Mittelstandsanleihen Wie Mittelständler in hochriskante Anleihen getrieben werden

Der Markt für Mittelstandsanleihen ist eine von Ausfällen geplagte Blase, geschaffen vor allem von Beratern und Banken. Wie das Geschäft der Märchenerzähler läuft, warum Anleger mit weiteren Pleiten rechnen müssen.

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Der Windanlagenbauer Siag musste Insolvenz anmelden Quelle: dpa

Es war einmal ein kleines Mädchen, dem war Vater und Mutter gestorben, und es war so arm, dass es gar nichts mehr hatte als die Kleider auf dem Leib und ein Stückchen Brot in der Hand, das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte.

Der rheinland-pfälzische Windanlagenbauer Siag Schaaf stand buchstäblich im letzten Hemd da. Operativ machte der Mittelständler 17 Millionen Euro Verlust, da flatterte der rettende Brief aus München ins Haus. Absender: die Berater von Blättchen & Partner. Deren mittlerweile gefeuerter Ex-Vorstand Peter Thilo Hasler hatte vor drei Jahren im elektronischen Bundesanzeiger nach Unternehmen gestöbert, zu deren Zahlen eine Anleihe passen könnte. In Briefen, erzählte Hasler mal, mache er den Unternehmen konkrete Vorschläge, etwa zum möglichen Anleihevolumen. Die Blättchen-Vorstände Konrad Bösl und Hasler, so schien es, konnten dem damaligen Siag-Chef Rüdiger Schaaf frisches Geld besorgen. Also fuhren sie für eine Präsentation zu Siag. „Die Herren haben gesagt, die Geschichte hinter Siag lasse sich am Markt sehr gut verkaufen“, sagt Schaaf.

Siag könne 50 Millionen Euro aufnehmen, hieß es damals. Es wurden dann aber nur 13, und für Anleger gab es ein Desaster: Acht Monate nachdem sie Siag die Millionen überwiesen hatten, war das Unternehmen zahlungsunfähig. Bösl gibt an, „die Bond-Story von Siag für attraktiv gehalten“ zu haben, betont heute noch, dass „die Gesellschaft hervorragend am Markt positioniert“ gewesen sei. Ein Grund für die nicht so viel spätere Schieflage sei gewesen, dass das Unternehmen „generell schlecht finanziert“ gewesen sei – auch weil der Bond nicht 50 Millionen eingespielt habe.

Meist stecken die Berater dahinter

Mittelständler wie Siag haben seit 2010 rund fünf Milliarden Euro über Anleihen eingesammelt. Viele hätten das nie tun dürfen: Rund zehn Prozent der Anleihegelder sind schon wieder perdu, viele Unternehmen können Anleihezinsen von bis zu 11,5 Prozent nicht erwirtschaften. Allein: Auf die Idee, Bonds zu lebensbedrohlich hohen Zinsen zu platzieren, sind die wenigsten Mittelständler von allein gekommen. Hinter den Kulissen haben Finanzierungsberater wie Blättchen mitgemischt.

Der Berater empfiehlt dem Kunden eine Anleihe, sucht eine Kanzlei, die den Prospekt schreibt, und eine Bank, die Investoren kennt, die die Anleihe kaufen könnten. Börsen verlangen von Unternehmen in der Regel, dass sie die Emission von einem derartigen Experten begleiten lassen. Als „Listing Partner“ (Frankfurt), „Bondm-Coach“ (Stuttgart) oder „Kapitalmarktpartner“ (Düsseldorf) sollen sie die Unternehmen prüfen. Viel zu bringen scheint das nicht, dafür gibt es zu viele Pleite-Emittenten.

Bis dass der Tod euch scheidet
Mittelständler mit massiven Anleiheproblemen und wer sie beraten hat
UnternehmenBrancheBerater aktueller Status
BKN BiostromBiogasBlättchen & Partner(1)Insolvenzverfahren läuft
CentrosolarSolarFMS AG Umtausch von Schulden in Aktien geplant
FFK EnvironmentAbfallverwerterGBC AG, BIW Insolvenzverfahren läuft
GetgoodsOnline-HandelGBC AG Insolvenzverfahren läuft
HKW PersonalkonzepteZeitarbeit Dicama Insolvenzverfahren läuft
S.A.G. Solarstrom I & IIAnlagenbau Baader, YoumexInsolvenzverfahren läuft
Siag SchaafWindkraftBlättchen & Partner auf Anlegerkosten saniert, Quote: 0,34 %
SIC ProcessingSolarFMS AG Insolvenzverfahren läuft
SolarwattSolarFMS AG auf Anlegerkosten saniert, Quote: 16 %
Solen (Ex Payom Solar)SolarFMS AG Insolvenzverfahren läuft
Windreich I & IIWindanlagenFMS AG Insolvenzverfahren läuft
ZamekNahrungsmittelConpair Sanierung in eigener Verwaltung läuft
(1) entwarf Konzept zur Besicherung und Strukturierung der Anleihe; Quelle: Börsen, Unternehmensangaben,  eigene Recherche 

