Es war einmal ein kleines Mädchen, dem war Vater und Mutter gestorben, und es war so arm, dass es gar nichts mehr hatte als die Kleider auf dem Leib und ein Stückchen Brot in der Hand, das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte.
Der rheinland-pfälzische Windanlagenbauer Siag Schaaf stand buchstäblich im letzten Hemd da. Operativ machte der Mittelständler 17 Millionen Euro Verlust, da flatterte der rettende Brief aus München ins Haus. Absender: die Berater von Blättchen & Partner. Deren mittlerweile gefeuerter Ex-Vorstand Peter Thilo Hasler hatte vor drei Jahren im elektronischen Bundesanzeiger nach Unternehmen gestöbert, zu deren Zahlen eine Anleihe passen könnte. In Briefen, erzählte Hasler mal, mache er den Unternehmen konkrete Vorschläge, etwa zum möglichen Anleihevolumen. Die Blättchen-Vorstände Konrad Bösl und Hasler, so schien es, konnten dem damaligen Siag-Chef Rüdiger Schaaf frisches Geld besorgen. Also fuhren sie für eine Präsentation zu Siag. „Die Herren haben gesagt, die Geschichte hinter Siag lasse sich am Markt sehr gut verkaufen“, sagt Schaaf.
Siag könne 50 Millionen Euro aufnehmen, hieß es damals. Es wurden dann aber nur 13, und für Anleger gab es ein Desaster: Acht Monate nachdem sie Siag die Millionen überwiesen hatten, war das Unternehmen zahlungsunfähig. Bösl gibt an, „die Bond-Story von Siag für attraktiv gehalten“ zu haben, betont heute noch, dass „die Gesellschaft hervorragend am Markt positioniert“ gewesen sei. Ein Grund für die nicht so viel spätere Schieflage sei gewesen, dass das Unternehmen „generell schlecht finanziert“ gewesen sei – auch weil der Bond nicht 50 Millionen eingespielt habe.
Meist stecken die Berater dahinter
Mittelständler wie Siag haben seit 2010 rund fünf Milliarden Euro über Anleihen eingesammelt. Viele hätten das nie tun dürfen: Rund zehn Prozent der Anleihegelder sind schon wieder perdu, viele Unternehmen können Anleihezinsen von bis zu 11,5 Prozent nicht erwirtschaften. Allein: Auf die Idee, Bonds zu lebensbedrohlich hohen Zinsen zu platzieren, sind die wenigsten Mittelständler von allein gekommen. Hinter den Kulissen haben Finanzierungsberater wie Blättchen mitgemischt.
Der Berater empfiehlt dem Kunden eine Anleihe, sucht eine Kanzlei, die den Prospekt schreibt, und eine Bank, die Investoren kennt, die die Anleihe kaufen könnten. Börsen verlangen von Unternehmen in der Regel, dass sie die Emission von einem derartigen Experten begleiten lassen. Als „Listing Partner“ (Frankfurt), „Bondm-Coach“ (Stuttgart) oder „Kapitalmarktpartner“ (Düsseldorf) sollen sie die Unternehmen prüfen. Viel zu bringen scheint das nicht, dafür gibt es zu viele Pleite-Emittenten.
