Populismus in Europa Euro-Austritte als Horrorszenario für Anleger

In Frankreich propagiert Marine Le Pen den Euro-Ausstieg. Den meisten Investoren sei das egal, sagt die Chefin der Front National. Anleger sehen das anders. Sie fürchten um ihr Geld. Was Investoren jetzt wissen sollten.

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Eine Abkehr Frankreichs vom Euro wäre der Anfang vom Ende der Euro-Zone. Quelle: Imago

Frankfurt, Paris Die Partei Front National in Frankreich will es, die PVV in den Niederlanden will es, und die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien will es auch: Die Abkehr vom Euro und die Wiedereinführung nationaler Währungen. Das macht Anleger zunehmend nervös. Die Risikoprämien gerade französischer Anleihen sind in die Höhe geschossen. „Investoren fragen jetzt schon, ob Frankreich seine ausstehenden Anleihen in Franc statt in Euro zurückzahlen könnte“, meint Andrew Bosomworth, Deutschland-Anlagechef des Fondshauses Pimco.

Dabei steht Frankreich besonders im Fokus der Investoren, weil das Land gemeinsam mit Deutschland als einer der beiden wichtigsten Anker der Euro-Zone gilt. Hinzu kommt, dass sich bei den Wahlen in den Niederlanden wohl kaum eine Partei finden wird, die mit der PVV des Rechtspopulisten Geert Wilders koalieren wird. In Italien hat die Fünf-Sterne-Bewegung unter Führung des Ex-Komikers Beppo Grillo laut Analysten zwar durchaus Chancen auf eine Beteiligung der Regierung, doch noch steht nicht fest, ob überhaupt gewählt wird. Auch in Frankreich glauben Investoren zwar nicht an eine Präsidentin Le Pen, aber sie hat zumindest gute Chancen, in die Stichwahlen am 7. Mai zu kommen. Das macht Anlegern Kopfzerbrechen.

Kann aber ein Mitglied der Euro-Zone so einfach zur alten Währung zurückkehren? Und was wären die Folgen eines Austritts Frankreichs aus der Euro-Gemeinschaftswährung? Die Antworten auf diese und weitere Fragen zeigen, wie brisant die Situation werden könnte.

Kann ein Land einfach so den Euro abschaffen?

Zumindest nicht so einfach. Natürlich ist ein Land souverän und kann eine eigene Währung einführen. Den Euro kann ein Land aber laut dem EU-Vertrag nur abschaffen, wenn es auch aus der Europäischen Union austritt. Le Pen will die EU-Verträge im Sinne eines losen Staatenbunds erreichen. Sollte dies scheitern, will sie ein Referendum durchführen. Damit will sie die Genehmigung erhalten, über den Austritt zu verhandeln, dem auch das Parlament zustimmen muss.

Abgesehen von den vielen Hürden, wie würde ein Umtauschkurs aussehen?

David Rachline, Wahlkampfleiter der Front National, sagte zuletzt in einem Interview, dass die Währung neuer Franc zu Euro eins zu eins umgestellt würde. Nominal blieben damit die Schulden Frankreichs gleich.

Wie würde sich der Wechselkurs eines neuen Franc entwickeln?

Die Pläne der Partei Front National für eine neue Währung sind völlig chaotisch. Philippe Muret, einer von Le Pens Wirtschaftsberatern sagte kürzlich, die Regierung wolle den neuen Franc abwerten. Er ließ allerdings offen, in welchem Maße er die Währung schwächen will. In den Programmen der Rechtsextremen war zuvor von einer Abwertung von 20 bis 30 Prozent die Rede.

Le Pen selbst sagte am selben Tag wie ihr Wirtschaftsberater Muret, gegenüber dem Euro solle der neue Franc eins zu eins umgestellt werden. Gegenüber einer Deutschen Mark sollte der Franc aber rum 22 Prozent abwerten. Dabei sagte sie aber auch, Frankreich würde seine neuen Schulden eins zu eins zurückzahlen.

Ökonomen rechnen fest mit einer Abwertung. Daniel Hartmann, Volkswirt beim Anleihemanager Bantleon rechnet mit einer Abwertung von „mindestens 20 bis 30 Prozent“. Schließlich hat selbst das britische Pfund seit dem Brexit-Votum Ende Juni rund zehn Prozent zum Euro verloren, obwohl Großbritannien kein Mitglied der Euro-Zone ist und lediglich die EU verlassen will.

