Ein Blick durch die Scheibe genügt, und der hinter vier Monitoren verschanzte Chefhändler des großen Fondshauses sieht, was seine Aktienhändler so treiben. In letzter Zeit fühlt er sich ein Stück in die Vergangenheit versetzt: Statt Handelsaufträge in den Computer zu hacken, telefonieren seine Leute immer öfter.
Wie in den Achtzigerjahren kauft sein Haus, eines der größten in der Frankfurter City, wieder verstärkt bei Brokern, die wissen, welcher Investor welche Aktien hält. „Wenn wir einen großen Block kaufen wollen, rufen wir wieder verstärkt Sales Trader der Broker an. Die greifen zum Telefon und fragen bei ihren Kunden nach, ob einer Aktien verkaufen will“, sagt der Milliardenmanager, der anonym bleiben will. Die Börsen bleiben bei solchen Geschäften außen vor.
In deren elektronischen Systemen, sagt der Manager, seien ihm zu viele Hochfrequenzhändler unterwegs. Diese „Jungs“ mit ihren superschnellen Computern können seine großen Orders aufspüren, ihm Aktien vor der Nase wegschnappen und dann teurer verkaufen.
Hochfrequenzhändler, unter ihnen Banker, Informatiker, promovierte Physiker haben den Börsenhandel revolutioniert. Sie programmieren ihre Rechner mit Handlungsanweisungen. Dank dieser Algorithmen feuern sie automatisch in Bruchteilen von Sekunden Unmengen von Aufträgen an die Börsen, schneller, als jeder Mensch es könnte. In den USA sind die Blitztrader durch den Bestseller „Flash Boys: Revolte an der Wall Street“ in Misskredit geraten. Autor Michael Lewis wirft ihnen vor, die Märkte zu manipulieren.
Auch in Deutschland aktiv
Auch in Deutschland, im Handelssystem Xetra und an der Terminbörse Eurex, sind die Flash Boys aktiv. Laut deren Betreiberin Deutsche Börse sind sie allein für 20 bis 25 Prozent der Aktienumsätze verantwortlich. Viele von ihnen verdienen sich eine goldene Nase – auf Kosten all derjenigen, die zwar viel, aber langfristig investieren: Vermögensverwalter, Lebensversicherer, Pensionskassen und Investmentfonds, die für die Altersvorsorge der Deutschen anlegen.
Bundesbank-Vorstand Joachim Nagel warnte bereits vor zwei Jahren, Fondssparer könnten „finanzielle Einbußen erleiden“, etwa wenn Hochfrequenzhändler Orders entdecken und vor den Fonds kaufen. Auch die Finanzaufsicht BaFin hat die Trader im Visier: „Bei uns laufen mehrere Untersuchungen gegen Hochfrequenzhändler“, sagt deren oberster Wertpapieraufseher Karl-Burkhard Caspari.
Deutsche Fondsmanager oder Versicherer reden – wenn überhaupt – nur hinter vorgehaltener Hand über das heikle Thema. Klar: Ihre Anleger dürften es nicht gern hören, wenn beim Kauf und Verkauf von Aktien immer wieder Geld auf das Konto von Hochfrequenzhändlern wandert. Geschätzt maximal wenige Cent pro Aktie – aber auch hier macht es die Masse.
Der weltgrößte Vermögensverwalter, BlackRock aus New York, warnte erst kürzlich vor den „räuberisch-hochfrequenten Handelsstrategien“, die versuchten, den Markt zu manipulieren und Investoren zu benachteiligen. „Diese Praktiken stellen einen Marktmissbrauch dar und sollten vom Gesetz verfolgt werden.“ Der Ruf nach gesetzlichen Regelungen ist das eine. Was aber tun die Fonds sonst noch, um das Geld ihrer Anleger zu schützen?
