Mittelstandsanleihen Bekannte Marken könnten Anleger frustrieren

Mittelständler haben an der Börse Milliarden eingesammelt. Die ersten Unternehmen sind jetzt pleite. Wie Anleger ausgetrickst werden, bei welchen Papieren Gefahr droht.

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Populäre Produkte von Mittelständlern Quelle: Presse

Am vergangenen Mittwoch flatterte Käufern einer Anleihe des Solarmodulherstellers Solarwatt eine erfreuliche Mitteilung ins Haus. Wenigstens 16 Prozent ihres angelegten Geldes werden sie wiedersehen. Wer Ende 2010, als die Anleihe aufgelegt worden war, 10.000 Euro in das Papier steckte, wird also voraussichtlich 1600 Euro davon zurückerhalten. Die Investoren dürfen BMW-Großaktionär Stefan Quandt danken.

Der Milliardär hatte sich mit 36 Prozent als größter Aktionär an Solarwatt beteiligt. Er unterstützt das Unternehmen, das sich nach einer Pleite in Sanierung befindet, in einem speziellen sogenannten Schutzschirmverfahren in Eigenverwaltung. Wäre Solarwatt nur in ein sogenanntes Regelinsolvenzverfahren gegangen, würden Solarwatt-Anleiheinvestoren kaum 16 Prozent ihrer Gelder wiedersehen. Laut dem Institut für Mittelstandsforschung in Bonn bekommen Gläubiger dann im Durchschnitt nur 3,6 Prozent ihrer Forderungen ausgezahlt. In zwei Dritteln aller Regelverfahren bliebe am Ende gar nichts übrig.

Glossar Rating-Deutsch

Bankenkrise ist Wurzel des Booms

Solarwatt ist nur ein Beispiel für Pleiten, Pech und Pannen bei Minibonds – Anleihen von Mittelständlern, die seit einigen Jahren an speziell für sie geschaffenen, neuen Segmenten der deutschen Börsen notiert werden.

Die Wurzel des Booms liegt in der Bankenkrise: Immer mehr Mittelständler wollen sich unabhängiger von wackligen Geldhäusern machen. Zupass kommen ihnen die enorm gesunkenen Zinsen für sichere Investments: Anleger suchen fast schon verzweifelt nach Gelegenheiten, die wenigstens etwas mehr als das eine Prozent aufs Tagesgeld bringen. Genau um diese privaten Investoren werben Unternehmer seit zwei Jahren gezielt: Sie bieten Papiere ab 1000 Euro und Zinsen von mehr als sechs Prozent an. Der Solarwatt-Bond etwa sollte sich mit sieben Prozent jährlich verzinsen.

Die Investments der Staatsfonds
Citigroup Quelle: AP
Daimler Quelle: AP
UniCredit Quelle: REUTERS
Areva Quelle: dpa
Gea Quelle: Presse
Barclays Quelle: dapd
Credit Suisse Quelle: dpa

Bekannte Namen ziehen Investoren an

Den Zugang zum Kapitalmarkt haben die Börsen mit eifrig geschaffenen Mittelstandssegmenten befeuert: Stuttgart schritt mit bondm voran, Frankfurt machte im Entry Standard Platz für die Mittelständler, Düsseldorf in seinem Mittelstandsmarkt, München in m:access, und auch die Börsen in Hamburg und Hannover listen Minibonds auf ihren Kurstafeln.

Neben der hohen Rendite zog oft auch einfach nur der bekannte Name des um Geld werbenden Unternehmens: Millionen sammelten unter anderem Air Berlin, die semper idem Underberg, die Valensina GmbH oder die Günther Zamek Produktions- und Handelsgesellschaft ein. Mittlerweile stehen bei 55 Bonds rund 2,5 Milliarden Euro an Anlegergeldern im Feuer.

Zweistellige Millionenbeträge davon sind schon per du, weitere dürften folgen.