Was würde die Abwertung für Frankreich bedeuten?

Die Abwertung würde zwar den französischen Unternehmen beim Export helfen, doch die Importe würden sich extrem verteuern. Dabei ist die französische Wirtschaft viel stärker von Importen abhängig als von Exporten. 2016 ist das französische Handelsbilanzdefizit laut französischem Statistikamt Insee gegenüber 2015 um elf Milliarden auf 44 Milliarden Euro gestiegen.

Patrick Artus, Chefvolkswirt der französischen Bank Natixis, hält den Effekt einer Währungsabwertung auf die französischen Ausfuhren für sehr gering. Vom zeitweise niedrigen Euro haben Frankreichs Exporte jedenfalls nicht sonderlich profitiert.


„Chaos an den Märkten“

Wie würden die Anleger auf einen Abschied Frankreichs vom Euro reagieren?

„Die Währungsunion wäre bei einem Frexit – Frankreichs Abschied vom Euro – kaum noch zu retten“, sagt Christoph Weil, Volkswirt bei der Commerzbank. Bosomworth von Pimco sieht das ebenso, auch wenn er – wie fast alle Investoren und Analysten – nicht damit rechnet, dass es zu einer Präsidentin Le Pen und Frankreichs Abschied aus dem Euro kommt. Aber falls doch wäre laut Bosomworth „ein Chaos an den Märkten die Folge“.

Ablaufen würde das laut Weil so: Investoren würden ähnliche Schritte anderer Euro-Länder fürchten und nicht nur aus französischen, sondern auch aus Anleihen der Euro-Randländer fliehen. Diese Länder liefen somit Gefahr, den Zugang zum Kapitalmarkt zu verlieren. Weil: „Eine solche neuerliche Staatsschuldenkrise wäre wohl nur durch Kapitalverkehrskontrollen, ein noch massiveres Eingreifen der EZB oder durch eine Vergemeinschaftung der Schulden, sprich Euro-Bonds, einzudämmen.“ In Deutschland und anderen kleineren Euro-Ländern würde das aber wohl auf spürbaren Widerstand treffen.

Kann Frankreich seine Anleihen problemlos in einer neuen Währung zurückzahlen?

Marine Le Pen meint Ja. Das muss sie auch annehmen, denn: „Wenn ein neuer Franc abwertet, würden die Schulden Frankreichs faktisch deutlich steigen“, sagt Lenz von der DZ Bank. Doch die Rückzahlung in einer anderen Währung geht schon formal so einfach nicht. So müssen alle Staaten im Euro-Raum seit dem Jahr 2013 ihre neuen Anleihen mit sogenannten Collective-Action-Klauseln ausstatten. Das heißt, dass ein Land zum Beispiel die Währung der Anleihe nur ändern kann, wenn 75 Prozent der Gläubiger zustimmen. Diese Zustimmung dürfte es aber kaum geben. Von den französischen Staatsanleihen und Geldmarktpapieren im Umfang von 1,6 Billionen Euro sind laut DZ Bank etwas mehr als die Hälfte mit diesen Klauseln ausgestattet.

Würde das Frankreich von einer Umschuldung abhalten?

Nein. Die Partei Front National hat angekündigt, dass Frankreich seine Staatsschulden – neben denen der Zentralregierung auch die der Kommunen, staatlichen Stellen und Universitäten – im Wert von 1,7 Billionen Euro in neuen Franc zurückzahlen würde. Das entspricht rund 80 Prozent der öffentlichen Schulden im Wert von insgesamt 2,11 Billionen Euro. Der Grund: Diese Anleihen wurden unter französischem Recht begeben, von daher könne der Staat die Währung ändern. Die restlichen Anleihen würden in Euro getilgt. „Der Staat dürfte Möglichkeiten haben, per Gesetzesänderung die Währungsrückzahlung zu ändern“, meint Lenz von der DZ Bank. Aber: „Rechtlich unstrittig ist dies wahrscheinlich nicht.“

Was bedeutet das konkret?

