Märkte nach der Wahl „Von Euphorie kann keine Rede sein“

Die Börsianer knüpften an Emmanuel Macrons große Erwartungen – in den vergangenen Wochen bescherte er den Börsen Höhenflüge. Doch ausgerechnet am Tag nach dem Sieg ist die Wirkung verpufft. Der Dax notiert im Minus.

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Frankfurt Ist Vorfreude die schönste Freude? In gewisser Weise schon. Seit Emmanuel Macron vor gut zwei Wochen den Einzug in die zweite Runde der französischen Präsidentschaftswahlen geschafft hat, setzen die Börsen zu neuen Höhenflügen an. Jetzt, da der Sieg des sozialliberalen Macrons gegen die rechtsextreme Marine Le Pen feststeht, feiern die Börsianer nur noch im Stillen.

Der deutsche Leitindex Dax ist zwar kurz nach der Handelseröffnung am Montag auf ein neues Rekordhoch von 12.762 Punkten gestiegen. Das entspricht aber nur einem Aufschlag von 0,4 Prozent – und seit der ersten Wahlrunde in Frankreich war es bereits das achte Dax-Rekordhoch in Folge. Doch dann gab der Dax seinen frühen Gewinn wieder ab und rutschte ganz leicht ins Minus. Frankreichs Leitindex CAC 40 fiel sogar um 0,7 Prozent. Allerdings hatte der CAC 40 in den vergangen beiden Wochen bereits über sieben Prozent zugelegt, beim Dax betrug das Plus 4,6 Prozent.

Auch an der Mehrzahl der asiatischen Börsen herrschte zum Wochenstart noch deutlichere Erleichterung über den klaren Wahlsieg des proeuropäischen Kandidaten. Allen voran legte in Japan der Nikkei 225 fast zweieinhalb Prozent zu. „Von Euphorie kann aber keine Rede sein, denn letztlich hatten Marktteilnehmer nichts anderes erwartet“, meint Wolfgang Albrecht, Analyst bei der Landesbank Baden-Württemberg. „Es ist ja nicht so, dass Aktienanleger in den vergangenen Monaten besonders vorsichtig oder gar ängstlich agiert hätten“, sagt dazu Markus Reinwand, Aktienanalyst bei der Helaba. Dabei waren die Aktienmärkte trotz der politischen Unsicherheiten schon vor dem Einzug Macrons in die zweite Präsidentschaftswahlrunde gestiegen.

Dennoch: „Auf jeden Fall reduziert die Tatsache, dass die Euro-Gegnerin Marine Le Pen nicht Präsidentin geworden ist, das gefühlte politische Risiko in Europa“, sagt Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege beim Vermögensverwalter Fidelity International. Jetzt komme es darauf an, dass Macron seine Wahlkampfversprechungen auch umsetzt, meint Francois Cabau, Volkswirt bei der britischen Großbank Barclays.

Inwieweit Macron seine Vorhaben umsetzen kann, wird nun vom Ausgang der Parlamentswahlen im Juni abhängen sowie von Macrons Fähigkeit, dort eine Mehrheit zu finden. Roemheld erwartet aber, „dass Macron als Präsident pragmatisch verfahren wird und einige Reformvorhaben durchsetzen kann. Das wäre für das Wachstumspotenzial der französischen Volkswirtschaft von Vorteil.“ Macrons Programm sieht vor, die Staatsquote zu reduzieren, Unternehmenssteuern zu senken und die Arbeitsmärkte flexibler zu gestalten. Außerdem ist er ganz klar pro-europäisch orientiert.

Auch die Strategen des Vermögensverwalters Amundi sind optimistisch: Macron könne nach den Wahlen zur Nationalversammlung im Juni entweder mit einer parlamentarischen Mehrheit regieren oder im ungünstigeren Fall mit einer Koalition. Doch auch deren Bildung sollte vergleichsweise einfach sein. Sowohl französische als auch europäische risikoreiche Anlagen würden dann weiter an Attraktivität gewinnen, da das Frankreich-Risiko und das EU-Systemrisiko „Frexit“ irrelevant werden.