Vertrauensvorschuss zu Unrecht gegeben

Diese Zahlen lügen nicht

Damit Anleger sich ein besseres Bild machen können, hat das Frankfurter Analysehaus Independent Research die wichtigsten Anleihen für die WirtschaftsWoche bewertet (siehe Chartgalerie). Ergebnis: Sparer haben vor allem Unternehmen mit bekannten Marken möglicherweise zu Unrecht Vertrauensvorschuss gegeben.

Im Regen stehen etwa Anleger, die vor gut einem Jahr den blumigen Versprechungen der Vorstände Günter Schlotmann und Stephan Sander von BKN Biostrom Glauben schenkten. Die präsentierten im Mai 2011 die Anleihepläne des Projektentwicklers von Biogasanlagen und malten ein rosiges Bild: Wer die Anleihe zeichne, profitiere von einer "einmaligen Kombination" aus einer mit 7,5 Prozent "attraktiven Verzinsung" und trotzdem "hoher Sicherheit". BKN wollte mit dem Geld Biogasanlagen kaufen und diese den Gläubigern als Sicherheit verpfänden. Weil die Anleihe besichert war, bekam sie mit BBB eine Ratingnote in einem Bereich, der eine relativ sichere Investition suggeriert. Zinszahlung und Tilgung, so die Vorstände damals, seien daher bombensicher.

Nur ein gutes Jahr später klingt das wie Hohn: Erst ging im Februar mit Sander just jener Finanzvorstand von Bord, der noch im Mai so für die Anleihe schwärmte. Mitte Juni dann konnte das Unternehmen aus Vechta schon die erste fällige Zinszahlung nicht leisten, kurz darauf meldete der Konzern Insolvenz an.

Ein Berg wertloser Verträge

Eigentlich sollte jetzt die große Stunde des Treuhänders kommen, der für die Treuökonom, einer Tochter der Wirtschaftsprüfung RoeverBroennerSusat, die Anleihesicherheiten verwaltet. Die Biogasanlagen sollte er nach der Insolvenz verkaufen und Anleger mit dem Geld auszahlen. Doch sieben Wochen nach der Pleite wird klar, dass wohl kaum etwas übrig bleiben dürfte. Denn auch für die "durch die Anleihe finanzierten Betriebsgesellschaften", musste BKN-Chef Schlotmann "leider bestätigen", sind Insolvenzanträge gestellt worden. So verwaltet der Treuhänder nur noch einen Berg wertloser Verträge. "Leider ist derzeit noch unklar, ob die Anleihegläubiger auf werthaltige Sicherheiten zugreifen können", gibt der vorläufige Insolvenzverwalter Sven-Holger Undritz, Partner der Kanzlei White & Case in Hamburg, unumwunden zu.

Auch Alfons Busch kann eine verlustreiche Geschichte vom neuen Markt für Mittelstandsanleihen erzählen. Für den Privatanleger war die Anleihe der Siag Schaaf Industrie AG ein vermeintlich perfektes Investment. Der Windanlagenbauer aus Dernbach bei Koblenz war einst ein globales Unternehmen mit 1800 Mitarbeitern an elf Standorten, unter anderem in den USA und Singapur. Just als die Bundesregierung nach der Reaktor-Katastrophe im japanischen Fukushima die Energiewende forcierte, begann Siag für die Papiere zu werben. Das meiste Geld sollte laut Anleiheprospekt in die Sparte für den Bau von Offshore-Windanlagen auf dem Meer, die Emdener Nordseewerke, fließen. Siag versprach neun Prozent Zinsen, fünf Jahre lang. Für Busch klang das nach einer "zukunftsträchtigen Anlage".

