Handelsblatt-Clubgespräch „Die Börse macht reich“

Die Kritik an der Performance ihrer eigenen Fonds wird in letzter Zeit immer lauter. Dirk Müller und Max Otte stellen sich gemeinsam mit Fondsmanager Hendrik Leber den Fragen des Handelsblatts zum Thema Geldanlage.

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Jessica Schwarzer, Leiterin Journalismus Live, im Gespräch mit Hendrik Leber, Max Otte und Dirk Müller (v.l.)

Die Sitzplätze beim Handelsblatt-Clubgespräch sind schnell belegt, viele der Gäste müssen im Stehen der Diskussion auf dem Podium lauschen. Das Interesse ist so groß, weil nicht jeden Tag zwei Börsenprominente und ein erfolgreicher Fondsmanager zusammentreffen: Im Foyer des Verlagsgebäudes in Düsseldorf geht es an diesem Abend kurz vor der US-Wahl um das Thema Geldanlage. Jessica Schwarzer, Chefkorrespondentin Börse und Leiterin Journalismus Live, moderiert das Gespräch zwischen dem Gründer der Fondsgesellschaft Acatis, Hendrik Leber, „Mr. Dax“ Dirk Müller und „Crashprophet“ Max Otte.

In der Werbung zu diesem Event habe ich Dirk Müller gefragt, ob die Börse reich macht. Seine Antwort: Die Bühne der Börse bietet Heldensagen und Tragödien. Herr Leber, was antworten Sie?
Hendrik Leber: Aktienbörsen machen unbedingt reich. Sie sind der einzige Weg, wie man überhaupt am Produktivkapital der Unternehmen teilnehmen kann und die einzige Quelle des Wohlstands in einer Volkswirtschaft. Aktienmärkte sind ein sehr demokratischer und fairer Weg, daran zu partizipieren. Dass die Kurse hoch und runter gehen, ist eine andere Geschichte.

Und Herr Otte, wie antworten Sie auf die Frage?
Max Otte: Die Börse macht reich, aber sie macht nur dann reich, wenn man bei seiner Strategie bleibt und nicht versucht, den Markt zu schlagen. Gerade als Privatanleger brauchen Sie einen langen Atem.

Dirk Müller durfte in der Werbung nur diesen einen kleinen Satz dazu sagen. Jetzt gibt es mehr Platz.
Dirk Müller: Die Börse kann reich machen, aber sie kann auch arm machen. Die Börse hat zwei Welten in sich. Das eine ist die sinnvolle seriöse Geldanlage, über die die beiden gerade völlig zu Recht schon gesprochen haben. Das Investieren in gute Unternehmen, das Investieren in die ständige Entwicklung unserer Gesellschaft. Das andere ist Casino. Dass ich mich nicht an einem Unternehmen beteilige, sondern auf irgendeine Kursentwicklung für die nächsten Stunden, Minuten, Tage setze. Das Unternehmen interessiert mich dabei gar nicht. Ich weiß nicht, was es so genau macht, aber es ist gerade so schön billig, deshalb kaufe ich es. Beides findet dummerweise am gleichen Markt statt, deshalb vermischen wir das gerne. Das Zocken kann sehr schnell arm oder reich machen. Die seriöse Geldanlage hingegen macht langfristig reich.


„Mich stört insgesamt diese kurzfristige Betrachtung“

Ihre eigenen Fonds machen zumindest aktuell eher nicht reich. Schauen wir uns die Performance im Detail an und starten mit Dirk Müller. Im April 2015 ist der Fonds gestartet, auf dem Hoch des Dax. Im laufenden Jahr liegt er mehr als acht Prozent im Minus, seit dem Start elf Prozent. Der MSCI World Value, der Vergleichsindex, ist zwar auch nicht besonders gut gelaufen - er hat auf Sicht von einem Jahr 0,02 Prozent verloren - Dirk Müllers Fonds ist aber momentan eindeutig schwächer.
Müller: Wir lagen im gesamten letzten Jahr besser als der Index. In der Spitze um 14 Prozent, weil wir nicht so stark gefallen sind. Dieses Jahr hat der Index Verluste aufgeholt, die wir erst gar nicht gemacht haben. Hätte ich lieber letztes Jahr stärkere Verluste machen sollen, damit ich dieses Jahr viel aufholen kann? Mich stört insgesamt diese kurzfristige Betrachtung.

