleme mit seinen computergestützten Systemen seien dafür verantwortlich. Ein neues Handelsprogramm hatte die Börse mit fehlerhaften Handelsaufträgen geflutet. Knight Capital verbuchte durch die viel zu teuer gekauften Aktien einen Verlust von rund 440 Millionen Dollar.
Kurz nach dem Handelsstart im April 2014 an der Technologiebörse Nasdaq schossen die Aktien des Lebensmittelherstellers Kraft Foods binnen einer Minute um satte 30 Prozent nach oben, von 45 auf mehr als 58 Dollar. Die Nasdaq verneinte Probleme mit ihrer Handelsplattform und machte einen Börsenmakler als Verursacher aus. Laut "Financial Times" hatte ein Handelsprogramm irrtümlich versucht, 30.000 Kraft-Aktien binnen kürzester Zeit zu ordern. Die Nasdaq und andere betroffene Börsen erklärten nach einer Untersuchung der Kursbewegungen die fragwürdigen Transaktionen oberhalb eines Kurses von 47,82 Dollar für ungültig. Der Fehler ereignete sich nur einen Tag, nachdem Kraft Foods sich aufgespalten und sein Geschäft mit Snacks außerhalb der USA unter dem Namen Mondelez International als eigenständige Aktie an die Nasdaq gebracht hatte.
In diesem Fall war das Handelsvolumen binnen einer Minute auf 1,8 Millionen Unzen Gold gestiegen, mehr als 18.000 Future-Kontrakte wechselten den Besitzer. Einige Börsenanalysten gehen deshalb davon aus, das die Zahl der Kontrakte mit der Zahl der Unzen verwechselt wurde. 18.150 Futures über je 100 Feinunzen Gold entsprechen umgerechnet 56 Tonnen Gold – nicht einmal Notenbanken handeln solche Mengen in so kurzer Zeit.
Gegen die Fat-Finger-Theorie spricht auch, dass derartige Fehlorders recht zügig korrigiert werden und sich anschließend der Goldpreis auf das Niveau vor dem Crash wieder einpendelt. Aber der Goldpreis erholt sich spät und nur langsam von diesem Preisrutsch.
Immerhin: Nachdem der Goldpreis mit dem Mini-Crash unter die 200-Tage-Durchschnittlinie gefallen war, hat er sich mit Kursen um 1249 Dollar wieder über diese wichtige Trendlinie gerettet. Bemerkenswerterweise gab es dabei auch einen fast senkrechten Anstieg des Goldpreises am Dienstagmittag. Allerdings fiel der mit einem Plus von 1245 auf etwa 1251 Dollar deutlich kleiner aus, als der Einbruch vom Montag.
Ähnliches gilt im Grunde für die Theorie eines Flash-Crashs. Hier stößt eine einzelne große Order die superschnellen, vollautomatisierten Handelssysteme der Großbanken oder Vermögensverwalter an, sogenannte Algo-Trader, die im Grunde eine sich selbst verstärkende Spirale auslösen. Auch dafür gibt es Beispiele aus der Vergangenheit. Allerdings erholen sich die Kurse üblicherweise fast so schnell davon, dass Anlegern der Kurseinbruch wie Einbildung erscheint. Diesmal aber brauchte der Goldpreis viele Stunden für eine leichte Erholung und noch immer hat er nicht das Ausgangsniveau von Montagmorgen erreicht.
Bleibt die Theorie zu besonders aktiven Spekulanten. Tatsächlich war dem Commitments-of-Traders-Report bereits zwei Tage vor dem Minicrash zu entnehmen, dass sich am Terminmarkt viel bewegt hat. So fiel die Zahl offener Kontrakte schon vor einer Woche an nur einem Tag um 5,5 Prozent. Die Netto-Long-Positionen, die angibt, wie viele Termingeschäfte mehr auf einen steigenden Goldpreis als auf einen fallenden Preis setzten, ist innerhalb einer von 190.000 auf 150.000 Kontrakte gesunken, ein regelrechter Einbruch um 20,8 Prozent.
Der Druck am Terminmarkt steigt also. Vielleicht kam es dadurch zu einem kleinen Dammbruch. Hinzu werden Preisschwankungen durch die generell geringen Handelsumsätze in den Sommermonaten noch verstärkt. Es ist also durchaus möglich, dass es sich um große, aber gewollte Orders gehandelt hat.
Goldanleger können zufrieden sein, dass die wichtige Widerstandszone bei Kursen um 1236 Dollar je Feinunze gehalten hat und somit die langfristigen Trends noch intakt sind. Denn eigentlich sprechen die Pleitebanken in Italien, die Brexit-Verhandlungen, steigende US-Leitzinsen und politische Spannungen mit Nordkorea eher für einen steigenden Goldpreis.
An der Börse wird also weiter gerätselt, warum es zu diesem ungewöhnlich scharfen Einschnitt kam. „Niemand hat eine Ahnung, abgesehen von dem unglücklichen Individuum, das den falschen Knopf gedrückt hat“, brachte es David Govett, Chef des Edelmetallhändlers Marex Spectron Group in London auf den Punkt. Goldanleger mit Blick auf den Preischart brauchen nun einmal besonders gute Nerven.