Zahlungsunfähig kurz nach dem Börsengang

Zehn Crashaktien für Zocker
Das Schild einer Commerzbank-Filiale mit Logo hängt unweit der Zentrale der Commerzbank in Frankfurt am Main Quelle: dpa
Das solara<uto Solarauto "Solarworld GT" Quelle: dapd
Ein Werksmitarbeiter arbeitet in Wiesloch beim Heidelberger Druckmaschinenhersteller Quelle: dapd
Die Außenansicht eines Nokia-Ladens Quelle: dpa
in Mitarbeiter eines Praktiker Baumarktes steh vor einem Regal Quelle: dapd
Passanten vor einer UniCredit-Filiale in Rom Quelle: dapd
Das Logo der Firma Alcatel-Lucent Quelle: dapd

Vergangenen Sommer studierte der 61-jährige Betriebswirt den Prospekt und investierte einige Tausend Euro. Vielleicht las er nicht genau genug: Siag hatte das Jahr 2010 mit einem Fehlbetrag aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit von 17,1 Millionen Euro abgeschlossen. Besser wurde es nicht. Das Geld von Busch und anderen Anleger in der im Juli 2011 emittierten Anleihe ist so gut wie futsch: Acht Monate nach dem Anleihenbörsengang – im März 2012 – meldete sich Siag zahlungsunfähig.

Der Fall Siag steht exemplarisch für moderne Wegelagerei, bei der nicht nur das Unternehmen die Hand aufhält. Die höchsten Gebühren nimmt bei einer Emission die begleitende Bank ein – im Fall von Siag die Düsseldorfer Skandalbank IKB. Der Rest geht an Kommunikations- und Ratingagentur, Börse, Anwalt, die Finanzaufsicht BaFin – und, bei Siag, an die Münchner Finanzberater von Blättchen & Partner. 50 Millionen Euro wollte Siag einsammeln – und hätte gleich wieder zwei Millionen davon an ihre Berater und die Emissionsbank überweisen müssen.

Gefangene politischer Ränkespiele

So teuer wurde es nicht: Nur rund 13 Millionen Euro vertrauten Anleger Siag an. Und tappten in eine Falle. Denn das Geld der Gläubiger soll nicht wie ursprünglich geplant bei den Nordseewerken in Emden angekommen sein. "Die Einnahmen aus der Anleihe sind auf unser Konto bei der Deutschen Kreditbank in Berlin, der DKB, geflossen", sagt Ex-Siag-Vorstand Rüdiger Schaaf. "Mit den Einnahmen aus der Anleihe wurden Verbindlichkeiten bedient", sagt der nach der Insolvenz eingesetzte Siag-Sanierungsvorstand Andrew Seidl, ohne die DKB zu nennen. Dass mit Anlegergeldern möglicherweise Schulden getilgt werden könnten, taucht im Börsenprospekt jedoch nicht prominent auf. Pikant: Die DKB hält 23,4 Prozent der Siag-Aktien. Im Siag-Aufsichtsrat sitzt mit Rolf Mähliß unter anderem auch ein Vorstand des Berliner Geldhauses. Das alles wussten Anleger nicht; genauso wenig, dass sie in politische Ränkespiele geraten würden.

Verwirrung durchs Rating

Denn Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) wollte im strukturschwachen Nordwesten seines Landes alles tun, um 700 Arbeitsplätze der Nordseewerke "in Emden zu erhalten". Die Landesbank Nord/LB finanzierte die Werke mit 70 Millionen Euro, das Land Niedersachsen gab eine 50 Millionen Euro schwere Bürgschaft. "Die Nord/LB hat nach der Insolvenz zur Bedingung gemacht, dass sie als Sicherheit Anteile an den Nordseewerken bekommt", sagt der nach der Insolvenz eingesetzte Siag-Sanierungsvorstand Andrew Seidl. 95 Prozent seien daher an einen Treuhänder übergeben worden. Eigentlich aber müssten doch die Werke Teil der Insolvenzmasse sein.

Die Sparer, die meist ohne Beratung die Papiere zeichneten, gehen nun anwaltlich gegen Siag vor. Kapitalmarktrechtler Jens-Peter Gieschen von der Bremer Kanzlei KWAG ist "überrascht, wie wenige Informationen ausreichten, um Anlegern 10.000 Euro aus der Tasche zu ziehen". Sein Kernvorwurf an Siag: die Verwirrung um das Rating. Siag wurde im Juni 2011 von der Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) mit einem schon schwachen Unternehmensrating von B- bewertet, der Bond selbst jedoch erhielt nur das Katastrophenrating CCC+.