Die Spurensuche beginnt beim Vermögensverwalter Flossbach von Storch in Köln. Co-Gründer Bert Flossbach ist unabhängig, an keine Bank gebunden, die auch an den superschnellen Tradern verdienen könnte, bekannt für klare Worte, mit mehr als 15 Milliarden Euro Kundengeldern im Rücken. Dass etwas in den Märkten „nicht mit rechten Dingen zugeht“, hat Flossbach schon vor einiger Zeit bemerkt: „Egal, wo ich eine Order platziere, computergetriebene Händler sind mit im System und können meine Order ausspähen“, moniert er.
Virtu lebt auch von deutschen Sparern
Wie das funktioniert, erklärt einer der Flash Boys, der um jeden Preis unerkannt bleiben will. Weil große Kaufaufträge den Kurs einer Aktie nach oben treiben können, suchen die Hochfrequenz-Handelsprogramme nach diesen.
Sie erkennen etwa, wenn eine Adresse alle paar Sekunden kleine Stückzahlen einer Aktie kauft. Sie unterstellen dann, dass diese Adresse weiter zugreifen wird – und kaufen mit enormer Geschwindigkeit. „Zehn Sekunden später verkaufe ich die Aktien wieder einen Tick teurer“, sagt der Trader und grinst. In 70 Prozent der Fälle gehe die Strategie auf.
Zusätzlich suchen seine Algorithmen nach Aktienkursen, die schneller steigen als normal. Die Rechner springen dann auf den Trend an, folgen ihm und kaufen mit, bis der Kurs wieder dreht – dann verkaufen sie blitzschnell wieder.
Zwei Millionen Dollar Nettogewinn pro Tag
Das Geschäft lohnt sich. Die Zahlen des US-Hauses Virtu Financial belegen das eindrucksvoll. Virtu hatte als erster und einziger der geheimnisumwitterten Hochfrequenzhändler Zahlen zum eigenen Geschäft veröffentlicht, im Vorfeld eines geplanten und dann auf Eis gelegten Börsengangs: 2013 holte Virtu aus 665 Millionen Dollar Umsatz 182 Millionen Dollar Gewinn heraus.
Bis zu zwei Millionen US-Dollar Nettogewinn pro Handelstag waren dabei keine Seltenheit – und das über Jahre (siehe Grafik). Virtu ist über eine irische Tochter auch im Deutsche-Börse-System Xetra und an der Eurex aktiv. Damit lebt Virtu auch von deutschen Sparern.
Flossbach befürchtet, dass die Computer den Markt künftig so schnell bewegen könnten, dass Flash Crashs, also extrem schnelle Markteinbrüche, künftig „nicht immer so glimpflich ausgehen müssen wie in den letzten Jahren“. Angeschmiert sind bei Flash Crashs auch Privatanleger, die bei ihrer Bank ein Stop-Loss-Limit platziert haben – eine Kursmarke, bei deren Unterschreiten die Bank automatisch verkaufen soll. Bricht ein Kurs aber nur für wenige Sekunden ein und fängt sich dann wieder, sind die Papiere raus aus dem Depot – zu einem bescheidenen Preis.
Um die Flash Trader auszukontern, beschäftigt Flossbach heute mehr Händler, die zudem neue Strategien entwickeln. „Wir gehen antizyklisch vor, beschleunigen also eine Kauforder, wenn der Preis fällt“, sagt Flossbach.
So offen wie er redet sonst kaum einer der Milliardenmanager. Die DekaBank etwa schweigt zu dem Thema. Als zentrales Wertpapierhaus der Sparkassen legt sie auch rund 26 Milliarden Euro an, die fleißige Sparkassen-Sparer in Aktienfonds eingezahlt haben.
Union Investment, die für Kunden der Volks- und Raiffeisenbanken 38 Milliarden Euro in Aktien verwaltet, lässt schriftlich ausrichten, dass man „seit langem um die Probleme des Hochfrequenzhandels“ wisse. Man habe Gegenstrategien entwickelt, erläutern möchte Union die aber nicht. Nur so viel: „Wir setzen Systeme ein, die es uns erlauben, mögliche Nachteile des Hochfrequenzhandels wie das so genannte Frontrunning und Ausarbitrieren zu vermeiden“, lässt Christoph Hock, Leiter des Aktien- und Derivatehandels, auf Anfrage mitteilen.
