Investment Live „Wir leben in einer Illusion von Stärke“

Politische Unsicherheit, Börsenrekorde und Nullzinsen – keine einfachen Zeiten für Anleger. Auf der Handelsblatt „Investment Live“ hat Markus Koch mit Wirtschafts- und Finanzexperten über Anlagestrategien diskutiert.

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Bei der Anlegerinitiative der Deutschen Bank und des Handelsblatts diskutierten (v.l.n.r.) Ulrich Stephan, Sven Afhüppe, Oliver Plein und Markus Koch miteinander. Die Veranstaltung fand im Hotel Bayerischer Hof in München statt. Quelle: argum / Thomas Einberger für Handelsblatt

Düsseldorf Der Dax eilt von Rekord zu Rekord. Viele Anleger können sich über stattliche Gewinne freuen. Seit Jahresbeginn hat der deutsche Standardwerteindex mehr als zehn Prozent zugelegt, auf Sicht von sechs Monaten sind es sogar über 20 Prozent. Kein Wunder, dass die mehr als 500 Gäste im Festsaal des Bayerischen Hofs in München gut gelaunt sind und äußerst optimistisch auf ihr Depot schauen. Immerhin geben 83 Prozent bei einer Abstimmung an, dass 2017 ein gutes Anlagejahr für sie werden dürfte. Doch all die Börsenrekorde und Kursgewinne können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die politische Lage unübersichtlich ist. Die transatlantischen Beziehungen sind angespannt, der Graben zwischen Europa und den USA unter Präsident Donald Trump ist so tief wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Briten werden aus der Europäischen Union austreten – mit noch ungewissen Folgen.

Keine einfachen Zeiten für Investoren. Wie stellt man sich auf in Zeiten politischer Unsicherheit, Börsenrekorden und Nullzinsen? Darum geht es an diesem Abend. „Investment Live“, die Anlegerinitiative der Deutschen Bank und des Handelsblatts, ist zu Gast in der bayerischen Landeshauptstadt. Den Fragen der Investoren stellen sich Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank, Oliver Plein, Leiter Produktspezialisten Aktien bei der Deutschen Asset Management und Handelsblatt-Chefredakteur Sven Afhüppe. Durch den Abend führt der Börsenexperte Markus Koch, der im übrigen „froh“ ist, „so weit weg von Washington wie möglich“ zu sein.

Wie so oft in den vergangenen Monaten ist Donald Trump das große Thema. Der US-Präsident treibt nicht nur Politiker, Wirtschaftsbosse und Journalisten vor sich her, sondern eben auch Anleger. Nach der anfänglichen Euphorie über seinen Sieg herrscht unter Investoren mittlerweile Ernüchterung, mitunter aber auch ernste Besorgnis. Die Wahl Trumps sei eine „historische Zäsur, ein noch viel tiefgreifenderer Einschnitt als der Brexit“, sagt Afhüppe. Er zitiert Angela Merkel: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei, das habe ich in den letzten Tagen erlebt. Wir müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigenen Hände nehmen.“ Mit dieser Aussage ein paar Tage nach dem G7-Gipfel werde die Bundeskanzlerin in die Geschichte eingehen. Trump hat das Zeug dazu, die Welt in Unordnung zu bringen.

Und das könnte eben auch die Märkte belasten. „Die Börsen sind weit vorausgelaufen, die positive Dynamik dürfte langsam abkühlen“, erklärt Afhüppe. „Es gibt politisch kaum Gründe, dass zusätzliches Kurspotenzial entsteht.“ Der große Jubel über mögliche Steuersenkungen und Infrastrukturprogramme ist an den Märkten bereits verstummt. Hatte der US-Leitindex Dow Jones nach dem Wahlsieg Trumps zu einem Höhenflug angesetzt, ging es zuletzt eher seitwärts - wenngleich auf hohem Niveau. Zehn Prozent legten die amerikanischen Standardwerte in den vergangenen sechs Monaten zu, der Dax stieg doppelt so stark. Auch der führende Euro-Zonen-Index Euro Stoxx 50 lieferte mit fast 18 Prozent deutlich mehr Performance ab.


Nachholbedarf für europäische Titel

Also lieber auf europäische Aktien setzen? „Europa scheint der Gewinner zu sein, wenn Amerika schwächelt“, sagt Afhüppe. Doch er warnt auch: „Wir leben in einer Illusion von Stärke, die großen Reformen fehlen.“ Trotzdem gehören europäische Aktien ins Depot. Chef-Anlagestratege Stephan würde derzeit stärker auf den alten Kontinent als auf die USA setzen, auch weil die Bewertungen an der Wall Street höher sind. Europäischen Werten attestiert er Nachholbedarf. Auch die aufstrebenden Schwellenländer seien einen Blick wert. Hier setzt er eher auf Asien als auf Lateinamerika. Interessante Aktien findet Stephan in den Branchen Gesundheit, Konsumgüter, Energie und Medien.

Dass die Rally der vergangenen Wochen so weitergeht, glaubt der Stratege nicht: „Ich sehe zwar keinen Crash voraus, aber ich wäre im Moment an den Aktienmärkten etwas vorsichtiger.“ Zwar sieht er keine Euphorie an den Märkten - für Experten ein Zeichen, dass zumindest eine Korrektur bevorstehen könnte - und die Liquidität sei nach wie vor hoch, aber die Bewertungen eben auch nicht mehr ganz niedrig. „Und die Volatilität ist mittlerweile sehr niedrig, das macht mir Sorgen“, sagt Stephan mit Blick auf die geringen Kursschwankungen. „Das ist meistens ein Zeichen dafür, dass es einen Rücksetzer geben könnte.“ Allzu pessimistisch ist er aber nicht. Die Wachstumskräfte würden weiterhin überwiegen und die Unternehmensgewinne steigen, wenn auch nicht mehr so stark wie im ersten Quartal. Insgesamt sei das Umfeld gut und „mittelfristig wäre ich durchaus optimistisch“, resümiert Stephan. „Nichtsdestotrotz können wir immer wieder negative Überraschungen erleben.“

Trotz aller politischer, aber auch wirtschaftlicher Unwägbarkeiten appelliert Plein, den Blick auf das Wesentliche zu richten. Bei der Geldanlage ist das die Rendite. Um zu verdeutlichen, dass bei Aktien die Gefahr von Verlusten mit der Anlagedauer schwindet, zeigt er das Rendite-Dreieck des Deutschen Aktieninstituts. „Auf Jahressicht können Aktienmärkte recht volatil sein, aber je länger man Aktien hält, desto risikoärmer sind sie“, sagt der Experte. In der jüngsten Vergangenheit mussten Dax-Anleger Verluste von bis zu 40 Prozent auf Jahressicht ertragen, konnten sich aber auch über Jahresgewinne von bis zu 40 Prozent freuen.

Doch langfristig stimmt die Rendite: Von 2002 bis 2016 hat der Dax im Schnitt pro Jahr 13 Prozent zugelegt. Renditebringer sind aber nicht nur die großen Dax-Titel oder andere Standardwerteindizes. Neben dividendenstarken Titeln seien es vor allem Aktien mittelgroßer und kleiner Firmen, die sich langfristig blendend entwickeln: „Wer Nebenwerte vernachlässigt, vernachlässigt rund 25 Prozent der globalen Marktkapitalisierung“, sagt Plein. Wichtig sei aber immer, das Risiko breit zu streuen - über viele Einzeltitel, Branchen, Länder und Regionen. Wer dann langfristig anlegt, kann politisch turbulente Phasen und Rücksetzer an der Börse in Ruhe aussitzen.

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