Staatsanwaltschaft ermittelt

Die meistgehandelten Aktien Deutschlands
Platz 10: LufthansaNach einem leichten Kurs-Hoch von elf Euro im Februar, sackte die Lufthansa Aktie im Juni auf den seit 2009 nicht mehr erreichten Tiefstand von acht Euro ab. Derzeit ist der Lufthansa-Kurs ist im leichten Aufwärtstrend und pendelt sich auf einem Wert von 9,60 Euro pro Stück ein. ISIN: DE0008232125Gehandelte Stücke im ersten Halbjahr 2012: 614 Millionen Gehandeltes Volumen: 20 Milliarden Euro Quelle: dapd
Platz 9: SAPDie Aktie des Softwaregiganten befindet sich langfristig auf einem stetigen Aufstieg und konnte den Wert innerhalb der letzten 10 Jahre verdoppeln. Von kleinen Sprüngen nach oben und unten abgesehen, wird das Wertpapier gerade für ordentliche 47,66 Euro gehandelt und ist somit die teuerste Aktie unseres Rankings.ISIN: DE0007164600Gehandelte Stücke im ersten Halbjahr 2012: 663 MillionenGehandeltes Volumen: 16 Milliarden Euro Quelle: dpa
Platz 8: RWEDie Energiewende macht RWE nach wie vor zu schaffen. Die Aktie des Energieversorgers befinden sich zwar gerade wieder auf einem leicht steigenden Kurs, doch mit einem Wert von momentan 33,33 Euro je Aktie ist an den absoluten Spitzenwert von 99 im Jahr 2008 gerade nicht zu denken.ISIN: DE0007037129Gehandelte Stücke im ersten Halbjahr 2012: 722 MillionenGehandeltes Volumen: 11 Milliarden Euro Quelle: dapd
Platz 7: DaimlerDer Automobilhersteller landet momentan wieder auf demselben Kurswert, mit dem er zu Jahresbeginn gestartet ist: bei soliden 35 Euro pro Aktie. Die Frage ist nur, ob Daimler das bisherige Jahreshoch von 48 noch einmal toppen kann.ISIN: DE0007100000Gehandelte Stücke im ersten Halbjahr 2012: 986 MillionenGehandeltes Volumen: 20 Milliarden Euro Quelle: dapd
Platz 6: Deutsche PostDie Post-Aktie liegt gerade bei einem unspektakulären Kurs von 14 Euro. Abgesehen von kurzfristigen Kurs-Ausreißern hat sich der Wert in den vergangenen Jahren von den 14 Euro kaum wegbewegt.ISIN: DE0005552004Gehandelte Stücke im ersten Halbjahr 2012: 1.049 Millionen Gehandeltes Volumen: 30 Milliarden Euro Quelle: dapd
Platz 5: InfineonDie Aktie des Halbleiterherstellers ist mit fünf Euro pro Stück gerade fast schon ein Zocker-Schnäppchen. Auch wenn es 2009 mit einem unglaublichen Kurs-Tiefstwert von 0,36 schon mal düsterer ausgesehen hat.ISIN: DE0006231004Gehandelte Stücke im ersten Halbjahr 2012: 1.120 MillionenGehandeltes Volumen: 7 Milliarden Euro Quelle: dpa
Platz 4: Deutsche BankDas bisherige Jahreshoch der Deutschen Bank-Aktie lag im April bei einem soliden Kurs von 39 Euro. Inzwischen geht es wieder langsam bergab: 26,20 Euro pro Stück ist der aktuelle Wert - damit nähert sich der Kurs wieder verdächtig dem Tiefstand der letzten zehn Jahre von 21 Euro an.ISIN: DE0005140008Gehandelte Stücke im ersten Halbjahr 2012: 1.378 MillionenGehandeltes Volumen: 16 Milliarden Euro Quelle: dpa