Ende Februar erst hat Tütensuppenproduzent Zamek samt 45 Millionen Euro Anleihevolumen den Gang zum Amtsgericht angetreten – wegen drohender Zahlungsunfähigkeit wollen sich die Düsseldorfer im Insolvenzverfahren unter eigener Verwaltung sanieren. Zwölf Unternehmen mit Minibond trudeln (siehe Tabelle).

Ein Berater, fünf Pleiten

Neuer Rückschlag für Solarworld
SolarworldDer Bonner Solarmodulhersteller kommt nach seinem scharfen Kapital- und Schuldenschnitt vom Frühjahr nur langsam wieder in Tritt. Die konzernweite Absatzmenge sei im ersten Halbjahr nach vorläufigen Zahlen zwar um mehr als die Hälfte auf 357 Megawatt gestiegen, teilte Solarworld mit. Hierzu habe aber vor allem das Auslandsgeschäft beigetragen. In Deutschland sei der Markt weiter schwach. Das Umsatzziel für 2014 von mehr als 680 Millionen Euro werde deshalb wahrscheinlich nicht erreicht. In den ersten sechs Monaten wuchs der Konzernumsatz um 13 Prozent auf 228 Millionen Euro, blieb dabei aber leicht unter den Erwartungen des Unternehmens. Vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) sowie bereinigt um Sondereffekte des internen Umbaus kam Solarworld auf einen leichten Gewinn von einer Million Euro (Vorjahreshalbjahr: -37 Millionen Euro). Ein insgesamt positives operatives Ergebnis erwartet das Unternehmen weiterhin für 2015. Mit der Restrukturierung hatte Solarworld seinen Schuldenberg um mehr als die Hälfte auf 427 Millionen Euro verringert. Dabei mussten Aktionäre und Gläubiger hohe Verluste hinnehmen. Erst vor kurzem hatte sich der Konzern mit einem wichtigen Rohstoff-Lieferanten auf neue Verträge geeinigt - musste im Gegenzug aber viel Geld in den Wind schreiben. Quelle: dpa
Nordex Der Windkraftanlagenbauer Nordex will seine Geschäfte in Südamerika ausbauen. Schon heute verkaufe Nordex vor allem in Uruguay mit einigem Erfolg, sagte Vorstandschef Jürgen Zeschky. Auch in Chile werde Nordex aktiv sein. „Diese Länder haben einen ungestillten Hunger nach Energie und zahlen für Strom aus heimischen Kraftwerken gutes Geld.“ In den USA habe sich Nordex dagegen bescheidene Ziele gesteckt. „Ich würde nicht so weit gehen, diese Strategie "Rosinen picken" zu nennen, aber dem härtesten Wettbewerb gehen wir so aus dem Weg“, sagte Zeschky. Der Umsatzanteil Amerikas liege bei 18 Prozent. Nach einem guten ersten Quartal hatte Nordex seine Prognose für 2014 zuletzt angehoben. Erwartet werden nun ein Auftragseingang von 1,5 bis 1,7 Milliarden Euro und ein Umsatz von 1,5 bis 1,6 Milliarden Euro. Die Ebit-Marge für 2014 - also das Verhältnis von operativem Ergebnis und Umsatz - wird laut Zeschky 4 bis 5 Prozent betragen. Nordex werde sein Werk in Rostock für rund 25 Millionen Euro ausbauen, kündigte Zeschky an. Dort sind etwa 1400 Mitarbeiter beschäftigt. Insgesamt wolle Nordex bis 2016 rund 50 Millionen Euro in seine Kerntechnologie „Rotorblatt“ investieren. Hintergrund sind die größeren Dimensionen der Rotorblätter und zugehörigen Werkzeuge, die den Umbau der bestehenden Produktionshallen notwendig machen. Quelle: dpa
SolarworldDie Sanierung ist planmäßig abgeschlossen, die Verluste sind eingedämmt (auf 427 Mio. Euro) - jetzt müssen nur noch die Umsätze wieder fließen. Der Photovoltaikkonzern Solarworld sieht sich nach dem drastischen Kapital- und Schuldenschnitt wieder gut aufgestellt. „Wir kommen nicht nur in ruhigeres Fahrwasser, wir nehmen auch massiv Fahrt auf“, sagte Konzernchef Frank Asbeck im Mai bei der Hauptversammlung des Unternehmens in Bonn. Solarworld profitiere von dem Einstieg des Emirats Katar sowie von der Übernahme von Fertigungskapazitäten von Bosch in Thüringen. Der Unternehmenschef geht von einem Wachstum des globalen Photovoltaikmarktes aus, mit einem Schwerpunkt in Asien und in den USA. Allein im ersten Quartal seien in den USA fast so viele Neuanlagen installiert worden wie in dem rückläufigen Markt Deutschland für das ganze Jahr 2014 erwartet wird. Quelle: dpa