Frontrunning bedeutet, dass jemand, der von bevorstehenden Kaufaufträgen erfahren hat, sein Insiderwissen nutzt und vorher billiger kauft. Arbitrage ist Handel, bei dem die Akteure von oft winzigen Preisdifferenzen zwischen verschiedenen Börsenplätzen profitieren.
Die Börsen profitieren
Rund um den schnellen Handel hat sich eine Industrie entwickelt, die mit den Hochfrequenzhändlern gute Geschäfte macht. Wichtigste Profiteure sind die Börsen selbst, die ihnen Handelsdaten und Rechnerplätze direkt neben den Börsencomputern verkaufen.
Hochfrequenzhändler verdienen nicht nur Geld, weil sie schneller sind, sondern auch, weil sie einen tieferen Einblick in die Auftragslage haben als andere Anleger. Die Deutsche Börse etwa verkauft ihnen Daten aus dem elektronischen Orderbuch, in das alle Kauf- und Verkaufsaufträge einlaufen.
Trader können Daten zum Beispiel im Paket „Core“ oder in der Luxusversion „Ultra“ kaufen. Core liefert für das Aktien-Handelssystem Xetra alle 200 Millisekunden – fünfmal pro Sekunde – ein Datenupdate. Wer sich Ultra leistet, sieht den Markt viel klarer, weil er jedes Datenupdate bekommt, geschätzt mindestens sechsmal so viele Daten, und die auch noch schneller.
Die Programme versuchen, anhand der Auftragslage auszurechnen, ob ein Kurs steigt oder fällt. So können sie anderen Anlegern zuvorkommen.
Die nächste Generation der Maschinen
Ist das Orderbuch analysiert, können die Computer der Flash Boys sofort Aufträge abfeuern. „In Deutschland ist das Ausspähen der Orderbücher am interessantesten. Anhand der Nachfrage im Buch kann mein Computer ausrechnen, ob der Preis steigt oder fällt“, behauptet ein Hochfrequenzhändler.
Die Börse zeigt ihm die bis zu 20 besten Gebote aller Käufer und Verkäufer. Das ist wie am Ticketschalter, wenn 20 Leute anstehen, der Verkäufer aber nur noch zehn Karten hat. Der Erste in der Schlange kennt Nachfrage und Angebot. Er kauft die restlichen Tickets auf und bietet sie jenen an, die hinter ihm standen – zum höheren Preis.
Flash Boys, die tief ins Orderbuch schauen können, handeln ähnlich. Nach vorn in der Börsenschlange kommen sie, indem sie ihre Preise permanent aktualisieren – im Börsensystem haben Orders mit besseren Preisen Vorrang. Durch ihre Käufe wird das Angebot für die restlichen Kaufwilligen verknappt, der Preis ein wenig getrieben.
„Als ich noch Core hatte, bekam ich nur einen Phantommarkt zu sehen. Allein aufgrund des Ultrastroms habe ich heute wesentlich bessere Handelschancen, meine Systeme senden doppelt so viele Aufträge wie zuvor an die Börse“, sagt der Händler.
Eine Order in 1,1 Mikrosekunden
Börse und Aufsicht haben kein Problem damit, dass der öffentlich-rechtliche Marktplatz so in eine Zweiklassengesellschaft zerfällt. „Solange jedem, der es sich leisten kann, der Zugang ermöglicht wird, ist das nicht zu beanstanden“, sagt BaFin-Chefaufseher Caspari.
Wenn Evgueny Khartchenko zu seinem Arbeitsplatz will, muss er mehrere Sicherheitsschleusen passieren. Nur wenige Mitarbeiter haben Zugang zu dem geheimen Labor des Chipherstellers Intel bei London. Khartchenko ist Technikchef im „Faster Lab“.
