Plattform für Privatanleger Die zweifelhafte Erfolgsgeschichte von Tradegate

Tradegate bietet Anlegern nicht immer die besten Preise - dennoch stieg das Unternehmen zur größten Börse für Privatanleger auf. Zum Erfolg verhilft der Plattform ausgerechnet die Deutsche Börse, in dem sie ihre Anteile an der Wertpapierhandelsbank aufstockt.

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Die Kurve des DAX vom 27.1.2014 Quelle: dpa

Die Männer wirken erstarrt: Einer ist mit verschränkten Armen im Stuhl versunken, der andere hat sich hinter acht Monitoren verschanzt. Regungslos starren sie auf ihre Schirme. Drei Stühle weiter hockt ein Leidensgenosse, die Hände gefaltet. Allein: Beten hilft Hessens Maklern auf dem Börsenparkett nicht – es mangelt an Kundenaufträgen.

Die Ursache dieser Tristesse suchen Frankfurts Händler in Berlin: Dort, an der Börse Tradegate, hat der Bulle den Bären längst erlegt. Die Skulptur im Besucherraum signalisiert: Hier steigen Kurse, Tradegate ist auf der Gewinnerseite. Genau genommen ist es Gründer Holger Timm.

Tradegate in Zahlen

Dem 57-Jährigen gehört die Mehrheit der Bank Tradegate AG, die an der Börse Tradegate Exchange mit Aktien handelt. Gegen den Trend im Börsenhandel ist sein Umsatz massiv gewachsen. Der Aufsteiger hat sogar das altehrwürdige Frankfurter Parkett überholt: 2013 setzte er 41,2 Milliarden Euro mit Aktien um – 31 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Frankfurt schaffte nur 25 Milliarden Euro. „Den Neid muss man sich erarbeiten“, sagt Timm.

Nun hat er einen großen Plan: Mithilfe seines Partners Deutsche Börse will der grauhaarige Mann Europa erobern. „Ich möchte die Tradegate Exchange als führende europäische Börse für Privatanleger weiterentwickeln“, sagt er und lupft seine Hornbrille. Sein „Baby“ Tradegate ist bereits führend bei deutschen Privatanlegern und brüstet sich, dass der Marktanteil am Aktienhandel im Vergleich zu den sieben Wettbewerbsbörsen 2013 auf „bis zu 58 Prozent gestiegen“ sei. Nicht drin in der Rechnung ist das elektronische Handelssystem Xetra, auf dem sich Profis tummeln.

Timms Geschichte ist ein Lehrstück, ein Musterbeispiel dafür, wie ein findiger Geschäftsmann von der gut gemeinten, aber realitätsfernen Regulierung der Europäischen Union (EU) profitiert. Betroffen sind Kunden fast aller Banken – von Sparkassen und Volksbanken bis hin zur Postbank.

Wer wissen will, warum Timm an Privatanlegern verdient, muss zurückschauen. Weil die EU Anleger schützen wollte, dokterte sie jahrelang an vermeintlich strengen Regeln für die Finanzmärkte herum – heraus kam die Regulierung Mifid. Die EU verdonnerte Banken dazu, Kundenaufträge („Orders“) zu den „bestmöglichen“ Konditionen auszuführen. Gibt der Kunde nicht vor, wo er handeln will – bei Volks- und Raiffeisenbanken ist das bei jedem dritten Auftrag so – entscheidet die Bank.

Was Tradegate-Anleger wissen müssen

Nur theoretisch bester Preis

Timm profitiert von den Schwächen der Vorschrift: So müssen Banken nur sicherstellen, dass ein Auftrag zum theoretisch besten Preis ausgeführt wird. Laut Vorgabe sei es „nicht entscheidend“, welchen Preis ein einzelner Auftrag erziele, sondern „ob das Verfahren typischerweise zum bestmöglichen Ergebnis“ führe, sagt Thomas Dierkes, Vorstand der Börse Düsseldorf. Jedes Mal zu prüfen, wo es in der Minute den besten Preis gibt, ist teuer und aufwendig.