Das macht man aber natürlich als Anleger.
Müller: Das ist ja auch nachvollziehbar, aber es ist die falsche Sichtweise. Wir müssen einfach auf Zehnjahressicht investieren und nicht gucken, wo stehen die Kurse in zwei Monaten oder in einer Woche. Es ist ein hartes Brot, sich gegen kurzfristige Kritik zu wehren, wenn man wie wir eine langfristige Anlagestrategie verfolgt, die bewusst die kurzfristigen Marktbewegungen außer Acht lässt. Ich kann dazu nur sagen, ihr könnt das gerne kritisieren, aber ich bleibe dabei, ich will wissen, wo stehen unsere Unternehmen in zehn Jahren. Wir haben an den Börsen drei bis fünf Jahreszyklen von 300 Prozent nach oben, 75 Prozent nach unten, 270 Prozent hoch, 50 Prozent runter. Da ist es völlig irrelevant, ob man in einem Monat fünf Prozent besser oder im anderen Monat fünf Prozent schlechter als der Index liegt. Es geht darum, am Ende dieser Zyklen erfolgreich gemanagt zu haben.

Bei Max Ottes Vermögensbildungsfonds liegt das Minus in diesem Jahr bei mehr als vier Prozent. Bekommen Sie da auch Beschwerden von Privatanlegern, oder ist es nur die Presse, die Sie in den vergangenen Wochenkritisiert hat?
Otte: Ich bin 2001 mit Privatkunden gestartet, habe 2008 dann den PI Global aufgelegt, 2013 den Max Otte Vermögensbildungsfonds, um besser in Deutschland präsent zu sein. In dieser Zeit kamen selten Beschwerden, aber die Volumina schwanken. Im ersten Jahr, als der Max Otte Vermögensbildungsfonds ganz vorne in den Performancelisten lag, waren wir ruck zuck auf 100 Millionen Euro Volumen, jetzt sind es noch 50 Millionen Euro. So wird leider viel zu hektisch und kurzfristig abgestimmt.

Und wie sehr berührt sie das?
Otte: Solange wir als Unternehmen solide aufgestellt sind, kann ich meine Arbeit weitermachen, ohne mich unter Druck zu setzen und auf Volumina zu schielen. Das ist zum Glück der Fall. Eine Freude ist es dennoch nicht. Besser wäre mehr Kontinuität bei den Privatanlegern, zumal wir langfristig Dax, Eurostoxx und einen Mischindex aus MSCI und Renten outperformt haben.

Auch bei Herrn Leber läuft es nicht berauschend. Der Acatis Aktien Global Fonds liegt in diesem Jahr drei Prozent im Minus. Ist der Value-Ansatz, also das Investieren in Firmen mit guten Fundamentaldaten, die aber an der Börse unterbewertet scheinen, generell schwierig?
Leber: Das ist es seit 2007. An den Finanzmärkten werden immer Sauherden durch die Dörfer getrieben, und wir hatten bis 2007 das Value-Thema. Alle wussten, dass es funktioniert, wie es funktioniert und alle haben es mitgemacht. Danach hatten wir einen riesigen Wechsel und Themen wie Qualität oder Volatilität wurden wichtig. Und so werden nun derzeit diese Themen durchs Dorf getrieben. Da hängen wir leidvoll hinterher. Zwar haben wir unseren Kurs seit 2008 auch verdoppelt, aber das kümmert ja keinen, weil wir relativ im Vergleich zum Index nicht so doll waren. Value wird aber wiederkommen, weil es betriebswirtschaftlich sinnvoll ist. Ich kann nicht anders, als logisch daran gehen. Sobald ich anfange, meinen Stil zu ändern und das zu machen, was gerade populär ist, verliere ich meine Mitte, meine Orientierung, dann klappt nichts mehr.


