Investment Live „Die Welt ist in Unordnung geraten“

Geopolitische Krisen, Brexit-Verhandlungen und Wahlen, aber die Börsen klettern auf Rekordhochs – für Investoren kann das verwirrend sein. Beim Anlegerforum „Investment Live“ rieten Experten zu Realismus – und Mut.

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Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden Deutsche Bank, Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart, Oliver Plein, Leiter Produktspezialisten Aktien bei der Deutsche Asset Management, und Börsenexperte Markus Koch.

Düsseldorf Die anstehenden Brexit-Verhandlungen, Wahlen in mehreren Ländern des Kontinents, die Krise in Italien und nicht zuletzt die Politik der US-Regierung unter Präsident Donald Trump – politische Entscheidungen werden die globalen Wirtschaftsentwicklungen auch in den kommenden Monaten maßgeblich beeinflussen. Und natürlich dürften sie auch für einige Verunsicherung an den Märkten sorgen.

Was bedeutet das für die Privatanleger? Sind aktuell die Chancen oder die Risiken größer? Wie stellen sie sich am besten auf? Antworten auf diese und andere Fragen gab es beim Finanzmarktforum „Investment Live“, der gemeinsamen Anlegerinitiative von Deutscher Bank und Handelsblatt. Mehr als 500 Interessierte kamen ins The Westin Hotel Leipzig, und sie hatten viele Fragen.

Wer angesichts der weltpolitischen Gemengelage glaubte, dass die Anleger eher ängstlich und pessimistisch sind, irrte. Auf die Frage von Moderator und Börsenexperte Markus Koch, ob sie glaubten, dass 2017 für sie ein gutes Anlagejahr wird, antworteten immerhin knapp 77 Prozent der Gäste mit Ja. „Wir haben anscheinend viele Optimisten im Publikum“, freute sich Koch. Doch die Risiken im Markt blendeten sie keinesfalls aus.

„Die Welt ist in Unordnung geraten“, sagte Gabor Steingart. Der Handelsblatt-Herausgeber hatte die Zuschauer vor die Wahl gestellt: Er könne in seiner Rede ein „Wir-schaffen-das-Szenario“ liefern oder die Variante „Schonungslos“. Das Publikum wählte Letzteres. „Digitalisierung, Europäisierung, Globalisierung, Islamisierung und Militarisierung – wir teilen das Schicksal, in einer Zeit zu leben, die uns überfordern kann“, sagte Steingart. Dieses Szenario solle aber nicht mutlos machen, man müsse sich realistisch dem Zeitgeschehen stellen – auch als Anleger.

Allen geopolitischen Krisen und Verwerfungen zum Trotz klettert der Deutsche Aktienindex von Rekord zu Rekord. Der Grund: Die deutsche Wirtschaft habe sich weitgehend von den Krisenherden in Nahost und anderswo entkoppelt, und das sei ein positives Signal für Anleger. „Wir haben es mit einer Wirtschaft zu tun, die gelernt hat, regionale Ungleichgewichte auszubalancieren“, so Steingart. Es lohne nicht, zu verzagen. Das wäre für Siemens-Chef Joe Kaeser oder Daimler-Chef Dieter Zetsche keine Strategie. Sie würden die Risiken und Chancen austarieren, Krisenregionen notfalls verlassen und an anderer Stelle investieren.


Europäische Aktien hinken hinterher

Auch Ulrich Stephan rief zur Zuversicht auf. „Der Welt geht es gar nicht so schlecht“, sagte der Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank. „Der Währungsfonds hat gerade seine Wachstumsprognose erhöht, wir sehen wieder Zuflüsse in den Aktienmarkt, die Gewinne der Unternehmen sprudeln, und endlich steigen auch ihre Umsätze wieder.“ In den Jahren nach der Finanzkrise hätten viele Firmen davon profitiert, dass sie sich effizienter aufgestellt hätten. „Trotzdem haben wir alle so ein mulmiges Gefühl im Bauch“, so Stephan. Nordkorea, Syrien, Trump, da könne einiges schiefgehen, müsse es aber nicht. „Die größte Sorge muss man sich um Italien machen“, sagte er. „Das ist ein echtes Problem.“ Das Land habe sich von der Krise kaum erholt.
Stephan blieb vor allem mit Blick auf die Unternehmensgewinne optimistisch. Auch der Dax-Rekord müsse Anleger nicht nervös machen. „Der Dax erinnert sich nicht an seinen Kurs von gestern, das ist ihm egal“, sagte der Anlageexperte. „Glauben Sie nicht an Chartanalyse, das ist Unsinn.“ Anleger sollen auf die Unternehmensgewinne und die Zinsentwicklung schauen. Das sei wichtiger. „Man muss nach vorne schauen und mutig sein.“ Der europäische Aktienmarkt hinke dem amerikanischen noch immer hinterher. Stephan geht davon aus, dass sich die Bewertungsniveaus angleichen werden. Deshalb gewichtet er europäische Aktien auch über. Schwierig dürften es konservative Anleger haben. „Dieses Jahr ist das erste seit langer Zeit, in dem Anleger in sicheren Häfen wie soliden Anleihen Verluste machen werden“, warnte Stephan. Die Zinsen würden steigen, die Kurse der Bonds entsprechend fallen. „Der Zinskupon gleicht das nicht mehr aus“, ergänzte er. „Suchen Sie nach Anlagen, die eine positive Rendite versprechen.“