Banken machen daher Stichproben: Wo ist der Preis am günstigsten, wie hoch sind Gebühren, wie schnell wird eine Order abgewickelt? Auf Basis der Tests wird eine Rangliste erstellt. Die Börse, die oben steht, kriegt alle Aufträge – oft ist es Tradegate.

Orders für Tradegate

Doch die EU-Vorgabe lässt Spielraum.

Preise sind nicht verbindlich. Börsenmakler müssen zwar permanent veröffentlichen, zu welchen Preisen sie bereit wären, Aktien anzukaufen und zu verkaufen – zum Handel aber kommt es nicht ständig. Fließt kein echtes Geld, kann man sich nach außen besser darstellen, als man ist: Preise (Taxen) sind nicht verbindlich, können aber in die Rankings einfließen.

Banken nicht neutral. Die Institute können Ranking-Kriterien so gewichten, dass der Handelsplatz gewinnt, der ihnen selber Vorteile bringt. Timms Tradegate verrechnet abends alle Orders, die von einer Bank gekommen sind – so, als ob es nur einen Auftrag pro Aktie gegeben hätte. Die Kosten der Banken, sagt Timm, konnte er so um bis zu 80 Prozent reduzieren. „Banken haben damit einen Anreiz, ihr Ranking so aufzustellen, dass die Orders ihrer privaten Kunden an den für die Bank billigsten Handelsplatz gehen“, sagt Uto Baader, Chef der Baader Bank. Der für die Bank billigste Platz aber muss keineswegs der für Kunden günstigste sein.

Kostenlos, nicht umsonst

Wer im Ranking Handelskosten hoch gewichtet, könnte Tradegate Orders zuleiten – denn Tradegate nimmt von Anlegern keine Gebühren. Die DZ Bank, die Orders aus Volks- und Raiffeisenbanken weiterleitet, gewichtet Kosten mit 40 Prozent. Tradegate bekommt dort alle Orders inländischer Aktien und die der 50 größten europäischen. Die Deutsche WertpapierService Bank (dwp), die Orders für fast alle Sparkassen, Postbank und die Hälfte der Privatbanken routet, gewichtet Kosten gar mit 50 Prozent. Sie gibt Orders für Dax-Aktien bis 5.000 Euro an Tradegate. Die Bank betont, dass sie auf das für Anleger „günstigste Ergebnis“ abstelle. Das System sei „neutral“.

Kosten hoch zu gewichten ist aber unlogisch, sie machen nur Bruchteile der Anlegerrechnung aus. Wer etwa in München Dax-Papiere im Wert von 5.000 Euro ordert, zahlt zwei Euro an die Börse. Ein um ein Prozent schlechterer Kurs würde dagegen mit 50 Euro zu Buche schlagen.

Dass Tradegate Anleger gratis handeln lässt, schiebt Tradegate in den Rankings nach vorne und bringt Aufträge.

Allein: Der Handel kostet Geld, Händler brauchen moderne Technik, Mitarbeiter Gehalt. Die Tradegate AG verdient an der Spanne zwischen dem Preis, zu dem sie Aktien kauft, und dem, zu dem sie verkauft. „Der Handel ist die wesentliche Einnahmequelle der Tradegate AG“, sagt Timm.

10 Tipps für Börseneinsteiger

Solange das Handelssystem Xetra der Deutschen Börse offen hat, läuft alles weitgehend fair. Auf Xetra handeln von 9 bis 17.30 Uhr vor allem institutionelle Anleger mit großen Orders, der Platz ist die liquideste Börse. Dann orientieren sich Makler anderer Plätze an diesen Kursen, Xetra ist der Referenzmarkt – auch für Tradegate.