SMA SolarSchlechter Start ins Jahr 2014: Im ersten Quartal stand beim operativen Ergebnis des Solar-Technikherstellers ein Minus von 22 Millionen Euro in den Büchern - nach einem Verlust von 8 Millionen Euro Anfang 2013. Zudem brach der Umsatz deutlich ein. Grund dafür seien zum einen Unsicherheiten in Europa wegen der Ukraine-Krise, aber auch Projektverschiebungen in Nordamerika und Währungsturbulenzen in Indien, heißt es offiziell von SMA Solar. Auf der Hauptversammlung 2014 wurde beschlossen, für das Geschäftsjahr 2013 keine Dividende auszuschütten. Große Probleme hat das Unternehmen aber schon länger. Der Weltmarktführer bei Photovoltaik-Wechselrichtern hatte 2013 einen Verlust von rund 67 Millionen Euro eingefahren - nach einem Gewinn von 75,1 Millionen Euro 2012. Mit weiteren Sparmaßnahmen will SMA Solar nun wieder in die Gewinnzone zurückkommen. Schon im Jahr 2013 hat der Wechselrichter-Hersteller seine Kosten um 180 bis 200 Millionen Euro gesenkt. Zudem will das Unternehmen in Zukunft neue Märkte erschließen und neue Produkte einführen. „Im besten Fall“, so Vorstandssprecher Pierre-Pascal Urbon, soll 2014 ein Ergebnisplus von 20 Millionen Euro erreicht werden. Ende Mai gab SMA Solar bekannt, das Solar-Wechselrichter-Geschäft vom Mitbewerber Danfoss komplett zu kaufen und eine strategische Partnerschaft anzustreben. Quelle: dpa
SunwaysBeim Fotovoltaik-Unternehmen aus Konstanz läuft seit Ende April das offizielle Insolvenzverfahren. Der Insolvenzverwalter hat damit begonnen, den Konzern zu zerschlagen. Als ersten Schritt zur Liquidierung beantragte Sunways am 19. Mai den Widerruf der Börsenzulassung an der Frankfurter Wertpapierbörse beantragt. Gleichzeitig trat der Vorstandsvorsitzende Hoong Khoeng Cheong zurück. Das Geschäft mit Wechselrichtern und gebäudeintegrierter Photovoltaik hat bereits der chinesische Solarkonzern Shunfeng übernommen. 40 Mitarbeiter können deshalb ihren Arbeitsplatz behalten. Alle anderen hätten ihre Kündigung bereits erhalten, teilte ein Sprecher mit. Ende 2012 waren bei Sunways noch 265 Menschen beschäftigt. Die Aktionäre müssen davon ausgehen, bei der Insolvenz komplett leer auszugehen. Sunways schrieb seit Jahren rote Zahlen und wies hohe Verluste aus. Wie im Mai bekannt wurde, waren die Geschäfte des Unternehmens schon mehrere Monate vor der Zahlungsunfähigkeit fast völlig zum Erliegen gekommen. Bereits 2013 befand sich das Unternehmen einmal in einem vorläufigen Insolvenzverfahren, nachdem mehrere Banken dem Unternehmen Kredite in Millionenhöhe gekündigt hatten. Durch eine Vergleichsvereinbarung wurde das eigentliche Insolvenzverfahren damals jedoch abgewendet. Quelle: dpa
S.A.G. Solarstrom AGDie Solarkrise hat den Anlagenbauer in die Knie gezwungen. Das Unternehmen stellte am 13. Dezember 2013 einen Insolvenzantrag. Die Solarstrom AG kann nach Ansicht des Insolvenzverwalters aber gerettet werden. Mit einer Zerschlagung des Solarunternehmens sei derzeit nicht zu rechnen, teilte eine Firmensprecherin am 16. Mai am Rande einer Gläubigerversammlung mit. Die Sanierung und die Suche nach Investoren laufe positiv und werde fortgeführt, sagte Insolvenzverwalter Jörg Nerlich. Einzelheiten hierzu nannte er nicht. Nerlich erwartet den Angaben zufolge eine Insolvenzquote von rund 50 Prozent. Ob Aktionäre Geld zurück erhalten können, sei aber weiter offen. Das Freiburger Unternehmen mit heute rund 170 Mitarbeitern zählt zu den Pionieren der Solarbranche. Es war 1999 eine der ersten börsennotierten Solarfirmen in Deutschland. Quelle: dpa
ProkonDer Windkraftanlagen-Finanzierer hat im Januar beim Amtsgericht Itzehoe Insolvenz angemeldet. Das Verfahren wurde Anfang Mai eröffnet. Die Zukunft für die insgesamt rund 1300 Beschäftigten ist ungewiss. Gut 75.000 Anleger hatten dem Unternehmen über Genussrechte rund 1,4 Milliarden Euro anvertraut. Sie müssen sich auf schmerzvolle Verluste einstellen. Insolvenzverwalter Dietmar Penzlin schätzt, dass sie zwischen 40 und 70 Prozent ihres investierten Kapitals verlieren werden. Das Geschäftsmodell des von Carsten Rodbertus 1995 gegründeten Windparkbetreibers stand seit langem in der Kritik. Quelle: dpa

