Nachhaltige Investments Sinn und Unsinn von „Low Carbon“-Indizes

Spezielle Börsenbarometer sollen Investoren helfen, profitabel in eine emissionsarme Wirtschaft zu investieren. Manche Konzepte beruhigen jedoch bloß das Gewissen, ohne etwas bewirken zu können.

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Wie können Anleger gezielt in emissionsarme Unternehmen investieren? Quelle: dpa

Frankfurt Wie Pilze schießen sie aus dem Boden: Low Carbon Indizes. Börsengradmesser für eine emissionsarme Wirtschaft. Anleger sollen so in grünere Unternehmen investieren und eine zukunftsfähigere Wirtschaft stimulieren können mit Aussicht auf eine höheren Rendite. Sie unterscheiden sich von Klimaindizes und Klimafonds dadurch, dass sie sich nicht auf bestimmte Themen wie Umwelttechnik, Erneuerbare Energien oder Energieeffizienz fokussieren, sondern branchenübergreifend ausgerichtet sind.
Doch ergibt ihre Zusammensetzung Sinn? Seit vor einigen Jahren die ersten solcher Indizes und Fonds auf den Markt kamen, machen es sich manche Anbieter leicht: Sie schließen aus Portfolien einfach energieintensive Branchen wie Bergbau und Zementherstellung aus und brüsten sich stolz eines niedrigen CO2-Abdrucks.

So etwas ist jedoch Augenwischerei, auf die manch ein Anleger hineinfällt. Abgesehen davon, dass es die Risikostreuung verringert, wird ein derartiges Tabu der Realität nicht gerecht: Infolge langer Wertschöpfungsketten sind selbst Produkte energieintensiv, denen man das auf den ersten Blick nicht ansieht.

Banken und Versicherungen sind nur vermeintlich keine Energiefresser: Da sie Kohleabbau und Stahlproduktion finanzieren, haben sie beileibe keine „weiße Weste“. Ein Hersteller von Gebrauchsgütern wie Besteck braucht energieintensiven Edelstahl. Und so weiter.

Überdies sind pure Ausschlüsse emissionsträchtiger Sektoren auch deswegen nicht sinnvoll, weil Anleger dann in Branchen mit großem Einsparpotenzial nicht zu einem Wettbewerb um mehr Effizienz beitragen können. Zugleich entgehen ihnen Chancen, die Unternehmen mit stärkerer Zukunftsorientierung bieten.

Wettbewerb bei energieintensiven Branchen auslösen

Bewusst anders stellte sich einer der ältesten Low Carbon Indizes auf, der ECPI Global Carbon Equity, Anfang 2010 aufgelegt vom nachhaltigen Indexanbieter ECPI aus Mailand und der Managementberatung Arthur D. Little. Er enthält 40 große und mittlere Titel aus energieintensiven Branchen, wie Elektrizität, Energien, andere Versorger, Rohstoffe, Technologie, Gesundheit und Industrie samt Verbraucherprodukten. Dies soll Investoren solche Unternehmen dieser Branchen bieten, die am besten aufgestellt sind, um im Klimawandel und bei strengerer Gesetzgebung zu bestehen.

Auf Basis öffentlicher Informationen wählen die Indexmanager Unternehmen mit relativ niedrigen klimaschädlichen Emissionen. Zusätzlich machen sie eine Nachhaltigkeitsbewertung anhand von rund hundert Umwelt-, Sozial- und Governance-Informationen. Jeder Titel muss eine Marktkapitalisierung von mindestens einer Milliarde Euro haben, alle sechs Monate wird die Zusammenstellung überprüft.

Der ältere, 2008 von der paneuropäischen Börse Euronext gestartete Low Carbon 100 Europe Index geht anders vor. Er wählt aus den 300 „grünsten“ von Tausend nach Marktkapitalisierung größten europäischen Unternehmen diejenigen 10 bis 15 Firmen mit dem größten Anteil an emissionsarmen Techniken aus. Dazu 85–90 Unternehmen mit der höchsten sogenannten „CDP“-Bewertung.

Beim Low Carbon 100 Europe Index überwacht ein Expertengremium die Einhaltung der Indexregeln. Der Index dient den Angaben zufolge als Grundlage für strukturierte Produkte, Fonds und Indexfonds.


Klimaschutz und Nachhaltigkeitsleistungen kombiniert

Neuling solcher Low Carbon Indizes ist der 2015 aufgelegte Ethical Europe Climate Care Index des deutschen Anbieters Solactive in Kooperation mit der französischen Bank BNP Paribas. Für ihn ermittelt Vigeo Eiris aus dem herkömmlichen Index Stoxx Europe 600 für jede Branche die Unternehmen mit den besten Nachhaltigkeitsleistungen. Sie müssen sowohl einen bestimmten „ESG–Score“ erreichen als auch Kriterien zum CO2-Fußabdruck gerecht werden. Der Index enthält 30 Unternehmen. Die Zusammensetzung wird vierteljährlich jeweils im März, Juni, September und Dezember aktualisiert. Bei anderen Indizes passiert das nur ein oder zwei Mal jährlich.