Wehe aber, Xetra hat zu. „Dann sinkt die Qualität der Preise massiv“, sagt ein Banker, in dessen Haus Tradegate auf der Rangliste über Jahre vorn stand. Das Problem: Viele Anleger beschäftigen sich erst abends mit ihrem Depot, bei dwp trudeln viele Orders abends ein, wenn Xetra zu ist. Dann ist Tradegate die liquideste Börse, der Platz hat von 8 bis 22 Uhr geöffnet. Bei den von dwp vertretenen Banken geben bis zu 60 Prozent der Anleger keinen Handelsplatz an. 15 Prozent dieser „weisungslosen Orders“ laufen außerhalb der Xetra-Zeiten auf.

29 Millionen Euro erhandelt

Dann, sagen Insider, verdiene Tradegate Geld. „Abends sind wir der Markt“, sagt Timm. 2013 erlöste seine Bank, die auch Makler an den Börsen Frankfurt und Berlin hat, netto gut 29 Millionen Euro im Handel. Kritiker werfen ihr vor, Anleger mit fragwürdigen Methoden abzukassieren. „Wir haben geprüft, ob wir Orders abends weiterleiten müssen“, sagt ein Banker. Er muss, und das „unverzüglich“, so will es die EU.

In Köln sitzt Volker Müller* vor sieben Bildschirmen. Der 43-Jährige handelt privat, aber in Vollzeit. Müller zeigt auf den Schirm unten in der Mitte. „Das ist mein wichtigster Monitor“, sagt er, über den Schirm handelt er, dort wird das Geld verdient – vorausgesetzt, Tradegate lässt ihn.

Die Gewinner und Verlierer am Aktienmarkt
GewinnerBorussia Dortmund: 22 Prozent Der einzige börsennotierte Fußballklub Deutschlands ist nicht nur sportlich erfolgreich, sondern auch wirtschaftlich. Im Juni ist die Aktie in den SDax aufgerückt, nicht zuletzt, weil sich der Börsenwert in den vergangenen zwei Jahren verdoppelt hat. Quelle: dpa
RWE: 23 ProzentDie Aktie des deutschen Energieversorgers ist wieder im kommen, von dem starken Abwärtstrend um 60 Prozent zwischen Anfang 2010 und September 2013 ist fast nichts mehr zu spüren. Warum? Das Investment ist durch eine günstige Bewertung und eine gute Dividendenrendite wieder attraktiv. Allerdings ist es unklar, ob das auf Dauer so bleiben wird. Quelle: dpa
Fielmann: 25 ProzentDas Unternehmen ist der Marktführer im Bereich "Augenoptik": 578 Niederlassungen gab es 2012 in Deutschland und einen Absatzmarktanteil von 51 Prozent. Auch in Zukunft sieht es nicht schlecht für den Brillenhersteller aus - es werden nämlich immer mehr Brillen und Kontaktlinsen gebraucht. Das Geschäftsmodell ist sicher, die Dividendenrendite stark - alles gute Zeichen für Fielmann. Lediglich die Online-Versandhändler könnte die gute Bilanz vermiesen. Quelle: dpa
Xing: 27 Prozent Das Unternehmen ist seit 2006 an der Börse und seit September 2011 im TecDax notiert - es gibt nicht viele soziale Medien, die am deutschen Aktienmarkt gehandelt werden. Das Netzwerk für berufliche Kontakte hat eine relativ gute Bewertung. Quelle: dpa
Hornbach: 28 ProzentEs wird vermutet, dass die Baumarktkette ihren Geschäftsblick für das laufende Jahr noch anheben wird. Denn das Unternehmen ist gut unterwegs: Alleine im ersten Quartal 2014 konnte der Umsatz um 16 Prozent auf eine Milliarde Euro gesteigert werden. Quelle: dpa
Sixt: 32 ProzentMieten ist attraktiver als kaufen - davon profitiert das Unternehmen. Außerdem gibt es zwei weitere Punkte, warum Sixt so erfolgreich ist: Das internationale Geschäft wird wichtiger und der Limousinenservice "my Driver" soll das Wachstum antreiben. Quelle: dpa
Kuka: 33 ProzentIndustrietaugliche Roboter bescheren dem Unternehmen einen Vorsprung gegenüber den Wettbewerber. Die hohe Bewertung wird auch durch Gerüchte um den Einstieg eines anderen Unternehmens angeheizt. Quelle: dpa

