Intelligent investieren

Die Börse ist kein Schönheitswettbewerb

Thorsten Polleit
Thorsten Polleit Chefvolkswirt der Degussa

Der berühmte Ökonom John Maynard Keynes verglich die Einschätzung von Aktien mit der von Kandidatinnen eines Schönheitswettbewerbs. Das ist zwar einprägsam, aber irreführend. Wie Aktienkäufer stattdessen besser vorgehen.

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Model Miranda Kerr beim Börsengang von SnapInc. Quelle: dpa

In seinem Buch „The General Theory of Employment, Interest and Money“ (1936) gibt John Maynard Keynes (1883 – 1946), der wohl bekannteste und auch einflussreichste Ökonom des 20. Jahrhunderts, dem Leser etwas Unterhaltsames mit auf den Weg. Und zwar wie man vorgehen muss, wenn man die Siegerin eines Schönheitswettbewerbs vorhersagen will.

Wer dabei erfolgreich sein möchte, der darf sich nicht von seinem eigenen Schönheitsideal leiten lassen, so Keynes, sondern er muss erahnen, wen die Mehrheit der Beurteilenden als die Schönste erachtet – und dabei muss er beachten, dass jeder Beurteilende sich ebenfalls abmüht zu erahnen, welche Kandidatin denn die Mehrheit der Beurteilenden als die Schönste ansieht.

Das Gleichnis des Schönheitswettbewerbs wird häufig auf die Preisbildung der Aktienmärkte übertragen. Danach macht sich der Börsenkurs der Aktie nicht am fundamentalen Wert fest – das heißt dem Barwert aller abdiskontierten Zahlungen, die das Unternehmen künftig erzielen wird –, sondern daran, was der Investor denkt, was andere Investoren meinen, was die Aktie wert sei.

Der Hinweis auf dieses Gedankenmodell sorgt in launiger Runde, aber gerade auch im Kreise von Finanzmarktprofis immer wieder für Erheiterung und wird meist mit Zustimmung quittiert. Doch aus mindestens drei Gründen sollte der kluge Anleger skeptisch sein, wenn er hört, auf dem Aktienmarkt ginge es zu wie beim Vorhersehen der Gewinnerin eines Schönheitswettbewerbs, und dass er diese Einsicht bei der Geldanlage berücksichtigen müsse.

Warum Anlageentscheidungen nicht mit Miss-Wahlen gemein haben

Die Kursraketen seit der Finanzkrise

Erstens: Wenn Sie denken, der Aktienmarkt funktioniert tatsächlich so, dann haben sie wenig Grund zu hoffen, dass Sie dauerhaft erfolgreich sein werden. Denn auf welcher Grundlage können und sollen Sie einschätzen, wie, was und wann die anderen mehrheitlich denken? Mir zumindest sind keine Orientierungsgrößen – wie zum Beispiel Umfragen oder ähnliches – bekannt, die einen systematischen Bezug zu den künftigen Meinungen und damit den Kauf- und Verkaufsentscheidungen der Marktmehrheit hätten.

Zweitens: Das Schönheitswettbewerbs-Gleichnis ist indeterminiert. Das heißt, es hat sozusagen keinen Anfang und kein Ende, es stellt einen Zirkelschluss dar, nach dem Motto: A bestimmt B, aber B bestimmt gleichzeitig A. Dieser circulus vitiosus hilft Ihnen als Anleger nicht weiter. Sie können nichts und niemanden dingfest machen als treibende Kraft für die Kursentwicklung der Aktien. 

Drittens: Wenn Sie sich bei Ihren Anlageentscheidungen vom Schönheitswettbewerbs-Gleichnis leiten lassen, müssen sie zum „Markt-Timer“ mutieren. Sie müssen das kaufen und verkaufen, was sie meinen, was alle kaufen und verkaufen werden, und zwar am besten etwas früher als die anderen. Sie werden zum Getriebenen, ständig gehetzt von der Sorge, nichts zu übersehen, was die anderen denken und machen.