Für Anwalt Gieschen entscheidend: "Das Rating war vorläufig, es wurde später zurückgezogen." Die Siag-Insolvenz beschäftigt nun auch die Staatsanwaltschaft Koblenz. Unterlagen zufolge, die der WirtschaftsWoche vorliegen, ermittelten die Koblenzer zumindest den März über wegen Insolvenzverschleppung gegen Ex-Finanzvorstand Roland Schüttpelz (2050 Js 14358/12). Die Staatsanwaltschaft bestätigt, dass gegen "die Verantwortlichen der Siag" ermittelt werde. Namen nannte sie aus "ermittlungstaktischen Gründen" nicht. So will Schüttpelz noch nichts davon gehört haben. Da er am 15. Dezember 2011 als Vorstand abberufen worden sei, "dürfte eine Insolvenz, die drei Monate später eintrat, kaum von mir verschleppt worden sein", sagte er der WirtschaftsWoche. Von wem auch immer, zu spät war Siag nach Ansicht von Insolvenzverwalter Seidl auf jeden Fall: "Spätestens ab Januar 2012 war Siag zahlungsunfähig", sagt er.

Neun von 100 Unternehmen gehen innerhalb von fünf Jahren pleite

Rating-Thermometer

Trotz schon bekannter Insolvenzen schütten Investoren Minibond-Emittenten teilweise mit Geld zu. Die im März an den Markt gekommene 30-Millionen-Euro-Anleihe der Hemdenmarke Seidensticker etwa war gleich siebenfach überzeichnet, die Hälfte des Anleihevolumens des mit BB+ benoteten Unternehmens ging an Privatanleger. Rein statistisch gesehen, gehen 9 von 100 Unternehmen mit diesem Rating binnen fünf Jahren pleite. Das muss bei Seidensticker nicht der Fall sein. Einige Kennzahlen sind ordentlich, eher schwach dagegen ist die Eigenkapitalquote, die dieses Jahr bei geschätzten nur gut 16 Prozent liegen soll. "Der Mittelstands-Anleihemarkt hat noch viele Kinderkrankheiten, weitere Anleihen können jederzeit ausfallen", sagt Allan Valentiner, Manager des Johannes Führ Mittelstands-Rentenfonds.

Wer hätte etwa gedacht, dass bei einem der neuen Papiere zwar Katjes draufsteht – im Wesentlichen aber der französische Zuckerwarenproduzent Lamy Lutti dahinter steckt? "Anleger vertrauen Markennamen blind, das ist falsch. Nach meiner Schätzung wird Katjes International nächstes Jahr nach Zinsen und Steuern rote Zahlen schreiben", sagt Analyst Matthias Engelmayer von Independent Research. Nicht Katjes Deutschland hat den Bond emittiert, sondern die Auslandstochter International. Deren Eigenkapitalquote liegt bei läppischen drei Prozent, die Nettoschulden sind fast 13 Mal so hoch wie das Eigenkapital. Das toppt nur der FC Schalke 04: Der Fußballklub hat ein negatives Eigenkapital.

Alle zahlen, keiner haftet

Während für Fans des Schuldners der Herzen offenbar andere Qualitäten zählen, ist es für nüchterne Anleger wichtig, wer im Notfall haftet – die Mutter von Katjes für ihre Auslandstochter und deren Anleihe jedenfalls nicht. Ähnlich trickst Underberg: Emittentin ist die semper idem Underberg, Mutter war zur Zeit der Emission die Underberg KG. Zwischen den Gesellschaften besteht laut Prospekt zwar ein Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag – Gewinne müssen abgeführt, Verluste müssen ausgeglichen werden.

Emil Underberg jedoch, Spross der Gründerfamilie, ließ sich eigens für die Emission aus der persönlichen Haftung befreien: Laut Prospekt sollte die damalige KG in eine GmbH & Co. KG umgewandelt werden. So steht Underberg im Ernstfall nicht mehr als persönlich haftender Gesellschafter gerade. Der Kräuterlikörhersteller sei "auf einem gesättigten Markt mit Verdrängungswettbewerb unterwegs", so Engelmayer. Und wenn schon Emil Underberg nicht mehr mit seinem Vermögen haften will, wieso sollten Anleger investieren?