Der Blondschopf denkt nach. Es ist kurz nach 19 Uhr, Xetra hat zu, Müller will aber jetzt Osram-Aktien kaufen. Um Tradegate zu testen, tut er, was er sonst „niemals“ tun würde: Er gibt eine Order ohne Limit auf, bei der der Makler ihm Aktien zum nächstmöglichen Preis verkaufen darf. Müller will doppelt so viele Papiere kaufen, wie Tradegate zu dem Preis aktuell handeln würde. Wohl ist ihm nicht dabei, ein Profi würde dem Makler nie so einen Freibrief geben. Er macht eine Ausnahme und bekommt die ersten 300 Aktien tatsächlich zum von Tradegate vorab signalisierten Preis.

Elf Sekunden später erhält er die nächsten 300 – aber 0,85 Prozent teurer. Der Profi lehnt sich zurück und zieht die Augenbrauen hoch: „Ein guter Aufschlag“, sagt er ernüchtert. 91 Euro mehr hat ihn die zweite Ausführung gekostet. Wegen solcher Summen beschwert sich kein Anleger – bei Tradegate aber können sie sich läppern.

Kampf hinter den Kulissen

Tradegate hat den höheren Preis in derselben Sekunde angezeigt, in der die zweite Tranche des Auftrags ausgeführt wurde. Müller sitzt direkt vor dem Schirm, hatte aber keine Chance, den Auftrag zu löschen.

Die EU-Richtlinie verlangt, dass Makler die Preise publizieren, zu denen sie bereit sind, zu handeln. Händler veröffentlichen auch die Zahl der Aktien, die sie handeln würden. Anleger sollen wissen, welcher Preis sie erwartet. Wie lange der angezeigt werden muss, ehe gehandelt wird, sagt die EU nicht – vorgeschrieben sind lediglich „angemessene“ Bedingungen.

Die zehn wichtigsten Aktien-Regeln

Was „angemessen“ ist, ist strittig. Aufsicht über den Börsenhandel ist Sache der Länder. Die Berliner Aufsicht toleriert das Handelsgebaren, das in anderen Ländern undenkbar scheint: Hessens Aufsicht etwa schreibt vor, dass ein Anleger ohne „elektronische Hilfsmittel“ in der Lage sein müsse, auf einen geänderten Preis zu reagieren. Es gibt zwar keine feste Frist, „fünf bis zehn Sekunden“ solle der Händler aber warten, bis er eine Order ausführe. „Der Kunde muss die Chance haben, eine Order zu löschen, wenn sich der Preis verschlechtert. Die angemessene Zeit dafür liegt bei rund 30 Sekunden“, sagt Norbert Betz, Chef der Börsen-Handelsüberwachung in München. Und auch an der klassischen Börse Berlin muss ein Makler, wenn er zum ungünstigeren Preis abschließen will, „ zunächst etwas warten, bis er die Order ausführt – schließlich soll der Kunde noch auf den veränderten Preis reagieren können“, sagt Chef Jörg Walter. Der Fall Osram wäre in Hessen, Bayern und anderswo also zum Fall für die Aufsicht geworden – nicht so in Berlin.

Vorwürfe von Close Brothers Seydler

Hinter den Kulissen tobt daher der Krieg der Makler. Mittendrin: die Bank Close Brothers Seydler. Deren Makler handeln in Hessen – und dürfen nicht, was Tradegate erlaubt ist. Close Brothers hat sich deshalb in einem Brief an die Berliner Aufsicht beschwert. Der Vorwurf: Tradegate halte sich nicht an EU-Regeln, mache neue Preise und führe Orders in dem Moment aus, in dem der geänderte Preis angezeigt wird.