Da begegnete ihm ein armer Mann, der sprach: „Ach, gib mir etwas zu essen, ich bin so hungrig.“ Es reichte ihm das ganze Stückchen Brot und sagte: „Gott segne dir’s.“

Dem Finanzierungsberater FMS aus München verdanken Anleger gleich fünf Pleitebuden: Windreich, Solarwatt, Solen, Centrosolar und SIC Processing. „Wir hatten viele Kunden aus dem Bereich der erneuerbaren Energien – dass diese Branche derart in Schwierigkeiten gerät, war für uns nicht vorhersehbar“, verteidigt FMS-Vorstand Jörg Schilling-Schön.

Je höher ein Mittelständler sich verschuldet, desto lukrativer wird die Anleiheemission für Berater und Dienstleister – ihre Gebühren hängen teilweise davon ab, wie viel Geld ein Unternehmen einnimmt. Ergo: Der Berater könnte ein Interesse daran haben, dass sich seine Kunden möglichst hoch verschulden – schlecht für Anleger, denn je höher die Schulden, umso unwahrscheinlicher wird es, dass ein marodes Unternehmen Zinsen erwirtschaften und Schulden tilgen kann.

Für die Berater geht es um viel Geld

Da kam ein Kind, das jammerte und sprach: „Es friert mich so an meinem Kopfe, schenk mir etwas, womit ich ihn bedecken kann.“ Da tat es seine Mütze ab und gab sie ihm.

Im Fall der Reederei Rickmers betrifft dieser für Anleger unglückliche Mechanismus das Essener Beratungshaus Conpair: Im Emissionsprospekt der Rickmers Holding als Anleiheemittentin ist nachzulesen, dass sich sowohl die Höhe der Beratungsgebühr für Conpair als auch die Höhe der Bankprovision nach dem Gesamtbetrag der platzierten Anleihen richtet. Ähnliche Formulierungen finden sich auch in den Prospekten von Bastei Lübbe, Valensina und Underberg. Conpair habe „ein wirtschaftliches Interesse“ an der erfolgreichen Umsetzung des Angebots, heißt es beispielsweise im Rickmers-Prospekt. Es geht dabei um Millionen: Fünf Prozent, also zehn Millionen Euro, sollte die 200 Millionen Euro schwere Rickmers-Anleihe an Gebühren für Banken, Berater und Dienstleister einspielen. Es wurde vorerst nicht ganz so viel: Anleger haben im ersten Schwung bloß 175 Millionen Euro gezeichnet, das Rickmers-Papier wurde später allerdings aufgestockt.