Wenn Sie dennoch im Schönheitswettbewerbs-Gleichnis eine Erklärungskraft vermuten, dann sollten Sie vor allem eine Frage stellen: Was ist die Begründung dafür, dass der Aktienmarkt in eben dieser Weise ablaufen sollte? Gibt es belastbare Hinweise, die dafür sprechen, dass am Schönheitswettbewerbs-Gleichnis etwas dran ist? Nur weil die dargebotene Erklärung plausibel klingt, kann sie noch nicht überzeugen.

Erfolgreiche Investoren richten sich nicht nach der Mehrheitsmeinung

Mir zumindest sind noch keine Indizien oder Indikatoren über den Weg gelaufen, die die Preisbildung auf dem Aktienmarkt durch Keynes‘ Schönheitswettbewerbs-Gleichnis überzeugend erklären könnten. Ungleich gewichtiger dürfte an dieser Stelle jedoch die Erkenntnis sein, wie die langfristig erfolgreichen Investoren vorgehen. Und hier zeigt sich, dass Keynes‘ Schönheitswettbewerbs-Gleichnis für sie kein Leitfaden ist.  

Erfolgreiche Investoren richten sich nicht nach der Mehrheitsmeinung aus. Sie verschwenden keine Energie darauf herauszufinden, was die Mehrheitsmeinung heute oder morgen sein könnte. Sie interessieren sich meist auch nicht für die Aktien, die gerade in aller Munde sind, weil sie wissen, solche Aktien sind in der Regel schon zu teuer. Kaufen und verkaufen, was andere vermutlich kaufen und verkaufen werden, gehört nicht zum Handlungsrepertoire.

Attraktivität spielt immer eine Rolle

So nutzen Anleger den Heimvorteil

Zudem halten erfolgreiche Investoren Ausschau nach attraktiven Unternehmen. Nach solchen also, die dauerhaft eine hohe Rendite auf ihr Kapital erwirtschaften und den Gewinn pro Aktie für lange Zeit steigern können. Das sind oftmals Unternehmen, die eben nicht die Titelseiten der Glanzseiten-Finanzmagazine zieren, und die in der Investorengunst häufig auch nicht hoch stehen, die aber gerade deshalb attraktive Investments darstellen.

Vor allem achten erfolgreiche Investoren penibel darauf, dass sie für eine Aktie nicht zu viel bezahlen. Wer zu teuer kauft, macht kein gutes Investment – das Unternehmen kann noch so gut sein. Um zum Ziel zu kommen, bringen erfolgreiche Investoren zudem die nötige Geduld auf, halten mitunter lange Zeit die Hände still. Gleichzeitig haben sie jedoch die Aufmerksamkeit und den Mut, gute Gelegenheiten zu erkennen und dann beherzt zu agieren, wenn andere nicht mehr kaufen wollen oder können.

Mit anderen Worten: Das erfolgreiche Investieren verläuft genau entgegengesetzt zum Schönheitswettbewerbs-Gleichnis. Man läuft nicht mit der Herde, sondern nutzt die Chancen, die das Verhalten der Mehrheit immer wieder einmal eröffnet. Und man setzt vor allem seinen ganzen Eifer daran, um in Erfahrung zu bringen, was eine Aktie tatsächlich wert ist. Denn nur dann kann man sinnvoll entscheiden, ob sich ein Kauf lohnt oder nicht.

Übrigens hat Keynes selbst nicht so investiert, wie es sein Schönheitswettbewerbs-Gleichnis nahelegen würde. Für die Stiftung des King’s College, Cambridge, für die er von 1921 bis 1946 verantwortlich war, investierte er konzentriert, also in relativ wenige Titel, ausgewählt auf Basis ihrer günstigen Bewertungen. Zudem investierte er langfristig, und er war bereit, auch große Abweichung seines Portfolio gegenüber dem Gesamtmarkt („Tracking Error“) zuzulassen. Der Leser mag daraus seine eigenen Schlussfolgerungen ziehen.

Wer wie alle investiert, kann nicht besser abschneiden als alle anderen. Wenn man also beim Investieren erfolgreich sein will, muss man es anders und auch besser machen als die anderen. Dazu gehört, sich fernzuhalten von falschen Theorien und den darauf abgeleiteten Anlageempfehlungen – wie sie beispielsweise im Gewand des Schönheitswettbewerbs-Gleichnisses daherkommen. Erfolgreiches Investieren ist kein Schönheitswettbewerb.

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