Seine Aufgabe: Er puzzelt Hard- und Softwarelösungen zusammen und tunt damit die teuren Hochleistungscomputer der Flash Boys. Für Investmentbanken oder Broker baut Khartchenko Intel-Prozessoren ein, die noch nicht auf dem Markt sind, und testet, welche Kombination am schnellsten mit der Software zusammenarbeitet.
Intel beherbergt im Labor die nächste Generation jener Maschinen, die sich künftig schneller gegen die Orders derjenigen durchsetzen sollen, die nicht Millionen investieren können. Der schnellste Intel-Prozessor etwa braucht nur noch 1,1 Mikrosekunden, um Marktdaten von der Börse zu erhalten und eine Order wegzusenden. Eine Mikrosekunde – das ist eine millionstel Sekunde.
Und doch geht es manchem Kunden nicht schnell genug. Einige tunen die Intel-Prozessoren selber noch mal oder sind für simple Rechenaufgaben auf spezielle Technik umgestiegen, die nur noch entscheidet: ja oder nein, kaufen oder nicht kaufen. 0,4 Mikrosekunden dauere dieser Prozess, weiß Khartchenko.
Nicht nur bei Software und Chips wird aufgerüstet, sondern auch bei den Leitungen. Dafür ist Hugh Cumberland zuständig. Der betreut beim IT- und Netzwerkspezialisten Colt Hochfrequenzhändler. Cumberland hat ihnen mit einer Mikrowellenverbindung zwischen den Großräumen Frankfurt und London einen Herzenswunsch erfüllt: Ihre Handelsdaten fließen nun nahezu lichtschnell von Funkturm zu Funkturm.
Bislang galten Glasfaserkabel als schnellste Variante, durch sie brauchten Daten zwischen London und Frankfurt gut vier tausendstel Sekunden. „Die Mikrowellenverbindung überträgt Daten bis zu 40 Prozent schneller als das Glasfaserkabel“, sagt Cumberland.
Folge: Flash Boys können Daten aus dem Kabel spielend überholen. Natürlich ist die Mikrowelle teurer, doch das ist das kleinste Problem: Hochfrequenzhändler kompensieren den Preis durch ihren Zeitvorteil. „Unsere Kunden würden nicht in die Mikrowellenverbindung investieren, wenn es das Geld nicht wert wäre“, sagt Colt-Mann Cumberland.
Früher informiert
Zeitvorteile ganz anderer Art verkauft die Deutsche Börse: Sie schickt Abonnenten den oft kursbewegenden Einkaufsmanagerindex Chicago Purchasing Manager Index (PMI) früher als der Öffentlichkeit, die ihn kostenfrei bekommt. Dem Datenanbieter Thomson Reuters hat Ähnliches schon Ärger mit dem New Yorker Generalstaatsanwalt Eric Schneiderman eingehandelt: Der untersucht die Handelspraktiken an der Wall Street und prüft, ob Hochfrequenzhändler illegal bevorzugt werden.
Thomson Reuters schickt Umfrageergebnisse der Universität Michigan zur US-Verbraucherstimmung nicht mehr mit zwei Sekunden Vorsprung an Händler. Die Daten gelten als Indikator dafür, wie die Konjunktur sich entwickelt, sie können Börsenkurse heftig bewegen.
Manipulation per Spam-Aufträge
Der Einkaufsmanagerindex ist nicht der einzige Service der Börse für Flash Boys: Sie lässt sie auch ganz nah an ihre Rechenzentren ran. Die Trader mieten ihre Computer beim Anbieter Equinix ein, direkt neben den Hauptrechnern der Börse. Doch das Platzieren von Computern in Börsen-Rechenzentren, Co-Location genannt, hebelt das Prinzip Börse, das auf Gleichberechtigung zielt, aus. Wer dort eingemietet ist, kann zum Beispiel Aufträge blitzschnell stornieren.
