Morgan Stanley Ölstratege Martijn Rats „Die Welt benötigt noch für viele Dekaden Öl“

Öl ist so teuer wie seit zwei Jahren nicht mehr. Die Opec und ihre Förderkürzungspartner verbuchen das als Erfolg. Doch bei der Konkurrenz in den USA schlummert noch ein immenses Potenzial, glaubt der Öl-Experte Rats.

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Der Niederländer arbeitet seit 2002 bei der US-Bank Morgan Stanley. Quelle: PR

Frankfurt Seit Jahresbeginn bremsen die Organisation erdölexportierender Staaten (Opec) und zehn Partner, darunter Russland, ihre Ölförderung. Diese Allianz feiert ihre Erfolge: Die hohen Lagerbestände haben sich reduziert, der Ölpreis liegt mit 63 Dollar heute knapp 20 Dollar über dem Jahrestief. Noch immer liege vor den Kürzungspartnern aber „ein Menge Arbeit“, wie der saudische Ölminister und amtierende Opec-Präsident Khalid Al-Falih betont. Die Förderbremse wurde deshalb in dieser Woche bis Ende 2018 verlängert. Ursprünglich sollten die Markteingriffe im kommenden März enden. Die Allianz verspricht sich weiter fallende Lagerbestände und einen stabilen Ölmarkt. Wir haben mit Martijn Rats, dem globalen Ölstratege von Morgan Stanley, über seine Sicht der Dinge gesprochen.

Herr Rats, wie wichtig sind die Opec-Förderkürzungen wirklich für den Ölmarkt?
Sie haben zweifelsohne zum Preisanstieg beigetragen. Aber die Kürzungen sind längst nicht der einzige Grund. Bis Ende des Jahres wird die Ölnachfrage um mehr als 1,5 Millionen Barrel pro Tag steigen und damit deutlich höher sein als erwartet. Gleichzeitig aber ging die Produktion in Mexiko und China stärker zurück als gedacht. Und nicht zuletzt haben zahlreiche Spekulanten mit ihren Wetten auf steigende Preise ihren Teil beigetragen.

Russland, einem Nicht-Opec-Mitglied, wird die entscheidende Rolle für Wohl und Wehe des Abkommens zugesprochen. Sehen Sie das auch so?
Wissen Sie, es gibt unzählige Menschen, die versuchen vor den Türen der Opec herauszufinden, was dahinter vor sich geht. Was wirklich passiert und geredet wird wissen letztlich nur die Abkommenspartner selbst. Wir analysieren anhand der Zahlen, die uns zur Verfügung stehen. Die 300.000 Barrel, um die sich Russland täglich einschränkt, spielen eine gewichtige Rolle.

Die Produktionssteigerungen in der Schieferölindustrie deckeln den Ölpreis. Mit wie viel mehr Öl aus den USA ist im kommenden Jahr zu rechnen?
Während viele Analysten zuletzt ihre Prognosen nach unten korrigierten, rechnen wir mit einer Million Barrel. Denn so groß wird ungefähr die Nachfragelücke sein, die am Markt zu füllen sein wird. Das setzt jedoch voraus, dass der Ölpreis ungefähr auf dem heutigen Niveau bleibt. Die Schieferölindustrie kann noch bedeutend wachsen.

Aber wie nachhaltig ist das Wachstum wirklich?
Genau kann das aus heutiger Sicht niemand sagen. Beim Schieferöl beobachten wir eine neue Technik in einer alten Industrie, gewissermaßen wie ein Experiment in Echtzeit. Sicherlich kann es zwischenzeitlich zu Engpässen bei den Crews für die Ölfelder oder bei der Bohrausrüstung kommen. Diese Herausforderungen sollten aber zu meistern sein.

Ist die Angst der Internationalen Energieagentur also unberechtigt, dass in drei bis fünf Jahren gar ein Angebotsdefizit droht, weil heute zu wenig in Großprojekte investiert wird?
Keineswegs. Die Preise dürften sich in den kommenden Jahren stabil zwischen 60 und 65 Dollar je Barrel halten. Das ist ausreichend, um den Bedarf bis in das Jahr 2020 zu decken. Aber für die Zeit danach wird es mehr als nur Schieferöl brauchen, um die steigende globale Nachfrage zu bedienen.

Sie spielen auf die mangelnden Investitionen in neue große Ölfelder an. Dabei konnten auch die großen Ölmultis wie ExxonMobil, Shell, Total und Co. ihre Kosten senken. Hilft das nicht?
Entscheidend ist doch: Selbst bei den heutigen Preisen jenseits von 60 Dollar, also doppelt so hoch wie auf dem Tiefpunkt vor einem Jahr, sagen uns die Unternehmen, dass sie nicht planen, stärker zu investieren.

Wenn die Ölunternehmen doch so viel effizienter geworden sind, was hält sie vom Investieren ab?
Kurzfristig müssen sie abwarten, ob die kürzlich erfolgte Ölpreissteigerung nachhaltig ist. Es gelingt ihnen bei den aktuellen Preisen so gerade die Casheinnahmen und Cashabflüsse auszubalancieren, sodass nicht viel Überschuss-Cash für Investitionen bleibt. Langfristig kommt die Debatte um Peak Oil Demand auch bei ihnen an.

Also die Debatte darüber, wann der Höhepunkt der Nachfrage überschritten wird.
Natürlich wird die Welt noch für viele Dekaden Öl benötigen. Und Ölkonzerne tätigen Investitionen, die sich auch weit in die Zukunft erstrecken. Doch warum in ein Produkt investieren, dessen Höhepunkt vermeintlich bald überschritten wird? Wir dürfen nicht vergessen, dass von der Idee eines Projektes bis zur Förderung bis zu zehn Jahre vergehen.

Glauben Sie denn, dass wir bald den Höhepunkt der Nachfrage überschreiten?
Ehrlich gesagt nicht, nicht so bald. Wir rechnen allerfrühestens Ende der 2030er Jahre damit.

Obwohl der Energieverbrauch effizienter wird und Elektromobilität derzeit einen immensen Hype erfährt?
Prognosen der OECD und der Weltbank rechnen damit, dass die Weltbevölkerung bis 2040 um ein Viertel anwächst und die heutigen Schwellenländer sich stark weiterentwickeln. Das wird den Energiebedarf enorm steigern und nicht zuletzt die Ölnachfrage. Und obwohl Öl einen kleineren Teil des Energiemixes ausmacht, ist es schwer vorstellbar, dass die Ölnachfrage deshalb in naher Zukunft abnehmen wird. Es ist zu früh, um das Ende des Ölzeitalters herbeizureden.

Herr Rats, vielen Dank für das Gespräch!

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