Investment Live Aktien haben noch Potenzial nach oben

Der weltweite Wirtschaftsaufschwung dürfte sich fortsetzen und die Börse weiter beflügeln. Anleger sollten Risiken jedoch nicht ausblenden.

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Aktien haben noch Potenzial nach oben Quelle: Michael Englert für Handelsblatt

Köln Die jüngsten Börsenturbulenzen stecken Privatanlegern noch immer in den Knochen. Viele hat der schnelle und heftige Absturz an der Wall Street und der darauffolgende Kursrutsch in Europa und Asien eiskalt erwischt. Mehr als zehn Prozent ging es mit Dow Jones und S&P 500 innerhalb weniger Tage abwärts, den Dax traf es noch etwas schlimmer.

Trotz der darauffolgenden Erholung – der amerikanische Standardwerteindex notiert mittlerweile schon wieder knapp fünf Prozent unter seinem Allzeithoch – ist die Verunsicherung nach wie vor groß. Drohen weitere Turbulenzen, vielleicht sogar ein Crash? Wie ist die aktuelle Situation an den Märkten einzuschätzen? Wo lauern Gefahren und wo Chancen?

Antworten auf diese und andere Fragen gab es beim Finanzmarktforum „Investment Live“, der Anlegerinitiative von Deutscher Bank und Handelsblatt.

Die Kernbotschaft des Abends im Kölner Gürzenich: Einen Crash muss derzeit niemand befürchten, die Rahmenbedingungen sind noch gut. „Erstmals seit zehn Jahren haben wir einen robusten, global synchron laufenden Aufschwung der Weltwirtschaft“, fasste es TV-Börsenexperte und Moderator Markus Koch zusammen.

Dieser Aufschwung dürfte sich vorerst fortsetzen, auch an den Aktienmärkten. Darin waren sich auch Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank, Oliver Plein, Leiter Produktspezialisten Aktien bei Deutsche Asset Management, und Handelsblatt-Chefredakteur Sven Afhüppe einig. Sie beantworteten an diesem Abend die Fragen der rund 1.000 Gäste.

Aber Anleger müssten trotzdem wachsam bleiben. „Vor allem die Angst vor einer Überhitzung der Wirtschaft könnte für Verunsicherung an den Märkten sorgen“, warnte Stephan. „Denn eine zu schnell steigende Inflation könnte die Notenbanken zu einem schnelleren Ausstieg aus ihrer Nullzinspolitik verleiten.“ Genau diese Angst hatte die Turbulenzen vor einigen Wochen ausgelöst – nach sehr guten Daten vom US-Arbeitsmarkt.

Natürlich könnten steigende Inflationserwartungen, steigende Zinsen oder eine plötzliche Krise den Wachstums- und damit auch Börsenzyklus abwürgen. „Aber der Zyklus stirbt sicher nicht an Altersschwäche, das hat er noch nie getan“, so der Anlageexperte. „Er wird ermordet. Wir wissen nur noch nicht, wer der Mörder sein wird.“

Investoren blicken derzeit vor allem nach Amerika. Für Aufregung sorgen aktuell die von der US-Regierung unter Präsident Donald Trump angedrohten Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte. „Zwar hat Trump erst einmal nur die Chinesen im Blick, und wir wissen nicht, ob und in welchem Maße diese Strafzölle auch europäische Firmen treffen“, sagte Afhüppe.

„Ein drohender Handelskrieg ist aber definitiv eine Gefahr für das weltweite Wirtschaftswachstum.“ Entsprechend nervös reagiert der Rest der Welt. China drohte umgehend mit Gegenmaßnahmen. All das kommt zu einer Zeit, in der der Freihandel ohnehin einen zunehmend schweren Stand hat.

America first als Belastungsprobe

„Wir haben uns lange gefragt, was Donald Trump wirklich will“, so Afhüppe. „Wir dachten bei America first eher an eine innenpolitische Agenda, die Abschottung gegenüber Ausländern. Doch nun sehen wir, dass er es anders meint.“ America first solle die USA zu seiner alten ökonomischen Stärke zurückführen. Strafzölle sind da nur ein Instrument, Trumps Unternehmensteuerreform ist ein weiteres.