Bis dass der Tod euch scheidet | |||
Mittelständler mit massiven Anleiheproblemen und wer sie beraten hat | |||
Unternehmen | Branche | Berater | aktueller Status |
BKN Biostrom | Biogas | Blättchen & Partner(1) | Insolvenzverfahren läuft |
Centrosolar | Solar | FMS AG | Umtausch von Schulden in Aktien geplant |
FFK Environment | Abfallverwerter | GBC AG, BIW | Insolvenzverfahren läuft |
Getgoods | Online-Handel | GBC AG | Insolvenzverfahren läuft |
HKW Personalkonzepte | Zeitarbeit | Dicama | Insolvenzverfahren läuft |
S.A.G. Solarstrom I & II | Anlagenbau | Baader, Youmex | Insolvenzverfahren läuft |
Siag Schaaf | Windkraft | Blättchen & Partner | auf Anlegerkosten saniert, Quote: 0,34 % |
SIC Processing | Solar | FMS AG | Insolvenzverfahren läuft |
Solarwatt | Solar | FMS AG | auf Anlegerkosten saniert, Quote: 16 % |
Solen (Ex Payom Solar) | Solar | FMS AG | Insolvenzverfahren läuft |
Windreich I & II | Windanlagen | FMS AG | Insolvenzverfahren läuft |
Zamek | Nahrungsmittel | Conpair | Sanierung in eigener Verwaltung läuft |
(1) entwarf Konzept zur Besicherung und Strukturierung der Anleihe; Quelle: Börsen, Unternehmensangaben, eigene Recherche |
Ende Februar erst hat Tütensuppenproduzent Zamek samt 45 Millionen Euro Anleihevolumen den Gang zum Amtsgericht angetreten – wegen drohender Zahlungsunfähigkeit wollen sich die Düsseldorfer im Insolvenzverfahren unter eigener Verwaltung sanieren. Zwölf Unternehmen mit Minibond trudeln (siehe Tabelle).
Ein Berater, fünf Pleiten
Da begegnete ihm ein armer Mann, der sprach: „Ach, gib mir etwas zu essen, ich bin so hungrig.“ Es reichte ihm das ganze Stückchen Brot und sagte: „Gott segne dir’s.“
Dem Finanzierungsberater FMS aus München verdanken Anleger gleich fünf Pleitebuden: Windreich, Solarwatt, Solen, Centrosolar und SIC Processing. „Wir hatten viele Kunden aus dem Bereich der erneuerbaren Energien – dass diese Branche derart in Schwierigkeiten gerät, war für uns nicht vorhersehbar“, verteidigt FMS-Vorstand Jörg Schilling-Schön.
Je höher ein Mittelständler sich verschuldet, desto lukrativer wird die Anleiheemission für Berater und Dienstleister – ihre Gebühren hängen teilweise davon ab, wie viel Geld ein Unternehmen einnimmt. Ergo: Der Berater könnte ein Interesse daran haben, dass sich seine Kunden möglichst hoch verschulden – schlecht für Anleger, denn je höher die Schulden, umso unwahrscheinlicher wird es, dass ein marodes Unternehmen Zinsen erwirtschaften und Schulden tilgen kann.
Für die Berater geht es um viel Geld
Da kam ein Kind, das jammerte und sprach: „Es friert mich so an meinem Kopfe, schenk mir etwas, womit ich ihn bedecken kann.“ Da tat es seine Mütze ab und gab sie ihm.
Im Fall der Reederei Rickmers betrifft dieser für Anleger unglückliche Mechanismus das Essener Beratungshaus Conpair: Im Emissionsprospekt der Rickmers Holding als Anleiheemittentin ist nachzulesen, dass sich sowohl die Höhe der Beratungsgebühr für Conpair als auch die Höhe der Bankprovision nach dem Gesamtbetrag der platzierten Anleihen richtet. Ähnliche Formulierungen finden sich auch in den Prospekten von Bastei Lübbe, Valensina und Underberg. Conpair habe „ein wirtschaftliches Interesse“ an der erfolgreichen Umsetzung des Angebots, heißt es beispielsweise im Rickmers-Prospekt. Es geht dabei um Millionen: Fünf Prozent, also zehn Millionen Euro, sollte die 200 Millionen Euro schwere Rickmers-Anleihe an Gebühren für Banken, Berater und Dienstleister einspielen. Es wurde vorerst nicht ganz so viel: Anleger haben im ersten Schwung bloß 175 Millionen Euro gezeichnet, das Rickmers-Papier wurde später allerdings aufgestockt.
Der Löwenanteil geht an die Banken
Und als es noch eine Weile gegangen war, kam wieder ein Kind und hatte kein Leibchen an und fror: Da gab es ihm seins; und noch weiter, da bat eins um ein Röcklein, das gab es auch von sich hin.