Überforderte Mittelständler

Die 20 innovativsten Mittelständler
Sear GmbH Quelle: Screenshot
Telegärtner Karl Gärtner GmbHDas Technologieunternehmen ist ein Unternehmensverbund mit Sitz in Steinenbronn. Das 1945 gegründete Unternehmen beschäftigt mehr als 450 Mitarbeiter und ist spezialisiert auf Vor- und Endprodukte für die Tele- und Datenkommunikation. Quelle: Screenshot
Jöst GnbH & Co.KGDie Jöst GmbH & Co. KG ist ein inhabergeführtes Unternehmen, das auf dem Gebiet der Schwingungstechnik tätig ist. Hauptsitz der Gruppe ist seit 1990 Dülmen-Buldern im westlichen Münsterland. Quelle: Screenshot
MAJA-Maschinenfabrik Hermann Schill GmbH & Co. KGDer Firma Maja hat bei der Herstellung von Eismaschinen für die Fleischindustrie und den Handel, das Thema der Hygiene aufgegriffen und verbessert, heißt es in einer Mitteilung von Munich Strategy. Durch Änderungen bei der Maschinenkonstruktion lassen sich alle wasserführenden Teile dadurch ausbauen und täglich oder bei Bedarf auch öfter reinigen. Sitz des Unternehmens ist Kehl-Goldscheuer an der französischen Grenze. Quelle: Screenshot
IBAK Helmut Hunger1945 wurde das Unternehmen aus der Technologiebranche als Ingenieurbüro gegründet. Heute ist es Hersteller und Vertreiber von Kanalisationssystemen mit rund 250 Mitarbeitern an den Standorten Kiel und den Zweigstellen in Krefeld, Georgsmarienhütte/Osnabrück und Illerrieden/Ulm. In diesem Jahr wurde zum 66. Geburtstag des Unternehmens eine neue Kundenhalle in Kiel-Wellingdorf eingeweiht Quelle: Screenshot
Galileo Lebensmittel GmbH & Co. KGDas Unternehmen wurde 1993 gegründet und stellt Tiefkühlkost her. Spezialisiert ist es auf Pizzen, Wraps und Crostinis - kurz gesagt auf Produkte der italienischen Küche. Sitz der Gesellschaft ist Trierweiler. Quelle: Screenshot
TECE GmbHAuf Platz 14 des Rankings liegt die Gesellschaft TECE, die Haustechnik-Lösungen national und international fertigt und vertreibt. Die Wurzeln des Unternehmens reichen zurück bis ins Jahr 1955 und ist inhabergeführt. Sitz der TECE GmbH ist Emsdetten in Nordrhein-Westfalen. Quelle: Screenshot

Zumal Informationen zum Geschäftsverlauf bei vielen Unternehmen spärlich ausfallen und oft verspätet kommen. "Immer wieder versprechen Unternehmen dem Markt Zahlen zu einem Termin, ein Teil liefert sie aber nicht pünktlich", sagt Thomas Morgenstern, Geschäftsführer der unabhängigen Berliner Ratingagentur Scope. Der Grund: Mittelständler seien oft schlicht überfordert. "Viele haben nicht verinnerlicht, wie der Kapitalmarkt tickt."

So blieb Underberg die Antwort schuldig, ob die Mutter für die Anleihe der semper idem Underberg hafte. Beim Saftladen Valensina weiß angeblich niemand, ob die Holding für den 2011 von der Valensina GmbH herausgegebenen Minibond geradesteht. Wilfried Mocken, Underberg-Generalbevollmächtigter und Valensina-Eigner, weilt im wohlverdienten Urlaub. Im Ausland sei er zwei Wochen lang "nicht erreichbar" und "der Einzige", der derlei Fragen beantworten könne, heißt es.

Zwei Drittel des Anliehenvolumens sind mangelhaft

Orientierung für Anleger können unabhängige Analysen bieten. Auch Scope hat sich den Mittelstandsanleihemarkt vorgeknöpft und Ratings erstellt, die weder von den Emittenten beauftragt noch bezahlt werden. Besonders auffällig: Nahezu zwei Dritteln des benoteten Anleihevolumens verpasst die Agentur die Qualitätsnoten mangelhaft oder ungenügend. Das unabhängige Rating fällt schlechter aus als jenes von Creditreform, die bislang die meisten Minibonds bewerten durfte – gegen Bezahlung der Emittenten, versteht sich.

