Mythos oder Weisheit Über Geld spricht man nicht? Von wegen!

Es gibt viele scheinbar heilige Regeln, vor allem wenn es um das liebe Geld gibt. Doch mancher Spruch ist schlicht falsch, ein Mythos. Andere sind mehr als wahr. Experten machen den Test.

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Euro-Banknoten und Euromünzen: Ob aus Neid, Missgunst oder Angst – Finanzen sind selten ein Thema. Quelle: dpa

Düsseldorf Was der Nachbar, ja sogar der enge Freund verdient, geht uns nichts an. Wie er sein Geld anlegt auch nicht. Überhaupt sind finanzielle Dinge geheim zu halten. Das ist in Deutschland, mehr noch als in anderen Ländern, ungeschriebenes Gesetz. Ganz klar: Über Geld spricht man nicht!

Ob aus Neid, Missgunst oder Angst – Finanzen sind selten ein Thema. Dabei müssen doch nicht immer gleich alle Geheimnisse verraten werden. „Man kann auch über Geld reden, ohne gleich die eigene Steuererklärung zu veröffentlichen“, sagt Ulrich Kater, Chefvolkswirt von der Dekabank. Er ist überzeugt: „Über allgemeine Geldthemen mit praktischen Hinweisen für die eigenen Finanzen wird zu wenig gesprochen. Die Deutschen gehen lieber zum Zahnarzt als zum Anlageberater.“ Und die meisten tauschen sich auch lieber über ihre Gesundheit oder ihre Krankheiten aus als über Zinsen oder Dividenden.

Über Geld spricht man nicht? Das ist definitiv kein guter Ratschlag? Dieser Spruch ist ganz klar ein Mythos und keine Weisheit. „Wer über Geld nicht spricht, begeht einen großen Fehler“, ist auch Chris-Oliver Schickentanz, Chefanlagestratege der Commerzbank, überzeugt. Aber eigentlich gibt es in Deutschland auch nicht viel, worüber es sich zu sprechen lohnt. Die Bundesbürger legen ihr Geld extrem konservativ an. Sie bevorzugen Spareinlagen und meiden Aktien.

Nur gut neun Millionen Aktionäre und Aktienfondsbesitzer zählt das Deutsche Aktieninstitut (DAI). Das sind rund 14 Prozent der Bevölkerung. Alle anderen lassen die Finger von dieser Anlageform. „Die Deutschen sparen sich lieber mit Zinsprodukten ärmer statt sich über Aktien am Produktivkapital der Volkswirtschaft zu beteiligen“, sagt Thomas Richter, Geschäftsführer des Fondsverbands BVI. „Damit verzichten sie auf höhere Ertragschancen, auch in der privaten Altersvorsorge.“ Aber die meisten haben Vorurteile: zu riskant oder/und nur was für Profis, heißt es oft. Dabei sind Aktien langfristig die renditestärkste Anlageklasse überhaupt. Das hat sogar die Bundesbank höchstamtlich in einem ihrer Monatsberichte festgestellt.

Doch das Geld der Deutschen liegt einfach nur rum, anstatt wirklich investiert zu werden. In Zeiten von Niedrigst- und sogar Nullzinsen ist das allerdings fatal. Vielen Sparern ist das zwar bewusst, doch sie handeln trotzdem nicht. „Geldanlage ist heute weitaus komplexer als noch vor zwanzig oder dreißig Jahren“, sagt Schickentanz. Ein Privatanleger sei kaum in der Lage, alle relevanten Risiken an den Märkten auszumachen und das eigene Depot darauf bestmöglich abzustimmen. Schickentanz plädiert deshalb – wenig überraschende – für den Dialog mit versierten Beratern und Kapitalmarktexperten.


Schulfach "Ökonomie" wäre sinnvoll

„Übrigens ist die mangelhafte Finanzbildung an deutschen Schulen ein nicht zu vernachlässigender Treiber für die unterdurchschnittlich ausgeprägte Wertpapierkultur in Deutschland“, ergänzt der Commerzbank-Experte. Das sieht Kurt von Storch genauso. „Wirtschafts- und Finanzwissen sollte sehr viel stärker in der Schule implementiert werden. Entsprechendes gilt natürlich für die Lehrerausbildung.“, sagt der Experte der Vermögensverwaltung Flosbach von Storch. Mit der gleichnamigen Stiftung setzen sich die Anlageprofis für finanzielle Bildung ein. „Die Themen sind schlicht zu wichtig, als dass man sie, wie in der Vergangenheit geschehen, vernachlässigen darf – für jeden Einzelnen, aber auch die Volkswirtschaft, die Gesellschaft als Ganzes.“

BVI-Experte Richter ist skeptisch, dass ein besseres Finanzwissen die Deutschen zu überzeugten Aktionären machen würde. „Sicher: Ein Schulfach „Ökonomie“, wie der BVI es schon seit langem fordert, wäre sinnvoll“, sagt er. Die Zahl der Aktionäre dürfte es allein aber kaum steigen lassen. Die Deutschen würden zwar wenig über Finanzen wissen, aber in anderen Ländern sehe es nicht viel besser aus. „In Vergleichsstudien schnitten zum Beispiel US-Bürger bei der Beantwortung von Finanzfragen sogar schlechter ab, dabei sind sie ein Volk von Aktionären“, Richter. „Den entscheidenden Unterschied zwischen Ländern mit hohem und geringem Aktienbesitz macht die Regulierung, insbesondere die staatliche Förderung der Altersvorsorge.“

In den USA beispielsweise führte die Regierung in den 1990er Jahren die sogenannten 401k-Pensionspläne für Investmentfonds und Belegschaftsaktien ein. Über die Hälfte der Amerikaner besitzen heute Aktien. In England ließ 2012 die automatische Teilnahme von Arbeitnehmern an einer betrieblichen Altersversorgung mit Austrittsoption (Opting Out) die Pensionsvermögen deutlich steigen.

Schweden praktiziert seit Jahren ein Mischsystem aus umlagefinanzierter staatlicher Rente, kapitalgedeckten Rentenkonten und einer betrieblichen Altersvorsorge. „Der Prozentsatz der direkten Aktionäre ist dort mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland“, so Richter. „Auch in den Niederlanden, Dänemark und Australien ist das kapitalmarktorientierte Sparen eine tragende Säule der Altersvorsorge. Der deutsche Gesetzgeber fördert statt Aktien dagegen Zinsprodukte von Staatsanleihen bis Lebensversicherungen.“

Einig sind sich die Experten aber darin: Über Geld sollte man dringend sprechen – miteinander, mit Beratern und mit Politikern. Das Thema ist zu wichtig, um es immer auszuklammern. Man muss ja auch nicht gleich alles offenbaren.

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