„ETFs sind gefährlich wegen ihrer Marktmacht“

Eine passende Strategie ist auch für Privatanleger der Grundstein des Börsenerfolgs. Wie man sie dann umsetzt, ist eine andere Frage. Studien zeigen immer wieder, dass die wenigsten Fondsmanager ihren Vergleichsindex schlagen, vor allem nicht dauerhaft. Ich muss Sie drei als Fondsmanager jetzt wahrscheinlich nicht fragen, warum Sie dennoch einen aktiven Ansatz mit Fondsmanagern gegenüber einer passiven Strategie mit Indexfonds bevorzugen, oder?
Müller: ETFs sind erst einmal nicht komplett falsch. Wenn ich mir viele große Fonds anschaue, dann machen die im Prinzip nicht viel mehr, als Indizes nachzubauen und dann ein bisschen abzuweichen. Bevor ich so einen Fonds kaufe, kann ich auch einen ETF kaufen. Tatsächlich macht der ETF nicht alles kaputt, aber er geht eben 1:1 mit dem Index mit. Wir haben in den letzten Jahrzehnten öfters die Situation gehabt, dass der Aktienmarkt um 50 oder 70 Prozent gefallen ist, und dann rauscht der ETF eben auch um diese 50 oder 70 Prozent runter. Und der Anleger, der in der steilen Phase sagt, das ist für mich vollkommen okay, dem kocht bei spätestens minus 30 Prozent das Wasser im Hintern, bei minus 50 Prozent verkauft er und fasst nie wieder die Börse an, bevor es dann nach oben geht. Der ETF ist ein Fahrstuhl, der 1:1 hoch und runter geht. Der aktive Fondsmanager kann, wenn es runter geht, über Absicherung oder Cashmanagement Geld vom Tisch nehmen und dafür sorgen, dass der Fall eben nicht so tief ist.

Sind ETFs gefährlich?
Otte: ETFs sind gefährlich wegen ihrer Marktmacht. Sie führen zu einem Gleichklang im Denken in den Konzernetagen, keiner traut sich mehr, aus der herrschenden Renditeideologie auszubrechen, mal was zu versuchen, was sich erst in ein oder zwei Jahren rechnet.
Leber: Ich nehme mal den letzten August als Beispiel, als es einen großen Abverkauf gab und man deutlich gemerkt hat, dass die ETFs im Verkauf nicht nachkamen, denn auf einmal gibt es keine Käufer mehr. Die deutschen Nebenwerte hingegen hat es gar nicht berührt, weil da kein ETF investiert war.

In diesem Jahr haben wir an der Börse Turbulenzen gesehen wie selten zuvor. Völlig überraschend rumste es Anfang des Jahres nach schlechten Daten aus China. Dann kam der Brexit, mit dem eigentlich auch keiner mehr gerechnet hatte. Da ging es ganz schön zur Sache, oder? 
Otte: Das kann zunächst durchaus nervös machen. Wenn man sich davon nicht weiter beeinträchtigen lässt, macht es aber gar nichts. Denn was hat der Brexit für einen Einfluss auf mein Portfolio? Zunächst einmal keinen! Natürlich ist dieses Schielen auf Makroevents, was 90 Prozent aller Privatanleger machen, auch spannend, sie lösen ein Wechselbad der Gefühle aus. Die meisten erfolgreichen Investoren macht aber aus, dass sie sich auf die Unternehmensbewertung und -entwicklung konzentrieren. Am Morgen des Brexits habe ich folgendes gemacht: Ich habe auf die Briten angestoßen und dann Rolls Royce gekauft, die waren gerade so schön billig. Das konnte ich aber nur, weil ich mich mit dem Unternehmen schon seit eineinhalb Jahren beschäftigt habe.
Leber: Der Stress der anderen ist ja meine Chance. Wenn ich beim Autokauf merke, dass der Verkäufer das Auto loswerden muss, ich aber den Preis und Wert des Autos kenne, dann kann ich das Ausnutzen. Also muss ich auch an der Börse vorbereitet sein. Am Brexit-Morgen haben wir uns deshalb um 8.15 Uhr im Team besprochen und drei Aktien zur Eröffnung gekauft.
Otte: Ich habe von Hendrik Leber mal vor zwei oder drei Jahre ein ganz passendes Bild gehört. Ein Krokodil liegt im Wasser, hat das Maul auf, und einmal im Jahr kommt der Fisch vorbei und dann macht es das Maul zu. Aber diese Ruhe bei solchen Makroevents wie dem Brexit zu behalten, ist natürlich extrem schwer, keine Frage.