Wie Tradegate vor dem Start des Xetra-Handels der Deutschen Börse Anleger ausbootet. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Stichproben deuten darauf hin, dass Anleger schlechtere Kurse bekommen, wenn Tradegate neue Preise in der gleichen Sekunde anzeigt und Orders ausführt (siehe Grafik). Timm rechtfertigt, ausführbare Orders würden „sofort automatisch vom elektronischen Handelssystem ausgeführt“. Sofern kein Referenzmarkt geöffnet sei, könne „die Preisfindung ausschließlich aufgrund der Orderbuchlage erfolgen“. Sein Computer berechnet den Preis anhand der vorliegenden Orders.

Das zeigt, wie gefährlich es ist, eine Order ohne Preislimit aufzugeben. Wer es tut, muss damit rechnen, dass Tradegate sie als „ausführbare Order“ betrachtet – liegt der nächste Preis tiefer, ist es Pech für Anleger.

Timm, der sich zum Gespräch mit der Redaktion ganz in Schwarz gekleidet hat, legt die Hand auf den Tisch: „Ich habe nie behauptet, dass wir immer die besten sind.“ Sagt’s und zuckt mit den Schultern.

„Das Börsengesetz lässt den einzelnen Börsen einen gewissen Spielraum bei der Ausgestaltung ihres Börsensystems“, sagt Renate Hinsken, Chefin der Börsenaufsicht in Berlin. Und „ob die Preise auf einer Handelsplattform wirtschaftlich für den Anleger Sinn machen, ist nicht unsere Frage“.

Indem Tradegate Orders schon in der Sekunde ausführt, in der der geänderte Preis angezeigt wird, hält die Börse Arbitrageure fern. Deren Computer suchen permanent nach Preisunterschieden zwischen Börsen. Ein steigender Preis an der einen Börse zum Beispiel lockt Arbitrageure an, die den Anstieg mit Verkäufen stoppen. Tradegate verhindert das, denn wenn die Computer einen veränderten Preis registrieren, ist das Geschäft längst gelaufen.

Alles unter Kontrolle

Andere Börsen, die daran verdienen, Käufer und Verkäufer zusammenzubringen, sehen Arbitrageure als nützlich an – helfen sie doch, die Spanne zwischen Ankaufs- und Verkaufspreis (Spread) zu drücken, sodass Anleger günstiger kaufen können. Nimmt die Börse keine Gebühren, steigt die Gefahr, dass sie nicht nur Käufe und Verkäufe von Anlegern gegeneinander ausführt, sondern Aktien erst mal selbst auf das eigene Buch nimmt und teurer wieder abgibt. „Jeder Makler will das Geschäft machen“, sagt Timm. Geschätzt handelt Tradegate 80 Prozent der Aktien selbst, statt Kundenorders zusammenzuführen. Den Spread vereinnahmt Timms Tradegate AG.

Deutsche sind die größten Finanz-Analphabeten Europas
53 Prozent ohne FinanzbildungMehr als die Hälfte der Deutschen gibt an, keine Finanzbildung erhalten zu haben. Dies ergab eine Umfrage der Ing-Diba in Zusammenarbeit mit Ipsos Marktforschung. Auf die Frage: „Haben Sie jemals Finanzbildung erhalten?“ antworteten 53 Prozent der Deutschen mit „Nein“, was die höchste Quote unter den befragten Ländern war. Für finanziell besser gebildet halten sich dagegen... Quelle: dpa
...die Polen. Dort antworteten nur 39 Prozent mit „Nein“. Auf Platz zwei landete Luxemburg. Dort gaben 42 Prozent an, keinerlei Finanzbildung erhalten zu haben. Quelle: dpa
Alle wollen sie, kaum einer kriegt sieIn Großbritannien fordern 88 Prozent der Befragten Finanzbildung in der Schule. Doch nur zwölf Prozent haben sie auch wirklich erhalten. In Deutschland wünschen sich 78 Prozent, dass Finanzbildung in der Schule vermittelt wird. Jedoch nur 18 Prozent bekamen diese auch in der Schule. Damit haben etwa 40 Millionen Erwachsene keinerlei Finanzbildung in der Schule erhalten. Quelle: dpa
Frauen kennen sich besser ausAuf die Frage: „Wer kann besser Geld verwalten, Mann oder Frau?“ antworteten in Deutschland 25 Prozent mit „Frau“ und 14 Prozent mit „Mann“. 54 Prozent gaben an, dass es keinen Unterschied gebe. Die größte Differenz bei dieser Frage gab es... Quelle: dpa
...in der Türkei. Dort sagten 46 Prozent, dass Frauen Geld besser verwalten könnten, 30 Prozent stimmten für die Männer. 20 Prozent gaben an, es gebe keinen Unterschied. In allen befragten Ländern lief es auf dasselbe hinaus: Frauen können es besser. Quelle: dpa
Die wenigsten Unterschiede zwischen Mann und Frau sahen die Luxemburger und die Österreicher. Hier gaben 58 Prozent an, dass es zwischen Männern und Frauen keinen Unterschied in der Finanzkompetenz gebe. Quelle: dpa
Die eigene Bank via Social Media kontaktieren? In Deutschland noch eine Seltenheit. Nur 20 Prozent der Deutschen gaben an, dass sie ihre Bank oft per Social Media ansprechen würden. 73 Prozent antworteten mit „selten/nie“. Anders ist dies dagegen in... Quelle: REUTERS