Dass Le Pen mit einer Klagewelle rechnet. Dabei gibt es dafür abschreckende Beispiele: Argentinien plagte sich nach seiner Umschuldung im Jahr 2001 mehr als 15 Jahre mit klagenden Investoren herum. Neue Anleihen konnte das südamerikanische Land erstmals wieder im vergangenen Herbst begeben. Die Analysten der Société Générale gehen ebenfalls davon aus, dass der Gerichtsstand für Investoren wichtiger sein dürfte als die Anleihedokumentationen. Das ist auch deshalb wichtig, weil allein die Anleihen der Zentralregierung nach Angaben der französischen Notenbank zu 60 Prozent bei Investoren außerhalb Frankreichs liegen.


Potenziell größte Staatspleite aller Zeiten

Wie sehen die Ratingagenturen eine Abkehr vom Euro?

Die Antwort darauf ist eindeutig: Wenn Frankreich – oder ein anderes Land – seine Anleihen nicht wie versprochen in Euro zurückzahlen würde, wäre das in den Augen der Bonitätswächter ein Zahlungsausfall. „Es gibt hier keinen Zweifel: Wenn ein Emittent seine vertraglichen Verpflichtungen – inklusive der vereinbarten Währung – nicht erfüllt, würden wir das als Default werten“, sagt Moritz Krämer, Leiter für europäische Staatsratings bei Standard & Poor’s (S&P).

Im Falle Frankreichs wäre dies die größte formelle Staatspleite aller Zeiten – und rund zehnmal so groß wie der Zahlungsausfall, den die Ratingagenturen im Jahr 2012 nach der Umschuldung Griechenlands sahen. Die Partei Front National ficht das nicht an: „Wir werden von den französischen Bürgern gewählt, es ist nicht unsere Aufgabe S&P zu gefallen“, zitiert die britische Zeitung „Financial Times“ Mikael Sala, Chef des Thinktanks Croissance Bleu Marine, der die Front National unterstützt.

Was würde das für die Refinanzierungskosten Frankreichs am Anleihemarkt bedeuten?

Frankreich müsste sehr viel mehr für neue Anleihen bezahlen, denn Investoren würden wegen der Unsicherheit gerade auch nach einer Umschuldung deutlich höhere Renditen verlangen. Yannick Naud, Anleihechef bei der Banque Audi in Genf zieht einen Vergleich zu den Schwellenländern: Auch sie müssen für ihre Anleihen in Lokalwährungen deutlich höhere Renditen bieten als für ihre Hartwährungsanleihen in Dollar oder Euro.

François Vilhau de Galhau, Chef der französischen Notenbank, schätzt, dass der Staat nach der Einführung einer neuen Währung pro Jahr rund 30 Milliarden Euro mehr Zinsen für neue Anleihen zahlen müsste. Das entspräche dem jährlichen Budget des Staates für die Verteidigung.

Für wie realistisch halten Investoren dieses Horrorszenario?

Die Nervosität ist da, aber noch spiegeln die Märkte keinen Zerfall der Euro-Zone wider. Die Rendite der zehnjährigen französischen Staatsanleihe ist zwar auf ein Prozent und der Risikoaufschlag – der Renditeabstand zu Bundesanleihen – auf zeitweise mehr als 0,7 Prozentpunkte gestiegen. So hoch lag die Risikoprämie zuletzt im Herbst 2012. Aber zu den Hochzeiten der Euro-Krise Anfang 2012 lag der Risikoaufschlag bei knapp 1,5 Prozentpunkten. Auch die Risikoprämien für italienische und niederländische Staatsbonds sind trotz Anstiegen noch weit von ihren Hochs entfernt.

Dennoch steigt die Gefahr eines Sieges von Le Pen. In einer hypothetischen Stichwahl gegen den bürgerlichen François Fillon, der mit Parlamentsgeld seine Familie finanziert hat, käme Le Pen inzwischen auf 42 Prozent der Stimmen. Ein Le-Pen-Sieg ist damit nicht mehr kategorisch ausgeschlossen.

Euro-Befürworter hoffen deshalb, dass sich im ersten Wahlgang der sozialliberale Emmanuel Macron durchsetzt. Er hätte deutlich bessere Chancen gegen Le Pen. Macron erklärt die gestiegenen Risikoaufschläge französischer Anleihen als „Überreaktion“ der Märkte. Die Märkte hatten den Brexit und den Sieg von Donald Trump in den USA nicht kommen sehen, jetzt wollten sie schneller sein als das nächste Beben. Aber Macron ist sich sicher: „Marine Le Pen gewinnt diese Wahl nicht, Frankreich scheidet nicht aus dem Euro aus, weil die Franzosen das nicht wollen.“

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