Hinter den Kulissen tobt daher der Krieg der Makler. Mittendrin: die Bank Close Brothers Seydler. Deren Makler handeln in Hessen – und dürfen nicht, was Tradegate erlaubt ist. Close Brothers hat sich deshalb in einem Brief an die Berliner Aufsicht beschwert. Der Vorwurf: Tradegate halte sich nicht an EU-Regeln, mache neue Preise und führe Orders in dem Moment aus, in dem der geänderte Preis angezeigt wird.
Stichproben deuten darauf hin, dass Anleger schlechtere Kurse bekommen, wenn Tradegate neue Preise in der gleichen Sekunde anzeigt und Orders ausführt (siehe Grafik). Timm rechtfertigt, ausführbare Orders würden „sofort automatisch vom elektronischen Handelssystem ausgeführt“. Sofern kein Referenzmarkt geöffnet sei, könne „die Preisfindung ausschließlich aufgrund der Orderbuchlage erfolgen“. Sein Computer berechnet den Preis anhand der vorliegenden Orders.
Das zeigt, wie gefährlich es ist, eine Order ohne Preislimit aufzugeben. Wer es tut, muss damit rechnen, dass Tradegate sie als „ausführbare Order“ betrachtet – liegt der nächste Preis tiefer, ist es Pech für Anleger.
Timm, der sich zum Gespräch mit der Redaktion ganz in Schwarz gekleidet hat, legt die Hand auf den Tisch: „Ich habe nie behauptet, dass wir immer die besten sind.“ Sagt’s und zuckt mit den Schultern.
„Das Börsengesetz lässt den einzelnen Börsen einen gewissen Spielraum bei der Ausgestaltung ihres Börsensystems“, sagt Renate Hinsken, Chefin der Börsenaufsicht in Berlin. Und „ob die Preise auf einer Handelsplattform wirtschaftlich für den Anleger Sinn machen, ist nicht unsere Frage“.
Indem Tradegate Orders schon in der Sekunde ausführt, in der der geänderte Preis angezeigt wird, hält die Börse Arbitrageure fern. Deren Computer suchen permanent nach Preisunterschieden zwischen Börsen. Ein steigender Preis an der einen Börse zum Beispiel lockt Arbitrageure an, die den Anstieg mit Verkäufen stoppen. Tradegate verhindert das, denn wenn die Computer einen veränderten Preis registrieren, ist das Geschäft längst gelaufen.
Alles unter Kontrolle
Andere Börsen, die daran verdienen, Käufer und Verkäufer zusammenzubringen, sehen Arbitrageure als nützlich an – helfen sie doch, die Spanne zwischen Ankaufs- und Verkaufspreis (Spread) zu drücken, sodass Anleger günstiger kaufen können. Nimmt die Börse keine Gebühren, steigt die Gefahr, dass sie nicht nur Käufe und Verkäufe von Anlegern gegeneinander ausführt, sondern Aktien erst mal selbst auf das eigene Buch nimmt und teurer wieder abgibt. „Jeder Makler will das Geschäft machen“, sagt Timm. Geschätzt handelt Tradegate 80 Prozent der Aktien selbst, statt Kundenorders zusammenzuführen. Den Spread vereinnahmt Timms Tradegate AG.
Hinsken von der Aufsicht soll Tradegate kontrollieren – doch in ihrer Behörde hat sie keinen Zugang zu Handelsdaten. Sie ist auf die Zusammenarbeit mit der Tradegate-Handelsüberwachung angewiesen.
Doch die steht unter dem Einfluss von Timm. Er ist Vorsitzender des Börsenrats der Tradegate Exchange. Ein Interessenkonflikt: Ihm gehört nicht nur die Mehrheit an der Tradegate AG, deren Händler an der Exchange Geld verdienen – Geld für Timm. Er ist auch Geschäftsführer der AG, die Anteile an der Exchange hält. Als Chef des Börsenrates gibt er die großzügigen Bedingungen mit vor, zu denen seine Leute die Orders filetieren. Aufgabe des Rates ist es überdies, die Börsenordnung zu erlassen, Händler zuzulassen, Geschäftsführer zu bestellen und abzuberufen, sie zu überwachen. Timm meint, es sei normal, dass Vertreter der Makler im Börsenrat sitzen. Timms Schwester Kerstin Timm verantwortet im Vorstand der AG den Handel. So aber hat der Bruder alles unter Kontrolle.