Dem nicht genug haben Solactive und die Schweizer South Pole Group Anfang 2016 eine Low Carbon Aktienindexfamilie mit 17 Mitgliedern lanciert. Im März folgte ein entsprechender Bond Index. Die Aktienindizes schließen die Unternehmen mit im Branchenvergleich relativ hohen Emissionen aus – ebenso wie diejenigen, die keine bedeutsame Strategie für „Klimarisikoschutz“ oder „Klimarisikoanpassung“ umsetzen. Nur die Hälfte der Unternehmen mit den besten Daten im Vergleich zu Wettbewerber ziehen sie in Betracht, gewichtet nach Marktkapitalisierung.

Manche breiten Nachhaltigkeitsindizes legen ebenfalls viel Wert auf emissionsarmes Wirtschaften. So der Global Challenges Index (GCI) der Hannover Börse. Er adressiert sieben globale Herausforderungen dieses Jahrtausends, denen sich Politik, Gesellschaft und Wirtschaft stellen müssen, darunter die Bekämpfung der Ursachen und Folgen des Klimawandels. Der halbjährlich überprüfte Index enthält 50 Titel weltweit tätiger Großunternehmen sowie kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU).

Auch die großen Indexanbieter haben Familien aufgelegt. MSCI‘s im September 2014 lancierte Low Carbon Index-Familie soll den breiten Aktienmarkt repräsentieren und helfen, mit der Transformation zu einer emissionsarmen Wirtschaft verbundene potenzielle Risiken zu identifizieren. Als, wie es heißt, erster solcher Gradmesser thematisiere er zwei Dimensionen: CO2-Emissionen und fossile Energieträgerreserven.

Wie das funktioniert, zeigen die „MSCI Global Low Carbon Leader Indexes”: Sie sollen den CO2-Fußabdruck gegenüber dem Hauptindex um mindestens 50 Prozent senken, indem sie Unternehmen mit der höchsten Kohlendioxidintensität sowie die größten Eigentümer an fossilen Reserven pro Dollar Marktkapitalisierung ausschließen. Ziel ist eine möglichst geringe Abweichung vom Hauptindex.

Die Indizes wurden entwickelt auf Ersuchen vierer schwedischer und eines großen französischen Pensionsfonds sowie des laut eigenen Angaben größten Vermögensverwalters in Kontinentaleuropa, Amundi aus Paris. Sie wünschten sich repräsentative Benchmarks für den Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaft.
Komplementär dazu legte der Anbieter „Global Low Carbon Target Indexes” auf. Sie sollen gegenüber herkömmlichen Stammindizes die CO2-Gefährdung minimieren.

Unternehmen mit niedrigen Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Umsatz werden übergewichtet, ebenso solche mit potenziell niedrigen Emissionen pro Dollar Marktkapitalisierung. „Das verringert die jährlichen CO2-Emissionen um 76 Prozent“, heißt es. Bemerkenswert, dass Länder- und Branchengewichtungen mit Ausnahme des Energiesektors nicht mehr als zwei Prozent vom Stammindex abweichen sollen.

Das könnte für Institutionelle interessant sein. Die Wertentwicklung lag zurückgerechnet von Herbst 2010 bis Ende 2016 knapp über dem MSCI ACWI Weltindex, beide Kurse haben sich fast verdoppelt. In der Liste seiner „entwickelten“ Fonds tauchen jedoch weder ETFs dazu auf noch zu anderen seiner Nachhaltigkeitsindizes.
Stoxx, der Indexanbieter der Deutschen Börse, lancierte erst 2016 eine solche Low-Carbon-Familie nach dem Motto: Nicht kleckern, klotzen! Investoren könnten 27 Teilindizes mit verschiedenen Risikoprofilen hinzuziehen, um ihre Portfolios zu dekarbonisieren, die Risiken vermehrter Regulierung und physischer Schäden zu senken sowie vom Wachstum einer emissionsarmen Wirtschaft zu profitieren.

Die Untergruppen der Indizes sind anders ausgerichtet als die der Wettbewerber. Titel mit niedrigeren CO2-Intensitäten sind übergewichtet, solche mit hohen Intensitäten untergewichtet. Die „Low Carbon Indizes“ orientieren sich eng an den konventionellen Benchmarks. Die „Reported Low Carbon Indizes“ enthalten Unternehmen, die sich öffentlich bekennen, ihre Treibhausgasemissionen offen zu legen. Diese beiden Gruppen bewirken wohl die geringsten Portfolioänderungen.


Indizes für Transparenz und Leistung

Unternehmen mit sinkenden Emissionen erhalten im „Industry Leader Low Carbon Indizes“ mehr Gewicht. „Mit dem inklusiven Ansatz sind Wertpapiere mit schlechten Emissionsdaten zwar Teil des Index, aber untergewichtet gegenüber ihrer Free-Float-Marktkapitalisierung. Dadurch können sich die Aktionäre in Unternehmensgremien einbringen und deren Strategien zur CO2-Reduzierung beeinflussen“, erklärt Giulio Castelli, Leiter Produktentwicklung. Die Daten liefert großenteils das CDP. Die South Pole Group schätzt Leistungen von Unternehmen, die ihre Daten nicht offen legen.