„Diese Reform wird das Land tatsächlich enorm anschieben und sehr viele Investitionen anlocken“, ist Afhüppe überzeugt. Der Kern der Steuerreform ist die Senkung des Körperschaftsteuersatzes von 35 auf 21 Prozent. Es gibt aber auch neue Regeln für Abschreibungen, Verlustvorträge und die steuerliche Behandlung von konzerninternen Zahlungen zwischen den Vereinigten Staaten und Auslandsgesellschaften. „Unternehmen profitieren doppelt“, sagte der Handelsblatt-Chefredakteur. „Sie zahlen zu Hause weniger Steuern und die ausländischen Töchter von Unternehmen werden bestraft. Da stehen viele Milliarden auf dem Spiel.“

Insgesamt stehen die Unternehmen schon jetzt ziemlich gut da, und das nicht nur in den USA. „Normalerweise prognostizieren die Analysten zu Jahresbeginn einen Anstieg der Unternehmensgewinne um zehn bis 15 Prozent und korrigieren diese Prognose dann schrittweise nach unten“, so Stephan. „2018 ist es – wie übrigens auch schon im vergangenen Jahr – genau anders herum.“ Die Aktienmärkte würden diesen guten Zyklus widerspiegeln.

Allerdings erwartet der Anlagestratege weiter stärkere Schwankungen. „Wir haben im Februar mehr Volatilität gesehen als in den vergangenen sieben Quartalen, und das wird wohl so bleiben“, sagt er. Trotzdem bleibt er optimistisch. Den Dax sieht er Ende des Jahres bei 14.100 Punkten und den S&P 500 bei knapp 3.000 Zählern.

Ähnlich optimistisch waren die Gäste im Saal. 76 Prozent von ihnen erwarten, dass 2018 für sie ein gutes Aktienjahr wird. Im Publikum saßen überwiegend Aktionäre. Nur zwölf Prozent der Anwesenden gaben an, keine Aktien zu besitzen. Ein Ergebnis, das vor allem Moderator Koch freute. „Die Hälfte der Deutschen spielt Lotto, nur 15 Prozent von ihnen investieren in Aktien oder Aktienfonds“, sagte er. „Das ist hier zum Glück anders herum.“ Und die Gäste schienen auch weiter an die gute Börsenentwicklung zu glauben. Auf die Ted-Frage, wie sie aktuell 50.000 Euro investieren würden, antworteten immerhin 71,9 Prozent in Aktien, während 19,9 Prozent auf Immobilien setzen würden.

Doch welche Aktien kaufen? Plein findet aktuell vor allem drei Themen interessant: Dividendenaktien, Nebenwerte und Investments in die Industrie 4.0. „Dass Dividenden der neue Zins sind, ist natürlich Unsinn“, sagte der Anlageexperte. „Aktien sind niemals so sicher wie Anleihen.“ Trotzdem seien ausschüttungsstarke Werte einen Blick wert.

Er warnte allerdings vor Unternehmen, die zu viel oder sogar aus der Substanz ausschütten würden. Bei Nebenwerten riet er zu aktivem Management, da hier die Abdeckung durch Analysten gering sei und Anleger nur schwer an Informationen kommen würden. Bei Investments in der Industrie 4.0 war sein Tipp, nicht nur auf Robotik und Automatisierung zu schauen, sondern auch auf Unternehmen aus den Bereichen E-Commerce, Energieeffizienz, Medizintechnik, Infrastruktur und Datensicherheit. „Es geht für Anleger darum, die Digitalisierungs-Gewinner von den Digitalisierungs-Verlierern zu unterscheiden.“

Dass der aktuelle Wirtschaftszyklus schon so lange laufe, beunruhigte auch ihn nicht. Zwar habe der Dax seit seinem Rezessionstief im Jahr 2009 bereits fast 270 Prozent zugelegt, aber: „Es ist noch Luft nach oben.“


Zuschauer fragen – Experten antworten

1. Wie lässt sich Vermögen sichern?

Oliver Plein: Möglichst solide Renditen bei möglichst geringem Risiko, das ist sehr schwierig. Sichere Anleihen bringen so gut wie keine Renditen mehr. Aktien sind natürlich riskanter als Anleihen, die Renditen aber mittel- bis langfristig überlegen. Ob das so weitergeht, wird sich zeigen. Ein solides Depot muss – je nach Risikoneigung des Anlegers – eine Mischung aus beidem sein. Die Frage der Gewichtungen ist natürlich eine sehr individuelle und nicht pauschal zu beantworten.

