Nachhaltige Investments Nachhaltigkeitstechnik – Segen oder Fluch?

Manch technische Innovation für mehr Nachhaltigkeit birgt eine Krux in ihrem Lebenszyklus. Wissenschaftler, Researchagenturen und Vermögensverwalterarbeiten an Kriterien und Lösungen.

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Windenergieanlagen bestehen zu einem Großteil aus niedrig legiertem Stahl und Gusseisen, was sich beides gut recyceln lässt. Quelle: dpa

Frankfurt Energiesparlampen waren einst ein Hit. Doch sie enthalten Quecksilber, sind Sondermüll und schon wieder aus dem Rennen. Hybrid-Fahrzeuge werden von vielen Analysten gefeiert, doch Umweltwissenschaftler wie Ernst-Ulrich von Weizsäcker sind entsetzt: Zwei Motoren, so erläutert er, haben einen viel größeren ökologischen Fußabdruck als einer, das mache die Klimaschutzleistung zunichte.

Die Bewertung, ob eine neue Technologie wirklich nachhaltig ist, also ein Segen oder ein Fluch, ist komplex. Vorsicht gilt bei raschen Urteilen wie der Behauptung, das Silizium in Solarzellen sei problematisch bei der Entsorgung. Dem widerspricht der Wissenschaftler Klaus Wiesen vom Wuppertal Institut: „Silizium ist sicher kein so großes Problem, es ist wenig gefährlich.“

Hingegen bedürften andere eingesetzte Stoffe nach der Nutzungsphase von Solarzellen einer sorgfältigen Behandlung. Bei Photovoltaik-Modulen (PV) gibt es zwei Technologien. Den größten Marktanteil haben sogenannte polykristalline und monokristalline Solarzellen auf Basis von Silizium. Trotzdem gelten sie als „kontrovers“, da sie mit Blei verlötet werden, erläutert Francois Barbé, Analyst bei Oekom Research und Experte für Erneuerbare Energien.

Den kleineren Marktanteil haben Dünnschichtmodule, welche Halbleiterelemente beinhalten. Gemäß der Materialien heißen sie Cadmiumtellurid-Module (CdTe) oder Kupfer-Indium-Diselenid-Module (CIS) Module. „CdTe-Module bestehen aus den hochgiftigen Stoffen Cadmium und Tellur, für die allerdings eine Ausnahme der EURoHS-Richtlinie zur Begrenzung gefährlicher Substanzen gilt“, erläutert Barbé. Neben der RoHS-Richtlinie (Restriction of Hazardous Substances) macht die EU Vorgaben für das Recycling elektrischer und elektronischer Altgeräte in der „WEEERichtlinie“ (Waste of Electrical and Electronic Equipment). „Seit ihrer Anpassung 2012 sind PV-Hersteller dazu verpflichtet, Solarmodule kostenfrei zurückzunehmen
und sachgemäß zu recyceln oder recyceln zu lassen“, so Barbé.

Deutschland hat sie spät umgesetzt, erst Ende 2015 trat das „ElektroG“-Gesetz in Kraft. EU macht rechtliche Vorgaben für giftige Substanzen Die Branche selbst hat 2007 die Industrievereinigung » „PV Cycle Association“ gebildet und in einigen Ländern Entsorgungsdienstleister gegründet. Trotzdem landen laut Branchenvertretern „ausgediente“ Module oft auf dem Sekundärmarkt anstatt zum Hersteller zurückzukommen. „Das erschwert deren Rücknahmebestrebungen für die PV-Module“, berichtet Barbé.

Für Investoren können heikle Materialien Investmentrisiken bergen. Auch dies ist aber differenziert zu betrachten. Häufig steht das pauschale Argument im Raum, der Einsatz kritischer Materialien wie Metallen der seltenen Erden sei ein Marktrisiko beim Ausbau erneuerbarer Energien. „Dies stimmt so nur sehr bedingt“, sagt Wiesen vom Wuppertal Institut. „In Deutschland etwa setzen weniger als ein Viertel der Windenergie-Anlagen den als kritisch einzustufenden Rohstoff Neodym in den Generatoren ein.“ Für den Umbau der Energiesysteme sieht das Institut keine langfristigen Marktrisiken durch Versorgungsengpässe mit kritischen Materialien.

Dies ergab eine Studie für das Bundesumwelt- und das Bundeswirtschaftsministerium Anleger, die in Solar- und Windenergie investieren, wollen auch wissen, wie Rotorblätter und Turbinen von Windrädern einzuschätzen sind. „Grundsätzlich bestehen Windenergieanlagen zu einem Großteil aus niedrig legiertem Stahl und Gusseisen, was sich beides gut recyceln lässt“, sagt Wiesen, Projektleiter in der Forschungsgruppe Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren.

