Intelligent investieren

Crash-Angst ist der Feind der Börsengewinne

Thorsten Polleit
Thorsten Polleit Chefvolkswirt der Degussa

Die Konjunktur läuft gut, Börsen klettern von Rekord zu Rekord, Immobilienpreise steigen: Wenn alles nach oben weist, nimmt die Angst vorm Absturz zu, Anleger suchen Schutz. Das klingt vernünftig, ist aber schädlich.

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Quelle: Fotolia

Beim Wort „Crash“ befällt die meisten Aktieninvestoren zumeist ein mulmiges Gefühl. Es klingt bedrohlich. Doch wann spricht man eigentlich von einem Crash? Wenn die Kurse um zehn oder 20 Prozent einbrechen? Oder erst, wenn sie 40 Prozent abstürzen? Oder sollte man von einem Crash erst dann sprechen, wenn nicht nur die Börsenkurse kollabieren, sondern auch das gesamte Banken- und Finanzsystem in die Knie geht? Das Wort Crash ist unbestimmt. Unterschiedliche Personen verstehen darunter in der Regel ganz Unterschiedliches. Und das ist gar nicht verwunderlich.

Ganz unterschiedlich war nämlich das, was in der Börsengeschichte üblicherweise als Crash bezeichnet wird. Beispielsweise fiel der Dow Jones Industrial Index von September 1929 bis zum Juni 1932 um 87 Prozent. Es war die „Große Depression“, und es dauerte bis zum November 1954 – also mehr als 25 Jahre –, bis der US-Aktienindex seinen Vor-Krisenstand wieder erreicht hatte. Von September 2000 bis August 2002 fiel der S&P 500 um knapp 42 Prozent: Die „New Economy“-Blase war geplatzt. Aber nach etwas mehr als fünf Jahren, im Oktober 2007, hatte er bereits wieder sein Vor-Krisenniveau erreicht. Sogleich setzte der nächste Kursrutsch ein. In der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise verlor der S&P 500 bis März 2009 55 Prozent. Nach nur etwas mehr als vier Jahren waren die Kursverluste wieder wettgemacht.

Besser langfristig anlegen

Zur Person

So aufregend-gruselig die Beschäftigung mit dem Crash-Thema auch ist: Sie verstellt nur allzu leicht den Blick auf den Langfristerfolg von Aktien. Wer beispielsweise seit 1970 bis heute in den S&P 500 investiert hat, konnte eine jahresdurchschnittliche Rendite von gut sieben Prozent erzielen (ohne Dividenden): Aus 10.000 US-Dollar wurden 263.965 US-Dollar. Berücksichtigt man die Dividenden (und deren Reinvestition in den Aktienmarkt), dürfte die durchschnittliche Jahresrendite sogar bei knapp elf Prozent pro Jahr gelegen haben. Diese Zahlen deuten bereits das an, was ich in dieser Kolumne herausstellen möchten: Die Aktienanlage verspricht Erfolg, wenn sie langfristig betrieben wird. Um das zu unterstreichen, seien zwei weitere wichtige Aspekte genannt.

Die schwärzesten Tage der Börsengeschichte
19. Oktober 1987 – der „Schwarze Montag” Quelle: dpa
16. Oktober 1989 – der Dax-Absturz Quelle: AP
23. Mai 1995 – die Asien-Krise Quelle: REUTERS
6. Oktober 2008 – das Lehman-Beben Quelle: dpa
Griechische Flagge Quelle: dpa
24. August 2015 – ein neuer China-Crash Quelle: dpa
07. Januar 2016 – und wieder ein Drachen-Kursbeben Quelle: dpa

Erstens: Das Auf und Ab an den Börsen ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Allerdings lässt sich der Zeitpunkt der Kursrückschläge nicht verlässlich prognostizieren, jedenfalls nicht mit wissenschaftlichen Mitteln. Nicht selten kommen sie quasi aus heiterem Himmel.

Zweitens: Der Versuch, durch eine „Rein-Raus-Strategie“ (oder, was das gleiche ist: durch ein „Markt-Timing“) gezielt den Crashs auszuweichen, ist daher nicht nur ein fragwürdiges Unterfangen, es kann auch Ihren Langfristerfolg torpedieren. Dazu ein Beispiel. Vom 1. Januar 1997 bis zum 15. Juni 2017 stieg der amerikanische S&P 500 Aktienmarktindex von 740,74 Punkten auf 2.432,46 Punkte. Das entsprach einer (stetigen, annualisierten) Rendite von knapp 8,5 Prozent pro Jahr – wenn Sie von Anfang bis Ende investiert gewesen wären.

Im genannten Zeitraum gab es 5.337 Handelstage. Die durchschnittliche Tagesrendite lag bei 0,03 Prozent – und zeigt, dass die Aktienkurse langfristig nach oben strebten. Um diesen Mittelwert gab es kräftige Schwankungen. Den größten Kursgewinn, er betrug 11,6 Prozent gegenüber dem Vortag, gab es am 13. Oktober 2008. Den größten Tagesverlust von 9 Prozent am 15. Oktober 2008. Wären Sie aufgrund von Crash-Angst zeitweise aus dem S&P 500 ausgestiegen, und hätten Sie dadurch die zehn besten Börsentage verpasst, wäre Ihre Rendite auf 3,4 Prozent geschrumpft. Hätten Sie die besten 20 Renditetage verpasst, wäre Ihre Rendite auf 0,5 Prozent abgeschmolzen.

Und hätten Sie die 30 besten Tage verpasst, hätten Sie eine Rendite von minus 2,3 Prozent eingefahren. Das heißt: Es gibt wenige Tage, die den Langfristerfolg maßgeblich bestimmen. Die darf man nicht verpassen. Deshalb: langfristig investieren.

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