Lira stürzt weiter ab Anleger flüchten aus der Türkei

Politische Unsicherheit und Terroranschläge treiben die türkische Währung von einem Rekordtief zum nächsten. Immer mehr Anleger ziehen ihr Geld aus dem Land ab. Doch wie schlimm ist es um die Türkei wirklich bestellt?

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Ein Geldwechsler hält türkische Lira in der Hand. Um Euro zu bekommen, müssen die Türken ständig mehr Lira bezahlen. Quelle: Reuters

Istanbul/Frankfurt Die türkische Landeswährung Lira stürzt immer weiter ab. Seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei im Sommer hat sie rund 30 Prozent ihres Wertes verloren. Wegen politischer Turbulenzen und Terroranschlägen ziehen Anleger scharenweise ihr Geld aus dem Land am Bosporus ab. Jetzt führen ehrgeizige Pläne von Staatschef Recep Tayyip Erdogan zu noch mehr Verunsicherung - und treiben die Lira auf immer neue Rekordtiefs. Die Notenbank sieht machtlos zu.

Seit Jahresbeginn rauscht die Lira immer schneller bergab. Wertverluste von mehr als zwei Prozent an einem Tag sind keine Besonderheit. Inzwischen müssen die Türken mehr als vier Lira hinblättern, um einen Euro zu erhalten - noch im Sommer waren es kaum mehr als drei Lira. Auch am heutigen Donnerstag setzte sich dieser Trend fort- Die europäische Gemeinschaftswährung erreichte mit 4,17 Lira ein neues Rekordhoch.

Doch wie geht es mit der Währung weiter? „Eine Stabilisierung oder gar eine Gegenbewegung ist nicht in Sicht“, sagt Manuel Schimm, Experte bei der Bayerischen Landesbank. Auch in diesem Jahr werde die Lira für Investoren äußerst unattraktiv bleiben. Die Experten der Landesbank Baden-Württemberg hingegen sehen die Lage anders. „Wir gehen aktuell davon aus, dass es sich bei dem starken Verlust der Lira gegenüber dem Euro... um eine Übertreibung handelt, und erwarten ein baldiges Auslaufen des Impulses, bzw. eine einsetzende Gegenbewegung“, schreiben sie in einer Studie von Mittwoch dieser Woche.

Ihre Argumente: Zum einen sind die Renditen der türkischen Staatsanleiherenditen nach einem markanten Anstieg im Oktober und November mit einer Seitwärtsbewegung seit Dezember nicht so stark gestiegen wie die Währung verfallen ist. Und große Bonitätssorgen scheinen den Markt aktuell auch nicht zu plagen: Die Höhe der Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps, CDS) für fünfjährige türkische Staatsanleihen seien zwar jüngst um 15 Basispunkte gestiegen, liegen aber noch unter den Höchstständen der letzten Jahre.

Derzeit betragen die Absicherungskosten für eine fünfjährige Staatsanleihe 2,9 Prozent jährlich. Kurz vor dem Putsch lag dieser Wert bei 2,2 Prozent, der Höchstwert lag Anfang Dezember bei 3,06 Prozent pro Jahr. Zum Vergleich: Für eine fünfjährige Anleihe der Bundesrepublik Deutschland zahlen Anleger eine Ausfallversicherung in Höhe von 0,21 Prozent jährlich.

„Auch ein Blick auf die Entwicklung der Kaufkraft spricht inzwischen für eine Übertreibungsphase des Marktes“, meinen die Experten. Die auf Produzentenpreisen basierende Kaufkraftentwicklung ergab im November 2016 einen Wert von knapp 3,40 Lira zum Euro, bis in den Januar hinein nicht über 3,50 Lira steigen dürfte.

Die Währung ist bereits seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 deutlich unter Druck. Aber jetzt nimmt die Verunsicherung der Anleger wegen neuer Sorgen um die politische Entwicklung in der Türkei noch weiter zu. Denn im Parlament in Ankara wird dieser Tage über eine von Erdogan angestrebte Verfassungsreform abgestimmt.

Der Staatschef will ein Präsidialsystem einführen und somit seine Macht noch weiter ausbauen. Die ersten beiden von 18 Artikeln haben die Abgeordneten in der Nacht zum Mittwoch vorerst abgenickt. Am Ende soll noch das Volk abstimmen. Weite Teile der Opposition laufen Sturm gegen die Reform und warnen vor einer „Diktatur“ in der Türkei. „Das sollte aufgrund der aktuellen politischen Klarheit aber kaum
überraschen“, meinen die LBBW-Experten.