Ökonomieprofessor Olaf Schlotmann von der Brunswick European Law School schätzt, dass Dienstleister im Markt für Minibonds seit 2010 rund 220 Millionen Euro Honorar generiert haben. Kostet eine Anleihe fünf Prozent, kann die Bank geschätzt 1,5 bis zwei Prozentpunkte kassieren. Geschickte Berater können bis zur Hälfte der Kosten abzweigen. Meist aber greift die Bank den Löwenanteil ab. Den Rest des Geldes sacken Kommunikations- und Ratingagentur, Börse, Wirtschaftsprüfer, Zahlstelle, Anwalt und – ein paar Tausend Euro – selbst die Finanzaufsicht BaFin ein.
Marktführer bei den Banken ist Close Brothers aus Frankfurt, denen die Berater von Conpair Geschäft zuführen. Bis Ende 2013 hatten die Essener gar ein Büro im Frankfurter Bankgebäude. Zu den Conpair-Kunden mit Anleihe zählen neben der Reederei Rickmers und der Brauerei Stauder weitere prominente Namen: Zuletzt hat Conpair-Chef Michael Nelles dem angeschlagenen Modeproduzenten Strenesse höchstselbst auf der Gläubigerversammlung zur Seite gestanden, als es darum ging, die Anleihe um drei Jahre zu verlängern. Strenesse hatte sich schlicht nicht in der Lage gesehen, seine Anleiheschulden Mitte März zurückzuzahlen. Und auch der klamme Tütensuppenhersteller Zamek ist Conpair-Kunde. All diese Anleihen hat Close Brothers an die Börse begleitet.
Irgendwer bringt das Unternehmen schon an die Börse
Auch die vom Unternehmer Wilfried Mocken gelenkten Safthersteller Valensina und Kräuterschnapsbrenner Underberg lassen sich von Conpair beraten und haben ihre Anleihen von Close Brothers Seydler platzieren lassen. „Wir sind eines Tages von Conpair auf deren Beratungsdienstleistung angesprochen worden“, sagt Mocken heute. Erst durch das Beratungshaus Conpair sei er schließlich an Close Brothers gekommen. Heute ist Mocken aber enger mit dem Berater verbandelt: Er sitzt im Aufsichtsrat von Conpair und hält eine kleine Beteiligung an der Essener Aktiengesellschaft.
Da kam noch eins und bat um ein Hemdlein und das fromme Mädchen dachte: Es ist dunkle Nacht, da sieht dich niemand, du kannst wohl dein Hemd weggeben, und zog das Hemd ab und gab es auch noch hin.
Angesichts der lukrativen Gebührenmaschinerie drängt sich der Verdacht auf, dass sich immer jemand findet, der nicht so genau hinschaut, welchem Unternehmen er da eigentlich zu frischem Kapital verhilft. Insider berichten immer wieder, dass sie Unternehmen abgelehnt hätten – und ein anderer diese dann doch an die Börse begleitet habe.
Prüfen, ob sich ein Mittelständler eine Anleihe leisten kann, muss niemand: Laut Börse Stuttgart muss ein Bondm-Coach zwar „die Kapitalmarkteignung und -fähigkeit des Unternehmens“ beurteilen und sich auch ein Bild vom Geschäftsmodell des Unternehmens machen, aber: „Mit welchen Methoden dies beurteilt wird, ist ausschließlich Entscheidung der Coaches.“
Die Bonität muss niemand prüfen
Conpair-Chef Nelles beteuert, man prüfe auch, ob das Unternehmen Zinsen zahlen und Schulden bedienen kann: „Wir gehen mit dem Kunden nur in eine Transaktion, wenn wir geprüft haben, ob der Kunde seinen Kapitaldienst auch leisten kann“, sagt Nelles. Conpair habe Kunden bereits gebremst und die Höhe der gewünschten Anleiheschulden im Vorfeld reduziert. Er schaue freiwillig auf die Zahlen, so Nelles, da bei einer Pleite die eigene Reputation auf dem Spiel stünde.