Der Löwenanteil geht an die Banken

Und als es noch eine Weile gegangen war, kam wieder ein Kind und hatte kein Leibchen an und fror: Da gab es ihm seins; und noch weiter, da bat eins um ein Röcklein, das gab es auch von sich hin.

Ökonomieprofessor Olaf Schlotmann von der Brunswick European Law School schätzt, dass Dienstleister im Markt für Minibonds seit 2010 rund 220 Millionen Euro Honorar generiert haben. Kostet eine Anleihe fünf Prozent, kann die Bank geschätzt 1,5 bis zwei Prozentpunkte kassieren. Geschickte Berater können bis zur Hälfte der Kosten abzweigen. Meist aber greift die Bank den Löwenanteil ab. Den Rest des Geldes sacken Kommunikations- und Ratingagentur, Börse, Wirtschaftsprüfer, Zahlstelle, Anwalt und – ein paar Tausend Euro – selbst die Finanzaufsicht BaFin ein.

Marktführer bei den Banken ist Close Brothers aus Frankfurt, denen die Berater von Conpair Geschäft zuführen. Bis Ende 2013 hatten die Essener gar ein Büro im Frankfurter Bankgebäude. Zu den Conpair-Kunden mit Anleihe zählen neben der Reederei Rickmers und der Brauerei Stauder weitere prominente Namen: Zuletzt hat Conpair-Chef Michael Nelles dem angeschlagenen Modeproduzenten Strenesse höchstselbst auf der Gläubigerversammlung zur Seite gestanden, als es darum ging, die Anleihe um drei Jahre zu verlängern. Strenesse hatte sich schlicht nicht in der Lage gesehen, seine Anleiheschulden Mitte März zurückzuzahlen. Und auch der klamme Tütensuppenhersteller Zamek ist Conpair-Kunde. All diese Anleihen hat Close Brothers an die Börse begleitet.

Irgendwer bringt das Unternehmen schon an die Börse

Gefährliche Mittelstands-Anleihen an der Börse
Mehrere Pakete des alkoholischen Getränks Underberg liegen auf einem Haufen Quelle: Creative Commons-Lizenz
Hemden des Herstellers Seidensticker Quelle: PR
Produkte des Nahrungsmittelherstellers Zamek Quelle: PR
Schalkes-Fans feuern den FC Schalke 04 an Quelle: dpa
Katjes Yoghurt Gums Quelle: dpa/dpaweb

Auch die vom Unternehmer Wilfried Mocken gelenkten Safthersteller Valensina und Kräuterschnapsbrenner Underberg lassen sich von Conpair beraten und haben ihre Anleihen von Close Brothers Seydler platzieren lassen. „Wir sind eines Tages von Conpair auf deren Beratungsdienstleistung angesprochen worden“, sagt Mocken heute. Erst durch das Beratungshaus Conpair sei er schließlich an Close Brothers gekommen. Heute ist Mocken aber enger mit dem Berater verbandelt: Er sitzt im Aufsichtsrat von Conpair und hält eine kleine Beteiligung an der Essener Aktiengesellschaft.

Da kam noch eins und bat um ein Hemdlein und das fromme Mädchen dachte: Es ist dunkle Nacht, da sieht dich niemand, du kannst wohl dein Hemd weggeben, und zog das Hemd ab und gab es auch noch hin.

Angesichts der lukrativen Gebührenmaschinerie drängt sich der Verdacht auf, dass sich immer jemand findet, der nicht so genau hinschaut, welchem Unternehmen er da eigentlich zu frischem Kapital verhilft. Insider berichten immer wieder, dass sie Unternehmen abgelehnt hätten – und ein anderer diese dann doch an die Börse begleitet habe.

