Londoner City Kein Champagner mehr zum Mittag

Nicht nur der Finanzplatz London wankt nach dem Brexit-Votum. Die ersten Nobelrestaurants der City beklagen wegbleibende Banker. Denn diese stornieren erstmal ihre Geschäftsessen. Wo kein Deal, da kein Stößchen.

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Londons Top-Adressen packt die Angst. Quelle: dpa

Das Restaurant Corrigan’s im feinen Londoner Stadtteil Mayfair hat normalerweise keinerlei Schwierigkeiten, die drei privaten Esszimmer zu füllen. Mittag für Mittag stoßen hier Banker auf ihre abgeschlossenen Deals mit perlendem Champagner an und krönen das mit einem Mittagessen – zum Beispiel mit dem geröstetem Hasenrücken auf Spinat und Morcheln, pro Portion zu 30 Pfund (35 Euro).

Seit dem Austrittsvotum bei der Volksabstimmung über die britische EU-Mitgliedschaft gibt es aber auch bei Corrigan’s ein ungewohntes Phänomen: Stornierungen. „Die City of London subventioniert faktisch die Gastronomie im Rest von London. Wenn aber das Finanzviertel niest, dann bekommt ganz London den Schnupfen“, sagt Chefkoch und Eigner Richard Corrigan. Noch im Mai und Juni seien die Geschäfte bestens gelaufen, aber bereits der Juli habe bei ihm auffallend ruhig begonnen, sagte Corrigan. Jetzt geht in der gesamten Gastronomie der britischen Hauptstadt die Angst um, dass die schlimmsten Folgen des Votums womöglich noch bevorstehen können. Erbsenzähler im Controlling der Banken, so die Befürchtung, könnten die Spesenkonten schärfer kontrollieren und schließlich kürzen. Als Konsequenz bliebe das kostspielige Businesslunch immer öfter aus, während das Restaurantbudget durch steigende Preise für unverzichtbare Zutaten aus Europa und anderswo wegen des fallenden Pfunds bereits belastet wird.

Zudem leidet die Branche unter einem Personalmangel und ist entsprechend stark auf die bestehende Arbeitnehmerfreizügigkeit mit der EU angewiesen. Die steht aber zumindest auf dem Spiel, seit die Briten sich mehrheitlich gegen eine Mitgliedschaft in der EU ausgesprochen haben. Bis zuletzt befand sich die britische Gastronomie in einer anhaltenden Boomphase. In den vergangenen fünf Jahren war die Zahl der Restaurants auf der Insel um 21 Prozent gewachsen. Jetzt aber könnte ein Punkt erreicht sein, an dem das Angebot die Nachfrage übersteigen wird. Das Umsatzwachstum der Restaurants hat sich im Laufe dieses Jahres bereits auf 1,3 Prozent halbiert, wie Daten der Marktforscher von Coffer Peach zeigen.

Fast drei Viertel der von der Nachrichtenagentur Bloomberg im Zuge der Volksabstimmung befragte Ökonomen erwarteten für die britische Wirtschaft im Falle eines Austritts die erste Rezession seit 2009. Und die Erinnerungen daran sind gerade in der Gastronomie bitter: Um bis zu 6,6 Prozent waren die Ausgaben in Cafés und Restaurants auf Quartalsbasis gefallen, wie die nationale britische Statistikbehörde feststellte. Das Umsatzvolumen von Restaurants im ganzen Land wurde von Marktforscher Mintel für das letzte Jahr auf etwa 36 Mrd. Pfund geschätzt.


„Jetzt sofort Bordeaux kaufen“

„Die Verbrauchernachfrage wird ebenso nachlassen, wie sie das in der letzten Abwärtsphase getan hat“, stellte der Analyst Sahill Shanvon von N+1 Singer fest, „aber das entscheidende Problem ist, dass die Zahl der Restaurants erheblich zugenommen hat. Das ist für die Branche jetzt ein Riesenproblem“. Zum brisanten Cocktail der weiteren Bedrohungen tritt hinzu die hohe Abhängigkeit der Gastronomie, gerade in London, von Angestellten aus anderen Ländern der EU.

Überdies importiert Großbritannien etwa die Hälfte der im Lande konsumierten Lebensmittel aus dem Ausland, wie Barclays Capital einschätzte. Der Starkoch Jose Pizarro, der drei Restaurants in London betreibt, sorgt sich um die bis zuletzt günstigen Preise für wichtige Produkte seiner Küche, wie den Schinken Jamon Iberico oder für spanischen Sherryessig.

Steigende Kosten für diese und andere Zutaten könnten die Rechnung für den Restaurantbesucher in Zukunft wesentlich schwerer verdaulich machen. „Ich mache mir da inzwischen wirklich Sorgen“, sagte Pizarro, „Preiserhöhungen üben eine direkte Wirkung auf die Zahl der Restaurantbesuche aus, denn die Leute gehen einfach nicht mehr so viel auswärts essen“. Für ihn bedeute das, geplante Investitionen zunächst aufzuschieben. Er könne es sich schließlich nicht leisten, sein eigenes Geld aus dem Fenster zu werfen.

Bei Corrigan in Mayfair werden insbesondere höhere Preise für hochwertige französische Weine gefürchtet. Die Kosten könnten alleine wegen des jüngsten Verfalls des britischen Pfunds für den britischen Markt um rund 15 Prozent ansteigen, schätzt er und er kam zu einer schnellen Entscheidung bei dem Thema. Er hat sich erstmal großzügig zu den aktuellen Preisen eingedeckt. „Als ich gesehen habe, wie heftig das Pfund auf Tauchstation ging, habe ich meinen Sommerlier im Corrigan’s angerufen. Meine Worte waren: Bitte Bordeaux kaufen, jetzt sofort Bordeaux kaufen“.

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