Und auch Close Brothers beteuert: „Natürlich treffen auch wir vorab Einschätzungen über die Bonität des Emittenten.“ Vorgeschrieben aber ist eine solche Prüfung nicht. „Die Bonität von mittelständischen Unternehmen muss vor der Emission einer Mittelstandsanleihe niemand prüfen“, sagt Uto Baader, Chef der Baader Bank. Sein Haus hat kaum Emissionen aus dem Mittelstand begleitet. „Oft braucht man nicht mal einen Taschenrechner, um zu sehen, dass ein Unternehmen schon seine Zinsen nicht bedienen könnte“, sagt der Banker aus München.
Andere Berater und die Börsen weisen die Verantwortung für die Qualität der Börsenkandidaten von sich. FMS, der Berater mit den fünf Pleitefällen, kontrolliert zum Beispiel, ob das Unternehmen in der Lage wäre, die von der Börse auferlegten Pflichten zu erfüllen, also etwa Finanzberichte pünktlich zu veröffentlichen: „Wir beraten Unternehmen beim Aufbau von Strukturen, damit sie in der Lage sind, die erforderlichen Transparenzstandards einhalten zu können“, sagt Schilling-Schön. Ansonsten seien doch auch noch die Wirtschaftsprüfer da. „Wir müssen uns hinsichtlich der historischen Zahlenwerke auf den Wirtschaftsprüfer verlassen“, sagt Schilling-Schön.
Kein Happy End in Sicht
Doch ein Wirtschaftsprüfer testiert nur Zahlen der Vergangenheit. Er prüft, ob das Unternehmen die richtigen Zahlen in seine Bilanz übertragen hat, ob eine Fünf also tatsächlich eine Fünf ist. Er schaut sich keinen Businessplan an und bewertet kein Geschäftsmodell – und auch nicht, ob das Unternehmen eine Anleihe bedienen könnte.
Michael Massauer, geschäftsführender Gesellschafter beim Berater Fion, verweist auf die Ratingagenturen. Verlass ist auf deren Rating aber längst nicht immer. Creditreform etwa setzte erst drei Wochen vor der Insolvenz des Personalvermittlers HKW Personalkonzepte dessen Rating aus – nachdem HKW angekündigt hatte, Zinsen später zu zahlen. Das letzte Rating vor der Pleite lag bei „BBB- unter Beobachtung“, eine voll befriedigende Bonität.
Die Börsen fühlen sich ebenso nicht zuständig, sie verweisen wiederum auf die involvierten Banken und Berater. Börsen böten schließlich nur eine Plattform an. Das alles hindert die Börsen aber nicht daran, kräftig an den Mittelstandsanleihen zu verdienen. Sie sind in deren Vertrieb eingestiegen, lassen Privatanleger die Papiere über ihre Plattform zeichnen und bekommen dafür Geld vom Unternehmen. Über das Zeichnungstool der Deutschen Börse etwa wurden in der Vergangenheit zehn bis 15 Prozent des Anleiheemissionsvolumens gezeichnet.
Und wie es so stand und gar nichts mehr hatte, fielen auf einmal die Sterne vom Himmel, und waren lauter blanke Taler.
Bei einer Pleite können Anleger, selbst wenn im Wertpapierprospekt falsche Zahlen standen, weder den Berater noch die Bank und schon gar nicht die Börse haftbar machen. „Nur wer unterschreibt, haftet für die Richtigkeit der Angaben im Prospekt“, sagt Schilling-Schön, „und das ist bei Mittelstandsanleihen meist allein ein Organ des Unternehmens.“
Bei den Unternehmen aber ist, wenn Banken und Lieferanten zugegriffen haben, meist nichts mehr zu holen. Die Taler bekommen andere, für Anleger gibt es kein märchenhaftes Happy End.