Hinsken von der Aufsicht soll Tradegate kontrollieren – doch in ihrer Behörde hat sie keinen Zugang zu Handelsdaten. Sie ist auf die Zusammenarbeit mit der Tradegate-Handelsüberwachung angewiesen.

Doch die steht unter dem Einfluss von Timm. Er ist Vorsitzender des Börsenrats der Tradegate Exchange. Ein Interessenkonflikt: Ihm gehört nicht nur die Mehrheit an der Tradegate AG, deren Händler an der Exchange Geld verdienen – Geld für Timm. Er ist auch Geschäftsführer der AG, die Anteile an der Exchange hält. Als Chef des Börsenrates gibt er die großzügigen Bedingungen mit vor, zu denen seine Leute die Orders filetieren. Aufgabe des Rates ist es überdies, die Börsenordnung zu erlassen, Händler zuzulassen, Geschäftsführer zu bestellen und abzuberufen, sie zu überwachen. Timm meint, es sei normal, dass Vertreter der Makler im Börsenrat sitzen. Timms Schwester Kerstin Timm verantwortet im Vorstand der AG den Handel. So aber hat der Bruder alles unter Kontrolle.

Aktien-Ampel bei Tradegate

Im Handelsraum der futuristisch angehauchten Tradegate-Zentrale am Ku’damm ist nur das leise Surren der Klimaanlage zu hören. „Hier wird nicht mehr geschrien und gebrüllt wie früher an der Parkettbörse“, sagt Timm. Seine Makler sitzen in einem Rondell an 40 kuchenstückförmigen Arbeitsplätzen. Auf ihren Rechnern blinkt es fortwährend: rot (Kurs fällt), gelb (unverändert), grün (steigt). Eine Ampel auf dem Monitor zeigt den Händlern, ob die Aktien, die sie überwachen, handelbar sind. Die Makler greifen ein, wenn der Computer hakt. Sie überwachen, ob er zu viele Aktien kauft. Falls ja, wird verkauft. Ihr Handelssystem wurde im eigenen Haus programmiert. Wie aber verdienen sie ihr Geld?

Die Deutsche Börse investiert, andere sammeln das Geld ein. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Preis nach oben schrauben. Der Computer macht Kurse – und hält angezeigte Preise nicht immer ein. Als ein Anleger kürzlich nach 18 Uhr Aktien eines Nebenwertes kaufen wollte, verteuerte Tradegate mehrfach den Preis, statt die Order auszuführen. Stunden später musste der Käufer 40 Cent oder zwei Prozent mehr pro Aktie zahlen, als der ursprüngliche Preis signalisierte.