Jedoch existiert eine Krux: „Die Rotorblätter sowie die Gondelverkleidung bestehen aus glasfaserverstärktem Kunststoff, hier ist die Recyclingfähigkeit derzeit noch eingeschränkt.“ Das Material sei aber nicht sonderlich gefährlich. Windrädern stehen Verbundkunststoffe im Weg „Gleichwohl ist wegen der Verbundwerkstoffe das Recycling der Rotorblätter kaum
möglich, weil Kompositwerkstoffe als solche nicht wiederverwertbar sind“, sagt Analyst Barbé. Darum arbeiten Forschungseinrichtungen wie das Fraunhofer Institut an
Methoden, um diese Materialien bei der Zementherstellung wiederverwendbar zu machen. Dies wäre allerdings womöglich ein Downcycling hochwertiger Materialien.
Dem puren Recycling von Stahl, dem weltweit am meisten recycelten Material, stehen Windräder wohl noch lange nicht zur Verfügung. „Im Vergleich zur Solarbranche ist das Entsorgungsthema für die Windenergiebranche sehr viel weniger entwickelt“, konstatiert Barbé. „Andererseits gibt es einen starken Markt für gebrauchte Windkraftanlagen.
Deutsche Anlagen oder Rotorblätter werden zum Beispiel am Ende ihrer Laufzeit in Polen oder Russland weiterverkauft und eingesetzt.“ Eine derartige Weiternutzung sei wahrscheinlich weniger ressourcen- und energieaufwendig. Einige, aber längst nicht alle Vermögensverwalter, beachten potenzielle externe Effekte von Rohstoffgewinnung, Produktion, Produktanwendung und Verwertung. „Wir betrachten das Gesamtbild, etwa beim Stock-Picking für den DNB Renewable Energy Fund“, sagt Mike Judith, Geschäftsleiter der DNB AM in Luxemburg. „Wir analysieren, ob eine Firma einen positiven Nettobeitrag gegenüber anderen Energiealternativen leistet.“ Über angeblich „saubere“ Techniken, die wegen nachteiliger Umwelt- oder Sozialeffekte nicht ins Portfolio gelangten, schweigt er sich aus.


Wärmedämmung nicht pauschal bewerten

Ein viel diskutiertes Produkt ist auch die Häuserdämmung. „Wärmedämmung ist Sondermüll“, ist am Markt nachhaltiger Kapitalanlagen zu hören. Dem widerspricht das Öko-Institut in Freiburg: „Es gibt mehr als ein halbes Dutzend Dämmstofftypen mit völlig unterschiedlichen Zusammensetzungen und Recycling- oder Verwertungsmöglichkeiten. Eine pauschale Einstufung als ‚Sondermüll‘ ist deshalb nicht generell richtig“, sagt Kommunikationschefin Mandy Schoßig. Das Institut überprüft aktuell die Kriterien für die Nachhaltigkeitsbewertung von Dämmmaterialien für das Label „Blauer Engel“. Mit Ergebnissen ist im November zu rechnen. „Da die Lebens- und Nutzungsdauer von Wärmedämmsystemen mit der von Gebäuden
korreliert und daher in der Regel bei mehr als 30 Jahren liegt, fallen bislang nur verhältnismäßig geringe Mengen von Abfällen an“, berichtet Alexander Weigand, verantwortlicher Oekom-Analyst für Baumaterialien.

Bei künftig steigenden Abfallmengen sei vor allem das verwendete Material und dessen Trennbarkeit entscheidend. „Während beispielsweise Dämmstoffe aus Naturfasern
oder Steinwolle beim Ab- oder Rückbau meist gut von anderen Baustoffen separiert und zu einem großen Anteil wiederverwertet werden können, ist dies bei auf Styropor basierenden Wärmedämm-Verbundsystemen deutlich schwieriger.“ Bei Styropor bestünden die für alle Kunst- und Schaumstoffe bekannten Entsorgungs- oder Recyclingprobleme. Nur sortenreine, saubere Kunststoffe lassen sich gut wiederverwerten. Zu beachten sei jedoch, dass Dämmstoffe den Primärenergiebedarf von Gebäuden, der bis zu einem Drittel des Gesamtenergiebedarfs ausmacht, deutlich reduzieren und somit effektiv zur Bekämpfung des Klimawandels beitrügen.

Drei Beispiele – viele Antworten. Im Firmenrating von Oekom gewinnt die Bewertung der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit von Produkten zunehmend an Bedeutung.
„Hersteller von Dämmstoffen haben aufgrund des hohen Umweltnutzens ihrer Produkte in diesen hoch gewichteten Bereichen des Ratings strukturelle Vorteile“, erklärt
Weigand. Sie schnitten daher tendenziell überdurchschnittlich gut ab. Die Researchagentur Imug aus Hannover betrachtet das Thema bei den Positivkriterien bisher unter den Stichworten Abfallmanagement und „Product Stewardship“: Bei Letzterem fragen die Analysten, inwieweit die Recyclingfähigkeit und Lebenszyklusanalyse bei der Produktoptimierung berücksichtigt wird. „Wir bewerten weniger die Güte der konkreten Maßnahmen, als das Managementsystem und die Zielsetzungen dahinter“, erläutert Analyst Jan Köpper.