„Trump ist unbelehrbar, unberechenbar, beratungsresistent“

Nach dem Brexit steht jetzt das nächste Großevent an, die US-Wahl. Herr Leber, Sie fahren häufig in die USA und schauen sich die Unternehmen an, in die Sie investieren wollen. Wie ist denn die Stimmung, wenn Sie sich mit Unternehmern unterhalten?
Leber: Ökonomisch war auffällig, wie stark die USA am Ölpreis hängen. Das hätte ich überhaupt nicht vermutet. Der starke Dollar tut zudem dann am Ende auch weh. Was ich aber wirklich beobachte ist, dass das Land effektiv zweigeteilt ist. Man hat einen Gesprächspartner, der gegen Obama wettert, die globale Erwärmung anzweifelt und findet, die Reichen sollten gar nicht mehr besteuert werden. Und auf der anderen Seite sind diejenigen, die Abtreibungen befürworten und Greenpeace gut finden. Es gibt zwei Lager, und dazwischen ist keine Verbindung mehr. Diese Zweiteilung ist brutal hart. Es ist ein ganz tiefer Hass untereinander und das manifestiert sich jetzt auch in der Wahl.
Müller: Ich habe gerade eine Analyse gesehen vor einigen Tagen. Da zeigte sich, dass über die Breite der Landkarte alles Trump ist, nur in den großen Ballungsräumen, wo die Massen leben, die Eliten sitzen, finden sich die Unterstützer von Clinton. Es ist also eher ein Kampf zwischen Stadt und Land, die sich nichts mehr zu sagen haben. Für die Masse der amerikanischen Gesellschaft auf dem Land ist Trump der Ziegelstein, den sie ins Schaufenster der Eliten werfen wollen. Es geht gar nicht darum, was er kann, was er politisch drauf hat, die Leute wählen ihn wegen des Ziegelsteins.

Herr Otte, in ihrem Bestseller haben Sie 2006 die Finanzkrise vorausgesagt, sie gelten als Crashprophet. Hat Donald Trump das Zeug, einen Crash auszulösen, wenn er es doch zum Präsidenten schafft?
Otte: Da müsste ich jetzt lange reden. Ich habe zehn Jahre in dem Land gelebt, ich bin amerikanischer Staatsbürger. Ich habe mir drei Stunden Trump-Reden angeschaut. Hendrik und ich waren uns einig, wir würden nie ein Geschäft mit Trump machen. Aber Trump ist die Taube, Clinton ist der Falke. Mit Clinton steigt die Kriegsgefahr enorm. Trump gehört nicht dieser verfilzten Ostküstenelite an, die die Konfrontation mit Russland zumindest billigend in Kauf nimmt. Diese Wahl ist anders gelagert, als man denkt. Trump ist ein Selbstdarsteller, er hat Insolvenz erklärt und viele Leute arm gemacht, das ist alles richtig. Aber ich weiß nur, dass die Welt mit Clinton erheblich riskanter und kriegerischer werden wird.
Leber: Ich sehe es anders herum. Clinton ist ganz klar das Establishment. Aber Trump hat die Beherrschtheit eines 14-Jährigen, das darf man nicht vergessen. Und er hat auch kein Gedächtnis, ist unbelehrbar, unberechenbar, beratungsresistent.

Wie werden denn die Tage nach der Wahl an der Börse aussehen? Turbulent, nicht turbulent?
Müller: Wenn Trump es wird, haben wir wieder 48 Stunden „Rumble in the Jungle“ und danach wird sich das sortieren. Es wird Gewinner geben, es wird Verlierer geben, aber ich glaube, dass man das durchaus auch für eine Bereinigung nutzen wird. Ich kann mir vorstellen, dass es bei Trump erst einmal deutlich nach unten geht, weil man diese Tumulte für einen Vorteil und Profit nutzen kann. Ob das für die nächsten zwei bis drei Monate gelten wird, ist ein anderes Thema.

Herr Leber, Herr Müller, Herr Otte, vielen Dank für das Gespräch.

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