Laut Scope sieht es bei vielen Bonds besonders schlecht mit der Tilgung am Laufzeitende aus. Dabei ist relevant, wie lange Mittelständler brauchen würden, um aus den von ihnen pro Jahr erwirtschafteten Barmitteln (Cash-Flows) die Anleiheschulden zurückzuzahlen. Auf Basis der 2011er- Zahlen errechnete Scope, dass die Mittelständler im Durchschnitt 23 Jahre brauchen, um aus ihren Geschäften auch die Tilgung der Schulden gewährleisten zu können – Minibonds laufen in der Regel aber nur eine halbe Dekade.

Für Anleger dürften die ersten drei Insolvenzen also nicht die letzten schlechten Nachrichten gewesen sein. Besonders bei Deutschlands zweitgrößter Airline Air Berlin, die schon drei Bonds in Stuttgart emittiert hat, sieht es mies aus: Die Eigenkapitalquote liegt bei schwachen 8,2 Prozent, die Nettoschulden sind vier Mal so hoch wie das Eigenkapital. "Diese Hochzinsanleihe ist nichts für Privatanleger", sagt Engelmayer.

Bestenfalls 3,8 Prozent

Wie viel Rendite relativ sichere Unternehmensanleihen von größeren Konzernen bringen

Unternehmen/LandISINKursKuponRenditeLaufzeit
Hochtief/DDE000A1MA9X1107,5%5,500%3,8%23.03.2017
Sixt/DDE000A1PGPF8100,53%3,750%3,6%16.05.2018
KTM/ATAT0000A0UJP7103,98%4,375%3,5%24.04.2017
Borealis/ATAT0000A0H0V3108,94%5,375%3,3%30.04.2017
Petrobras/BRUS71645WAU53102,78%3,500%2,8%06.02.2017
Fraport/DXS0447977801115,57%5,250%2,8%10.09.2019
Lafarge/FRXS0196630270104,98%5,000%2,4%16.07.2014
Symrise/DDE000SYM7779108,74%4,125%2,3%25.10.2017
Gea/DDE000A1KQ1M5107,35%4,250%2,2%21.04.2016
Porsche/DDE000A0GMHG2107,93%3,875%1,5%01.02.2016
Quelle: Bloomberg; Stand: 30. Juli 2012

Nicht alle Unternehmen sind Schrott

Die Berliner haben zudem in die Trickkiste gegriffen und Altanleger ausgebootet. Sie hatten bereits zwei Anleihen auf dem Markt und brauchten im vergangenen November erneut 100 Millionen Euro, um eine Wandelanleihe abzulösen. Air Berlin bot das neue Papier mit einer Laufzeit von drei statt wie zuvor für die beiden alten Anleihen von fünf Jahre an. Inhaber der neuen Anleihe haben also größere Chancen, ihr Geld wiederzusehen, als Anleger der Altpapiere.

Trotzdem sind wie einst am Neuen Markt auch nicht alle Unternehmen Schrott. Anleger sollten aber eingehend Kennzahlen vergleichen und sich vor einer Investition den Prospekt durchlesen. Wichtig ist zu klären, wie abhängig das jeweilige Unternehmen von einzelnen Großkunden ist. Wer genau hat die Anleihe emittiert – und haftet die Mutter?

Doppelt gesicherte Anleihen gibt es: Bei der Uniwheels Holding garantiert die Rasch Holding mit Sitz im Steuerparadies British Virgin Islands für die Tilgung der Anleihe ebenso wie für die Zahlung der Zinsen. Auch die Steilmann-Boecker Fashion Point hat als Emittentin mit der Steilmann Holding (vormals Miro Radici) einen Vertrag zugunsten der Gläubiger geschlossen. Die Holding ist für Zins und Tilgung mitverantwortlich.

