Große Koalition Wie der Koalitionsvertrag an den Märkten ankommt

Der Koalitionsvertrag steht und die Welt freut sich über einen europafreundlichen Kurs der Bunderegierung in spe. In der Finanz- und Immobilienbranche aber werden skeptische Stimmen laut.

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Sorge um die „schwarze Null“ und die Weiterverhandlung der europäischen Bankenunion. Quelle: dpa

Frankfurt Einen finalen 24-stündigen Verhandlungsmarathon hatte es noch gebraucht, um den Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD zu vollenden. Seit Mittwochmorgen nun steht er. Die Verhandlungspartner sind zufrieden, die Märkte bislang auch: Der Leitindex Dax verzeichnet nach Tagen voller Rückschlägen ein Plus von 0,8 Prozent, international wird die Koalition als europafreundlich aufgefasst, was die Kauflust auf südeuropäische Anleihen steigert.

In der Finanzwelt aber trifft der Koalitionsvertrag auf skeptische, mahnende Stimmen. Vielen sind die Mehrausgaben der Koalition ein Graus. 48 Milliarden werden die Projekte der neuen Großen Koalition von Baukindergeld bis Steuerentlastung, etwa beim Solidaritätszuschlag, wohl kosten. Insgesamt sind in der Legislaturperiode Ausgaben von 1,438 Billionen Euro vorgesehen. Das schmilzt den Haushaltsüberschuss zusammen und manche Bank, wie etwa die Commerzbank, fragt sich schon, wie es künftig um die schwarze Null bestellt sein wird, wie lange der Staatshaushalt also noch ausgeglichen sein werde. „Der heute geschlossene Koalitionsvertrag sieht für diese Legislaturperiode massive Mehrausgaben und Mindereinnahmen vor.

Haushaltsdefizite lassen sich nur bei anhaltend günstigen Rahmenbedingungen vermeiden. Eine schwarz-rote Koalition dürfte die Arbeitsmarktreformen der Schröder-Ära weiter zurückrollen“, kritisiert Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank.

Nachdem Wolfgang Schäuble in den vergangenen Jahren für die CDU die Finanzen des Bundes verwaltet hat, soll das Amt des Finanzministers nach Vorstellungen der Groko künftig an die SPD gehen, und zwar an Olaf Scholz, den amtierenden Hamburger Oberbürgermeister. Bei Florian Hense, Volkswirt bei der Privatbank Berenberg, löst das aber keine Furcht vor finanziellen Exzessen aus. Scholz sei Realist und innerhalb der SPD derjenige, der Wolfgang Schäuble vermutlich am nahesten stünde.

An den Märkten macht sich indes schon Optimismus wegen des europafreundlichen Kurses der Großen Koalition breit. Investoren griffen verstärkt zu südeuropäischen Anleihen, was sich in steigenden Kursen und analog dazu fallenden Renditen äußert.

So fielen etwa die Renditen der zehnjährigen Staatsanleihen Italiens und Portugals um jeweils acht Basispunkte, bei Spanien waren es knapp sieben, bei Griechenland knapp fünf Basispunkte. Zugleich stieg die Rendite auf Bundesanleihen – die Differenz und damit auch der wahrgenommene Risikounterschied am Finanzmarkt engt sich ein.

Bereits im Juni seien erste Reformen auf dem EU-Gipfel möglich, schreibt Berenberg-Volkswirt Hense. Darunter könnten Maßnahmen wie eine Aufwertung des Europäischen Stabilitätsmechanismus hin zu einem Währungsfonds wie auch Fortschritte beim Thema Bankenunion sein.

Letzteres beschäftigt naturgemäß die Bosse der Banken. Der Präsident des Bankenverbandes, Hans-Walter Peters, betont: „Wichtig ist die angekündigte Überprüfung der Bankenregulierung aus den letzten Jahren auf Widersprüche und unbeabsichtigte Nebenfolgen.“

Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV), der Dachverband der Sparkassen, begrüßte die Position der Parteien zur europäischen Bankenunion: „Wir teilen die Auffassung, dass Risiko und Haftung nicht getrennt werden dürfen“, sagt DSGV-Präsident Helmut Schleweis. Eine vergemeinschaftete europäische Einlagensicherung würde dieses Prinzip verletzen. Der beste Schutz für alle Sparerinnen und Sparer in Europa sei es, die vereinbarten europäischen Standards in den nationalen Einlagensicherungssystemen umzusetzen und „nicht Haftungsverantwortung in einem vergemeinschafteten System in Brüssel zu vermischen“, betont Schleweis.

