Hurrikan „Harvey“ Ein Stich ins Herz des schwarzen Goldes

Der Hurrikan bringt in Texas ein wichtiges Zentrum der Öl- und Gasindustrie der USA ins Stocken. Die Versicherer setzen dennoch darauf, dass „Harvey“ sie nicht so stark trifft wie einst „Katrina“ – und das hat einen Grund.

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Der Hurrikan „Harvey“ könnte angesichts der hohen Schäden zu einem der zehn teuersten Wirbelstürme der US-Geschichte werden. Quelle: Reuters

Frankfurt Normalerweise sorgen die vielen Strahler an der mächtigen Raffinerieanlage von Exxon im texanischen Baytown nachts für ein Lichtermeer. Doch derzeit ist nichts in der texanischen Hafenstadt, die am Houston River liegt, wie sonst. Der US-Ölkonzern Exxon hat seine zweitwichtigste Raffinerie in den USA angesichts der Überflutungen in Folge des Wirbelsturms „Harvey“ seit dem Wochenende vorübergehend geschlossen. Wo an regulären Tagen bis zu 560.000 Liter Öl zu Kraftstoff verarbeitet werden, stehen seitdem die Maschinen still. Der US-Wirbelsturm, der weite Teile Houstons unter Wasser setzte, hat damit nicht nur bis zu 30.000 Menschen in Texas vorübergehend obdachlos gemacht. Er hat auch die amerikanische Ölindustrie vorerst aus dem Tritt gebracht.

Ein Stich ins Herz des „schwarzen Goldes“. Baytown ist keine Ausnahme. Auch der Ölkonzern Shell schloss vorübergehend seine Anlagen im texanischen Deer Park. Der brasilianische Rivale Petróleo Brasileiro machte zwei seiner Werke in Pasadena vorerst dicht, in denen normalerweise bis zu 435.000 Barrel täglich produziert werden.

Experten gehen davon aus, dass insgesamt derzeit 22 Prozent der Ölförderung im Golf von Mexiko lahmgelegt ist. Ein Ausfall mit Folgen: Täglich werden laut der Ratingagentur Standard & Poor‘s durch die Folgen von „Harvey“ bis zu 2,2 Million Barrel (je 159 Liter) Öl nicht verarbeitet. Hintergrund: Houston ist durch einen rund 100 Kilometer langen Kanal mit dem offenen Meer bei der Küstenstadt Galveston verbunden. Doch die Raffinerien und andere Anlagen entlang der Wasserstraße stehen angesichts der Fluten weitgehend still.

Es ist ein Ausfall, der Investoren beunruhigt. Am Rohstoffmarkt nähren die Probleme an der US-Golfküste Spekulationen über Nachschubprobleme bei Benzin, was den Preis bereits in die Höhe treibt. Auch die Rohölpreise zogen am Dienstag weiter an. Ein Barrel der Nordseesorte Brent zur Lieferung im Oktober kostete am Morgen 52,06 US-Dollar. Das waren 17 Cent mehr als am Montag.

Der Preis für ein Fass der amerikanischen Sorte West Texas Intermediate (WTI) stieg um 21 Cent auf 46,78 Dollar. Denn auch die Rohölförderung wurde schwer beeinträchtigt. Nach Angaben des staatlichen Bureau of Safety and Evironmental Enforcement wurden 105 der 737 Ölförderplattformen im Golf von Mexiko vorübergehend evakuiert. Ängste vor Engpässen ließen zudem den Gaspreis auf den höchsten Stand seit vier Monaten steigen.

Das Jahrhunderthochwasser in Texas hat in weiten Teilen des US-Staates Verwüstungen angerichtet. Vor allem in Houston, der viertgrößten Stadt der USA, stehen ganze Viertel unter Wasser. US-Präsident Donald Trump verspricht den Betroffenen schnelle Hilfe, er will die Region im Laufe des Dienstags besuchen.

In Houston wurden Tausende Menschen vor den Fluten gerettet. Eine Frau kam ums Leben als ein Baum auf ihr Haus stürzte, eine Familie soll in ihrem Auto von den Wassermassen weggespült worden sein. Die starken Regenfälle hatten weite Teile von Südtexas in eine Wasserfläche verwandelt. Die Behörden fürchten, dass bis zu 30.000 Menschen vorübergehend obdachlos werden könnten, zumal mit weiteren starken Regenfällen bis Ende der Woche gerechnet wird.

Auch viele Versicherer blicken mit Sorge in die USA. Die US-Großbank JP Morgan beziffert die versicherten Schäden durch „Harvey“ in einer ersten Schätzung auf zehn bis 20 Milliarden Dollar. Damit könnte „Harvey“ zu einem der teuersten zehn Wirbelstürme der US-Geschichte werden. Anleger fürchten nun hohe Forderungen der Opfer des US-Sturms. Die Aktien von Allianz, Hannover Rück und Munich Re zählten vor diesem Hintergrund zuletzt zu den Verlierern am Markt.

Dennoch erwartet die Branche nicht, dass „Harvey“ ähnlich schwere finanzielle Belastungen bringen wird wie einst der Wirbelsturm „Katrina“, der die Versicherer 2005 rund 60 Milliarden Dollar kostete. Man gehe davon aus, dass die versicherten Schäden bei „Harvey“ nicht so hoch sein werden wie vor zwölf Jahren, betonte eine Sprecherin der Hannover Rück, dem drittgrößten Rückversicherer der Welt.

2005 hatte der Wirbelsturm „Katrina“ große Teile von New Orleans überflutet und Hunderttausende Einwohner obdachlos gemacht, 1322 Menschen starben. Seither hat die US-Regierung vor allem die Schadensabsicherung für Überschwemmungsschäden verändert, nun gibt es dort ein staatlich-privates Versicherungsprojekt, das „National Flood Insurance Program“. Nur ein kleiner Teil der Schäden ist dagegen wohl komplett in der privaten Versicherungswirtschaft rückversichert, heißt es.

Auch die weltweite Nummer eins, die Munich Re in München, stellt sich vor diesem Hintergrund nicht auf den schlimmsten Fall ein. Hurrikan „Harvey“ habe „eine Richtung genommen, wo er deutlich weniger Schaden anrichten kann als damals „Katrina“ – und inzwischen ist er so abgeschwächt, dass die Sturmschäden sich kaum mehr allzu sehr in die Höhe addieren werden“, sagte Ernst Rauch vom Rückversicherer Munich Re.

Er leitet dessen Corporate Climate Centre, das die Auswirkungen des Klimawandels analysiert. So hält der Experte den Vergleich zu 2005 für überzogen: „Alles in allem sehe ich – Stand heute – weder auf Grundlage der Meteorologie noch auf Grundlage der bisherigen Schadenbilder, dass der Sturm auch nur annähernd die Schadenhöhe von Katrina hat.“ Es ist eine Botschaft, die zwar nur ein schwacher Trost für rund 30.000 Betroffenen in den USA ist. Die Aktionäre von Hannover Rück und Munich Re dürfte es dennoch etwas aufatmen lassen.

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