Amundi favorisiert deshalb weiter risikoreiche europäische und französische Anlagen. Der Vermögensverwalter Blackrock ist zwar nicht euphorisch, aber zumindest optimistisch: „Das französische Wahlergebnis bestätigt unsere Ansicht, dass die Märkte das politische Risiko in Europa bis vor Kurzem überschätzt haben.“ Nun könnten verbesserte Wachstumsaussichten dazu führen, dass Investoren erneut Kapital in Richtung Europa lenken.


„Vive la France - und europäische Aktien“

Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ Bank ist deutlich skeptischer. „Die Erleichterung Europas und die Freude des Gewinners dürften nur kurz anhalten“, meint er. Der neue Hausherr im Élysée-Palast werde von Beginn an unter Druck stehen, der offensichtlichen Spaltung des Landes entgegenzuwirken. Die Spaltung des Landes zeigt sich daran, dass Le Pen über ein Drittel der Stimmen gewann. Mit 74 Prozent war die Wahlbeteiligung zudem recht niedrig, außerdem waren rund zehn Prozent der abgegeben Stimmen ungültig. „Nutzt Macron seine Chancen nicht, dürfte Le Pen im Jahr 2022 beste Chancen auf den Präsidentschaftssitz haben“, warnt Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank.

Dass die Euphorie der Investoren insgesamt nicht mehr ganz so groß ist, zeigt sich auch beim Euro und an den Anleihemärkten. Die europäische Gemeinschaftswährung verlor im asiatischen und frühen europäischen Handel leicht und rutschte wieder unter die Marke von 1,10 Dollar. Am Freitag hatte der Euro mit 1,1041 Dollar den höchsten Stand seit November 2015 erreicht. Seit der ersten Wahlrunde in Frankreich hatte er gegenüber dem Dollar mehr als 2,5 Prozent zugelegt. Auch an den Anleihemärkten freuten sich die Investoren über den tatsächlichen Sieg Macrons eher im Stillen. Die Renditen bewegten sich kaum noch, die Rendite der zehnjährigen französischen Staatsanleihe pendelte um die 0,8 Prozent, die der zehnjährigen deutschen Bundesanleihe liegt bei 0,4 Prozent.

Dabei hatten sich die Ängste der Investoren vor einer Präsidentin Le Pen zuvor am deutlichsten gezeigt. Die Risikoprämie zehnjähriger französischer Staatsanleihen ¬ der Renditeabstand zur zehnjährigen Bundesanleihe – war im Februar und April auf mehr als 0,75 Prozentpunkte gestiegen und damit den höchsten Stand seit Ende 2012. In den vergangenen beiden Wochen ist er aber mit um die 0,4 Prozentpunkte wieder auf das Niveau vom vergangenen November gefallen. Französische Staatsanleihen dürften sich laut Roemheld von Fidelity nun noch etwas besser entwickeln als Bundesanleihen. Rainer Guntermann, Zinsstratege bei der Commerzbank fürchtet dagegen Gewinnmitnahmen bei französischen Staatsanleihen. In Deutschland könnte die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe kurzfristig auf 0,5 Prozent steigen. Doch auch das ist immer noch wenig.

Dabei sind die niedrigen Renditen an den Anleihemärkten auch mit ein Grund dafür, dass Investoren so stark zu Aktien greifen. Dabei sehen viele Investoren inzwischen wieder größere Chancen in Europa. „Unser Ausblick für den europäischen Aktienmarkt hat sich in den vergangenen Wochen aus mehreren Gründen verbessert“, meint zum Beispiel Toby Nangle, Co-Leiter des Bereichs Asset Allocation bei Columbia Threadneedle: So seien die Bewertungen günstiger geworden, während sich gleichzeitig eine positive Gewinnentwicklung in Europa abzeichne.

Auch die Deutsche Asset Management ist optimistisch. „Die Stärken Europas sind nicht zu übersehen“, sagt Europa-Aktienchefin Britta Weidenfeld. Neben dem stabilen makroökonomischen Umfeld überzeuge vor allem die Gewinndynamik europäischer Firmen. Die Bewertung der Märkte sei dabei, vor allem im Vergleich zu den USA, vernünftig. Viele Anleger würden zwar davon sprechen, dass sie Europa wieder attraktiver finden, aber in der Breite ist dies noch nicht in ihren Positionierungen reflektiert. Weidenfelds Fazit: „Vive la France – und europäische Aktien“.

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