Zudem gibt es den „Global Climate Change Leaders Index” mit solchen Unternehmen, die es bei den jährlichen Erhebungen der Investoreninitiative CDP in deren “A-Liste“ schaffen. Das sind Unternehmen, die aktiv zeigen, wie sich transformieren.
Für Investoren, die möglichst wenige Emissionen im Portfolio haben und große CO2-Emittenten meiden wollen, hat Stoxx die „Low Carbon Footprint Indizes“ gestrickt. Hier werden Unternehmen mit den niedrigsten Emissionen gewählt und die emissionsträchtigsten Branchen ausgeschlossen: Chemie, Versorger, Öl & Gas, Bau & Materialien, Reisen & Freizeit, Lebensmittel & Getränke sowie Rohstoffe.
Dies ist so ein Index, der nichts bewirken wird und bloß - wenn man sich dem Trugschluss denn hingibt - dem Gewissen dient. Dem Gewissen von Anlegern, die selbst bauen, heizen, reisen, sporteln, essen und trinken. Die Bedienung von Grundbedürfnissen und moderner Lebensart auszuschließen, wird diese nicht ändern.

Zudem hält mancher Klimaindexfonds nicht, was er Investoren verspricht. So überschreitet der Klima-Fußabdruck des “SPDR MSCI Emerging Markets Fossil Fuel Reserves Free ETF” den MSCI ACWI All Country World Index um zehn Prozent, wie die » Plattform Fossil Free Funds der Nichtregierungsorganisation As You Sow auf Basis von Daten von YourSRI und der South Pole Group berechnet. Einige als „fossilfrei“ gelabelte Fonds senkten den Fußabdruck von Investoren kaum oder nicht, warnte Bloomberg im Januar. Sie machen sich aber das Leben durch simple Branchenausschlüsse leicht. Andere Indexfonds hingegen stünden gut da.
Überdies sollten Anleger wissen: Die Wirkungsanalyse steckt in den Kinderschuhen. Zumal CO2 nicht der einzige Maßstab für Klima-Effekte ist. Ein ineffizienter Papierhersteller verursacht womöglich weniger Emissionen als ein effizient produzierender Wettbewerber, der Regenwald und somit CO2-Speicher vernichtet und Methan-Gase freisetzt. Kriterium müsste auch sein, ob Firmen die Biodiversität schützen. Verschiedene Akteure forschen nach geeigneten branchenübergreifenden oder -spezifischen Indikatoren. Diesen Aspekt nicht einzubeziehen, begrenzt die Wirkung von Low-Carbon-Indizes auf Unternehmen.

Solide Ziele und Messung fraglich

Ein weiteres Fragezeichen ergibt sich auf unternehmerischer Ebene: Wie kann ein Index zuverlässig sein, wenn eine solide Messbasis fehlt? So lassen die Klimaziele von Dax-Konzernen weitgehend wissenschaftliche Fundierung vermissen, konstatierte die Researchagentur Imug aus Hannover im August. „Bei einem Großteil der Dax-30-Unternehmen bleibt aktuell intransparent, wie sie zu ihren Klimazielen kommen“, kritisierte sie. Bei ihnen sei eine langfristig ausgelegte Klimaschutzstrategie mit quantitativ überprüfbaren kurz-, mittel- und langfristigen Zielen nicht weit verbreitet.

Wer aber keine klar messbaren Ziele hat, kann die Zielerreichung nicht sauber ermitteln und offenlegen, geschweige denn, dass die Daten einer externen Prüfung stand hielten. Dieser Umstand dürfte für die meisten Konzerne der Welt gelten. Folglich ist die Aussagekraft eines Low-Carbon-Index eingeschränkt. Zumal die größte Herausforderung wohl von kaum einem Konzern ernsthaft angegangen ist, wie Andrea Falkner, Referentin Nachhaltigkeit in der Lieferkette bei BMW anmerkt: „Die Kernfrage bei Unternehmen und Investoren müsste lauten: Sind wir 2°-kompatibel?“

Die Wertentwicklungen solcher Indizes sind teilweise beachtlich. Gleichwohl ist Vorsicht geboten. Manche Werbetrommel wird mit aufgehübschten Informationen gerührt, die sich in der Realität zunächst nicht bewahrheiten. So fällt der Vergleich des ECPI Global Carbon Equity seit dem Launch - anders als bei der Zurückrechnung für die Zeit davor - deutlich zugunsten des MSCI aus: Schon seit dem dritten Jahr nach Auflage schneidet der tonangebende Gradmesser der Welt leicht und seit Mitte 2014 sehr viel besser ab.
Ein Vergleich über wenige Jahre ist allerdings angesichts der Jahrhundertherausforderung des Klimawandels wenig aussagekräftig ist. Folglich ist Geduld angesagt, und auf langfristige Kurs- und Dividendendenvorteile zu setzen. Vielleicht sind dabei auch sogenannten „Smart-Beta“-Konzepte förderlich.

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