Höhere Bewertung Amazon übertrumpft Wal-Mart - aber nur an der Börse

Die Aktie des Online-Händlers Amazon steigt nach Vorlage der Quartalszahlen um mehr als 20 Prozent – und ist damit über 30 Milliarden mehr wert als der weltweit größte Einzelhändler Wal-Mart. Das ist absurd.

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Amazon wies für das zweite Quartal einen Überschuss von 92 Millionen Dollar aus. Quelle: REUTERS

An der Börse zählt die Zukunft, hohes Wachstum wird höher bewertet als eine beständige Marktführerschaft. Das beste Beispiel dafür liefert nun Amazon, deren zukunftsträchtiges Online-Geschäft am Aktienmarkt höher angesehen wird, als die zuverlässigen Milliarden-Gewinne eines Einzelhandelsdinosauriers.

Die Bewertung an der Börse macht das deutlich: Mit seinen zahlreichen Internet-Aktivitäten hat Amazon den weltgrößten Einzelhändler Wal-Mart nun beim Marktwert überholt.

Nach der Vorlage der Quartalszahlen kletterten die Amazon-Aktien im außerbörslichen Handel am Freitag bereits um mehr als 18 Prozent auf 571 Dollar. Nach Eröffnung der Börsen in Europa stieg der Kurs in Euro sogar um mehr als 21 Prozent. Der Grund: Der Online-Spezialist schrieb nicht wie gewohnt rote Zahlen und gab einen positiven Ausblick auf die Geschäfte im Sommer.

Amazon wertvoller als Wal-Mart

Auf diesem Niveau ist der vor 20 Jahren als Online-Buchhändler gestartete Konzern rund 266 Milliarden Dollar wert, über 30 Milliarden mehr als der Einzelhandelsriese Wal-Mart.

Dabei fährt das amerikanische Traditionsunternehmen stetig Gewinne in Milliardenhöhe ein - allein im vergangenen Quartal 3,3 Milliarden. Mit einem Jahresumsatz von 486 Milliarden Dollar ist der Konzern mit den Riesenläden mehr als fünfmal so groß wie Amazon. 2,2 Millionen Angestellten machen Walmart zudem zum drittgrößten Arbeitgeber der Welt - gleich hinter dem US-Verteidigungsministerium und Chinas Volksbefreiungsarmee.

Amazons Logistik-Netz in Deutschland

Doch Amazon profitiert nicht allein von seiner Substanz sondern vor allem von den Erwartungen. In allen Sparten seien die Erlöse stärker gewachsen als gedacht, sagte Branchenexperte Colin Sebastian von der Vermögensverwaltung Robert W. Baird. Der kleine Quartalgewinn sei dabei das Sahnehäubchen. Anders als Wal-Mart oder die großen europäischen Einzelhändler Carrefour und Metro dominiert Amazon die Online-Welt und mischt in zahlreichen Geschäftsfeldern mit, die noch großes Wachstumspotenzial haben. Das kommt an der Börse gut an. Im Oktober kosteten Amazon-Aktien noch 284 Dollar. Seitdem haben sie sich also in etwa verdoppelt.

Amazon wies für das zweite Quartal einen Überschuss von 92 Millionen Dollar aus. Im Vorjahreszeitraum hatte es noch einen Verlust von 126 Millionen Dollar gegeben. Auch dieses Mal wurden wieder rote Zahlen erwartet. Investoren waren lange skeptisch, ob sich die hohen Investitionen auszahlen. Diese hatten das Unternehmen aus Seattle immer wieder in die Verlustzone gedrückt - Umsatz ist für den umtriebigen Amazon-Chef Jeff Bezos wichtiger als ein Gewinn, wie er oft betont hat.

Aktionäre sehen das normalerweise anders. "Es scheint so, dass das Management jetzt versteht, dass Gewinne Verlusten vorzuziehen sind", sagte Analyst Michael Pachter vom Wertpapierhändler Wedbush Securities.

Bei Amazon drohen Kursrückgänge

In den wichtigen Bereichen und Regionen ist der Konzern derzeit gut aufgestellt: In Nordamerika legte Amazon um mehr als 25 Prozent zu. Die Kundenzuwächse für das zahlungspflichtige Prime-Angebot, das Zugang zu bestimmten Inhalten und bessere Lieferkonditionen garantiert, seien so hoch wie nie gewesen, sagte Amazon-Finanzchef Brian Olsavsky. Ohnehin verspricht der weiter stark wachsende Onlinehandel gute Perspektiven.

Noch entscheidender: Im Cloud Computing - der Auslagerung von Speicher- und Rechendienstleistungen ins Internet - wuchs Amazon sogar um über 81 Prozent. Aus dem einstigen Ableger und Microsoft- und SAP-Konkurrenten Amazon Web Services (AWS) ist mittlerweile eine bedeutende Säule für das Amazon-Geschäft geworden - mit enormen Wachstumspotential. All das stimmt die Anleger optimistisch.