Die BaFin hat einem Händler schon 24.000 Euro abgeknöpft, weil er den Markt mit seinen Stornos manipuliert hat. Er hatte massenhaft Kauforders als Lockmittel ins Handelssystem gestellt, um Nachfrage vorzutäuschen und Käufer für eigene Papiere anzulocken. Da sich die Kurse nach Angebot und Nachfrage richten, kann der Preis bei einer solchen Aktion tatsächlich steigen. Kaum hatte er seine Papiere verkauft, löschte er binnen 0,31 Sekunden seine Kaufaufträge. Insgesamt dauerte die Aktion drei Sekunden.
Verglichen mit anderen Aufsichtsbehörden aber, ist die BaFin lammfromm. Aufseher in Großbritannien und den USA haben einem Händler und seiner Firma schon mal fast sechs Millionen Dollar aufgebürdet. Die Behörden hatten es als erwiesen angesehen, dass der in Amerika ansässige Händler die Märkte mit Spam-Aufträgen manipuliert hat.
Er soll allein 400.000 Orders auf der Plattform der US-Terminbörse CME platziert haben, wovon 98 Prozent wieder gelöscht worden seien. Sein Algorithmus soll damit mindestens 1,4 Millionen Dollar verdient haben.
Alternative Plattformen
Weil Börsen an den hohen Handelsumsätzen der Flash Trader und an Zusatzleistungen gut verdienen, hofieren sie die schnellen Händler. Doch was Börsen auf der einen Seite gewinnen, kann ihnen auf der anderen Seite verloren gehen. Viele Verwalter großer Vermögen versuchen heute, den Flash Boys auszuweichen.
Marktführer BlackRock geht verstärkt über alternative Plattformen. Allianz Global Investors (AGI) hat nicht nur massiv in Technologie investiert, sondern nutzt ebenfalls „alternative Plattformen“ oder „Broker, die größere Orders geräuschlos platzieren können, um der Ungleichbehandlung durch die Börsen entgegenzuwirken“, heißt es bei der Allianz-Tochter. AGIs Aktienblöcke sind groß, an der Börse kann das Haus seine Orders kaum verstecken: Weltweit hat AGI 2013 rechnerisch 500 Millionen Euro pro Handelstag umgesetzt.
Auch Union Investment ist „aktiver an alternativen Handelsplätzen als noch vor einigen Jahren“. Um den Flash Boys zu entgehen, haben Trader in den USA gar die Börse IEX gegründet. Aufträge werden dort verzögert, Flash Boys bleiben freiwillig draußen.
Das Gleiche gilt für sogenannte Dark Pools, die Hochfrequenzhändler ausschließen. Auf diesen Plattformen können Anleger große Mengen von Aktien – „Blöcke“ im Fachjargon – anonym handeln. Im Dark Pool Liquidnet etwa dürfen nur Vermögensverwalter handeln, keine Flash Trader.
Dank der Dark Pools und alternativer elektronischer Plattformen hat die Zahl der Handelsplätze immens zugenommen. Angebot und Nachfrage werden immer mehr zersplittert, Fonds mit großen Orders sind gezwungen, diese auf mehreren Plattformen aufzugeben. „Wir suchen verzweifelt nach Liquidität“, sagt der Aktienchef eines großen Hauses. Auch das ist teuer und kostet Anleger Rendite.
Wie man die Flash Boys austrickst
Weil die Flash Boys immer schneller werden, müssen andere langsamer werden. Orders werden, um die Hochfrequenzhändler abzublocken, absichtlich verzögert. Die Investmentbank Goldman Sachs etwa, die für große Fonds als Broker arbeitet, kann Orders von einem Ort in der Nähe von London binnen sechs Millisekunden auf das deutsche Xetra-System jagen.
Nach Madrid braucht eine Order aber schon 31 Millisekunden. Schickt der Broker zwei Orders für die gleiche Aktie an beide Börsen, käme die in Madrid also 25 tausendstel Sekunden später an – eine halbe Ewigkeit für Hochfrequenzhändler.