Anleger können daraus lernen: Der Käufer wollte dreimal so viele Aktien kaufen, wie Tradegate anbot. Gerade in Randzeiten sollten Anleger maximal so viel ordern, wie ein Platz anzeigt. Sonst läuft er Gefahr, dass ein Makler mit Einblick ins Orderbuch sein Wissen nutzt – und der Preis für Käufer steigt. Wer offline handelt, sollte ab 9 Uhr, wenn Xetra öffnet, beim Banker anrufen, die Kurse der Börsen abfragen und dann den günstigsten Platz auswählen.

Immer einen Schritt vor dem Kunden. Anleger Müller will im Späthandel Commerzbank-Aktien kaufen. Er will Tradegate überbieten. Verkäufer sollen von ihm nun mehr Geld bekommen als von Tradegate. Eigentlich, denn kaum hat er die Order abgeschickt, zuckt es auf seinem Schirm – Tradegate hat jetzt ihn überboten. Prompt verkauft ein anderer Marktteilnehmer 170 Aktien über die Börse. „Hätte Tradegate meinen Preis nicht überboten, hätte ich die bekommen“, sagt Müller. Sein Blick schweift über seinen Garten, doch selbst die bunten Blumen können ihn nicht beruhigen. „So geht das jeden Tag“, sagt er. Immer wenn sein Angebot besser ist als der Tradegate-Preis, überbietet die Maschine ihn um einen Zehntelcent. „Tradegate will das Geschäft selbst machen“, sagt er. Timm kontert, dass sein Computer die Preisqualität im Sinne privater Anleger verbessere.

Wie man an der Börse die besten Chancen hat

Jetzt zettelt Müller einen Kleinkrieg an: Immer, wenn Tradegate ihn übertrumpft, drückt er „Beat“ – überbieten. Müller und die Börse schaukeln den Ankaufspreis hoch, bis der nahezu dem Verkaufspreis entspricht. Er hat genug, löscht die Order. Sofort zieht Tradegate die Spanne breiter, senkt den Ankaufspreis. „Das ist nicht Zweck einer Börse, die Käufer und Verkäufer zusammenbringen soll“, sagt Müller.

Auf Tradegate, so scheint es, macht der Makler das Geschäft. Basta.

Stop-Limits als leichte Beute. Diese Limits sollen vor Verlusten schützen. Fällt die Aktie unter das vom Anleger gesetzte Limit, soll der Makler Aktien automatisch verkaufen. Auf Tradegate aber kann ein Limit ausgelöst werden, wenn der Makler nur eine Taxe eingibt, die nicht verbindlich ist. Es kann zur Kettenreaktion kommen: Außerhalb der Xetra-Zeit sinkt die Liquidität, das Risiko für Tradegate steigt. Dies lässt sich der Händler bezahlen, indem er seine An- und Verkaufspreise auseinanderzieht: Anleger kriegen schlechtere Preise.

Anleger handeln gratis

Werden durch die breite Spanne Stops ausgelöst, werden Aktien verkauft. Der Kurs sinkt, weil Tradegate den nächsten Preis tiefer ansetzt. Im schlimmsten Fall werden weitere Stops gerissen, der Preis sinkt – wie am 7. August. Da purzelte der Siemens-Kurs im Späthandel – obwohl das Angebot in Stuttgart besser war (siehe Grafik). Timm kontert: Die Preise seien „nach Orderbuchlage“ gemacht und „nicht zu beanstanden“. Die Aktien der Anleger aber waren raus aus dem Depot.

Spanne verschieben. Es ist ein Trick unter Maklern, die Kundenaufträge sehen können. Liegen viele Kauforders vor, setzt der Makler beide Preise hoch – den, zu dem er kaufen, und den, zu dem er verkaufen würde. Das fällt kaum auf: Die Spanne zwischen An- und Verkauf, auf die viele gucken, bleibt genauso breit wie auf Xetra.