Geprüft wird, ob sich Unternehmen kurz- und langfristige Ziele setzen, sie einhalten und wie sie reagieren, wenn sie diese Ziele verfehlen. Für die Zukunft reicht das als Bewertungsgrundlage bei einzelnen Produkten nicht aus, räumt Köpper ein. „Die Kriterien müssen ergänzt und optimiert werden, wir betreiben derzeit den nötigen Aufwand für eine belastbare Bewertungsgrundlage.“ Dass sich die Kriterien etwas ändern, sei absehbar, zumal Imug zum Researchnetzwerk der britischen Eiris gehört, die aktuell mit der französischen Vigeo fusioniere und sich somit weiter entwickle. Außerdem interessieren sich Investmenthäuser und Portfoliomanager, die das Thema in der Vergangenheit ignorierten, heute vermehrt für öko-soziale Aspekte, wie
Judith von DNB erlebt. „Abgesehen von der ethischen Dimension fließen diese Kriterien verstärkt in das Risikomanagements von Investoren ein.“


Öko-Bewertung der Recyclingfähigkeit

Die Nachhaltigkeit von Produkten und Techniken lässt sich mit Lebenszyklus- oder Lebensweganalysen ermitteln. Diese umfassen auch Entsorgung oder Recycling. Die Oekom-Analysten untersuchen diesbezüglich, ob und nach welchem Standard das jeweilige Unternehmen sogenannte „Lifecycle Assessments (LCAs)“ macht und inwieweit sie in die Optimierung der Produktionsprozesse einfließen. „Ein zweiter Aspekt unserer Bewertung bezieht sich auf die Umsetzung von Rücknahme- und Recycling-Optionen für gebrauchte und ausgediente Produkte“, sagt Barbé. Hierbei würden beispielsweise eine Mitgliedschaft in der PV-Cycle-Initiative und die Umsetzung der EU-Richtlinien positiv anerkannt. Letzteres erstaunt, denn die Einhaltung von Gesetzen sollte selbstverständlich sein. Oekom verlangt überdies, die sozialen und ökologischen Auswirkungen des jeweiligen Recyclingprozesses zu vermindern. Es wird abgefragt, ob eigene oder ausgelagerte Aktivitäten durch zertifizierte Umwelt- und Gesundheitsmanagementsysteme abgedeckt sind.

„Recycling ist aber kein Selbstzweck, sondern ein möglicher Weg“, relativiert Wiesen vom Wuppertal Institut. „Letztlich geht es um Umweltentlastung. Die kann man
auf unterschiedliche Weise erreichen.“ Alternativen sind Reparatur und erneute Nutzung oder „Upcycling“, bei dem Altgeräte und -materialien durch ganz andere Nutzungen
eine Wertsteigerung erfahren.

Mit der Öko-Bewertung der Recyclingfähigkeit sind laut Wiesen Schwierigkeiten verbunden. Wem ist das Recycling zuschreiben – dem Altprodukt oder dem Neuprodukt mit Recyclingmaterial? „Zum anderen sind gerade bei langlebigen Technologien Abschätzungen erforderlich, da aus heutiger Sicht noch gar nicht sicher ist, wie die Materialien unter zukünftigen Markt- und Technikentwicklung rezykliert werden.“ Bewertungsmethoden sind auszufeilen Die Bewertungsmethoden sind noch nicht völlig ausgereift und müssen weiterentwickelt
werden. Wiesen betont: „Eine grundsätzliche Einschätzung zu nachhaltigen Technikfirmen ist nicht möglich, das lässt sich lediglich an Beispielen veranschaulichen.

In der Automobilindustrie ist beispielsweise der Einsatz von Carbon nicht zwingend ökologisch vorteilhaft, da Carbon sehr energieintensiv in der Herstellung ist.“ Dem entgegen heißt es bei Oekom: „Generell werden die nachhaltigen Technikfirmen aufgrund ihres Produktportfolios positiv bewertet.“ Die wichtigsten Akteure zumindest in Europa und den USA hätten zudem solide Strukturen aufgebaut, um Nachhaltigkeitsrisiken zu managen. Judith betont: „Oft sind Emissionen erforderlich, um unter dem Strich Emissionen zu senken. Bei positiver Nettobilanz sind wir grundsätzlich auf dem richtigen Weg. Das soll uns aber nicht hindern, sie zu verbessern.“ Manchmal gilt es, Alternativen zu wählen: So sind Automobilhersteller per se nicht
als nachhaltig einzustufen – Hersteller von Loks und Zügen dagegen schon eher.

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