Doch trotz des der schwarzen Zahlen: Der Amazon-Überschuss bleibt im Verhältnis zum eigenen Umsatz noch immer mickrig: Die Erlöse stiegen im Frühjahr um ein Fünftel auf 23,2 Milliarden Dollar. Das ergibt eine Marge von nur 0,4 Prozent - und könnte zum Problem für die Aktie werden.

Amazon-Anleger riskieren mehr

Höhenflüge, wie der der Amazon-Aktie, können jäh enden, vor allem wenn der Aktienkurs wie hier in nur kurzer Zeit sehr stark gestiegen ist. Nur eine kleine Enttäuschung bei den Geschäftszahlen oder Management-Entscheidungen dürfte genügen, um Gewinnmitnahmen auszulösen und das Papier an der Börse wieder auf Talfahrt zu schicken. Das bedeutet zwar nicht, dass die Aktie kein Potenzial mehr hat.

Im Gegenteil liegen Aufwärts- und Rückschlagpotenzial eng beieinander, das zeigt der Geschäftsausblick des Online-Händlers. Im dritten Quartal rechnet Amazon mit einem Umsatzplus von 13 bis 24 Prozent, operativ dürfte es bestenfalls einen Gewinn von 70 Millionen Dollar geben. Es sei aber auch ein Verlust von maximal 480 Millionen Dollar möglich.

Was Gewinnkennzahlen aussagen, welche taugen

Wal-Mart ist fairer bewertet

Angesichts der schmalen Gewinne im Vergleich zu Wal-Markt ist die Aktie aber aktuell hoch bewertet. Ein Indiz dafür bieten ein paar Kennzahlen wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), der Quotient aus Aktienkurs und Gewinn je Aktie. Bei Amazon liegt das KGV auf Basis der Gewinnschätzung für 2015 noch bei mehr als 1000, bei Wal-Mart liegt es bei 17. Je niedriger der Wert, umso kaufenswerter ist die Aktie für erfahrene Investoren. Erfahrene Investoren betrachten Aktien mit einem KGV von zehn oder weniger als Schnäppchen.

Langfristig orientierte Investoren achten auf die Kennzahlen

Auch wenn Amazon das Zeug dazu hat, seine Gewinne bei geringeren Investitionen rasant zu steigern, ist die Börsenbewertung ehrgeizig. Am Freitagnachmittag gab der Amazon-Kurs auch schon wieder nach. Auch die Wal-Mart-Aktie ist nicht billig. Aber die Aktie ist weniger von Hoffnung als von langjährigen und stabilen Geschäftserfolgen getrieben. Zudem schüttet Wal-Mart im Gegensatz zu Amazon eine jährliche Dividende aus und hat im Verhältnis zum Aktienkurs den höheren Cashflow.

Value Investoren, die traditionell auf niedrig bewertete Unternehmen mit solidem Geschäftsmodell setzen, werden daher eher bei Wal-Mart investieren. Sie orientieren sich am fairen Wert einer Aktie, der unter anderem am Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) erkennbar ist. Grob vereinfacht unterstellt das KBV, das im Falle einer Unternehmenskrise zumindest immer das Eigenkapital als Vermögenswert übrig bleibt, der Buchwert also als Untergrenze des realen Unternehmenswertes fungiert. Das KBV stellt den Aktienkurs in das Verhältnis zu diesem Buchwert dar. Je niedriger das KBV, umso billiger ist die Aktie. Bei Amazon liegt dieser Wert bei 13, Wal-Mart kommt gerade mal auf drei.

Starke Schwankungen bei Amazon, Langeweile bei Wal-Mart

Anhand der harten Zahlen ist also Wal-Mart sicher das wertvollere Unternehmen, bietet allerdings weniger Aufwärtspotenzial - was unter anderem die gescheiterte Expansion nach Deutschland vor einigen Jahren deutlich gemacht hat. Somit ist Amazon die spekulativere und riskantere Anlage mit reichlich Zukunftschancen, Wal-Mart hingegen eher für konservative Anleger, die keine Überraschungen, dafür aber stabile Gewinne und Dividenden lieben.

Längerfristig, wissen erfahrene Investoren, orientieren sich die Aktienkurse ohnehin an den sogenannten Fundamentaldaten, also harten Geschäftszahlen wie Umsatz, Gewinn, Dividende oder Gewinnmarge. Kurzfristig bestimmt jedoch vornehmlich die Psychologie den Aktienkurs, also zum Beispiel Optimismus oder die Angst, Kursgewinne zu verpassen. So betrachtet ist bei der Börsenbewertung von Amazon derzeit sehr viel Psychologie im Spiel, während Wal-Mart-Papiere vor allem vom erfolgreichen, etablierten Geschäft und der erreichten Marktposition profitieren.

Beiden Aktien kommt dabei zugute, dass sich Anleger angesichts von Zinstief und Notenbankgeldschwemme auf Aktienanlagen konzentrieren und Konsumgüter relativ unempfindlich gegenüber konjunkturellen Schwankungen sind. Beide Papiere sind daher attraktiv, allerdings für unterschiedliche Anlageziele und vor allem Anlagetypen interessant. Darüber sagt der hohe Börsenwert leider nichts aus.

Mit Material von Reuters

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