Ökonom Daniel Stelter "Der Wohlstand der Mittelschicht wird sinken"

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"Es gibt nur zwei Möglichkeiten zur Lösung"

Das ist im Prinzip seit Jahrzehnten der Fall; weshalb sollte es gerade jetzt zum Problem werden?

Im Moment bekämpfen wir die Schulden mit einer Art Doppeltherapie: mit Niedrigzinsen und Sparprogrammen. Diese Strategie ziehen wir nun schon seit sieben Jahren durch, und die Schuldenlast sinkt nicht, sondern sie steigt. Zum Problem wird sie konkret werden, wenn eines oder mehrere der unter den Sparprogrammen ächzenden Länder den Euro verlassen und seine Kredite nicht mehr tilgen will. Dann gibt es eine neue Bankenkrise. Ein paar Mal standen wir schon kurz davor. Diese Gefahr ist nicht gebannt, weil die bisherige Niedrigzins-Politik der Notenbanken das Problem nicht beseitigt, sondern nur Zeit kauft, die die Politik aber nicht nutzt.

Konkret: Um den Kollaps und Staatspleiten zu verhindern, haben die Notenbanken die Zinsen auf null gesenkt und Schuldpapiere aufgekauft, also Geld gedruckt. Auf die Dauer ist das gefährlich, weil die Volkswirtschaften sich an das billige Geld der Notenbanken gewöhnen, kaum wirkliche Reformen angehen und außerdem langfristig die Gefahr besteht, dass die Bürger das Vertrauen in die Währungen verlieren. Dann gäbe es eben doch noch eine galoppierende Inflation.

Daniel Stelter

Hatten die Notenbanken 2008 denn überhaupt eine Handlungsalternative?

Damals war es richtig, mit viel Geld, Konjunkturprogrammen und Zinssenkungen gegen einen drohenden Stillstand des Systems zu kämpfen. Aber das sind Akutmaßnahmen; langfristig verschärfen sie das Problem, wenn man sie nicht wieder absetzt. Wir hatten nun fast sieben Jahre Zeit, eine andere, langfristig tragfähige Lösung für das Schuldenproblem zu finden.

Welche Lösungen schweben ihnen vor?

Es gibt ja nur zwei Möglichkeiten: Da das Heraussparen aus den Schlamassel trotz Negativzinsen und Anleihekäufen offenbar nicht funktioniert, kann man die Schuldenberge nur verringern, indem man sie per Federstrich abträgt. Also Teile der Schulden streicht. Oder, indem man hohe Inflation erzeugt, die sie real entwertet. Inflation erzeugen ist offenbar auch nicht so einfach, wie die Notenbanker dachten. Im Moment herrscht ja eher das Gegenteil, Deflation. Außerdem ist Inflation sozial ungerecht. Ich plädiere für einen geordneten Schuldenschnitt.

Verlierer wären Gläubiger, also Rentner und Sparer.

Ja, wenn man es mit dem Rasenmäher macht. Deswegen ja geordnet. Ganz ohne Schmerzen werden wir aus der über viele Jahre eingebrockten Situation nicht herauskommen, es geht längst nur noch um Schadensbegrenzung. Je länger wir an den alten, sinnlosen Rezepten festhalten, desto teurer wird es. Ein geordneter Schuldenschnitt könnte beispielsweise auf einen relativ langen Zeitraum gestreckt werden. Dann wäre es für die einzelnen Anleger, Steuerbürger und Unternehmen auch verkraftbar.

Von welchem Umfang der Schuldenstreichung sprechen wir und wie hoch müssten Steuern sein, um das gegen zu finanzieren?

In der Eurozone dürften mindestens drei Billionen Euro an privaten und öffentlichen Schulden uneinbringlich sein. Das bedeutet auch, dass ebenso drei Billionen an Geldvermögen nicht so werthaltig sind, wie die Besitzer denken. Wenn man die Schulden geschickt bündelt und – auch mit Hilfe der EZB –refinanziert, lässt sich die Belastung über Jahrzehnte gerechnet gering halten.

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