Europaweit gehören Bankenwerte am Mittwoch zu den Gewinnern an den Börsen. Der Branchenindex Stoxx 600 Banks liegt am Nachmittag mit mehr als einem Prozent im Plus. Inwiefern sich Anlegers Optimismus für die Finanzwerte mit der Großen Koalition erklären lässt, ist schwer zu klären. Die beiden deutschen Schwergewichte können jedenfalls kaum profitieren: Die Aktie der Commerzbank notiert am Nachmittag 0,8 Prozent im Plus. Die Aktie der Deutschen Bank steht mit einem Verlust von gut drei Prozent hingegen am Ende des Dax.


Die Reaktion der Immobilienbranche

Auf wenig Begeisterung stößt der Koalitionsvertrag hingegen in der Immobilienbranche, obwohl die Parteien insgesamt vier Milliarden Euro für den Bereich Wohnen und Bauen vorgesehen haben. Die Spanne der Maßnahmen ist breit: Vom Baukindergeld über eine neue Form der Mietpreisbremse bis hin zum sozialen Wohnungsbau.

Gerade das Baukindergeld dürfte die Branche eigentlich freuen: Geplant ist ein Zuschuss von 1200 Euro pro Kind und Jahr für Familien mit einem zu versteuernden Haushaltseinkommen von 75.000 Euro, den der Bund über zehn Jahre zahlen würde. Laut Berechnungen des Bundesfinanzministeriums könnten davon jährlich 200.000 Familien profitieren – und somit auch die Nachfrage in der Immobilienbranche ankurbelt, der es ohnehin schon gut geht.

Doch es scheint, als überwiege dort die Sorge vor Einschränkungen wie durch die Mietpreisbremse oder der Plan, dass Mieten nach Modernisierungen künftig nur noch zu acht statt bisher elf Prozent erhöht werden dürften. Andreas Ibel, Präsident des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) ist überzeugt: „Das, was jetzt bei den Koalitionsgesprächen herausgekommen ist, ist zu wenig, zu kurzfristig und zu wirkungslos.“ Die Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau verschlechterten sich, glaubt Ibel.

Der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA), der Spitzenverband der Immobilienwirtschaft, zeigt sich insgesamt zwar zufriedener über die Vorhaben im Koalitionsvertrag. Dennoch hätte es für die Vertreter der Immobilienlobby gern ein bisschen mehr sein können: Das Baukindergeld setze beispielsweise bei den Kaufpreisen an. Doch viel wichtiger seien die Kaufnebenkosten. „Die Koalitionäre hätten sich also vielmehr darauf konzentrieren sollen, wie die Grunderwerbsteuer-Rally der Länder beendet werden kann. Wir müssen es schaffen, dass die Steuersätze der Länder wieder auf ein gesundes Maß zurückgedreht werden. Eventuelle Freibeträge für einzelne Käufergruppen könnten jedoch das Gegenteil erzeugen und höhere Steuersätze für alle anderen Käufer mit sich bringen. Das dürfen wir nicht zulassen“, sagt Mattner.

14 von 16 Bundesländern haben in den letzten zehn Jahren den Grunderwerbsteuer-Satz von ursprünglich 3,5 auf bis zu 6,5 Prozent angehoben. „Das schadet Mietern und Eigenheimkäufern gleichermaßen“, sagt Mattner.

Der Koalitionsvertrag steht, die Ziele der Parteien sind klar, die Ministerposten werden auch schon zugeteilt – nur geschäftsfähig ist die Regierung noch nicht. Die SPD-Mitglieder müssen dem Koalitionsvertrag erst noch zustimmen. Die Abstimmung werde voraussichtlich nicht vor dem vierten März stattfinden, schätzt Berenberg-Volkswirt Hense. Nachdem das Votum der Parteibasis für Koalitionsverhandlung zuletzt denkbar knapp ausfiel (56,4 Prozent stimmten dafür), dürfte genau dieser entscheidende Schritt noch einmal sehr spannend werden. Dennoch dürfte sich die SPD dazu durchringen, vermutet Hense. Das Risiko einer Abfuhr an die Große Koalition sieht er bei etwa 30 Prozent.

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