Deren Programme erkennen Nachfrage nach der Aktie in Frankfurt und ziehen deshalb in Madrid den Preis nach oben – indem sie vorkaufen oder günstige Angebote stornieren. „Allein, weil ein Auftrag an einer Börse ausgeführt worden ist, verschwinden die Angebote für diese Aktie an den anderen Börsen. Wenn man nicht selber die Hochfrequenz-IT hat, ist man maßlos unterlegen“, sagt der Chefhändler des Frankfurter Fondshauses.
Seine Abwehrstrategie: „Unsere Broker drosseln unsere Orders und versuchen, dass alle Teilaufträge gleichzeitig an den verschiedenen Börsen eintreffen“, sagt er. So fehlt den Flash Boys die Zeit, auf die über mehrere Börsen verteilten Orders zu reagieren – und die Fonds können ihre Papiere zum aktuellen Preis kaufen.
"Der Hochfrequenzhandel kostet uns Geld"
Eine Zeit lang geht das gut. „Ich versuche, so lange wie möglich unter dem Radarschirm zu fliegen, aber nach 30 bis 45 Minuten weiß der Markt, dass da eine große Order unterwegs ist“, sagt einer, der bei einem milliardenschweren Vermögensverwalter das globale Aktiengeschäft verantwortet.
Von Ultra oder Core der Deutschen Börse hat er noch nie etwas gehört. Seine Aufträge platziert er bei Brokern, die werden ihm schon günstige Preise organisieren, hofft er. Immerhin: Er kontrolliert sie, vergleicht, an welchem Platz es die besten Kurse gab und zu welchen er mit Aktien bedient worden ist. Arbeitet ein Broker schlecht, bekommt er keine Aufträge mehr und damit auch keine Provision.
Befürworter des Hochfrequenzhandels sagen, dass die Flash Boys Liquidität bringen – Angebot und Nachfrage, die letztlich zu günstigeren Kursen führen. Der Chefhändler des großen Fondshauses ist da skeptisch: „Wenn einer verdient, muss ein anderer abgeben – daher denke ich, dass der Hochfrequenzhandel uns Geld kostet.“
Wie viel Geld, das hat der vorläufige Wertpapierprospekt von Virtu Financial offenbart. Allerdings: Dass der extrem profitable Hochgeschwindigkeitshändler überhaupt an die Börse geht, Gewinne also plötzlich mit anderen Anlegern teilen will, könnte auch ein Signal für aufkommende Probleme der Flash Boys sein.
Geld wird Virtu nicht gebraucht haben. Eine andere Vermutung liegt näher: Das Geschäftsmodell hat seine besten Zeiten hinter sich, die Eigner wollten noch schnell via Börsengang abkassieren.
Tatsächlich wird der Markt, nachdem immense Gewinne viele neue Hochfrequenzhändler angelockt haben, zunehmend härter. Weil große Aufträge abseits der Börsen abgearbeitet werden, könnte den Algorithmen das Futter ausgehen.
Khartchenko von Intel hat tatsächlich in letzter Zeit Kunden gesehen, die sich zurückgezogen haben. „Einige Hochfrequenzhändler mussten in der Vergangenheit einen Gewinneinbruch hinnehmen, nachdem viele neue Spieler in den Markt gekommen sind und der Wettbewerb größer wurde“, sagt er.
Hinzu kommt, dass der technische Fortschritt ausgereizt scheint. Khartchenko erwartet in Sachen Schnelligkeit „vorerst keine Revolution mehr, dafür einige Verbesserungen“. Cumberland von Colt sagt, dass die Grenzen der Physik bald erreicht sein dürften. „Wir kommen den theoretisch schnellsten Verbindungen bereits sehr nahe“, sagt Cumberland. Schneller als Licht geht eben nicht.
So sind auch an der Frankfurter Börse der Anteil des Hochfrequenzhandels am Gesamtumsatz und die Zahl der Kunden, die ihre Rechner nahe der Börse aufstellen, zurückgegangen. Offenbar stoßen die ersten Flash Boys an ihre Grenzen. Immerhin ein Hoffnungsschimmer: Auf Dauer gibt es eben doch keinen Gratis-Lunch – auch nicht an der Börse.