Ulrich Stephan: Es gibt keine Geheimtipps an den Märkten. Da muss ich Sie enttäuschen. Man kann auch keine Renditen managen, sondern nur Risiken. Geht man vom risikolosen Zins aus, der in Europa etwa bei null liegt, dann muss man wohl irgendeine Form von Risiko eingehen, um Rendite zu erzielen. Aber Risiko empfindet natürlich jeder Anleger sehr subjektiv. Wer Ihnen ganz sichere drei Prozent verspricht, ist ein Scharlatan.

Sven Afhüppe: Noch gibt es viele positive Signale in der Weltwirtschaft. Politische Instabilität, wie wir sie derzeit vermehrt erleben, muss nicht zwangsläufig heißen, dass wir Unruhen an den Finanzmärkten erleben werden. Ich sehe die Weiterentwicklung an den Aktienmärkten eher positiv. Aber ich würde mir auch Immobilien in Regionen anschauen, die noch nicht überteuert sind.

2. Lohnt der Aktienkauf im Alter?

Stephan: Ich halte die weitverbreitete Regel „100 minus Alter gleich Aktienquote“ für unsinnig. Es kommt doch darauf an, über welches Vermögen ich insgesamt verfüge und wie es angelegt ist. Lebe ich in einer abbezahlten Immobilie und bekomme eine sehr gute Rente, kann ich ganz anders mit meinem Aktienportfolio umgehen als jemand, der von seinem Ersparten, also von der Substanz leben muss. Diese Überlegungen bestimmen die Aktienquote.

Afhüppe: Der Aktienzyklus passt sich nicht unserem Lebenszyklus an. Aktuell gibt es sehr spannende Zukunftsthemen – Stichwort Digitalisierung oder Robotik. Es tut sich unglaublich viel, wir erleben einen unglaublichen technologischen Fortschritt. Warum sollte man sich da nicht auch im Alter von 80 Jahren engagieren?

Plein: Ich vergleiche Geldanlage mit Fitnesstraining. Jeder muss sich das richtige Kursprogramm zusammenstellen – je nach Risikoaffinität, Lebenssituation und Zielen. Wer es ein bisschen ruhiger angehen lassen will, wählt Yoga. An der Börse sind das Dividendenaktien. Für Stabilität und Beweglichkeit sorgt Rückenfit, das wären im aktuellen Kapitalmarktumfeld deutsche Aktien und europäische Nebenwerte. Kraft und Energie bringt Work-out. Da braucht man dann eine gewisse Ausdauer und Grundkondition. Wer beides auch an der Börse hat, der setzt auf Industrie 4.0 und Digitalisierung.

3. Sind US-Technologieaktien bereits überbewertet?

Afhüppe: Die Entwicklungen der amerikanischen Big Five sind gigantisch – wirtschaftlich sowieso und auch an der Börse. Anleger sollten aber stärker nach China schauen und nicht nur auf die großen US-Giganten Apple, Facebook, Netflix, Amazon oder die Google-Mutter Alphabet. Die chinesische Regierung treibt das Thema Digitalisierung mit einer unglaublichen Radikalität voran. Es wird massiv in künstliche Intelligenz investiert. Dabei nutzen die Chinesen den nicht vorhanden Datenschutz. Die dortigen Unternehmen sind in vielen Bereichen mit der US-Konkurrenz auf Augenhöhe. Und sie sind im Vergleich unterbewertet. Chinesische Tech-Werte haben mehr Potenzial.

Stephan: Wirklich billig sind chinesische Tech-Werte auch nicht mehr, aber sie sind auf jeden Fall spannend. Tencent beispielsweise hat bei der Börsenkapitalisierung die Marke von einer halben Billion fest im Blick. Das Unternehmen ist vor allem in den Bereichen soziale Netzwerke, Spiele und digitales Bezahlen unterwegs. Extrem erfolgreich ist auch der chinesische Amazon-Konkurrent Alibaba. Am 11. November, eine Art chinesischer Cyber-Monday, gingen pro Sekunde 340 Bestellungen ein. Das ist enorm.

Plein: Es gibt natürlich nicht nur in den USA und in China viele erfolgreiche Technologieunternehmen. Auch in Europa gibt es sie. Dazu zählen beispielsweise ASML, Osram oder SAP. Aber es gibt eben keine Leuchttürme wie Amazon oder Netflix. Trotzdem sollten Anleger nicht nur auf die genannten Big Five schauen, denn Digitalisierung und vor allem Technologie ist mehr als nur E-Commerce. Spannende Werte finden Anleger auch in den Bereichen Energieeffizienz, Medizintechnik, Infrastruktur und Datensicherheit.

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