Tradegate drückt den Kurs der Siemens-Aktie, vermutlich löst das Stop-Loss-Limits aus. Im Vergleich zu Stuttgart verkauften Anleger Siemens auf Tradegate billig. (zum Vergrößern bitte anklicken)

So geschehen am 2. Juli. Gegen 11.15 Uhr wickelte Tradegate sechs Geschäfte in Aktien der Deutschen Bank ab. Fünf Mal wurden Käufer im Vergleich zu Xetra einen halben Cent schlechter bedient. Für Anleger entscheidet ein halber Cent zwar nicht über den Anlageerfolg – für Tradegate aber macht Kleinvieh den Tag über viel Mist. Da Tradegate in Dax-Aktien für 50 000 Euro Volumen „Wort halte“, könne es zu geringen Abweichungen kommen, sagt Timm.

Starke Verbündete

Viel Geschäft holt Timm auch von Online-Brokern. Die stellen auf ihren Ordermasken eine Börse vorab ein. Will der Anleger dort nicht handeln, muss er aktiv eine neue Börse anklicken. Bei Cortal Consors etwa erscheint Tradegate als erster Börsenplatz. Das verwundert nicht: Die Consors-Mutter BNP Paribas ist an Timms Tradegate AG beteiligt und kassiert Dividende.

Timms zweiter Aktionär ist die Deutsche Börse. Die müsste den Aufsteiger eigentlich kleinhalten, arbeitet aber tatkräftig mit, Orders zu Tradegate zu schaufeln. Die Deutsche Börse hat ihren Anteil sogar noch aufgestockt. "Die Aufstockung hat für uns strategischen Charakter und bekräftigt unsere langfristig ausgerichtete Kooperation mit der Tradegate AG", erklärte Martin Reck, Managing Director des Kassamarktes der Deutschen Börse.

Der heutige Deutsche-Börse-Chef Reto Francioni war im Mai 2000 Co-Vorstandschef der Consors AG. Die übernahm damals 53 Prozent an der Tradegate-Mutter Berliner Effektengesellschaft. Timm jubelt bis heute: „Consors war der erste große Kunde der damaligen Handelsplattform Tradegate, da konnte ich testen, was Anleger wollen.“ Die Presse jubelte mit: Consors wolle dem Platzhirsch Deutsche Börse Konkurrenz machen. Endlich.

Später holte sich Timm sein Baby teils zurück, sodass die Berliner Effekten wieder mehrheitlich ihm gehört. Francioni wurde 2005 Chef der Deutschen Börse und kaufte Anfang 2010 fünf Prozent an Timms Tradegate AG und 75 Prozent an der Tradegate Exchange. Mittlerweile hält Deutschlands größter Börsenbetreiber nach der Ausübung von Kaufoptionen knapp 15 Prozent nach zuvor rund fünf Prozent.

Umgekehrt wäre besser gewesen: Die Exchange macht kaum Gewinn, weil Anleger gratis handeln, das dicke Geld machen Timms Makler, die aber zur Tradegate AG gehören. Francioni scheint das nicht zu stören. Seit Jahren entsenden die Frankfurter eine Führungskraft in die Geschäftsführung der Exchange. Aufgabe: Marketing, neue Kunden an die Plattform anbinden. Die Deutsche Börse arbeitet daran, dem eigenen Handelsplatz Marktanteile abzujagen. Vor allem Xetra soll Orders an Tradegate verloren haben. Francioni hat sich die Option gesichert, die Beteiligung an der AG auf 20 Prozent aufstocken zu können. So könnte er stärker an Gewinnen teilhaben. Allein: Warum nutzt er die Option nicht?

Fragen dazu wollten weder Francioni noch sein verantwortlicher Manager Martin Reck beantworten. Ob die Vorwürfe gegen Tradegate eine Rolle spielen? Im Bilde ist Reck. Der Redaktion liegt ein Schreiben vor, in dem Manager seiner Börse auf die Handelspraktiken bei ihrer Berliner Tochter hingewiesen werden.

In Frankfurt hat Reck die Makler zur Räson gerufen: Die Börse gibt Anlegern seit November eine „Qualitätsgarantie“. Reck hat versprochen, dass Anleger Aktien bis zu 7500 Euro zu Preisen wie am jeweiligen Referenzmarkt oder besser handeln können. Weichen Kurse ab, müssen Makler die Differenz erstatten.

Für Tradegate gilt die Garantie nicht.

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