Höhenflüge, wie der der Amazon-Aktie, können jäh enden, vor allem wenn der Aktienkurs wie hier in nur kurzer Zeit sehr stark gestiegen ist. Nur eine kleine Enttäuschung bei den Geschäftszahlen oder Management-Entscheidungen dürfte genügen, um Gewinnmitnahmen auszulösen und das Papier an der Börse wieder auf Talfahrt zu schicken. Das bedeutet zwar nicht, dass die Aktie kein Potenzial mehr hat.
Im Gegenteil liegen Aufwärts- und Rückschlagpotenzial eng beieinander, das zeigt der Geschäftsausblick des Online-Händlers. Im dritten Quartal rechnet Amazon mit einem Umsatzplus von 13 bis 24 Prozent, operativ dürfte es bestenfalls einen Gewinn von 70 Millionen Dollar geben. Es sei aber auch ein Verlust von maximal 480 Millionen Dollar möglich.
Was Gewinnkennzahlen aussagen, welche taugen
Hinter EBIT verbergen sich die „Earnings before interest and taxes“, also die Gewinne vor Steuern und Zinsen. Gemeinhin wird EBIT auch als operativer Gewinn bezeichnet. Gerade bei großen Konzernen gehören Steuern und Zinszahlungen und -einkünfte jedoch zum täglichen Zahlenwerk. Kaum ein Unternehmen kommt ohne Kredite aus, dementsprechend sind auch immer Zinsen zu zahlen. Entscheidend ist der Finanzierungsanteil durch Fremdkapital. Je höher die Kreditschuld, um schöner erscheint die Gewinngröße EBIT. Steuern hingegen fallen vor allem in Jahren mit hohen Gewinnen an, in Verlustjahren können sie über Verlustvorträge die Steuerlast in der Zukunft senken. Kritiker halten deshalb wenig von dieser konstruierten Gewinnkennzahl.
Je mehr Bilanzposten aus dem Gewinn herausgerechnet werden, umso höher fällt regelmäßig der ausgewiesene Gewinn aus. Bei den „Earnings before interest, taxes, depreciation and amortization" wird der Konzerngewinn berechnet, der ohne Steuern, Zinsen, Abschreibungen auf Sachanlagen und Amortisation von immateriellen Vermögenswerten entstanden wäre. Die Kennzahl soll den internationalen Vergleich der operativen Ertragskraft von Gesellschaften ermöglichen, da nationale Steuern keine Berücksichtigung finden. Wird besonders gerne verwendet, wenn ein Unternehmen einen hohen Goodwill (geschätzten Firmenwert) hat, den es abschreiben muss - was natürlich das Ergebnis belastet. Mit dem EBITDA wird ein möglichst positives Bild von der operativen Gewinnsituation in den Vordergrund gestellt. Mit der wirtschaftlichen Realität hat diese Kennzahl nicht mehr viel gemein.
Sind EBIT oder EBITDA „bereinigt“, so sind dort in der Regel Sondereffekte wie Unternehmenskäufe oder -verkäufe aus der Gewinnkennzahl entfernt. Der Informationsgehalt für Anleger ist schwach, denn Sondereffekte können in zahllosen Varianten auftreten und gehören in Großkonzernen schon fast zum Alltag. Was ein Sondereffekt ist, liegt im Ermessen der Unternehmensführung.
Die operative Gewinnmarge gibt an, welcher Anteil am Umsatz vor Steuern und Zinsen als Gewinn im Unternehmen verbleibt. Ist das Unternehmen jedoch zum Beispiel hoch verschuldet, können die fälligen Zinszahlungen den Nettogewinn aufzehren. Die EBIT-Marge zeichnet daher ein Bild von der Rentabilität eines Unternehmens in einer idealen Welt ohne Schulden und Steuerpflicht.
Der Jahresüberschuss wird auch als Nettogewinn oder Nettoreingewinn bezeichnet und ist die einzig harte Gewinngröße eines Unternehmens. Hier steht, was dem Unternehmen am Jahresende tatsächlich übrig geblieben ist, nachdem alle Rechnungen bezahlt, alle Kredite bedient, die Steuerpflicht beglichen und alle notwendigen Abschreibungen erfolgt sind. Der Jahresüberschuss wird auch verwendet, um den Gewinn je Aktie (Earnings per share, EPS) zu ermitteln. Diese Zahl ist wiederum Basis für die Berechnung des Kurs-Gewinn-Verhältnisse (aktueller Kurs dividiert durch Gewinn je Aktie). Das so ermittelte KGV ist eine wichtige und beliebte Kennzahl für die Bewertung des Unternehmens an der Börse. Gemeinhin gilt: Ein KGV unter zehn signalisiert eine niedrig bewertete Aktie, ein Wert über 15 gilt als teuer. Das KGV kann auch mit den Gewinnschätzungen des kommenden Geschäftsjahres berechnet werden. Deshalb steht oftmals eine Jahreszahl bei diesem Wert.
Der Cash-Flow (Kassenfluss) nennt vereinfacht dargestellt den Nettozufluss liquider Mittel eines Unternehmens ab. Dazu werden alle Zahlungsströme eines Unternehmens erfasst. Ein Unternehmen, das mehr Geld einnimmt als es ausgibt, hat also immer einen positiven Cash-Flow. Bei einem negativen Cash-Flow spricht man daher auch von Cash-Drain oder Cash-Loss, also Geldvernichtung. Der Cash-Flow muss positiv sein, damit ein Unternehmen Investitionen tätigen, Schulden tilgen und Dividenden ausschütten kann – es sei den, es zehrt sein Eigenkapital und damit seine Substanz auf. Bei einem negativen Cash-Flow droht früher oder später Insolvenz. Es gibt allerdings verschiedene Cash-Flow-Größen, die sich auf das operative Geschäft, die Investitionstätigkeit oder die Finanzierungstätigkeit beziehen können. Eine Cash-Flow-Rechnung (Kapitalflussrechnung) ist für börsennotierte Unternehmen zwingend vorgeschrieben und Bestandteil des Jahresabschlusses.