Medizin verabreicht, Krankheit bleibt

Die türkische Notenbank schaut offenbar machtlos zu, wie die Währung taumelt. Zwar hat sie sich gegen die Lira-Schwäche gestemmt, indem sie den heimischen Banken erlaubt, mehr Dollar zu verkaufen. Zuvor mussten die Geldhäuser höhere Dollar-Bestände als Sicherheit bunkern. Dies sei aber weder das richtige Mittel noch reiche es aus, kritisiert Tatha Ghose, Experte bei der Commerzbank. Auch die HSBC-Devisenexperten zweifeln an der Wirksamkeit dieser Maßnahme: „Wie bereits in den vergangenen Monaten sahen sich auch am Dienstag dieser Woche die Notenbanker außer Stande, die Talfahrt der Lira zu stoppen“.

Auch Appelle Erdogans, die Türken sollten ihre Devisen unterm Kopfkissen hervorholen und zur Bank bringen, klingen eher verzweifelt als nach einer durchdachten Strategie. Dieser Aufruf hatte nach einem Bericht der türkischen Zeitung „Hürriyet‟ auch Auswirkungen auf Deutschland. Vor der Ziraat Bank in Duisburg standen die Menschen an, um Euro umzutauschen. Auf die Dauer werde die Notenbank um Zinserhöhungen nicht herum kommen, meint hingegen Ghose.

Das Problem aber ist: Höhere Leitzinsen drohen die türkische Wirtschaft noch weiter abzuwürgen. Deshalb sitzt Erdogan den Währungshütern im Nacken. Bereits mehrfach hat der Staatschef sogar Zinssenkungen gefordert. Zwar stellt er offiziell die Unabhängigkeit der Notenbank nicht infrage. Als Präsident habe er aber das Recht zur Kritik. „Denn ich bin es, der vor seinem Volk die Ohrfeige abbekommt, nicht der Notenbank-Bürokrat“, so sein Argument.

Und Erdogans Sorgen um die Konjunktur kommen nicht von ungefähr. Die türkische Wirtschaft ist im dritten Quartal 2016 erstmals seit dem Krisenjahr 2009 geschrumpft. Vor allem der Tourismussektor leidet. Eines der beliebtesten Reiseländer der Deutschen versinkt im Chaos, aus Angst bleiben Besucher weg, die Hotels sind leer. Für dieses Jahr hat die türkische Regierung ihre Wachstumsprognose für die Wirtschaft von 5,0 auf 4,4 Prozent gesenkt.

Bereits im Anfang Dezember des vergangenen Jahres verschärfte Erdogan den Ton angesichts der Turbulenzen der Landeswährung. „Unsere Wirtschaft ist ins Visier ausländischer Devisenspekulationen geraten“, sagte Erdogan. Für den Kursverfall gebe es keine ökonomischen Gründe.

Zugleich zog Erdogan Parallelen zum Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). „Es gibt keinen Unterschied zwischen dem türkischen al-Bab-Einsatz und den Bemühungen, die Devisenspekulation zu stoppen“, sagte er unter Hinweis auf die türkische Militärpräsenz im Norden Syriens, wo der IS vertrieben werden soll. Devisenspekulanten und militärische Gegner würden versuchen, die Türkei "zu teilen und zu zerstören“, so der Staatschef.

Zu allem Überfluss hat die Türkei schon lange mit einem chronischen Leistungsbilanzdefizit zu kämpfen. Seit der Jahrtausendwende exportiert das Land fast kontinuierlich viel weniger als es importiert. Das macht die Türkei besonders verletzlich bei einer Talfahrt der Währung, denn diese macht Importe teurer. Das heizt die Inflation an, zuletzt lag die Teuerungsrate bei satten 8,5 Prozent. Für die Türken bedeutet das: Bei gleichem Geld im Portemonnaie landet weniger in der Einkaufstüte.

Und selbst wenn die Notenbank gegen den Willen Erdogans die Zinsen anhebt, ist nicht sicher, ob sie damit gegen die Lira-Schwäche ankommt. Zweifel daran wurden im November bestärkt, als die Notenbank erstmals seit Anfang 2014 den Leitzins anhob; auf das jetzige Niveau von acht Prozent. Die Lira konnten sie dadurch nur vorübergehend stützen, schon bald fiel sie weiter. Die gefährliche Medizin war verabreicht worden, aber die Krankheit blieb - sehr zum Ärger Erdogans.

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