Für Oliver Plein, Leiter Produktspezialisten Aktien der Deutschen Asset Management, sind das unter anderem ausschüttungsstarke Aktien. Allerdings warnte er Dividendenjäger vor Hindernissen. Schuldenfinanzierte Aktienrückkäufe, exzessive Verschuldung, Ausschüttungen aus der Substanz mangels Gewinn und schwache Rentabilität sollten Warnsignale für Anleger sein. Auch sollten sie darauf achten, dass die Ausschüttungsquoten nicht zu hoch und dafür nachhaltig seien. „Wenn fast der ganze Gewinn aufgebracht werden muss, um eine stabile Dividende auszuzahlen, ist die Dividendenkürzung relativ nah, wenn es mal nicht so gut läuft“, so Plein. Auch europäische Nebenwerte gehören auf jeden Fall ins Depot. „Investoren, die auf Nebenwerte verzichten, lassen fast ein Viertel der globalen Marktkapitalisierung außer Acht.“ Da die sogenannten Small Caps oft von Analysten nicht mehr gecovert werden, sei es wichtig, einen guten Fondsmanager zu finden.
Unsichere Anleger, die die mögliche Achterbahnfahrt an den Börsen scheuen, versuchte er mit dem Renditedreieck für deutsche Aktien zu beruhigen. „Binnen eines Jahres kann es natürlich ziemlich hin und her gehen“, räumte Plein ein. Im Jahr 2008 beispielsweise verlor der Dax etwas mehr als ein Drittel seines Wertes, im Jahr 2012 legte er aber auch fast 37 Prozent zu. Langfristig zeige das Renditedreieck klar: Je länger ein Anleger Aktien hält, desto höher die Gewinnchance und desto niedriger das Risiko. „Ein Dax-Portfolio ist nach zwölf Jahren risikofrei, da sehen sie keine Verlustphasen mehr ihm Dreieck“, so Plein. „Ich bin zuversichtlich, dass man auch in den kommenden Jahren gute Renditen an den Aktienmärkten erreichen kann.“ So wurden die Gäste mit einer Mischung aus Zuversicht und Nachdenklichkeit in den weiteren Abend entlassen.


Gold, Immobilien und Digitalisierung

Ist Gold eine gute Geldanlage?

Oliver Plein: Gold gilt als die Krisenwährung schlechthin. Doch der Preis wird auch von anderen Faktoren beeinflusst als von geopolitischen oder wirtschaftlichen Krisen. Der Dollarkurs hat einen großen Einfluss, ebenso die Zinsen und die Anlagepolitik der Zentralbanken. Wir glauben, dass das kurzfristige Aufwärtspotenzial begrenzt ist. Gold verliert ein bisschen an Glanz.

Gabor Steingart: Gold hat etwas Mystisches. Wenn alles zusammenbricht, ist es vielleicht das einzige Zahlungsmittel, das noch Bestand hat. Als Geldanlage ist Gold aber schwierig. Die Goldstrategie ist nichts, was man seriösen Anlegern empfehlen sollte.

Ulrich Stephan: Gold ist eine klassische Krisenwährung. Wenn es irgendwo auf der Welt Probleme gibt, steigt der Preis des Edelmetalls. Davon abgesehen: Wir erwarten, dass der Dollar in den kommenden Monaten wieder stärker wird. Dann ist Gold nicht unbedingt das, was man als Euro-Anleger kaufen sollte.

Gibt es eine Blase bei Immobilien?

Ulrich Stephan: Wenn wir nicht aufpassen, bekommen wir eine Blase. Aber noch ist es nicht so weit. Wir beobachten, dass aufgrund der niedrigen Zinsen viele internationale Investoren in Deutschland kaufen, dadurch steigen die Preise. Außerdem bauen wir zu wenig, was insbesondere in den Ballungszentren zu einer Nachfragelücke von einer Million Wohnungen führt. Solange dort nicht mehr passiert, steigen die Preise weiter.

Gabor Steingart: Auch wenn wir am deutschen Immobilienmarkt noch keine Blase sehen, haben wir es natürlich mit den Auswirkungen der Geldpolitik und der Verunsicherung der Anleger zu tun. Im Zweifel ist der Immobilienkauf dem Horten von Goldbarren vorzuziehen.

Oliver Plein: Auch wenn die Preise in den vergangenen Jahren stark angestiegen sind, gibt es noch Chancen für Investoren, vor allem am Gewerbeimmobilienmarkt. Unser Schwerpunkt liegt derzeit auf Logistik- und Einzelhandelszentren in Europa.

Wie wichtig ist Digitalisierung für Anleger?

Gabor Steingart: Das moderne Gold ist die Digitalisierung, sie ist das treibende Thema der Weltwirtschaft. Aber es gibt nicht die eine Branche, Digitalisierung betrifft alle Unternehmen. Jeder schaut auf Facebook, Twitter und Google. Das ist gut so, da spielt die Musik. Unsere Geschichte ist aber eine andere. Wir bauen die Digitalisierung in Produkte ein, wir digitalisieren Traditionsprodukte.

Ulrich Stephan: Auf der Hannover Messe ging es ausschließlich um Digitalisierung, Automatisierung und Roboter. Wir sehen, dass die Digitalisierung in der Industrie fußgefasst hat. Sie betrifft jedes Unternehmen und damit auch jede Aktie.

Oliver Plein: Für Anleger ist es schwierig, auf Digitalisierung zu setzen. Zwar gibt es Robotic-Fonds, doch damit investiert man oft in eine Nische. Wenn man das Thema Digitalisierung an der Börse breiter spielen will, ist das nicht so einfach. Man sollte auf flexible Strategien setzen, mit einer hohen thematischen Reinheit und einem attraktiven Verhältnis von Chance und Risiko.

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