Die zwei Handys, die an diesem März-Vormittag in Wimbledon vor ihm auf dem Tisch liegen, deuten schon darauf hin: Ganz entspannt ist der Manager nicht, während er im Café seinen English Breakfast Tea trinkt. Carsten Kengeter ist in diesen Wochen damit beschäftigt, seine privaten Firmenbeteiligungen aufzulösen oder jedenfalls so neu zu ordnen, dass es keine Interessenkonflikte gibt. Der 48-Jährige hat in den vergangenen zwei Jahren in kleine Finanztech- und Biotech-Unternehmen investiert. Das muss jetzt sortiert werden. Kengeter ist seit 7. April Vorstand der Deutschen Börse. Nach der Hauptversammlung am 13. Mai soll er die Leitung des Konzerns und dann ab 1. Juni den Vorstandsvorsitz übernehmen. Da sind geordnete Verhältnisse von Vorteil.
Für Kengeter gehen rund zwei Jahre als Privatier, Investor und Gastprofessor an der London School of Economics (LSE) zu Ende. Zwei Jahre, in denen er einen ganz neuen Blick auf die internationale Hochfinanz, in der er seit zwei Jahrzehnten Karriere macht, gewonnen haben will. „Als ich draußen war, habe ich festgestellt, dass die Regulatoren sehr viel Gutes gemacht haben und die Banker eigentlich nicht“, sagt er. Auch die Forschung an der LSE, wo er sich mit Regulierungsthemen und der Finanzkrise befasste, trug offenbar zur Läuterung bei. Wissenschaftlich veröffentlicht hat der Gastprofessor seine Erkenntnisse freilich bisher nicht, Vorlesungen hat er auch keine gehalten. Aber vielleicht gewährt ja demnächst der Praxistest Einblicke darin, was genau Kengeters Forschungs- und Freizeitjahre so an Erkenntnis gebracht haben.
Die Erwartungen jedenfalls sind hoch. Als die Börse Ende Oktober Kengeters Ernennung bekannt gab, schwärmte die „Börsenzeitung“: „Ein prächtiger Fang für die Börse.“ Und Aufsichtsratschef Joachim Faber sagte: „Wir freuen uns sehr, dass es uns gelungen ist, einen so erfahrenen und qualifizierten Nachfolger für den langjährigen CEO der Deutschen Börse AG zu identifizieren.“ Reichlich Vorschusslorbeeren; vermutlich auch, weil sein Vorgänger Reto Francioni eine durchwachsene Bilanz hinterlässt. Da stört es kaum, dass ein ehemaliger Goldman-Sachs-Weggefährte Kengeters stänkert: „Er war ein Teflon-Mann“ – einer, an dem kein Problem hängen blieb.
Am Sitz der Deutschen Börse in Eschborn hätten es manche gerne gesehen, wenn der Neue schon im Januar angefangen hätte. Mit dem Unternehmen sei ja nichts mehr passiert in den vergangenen Jahren, viele langweilten sich, hört man. Nach der 2012 gescheiterten Fusion zwischen der Deutschen Börse und der New York Stock Exchange, die in letzter Minute von den EU-Wettbewerbsbehörden gestoppt wurde, hatte sich viel Frustration aufgebaut.
Die Börse, deren Führungsmannschaft geprägt ist von Männern um die 60, steht also vor einem Generationswechsel. Doch es geht um mehr als eine Verjüngungskur. Der Konzern soll internationaler werden, schneller, technologierorientierter. Es wird eine große Umstellung: für den Konzern und seine Mitarbeiter ebenso wie für Kengeter, der das Börsengeschäft nur als Nutzer von außen kennt und dessen Ruf seit seiner Zeit bei der UBS etwas angekratzt ist.