Der Cash-Flow eines Unternehmens kann auf verschiedenen Wegen berechnet und ermittelt werden. Eine gerne von Unternehmen präsentierte Kennzahl ist der Operative Cash-Flow, der darstellen soll, wie viel Geld im Unternehmen hängen bliebe, wenn man nur das operative Geschäft, also die Kerntätigkeit betrachtet und Abschreibungen, Änderungen bei den gebildeten Rückstellungen, Anlagenverkäufe, sowie Änderungen bei Vorräten, Forderungen und Verbindlichkeiten unberücksichtigt ließe. Durch entsprechende Maßnahmen vor dem Bilanzstichtag ist diese Größe vom Unternehmen beeinflussbar und daher wenig aussagekräftig.
Der Free Cash-Flow wird ausgehend vom Nettogewinn eines Unternehmens ermittelt. Vom zunächst kalkulatorischen Netto-Cash-Flow werden dazu Ausgaben für Privatentnahmen der Gesellschafter, Steuern, Investitionen, den Auf- oder Abbau von Rücklagen oder Einnahmen aus Verkäufen von Vermögenswerten abgezogen beziehungsweise addiert. Der so ermittelte frei verfügbare Cash-Flow gilt vielen kritischen Anlegern als die einzige Kennzahl, die eindeutig belegt, wie viel Geld in einem Unternehmen am Jahresende verbleibt und damit für Investitionen und Dividendenausschüttungen zur Verfügung steht.
Wal-Mart ist fairer bewertet
Angesichts der schmalen Gewinne im Vergleich zu Wal-Markt ist die Aktie aber aktuell hoch bewertet. Ein Indiz dafür bieten ein paar Kennzahlen wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), der Quotient aus Aktienkurs und Gewinn je Aktie. Bei Amazon liegt das KGV auf Basis der Gewinnschätzung für 2015 noch bei mehr als 1000, bei Wal-Mart liegt es bei 17. Je niedriger der Wert, umso kaufenswerter ist die Aktie für erfahrene Investoren. Erfahrene Investoren betrachten Aktien mit einem KGV von zehn oder weniger als Schnäppchen.
Langfristig orientierte Investoren achten auf die Kennzahlen
Auch wenn Amazon das Zeug dazu hat, seine Gewinne bei geringeren Investitionen rasant zu steigern, ist die Börsenbewertung ehrgeizig. Am Freitagnachmittag gab der Amazon-Kurs auch schon wieder nach. Auch die Wal-Mart-Aktie ist nicht billig. Aber die Aktie ist weniger von Hoffnung als von langjährigen und stabilen Geschäftserfolgen getrieben. Zudem schüttet Wal-Mart im Gegensatz zu Amazon eine jährliche Dividende aus und hat im Verhältnis zum Aktienkurs den höheren Cashflow.
Value Investoren, die traditionell auf niedrig bewertete Unternehmen mit solidem Geschäftsmodell setzen, werden daher eher bei Wal-Mart investieren. Sie orientieren sich am fairen Wert einer Aktie, der unter anderem am Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) erkennbar ist. Grob vereinfacht unterstellt das KBV, das im Falle einer Unternehmenskrise zumindest immer das Eigenkapital als Vermögenswert übrig bleibt, der Buchwert also als Untergrenze des realen Unternehmenswertes fungiert. Das KBV stellt den Aktienkurs in das Verhältnis zu diesem Buchwert dar. Je niedriger das KBV, umso billiger ist die Aktie. Bei Amazon liegt dieser Wert bei 13, Wal-Mart kommt gerade mal auf drei.
Starke Schwankungen bei Amazon, Langeweile bei Wal-Mart
Anhand der harten Zahlen ist also Wal-Mart sicher das wertvollere Unternehmen, bietet allerdings weniger Aufwärtspotenzial - was unter anderem die gescheiterte Expansion nach Deutschland vor einigen Jahren deutlich gemacht hat. Somit ist Amazon die spekulativere und riskantere Anlage mit reichlich Zukunftschancen, Wal-Mart hingegen eher für konservative Anleger, die keine Überraschungen, dafür aber stabile Gewinne und Dividenden lieben.
Längerfristig, wissen erfahrene Investoren, orientieren sich die Aktienkurse ohnehin an den sogenannten Fundamentaldaten, also harten Geschäftszahlen wie Umsatz, Gewinn, Dividende oder Gewinnmarge. Kurzfristig bestimmt jedoch vornehmlich die Psychologie den Aktienkurs, also zum Beispiel Optimismus oder die Angst, Kursgewinne zu verpassen. So betrachtet ist bei der Börsenbewertung von Amazon derzeit sehr viel Psychologie im Spiel, während Wal-Mart-Papiere vor allem vom erfolgreichen, etablierten Geschäft und der erreichten Marktposition profitieren.
Beiden Aktien kommt dabei zugute, dass sich Anleger angesichts von Zinstief und Notenbankgeldschwemme auf Aktienanlagen konzentrieren und Konsumgüter relativ unempfindlich gegenüber konjunkturellen Schwankungen sind. Beide Papiere sind daher attraktiv, allerdings für unterschiedliche Anlageziele und vor allem Anlagetypen interessant. Darüber sagt der hohe Börsenwert leider nichts aus.
Mit Material von Reuters