Prüfen, ob sich ein Mittelständler eine Anleihe leisten kann, muss niemand: Laut Börse Stuttgart muss ein Bondm-Coach zwar „die Kapitalmarkteignung und -fähigkeit des Unternehmens“ beurteilen und sich auch ein Bild vom Geschäftsmodell des Unternehmens machen, aber: „Mit welchen Methoden dies beurteilt wird, ist ausschließlich Entscheidung der Coaches.“

Die Bonität muss niemand prüfen

Conpair-Chef Nelles beteuert, man prüfe auch, ob das Unternehmen Zinsen zahlen und Schulden bedienen kann: „Wir gehen mit dem Kunden nur in eine Transaktion, wenn wir geprüft haben, ob der Kunde seinen Kapitaldienst auch leisten kann“, sagt Nelles. Conpair habe Kunden bereits gebremst und die Höhe der gewünschten Anleiheschulden im Vorfeld reduziert. Er schaue freiwillig auf die Zahlen, so Nelles, da bei einer Pleite die eigene Reputation auf dem Spiel stünde.

Und auch Close Brothers beteuert: „Natürlich treffen auch wir vorab Einschätzungen über die Bonität des Emittenten.“ Vorgeschrieben aber ist eine solche Prüfung nicht. „Die Bonität von mittelständischen Unternehmen muss vor der Emission einer Mittelstandsanleihe niemand prüfen“, sagt Uto Baader, Chef der Baader Bank. Sein Haus hat kaum Emissionen aus dem Mittelstand begleitet. „Oft braucht man nicht mal einen Taschenrechner, um zu sehen, dass ein Unternehmen schon seine Zinsen nicht bedienen könnte“, sagt der Banker aus München.

Andere Berater und die Börsen weisen die Verantwortung für die Qualität der Börsenkandidaten von sich. FMS, der Berater mit den fünf Pleitefällen, kontrolliert zum Beispiel, ob das Unternehmen in der Lage wäre, die von der Börse auferlegten Pflichten zu erfüllen, also etwa Finanzberichte pünktlich zu veröffentlichen: „Wir beraten Unternehmen beim Aufbau von Strukturen, damit sie in der Lage sind, die erforderlichen Transparenzstandards einhalten zu können“, sagt Schilling-Schön. Ansonsten seien doch auch noch die Wirtschaftsprüfer da. „Wir müssen uns hinsichtlich der historischen Zahlenwerke auf den Wirtschaftsprüfer verlassen“, sagt Schilling-Schön.

Kein Happy End in Sicht

Vier Prozent, mehr ist kaum drin

Doch ein Wirtschaftsprüfer testiert nur Zahlen der Vergangenheit. Er prüft, ob das Unternehmen die richtigen Zahlen in seine Bilanz übertragen hat, ob eine Fünf also tatsächlich eine Fünf ist. Er schaut sich keinen Businessplan an und bewertet kein Geschäftsmodell – und auch nicht, ob das Unternehmen eine Anleihe bedienen könnte.

Michael Massauer, geschäftsführender Gesellschafter beim Berater Fion, verweist auf die Ratingagenturen. Verlass ist auf deren Rating aber längst nicht immer. Creditreform etwa setzte erst drei Wochen vor der Insolvenz des Personalvermittlers HKW Personalkonzepte dessen Rating aus – nachdem HKW angekündigt hatte, Zinsen später zu zahlen. Das letzte Rating vor der Pleite lag bei „BBB- unter Beobachtung“, eine voll befriedigende Bonität.

Die Börsen fühlen sich ebenso nicht zuständig, sie verweisen wiederum auf die involvierten Banken und Berater. Börsen böten schließlich nur eine Plattform an. Das alles hindert die Börsen aber nicht daran, kräftig an den Mittelstandsanleihen zu verdienen. Sie sind in deren Vertrieb eingestiegen, lassen Privatanleger die Papiere über ihre Plattform zeichnen und bekommen dafür Geld vom Unternehmen. Über das Zeichnungstool der Deutschen Börse etwa wurden in der Vergangenheit zehn bis 15 Prozent des Anleiheemissionsvolumens gezeichnet.

Und wie es so stand und gar nichts mehr hatte, fielen auf einmal die Sterne vom Himmel, und waren lauter blanke Taler.

Bei einer Pleite können Anleger, selbst wenn im Wertpapierprospekt falsche Zahlen standen, weder den Berater noch die Bank und schon gar nicht die Börse haftbar machen. „Nur wer unterschreibt, haftet für die Richtigkeit der Angaben im Prospekt“, sagt Schilling-Schön, „und das ist bei Mittelstandsanleihen meist allein ein Organ des Unternehmens.“

Bei den Unternehmen aber ist, wenn Banken und Lieferanten zugegriffen haben, meist nichts mehr zu holen. Die Taler bekommen andere, für Anleger gibt es kein märchenhaftes Happy End.

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