Fristen und Call-Optionen

Ein Arbeiter bei Solarwatt Quelle: AP

Wichtig ist auch, wer wann und zu welchen Bedingungen die Anleihe kündigen darf. Viele Bonds haben eine sogenannte Call-Option, bei der die Emittentin vor Ende der Laufzeit kündigen darf – zum Beispiel bei MAG, Dürr, SIC Processing, Rena und Windreich. Das ist für Unternehmen immer dann besonders interessant, wenn es billiger an Geld kommt, als es derzeit an Zins für die Anleihe zahlen muss. Dürr etwa nahm 2010 deshalb schon eine Anleihe vom Markt. Keine Katastrophe, aber Anleger, die sich auf Jahre hoher Zinsen freuten, hatten plötzlich Bargeld auf dem Konto statt eine Anleihe im Depot.

Bei einigen Bonds dürfen auch Gläubiger kündigen, etwa falls die Emittentin Zahlungen versäumt. Dabei müssen sich Anleger an bestimmte Fristen halten. Die reichen von wenigen Tagen (SiC Processing) bis zu mehreren Wochen (Centrosolar, German Pellets und Mitec). Verbreitet ist das Sonderkündigungsrecht der Gläubiger, wenn der Mehrheitsgesellschafter wechselt (Change-of-Control-Klausel). Die Rückzahlung erfolgt entweder zum Ausgangswert der Anleihe von 100 Prozent (Nominalwert) oder einem anderen im Prospekt vereinbarten Betrag – bei Valensina etwa sind das 101 Prozent des Nominalwertes. Wer 1000 Euro investiert hat, bekäme bei vorzeitiger Kündigung der Anleihe also 1010 Euro zurück.

Zweifel an Sicherheiten für Anleihen

Im Trend liegt auch, dass Unternehmen Sicherheiten für die Anleihen hinterlegen. Doch was die taugen – siehe BKN Biostrom –, dürfte oft fraglich sein. Golden Gate etwa besichert seine Bonds mit einer Klinik-Immobilie in Leipzig. Was die im Zweifel wert ist, das wissen Immobilienbesitzer, zeigt sich erst bei einem Verkauf. Notverkäufe drücken immer den Wert. Mit niedrigen Preisen kennt sich Golden-Gate-Gründer Uwe Rampold jedenfalls aus: Früher ließ er Früchte in Dosen füllen, heute entwickelt er eben Gesundheits- und Wohnimmobilien.

In Immobilien macht auch Michael Müller: Er entwickelt und betreibt mit seinem Unternehmen Eyemaxx Fachmarktzentren. Müller platzierte bereits zwei Anleihen in Frankfurt – die erste unter dem alten Namen Amictus, die zweite über die neue Eyemaxx Real Estate. Als Sicherheit für den ersten Bond bietet er vermietete Immobilien im Wert von 26 Millionen Euro aus seinem Besitz. Mit dem Geld aus den Emissionen löste Müller jeweils Kredite ab, auf genau jene Häuser, die er als Sicherheit einbrachte. So schafften sich die Anleiheanleger mit ihrem Geld ihre Sicherheiten praktisch selbst.

Viele der mit Anleihen notierten Unternehmen müssen über die Jahre neue Geldquellen erschließen. Der Großagrarbetrieb KTG könnte als Vorbild agieren. Die Sparte KTG Energie spülte im Juni dank Börsengang in Frankfurt über 24 Millionen Euro in die Kasse. Weitere Mittelständler dürften bald nachziehen: Der Schrottrecycler Scholz schließt den Börsengang seiner Edelstahlsparte nicht aus. Und der Windparkentwickler Windreich sei "im zweiten Quartal 2013 bereit für einen Börsengang", sagt Alleineigner Willi Balz.

Haben Unternehmen nicht nur Gläubiger, sondern auch starke Anteilseigner, hilft das Anleihebesitzern. Aktionäre tragen dann das hohe Risiko mit. Das kann helfen, ein bisschen zumindest, wie bei Solarwatt, mit der starken Hand von Stefan Quandt.

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