Deutsche Börse und London Stock Exchange stellen sich bei ihrem geplanten Zusammenschluss weiterhin auf Widerstand aus Amerika ein. Beide Unternehmen fürchten, dass der US-Konkurrent Intercontinental Exchange (ICE) ab November einen neuen Versuch unternehmen könnte, die gut 25 Milliarden Euro schwere Fusion zu torpedieren, wie drei mit dem Vorgang vertraute Personen am Montag der Nachrichtenagentur Reuters sagten.
"Das Thema ist noch nicht vom Tisch", erklärte einer der Insider. "Das kann ab November wieder auf die Agenda kommen." Die Deutsche Börse und die ICE wollten sich dazu nicht äußern. Von der LSE war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.
Die ICE hatte Anfang März offen mit einer Gegenofferte für die LSE geliebäugelt. Am 4. Mai erklärte sie dann jedoch, "derzeit keine Intention zu haben", ein Angebot für die Londoner Börse vorzulegen. ICE-Chef Jeffrey Sprecher begründete dies mit der fehlenden Bereitschaft des LSE-Managements, mit den Amerikanern über einen möglichen Zusammenschluss zu verhandeln.
Die gescheiterten Fusionspläne der Deutsche Börse AG
17. Juli 2000
Die Deutsche Börse präsentiert einen Plan für die Gründung de iX international exchange zusammen mit der Londoner LSE. Die beiden Partner hoffen, mit der paneuropäischen Handelsplattform weitere Börsenbetreiber mit ins Boot zu holen. Das Projekt scheitert allerdings an mangelnder Unterstützung.
Sommer 2003
Der damalige Chef der Deutschen Börse, Werner Seifert, trifft sich mit Euronext-Chef Francois Theodore. Die Gespräche über eine Fusion werden allerdings beendet, nachdem sich beide Seiten nicht über die Bewertung ihrer Häuser einig werden.
Frühling 2004
Seifert und Theodore nehmen ein weiteres Mal Kontakt auf. Ein Zwist über die Besetzung der Führungspositionen lässt sie abermals ergebnislos auseinandergehen.
August 2004
Die Schweizer Börse SWX lehnt Pläne der Deutschen Börse für eine Fusion, faktisch eine Übernahme, ab.
13. Dezember 2004
Die Deutsche Börse veröffentlicht ein Übernahmeangebot für die LSE über knapp zwei Milliarden Euro, das 2005 am Widerstand des Hedgefonds und Deutsche-Börse-Aktionärs TCI scheitert.
21. Februar 2006
Der neue Börsenchef Reto Francioni legt ein vorläufiges Fusionsangebot für die Pariser Euronext vor und facht damit ein Konsolidierungsfieber in der Branche an.
19. Mai 2006
Die Deutsche Börse dient Euronext-Chef Theodore die Führung eines vereinten Unternehmens an, besteht allerdings auf Frankfurt als Hauptsitz. Auch der Großteil des Managements sollte am Main angesiedelt sein.
Juni 2006
Die Deutsche Börse unterbreitet der Euronext einen überarbeiteten Fusionsvorschlag. Die Frankfurter geben in der Hauptquartiersfrage nach, doch der Vorstoß kommt zu spät: Die Euronext schließt sich mit der NYSE zusammen.
19. Mai 2006
Die Deutsche Börse dient Euronext-Chef Theodore die Führung eines vereinten Unternehmens an, besteht allerdings auf Frankfurt als Hauptsitz. Auch der Großteil des Managements sollte am Main angesiedelt sein.
Juni 2006
Die Deutsche Börse unterbreitet der Euronext einen überarbeiteten Fusionsvorschlag. Die Frankfurter geben in der Hauptquartiersfrage nach, doch der Vorstoß kommt zu spät: Die Euronext schließt sich mit der NYSE zusammen.
Dezember 2008
Deutsche Börse und NYSE Euronext loten eine Fusion aus. Die Pläne werden vorzeitig bekannt und scheitern.
April 2011
Die Börse wagt einen weiteren Versuch, mit der Nyse Euronext als Partner eine neue Größenordnung zu erreichen. Die US-Börsen Nasdaq OMX und ICE wollen die Fusion mit einer Gegenofferte für die Nyse torpedieren.
Februar 2012
Der Traum Francionis platzt erneut. Die EU-Kommission untersagt die Milliardenfusion mit den Amerikanern aus schwerwiegenden wettbewerbsrechtlichen Bedenken. Die EU fürchtet vor allem ein weltweites Monopol im Handel mit europäischen Finanzderivaten.
Erschwerend kam für die ICE die Unsicherheit über einen möglichen Austritt Großbritanniens aus der EU hinzu. Im Vorfeld des Referendums am 23. Juni wäre es für die ICE ein großes Wagnis gewesen, ein attraktives Angebot für die LSE auf den Tisch zu legen.
Nach der Ankündigung der ICE im Mai ist es dem Unternehmen aus Atlanta gemäß britischem Übernahmerecht sechs Monate lange untersagt, eine Gegenofferte für die LSE vorzulegen - also bis Anfang November. Völlig aus dem Rennen sind die Amerikaner entgegen der öffentlichen Wahrnehmung damit nicht, wie ein Insider betont. Die Fusion von Deutscher Börse und LSE werde im November nämlich aller Voraussicht nach noch nicht abgeschlossen sein. Und ICE-Chef Sprecher wird im Herbst Klarheit haben, ob Großbritannien noch Mitglied der EU ist oder nicht.
Experten sind uneinig darüber, wie wahrscheinlich eine Gegenofferte der ICE für die LSE im November ist. Falls die Aktionäre von Deutscher Börse und LSE im Juli grünes Licht für die Fusion geben und falls die EU-Kommission keine großen Einwände gegen den Deal hat, sei erneutes Störfeuer aus Atlanta eher unwahrscheinlich, sagte eine mit dem Zusammenschluss vertraute Person. Sollten die EU-Wettbewerbshüter den Deal untersagen oder von den Fusionspartnern den Verkauf wesentlicher Geschäftsteile fordern, steige die Wahrscheinlichkeit einer Offerte aus den USA. Vor ICE-Chef Sprecher, der für seine aggressives Vorgehen in Übernahmeschlachten bekannt ist, haben Deutsche Börse und LSE auf jeden Fall großen Respekt. "Ihm ist alles zuzutrauen", sagt ein Brancheninsider.