Die Horrornachrichten vom Anschlag in Berlin perlen am Finanzmarkt ab. Der Aktienindex Dax mit den 30 wichtigsten und größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland legt lediglich eine Verschnaufpause nach seiner bemerkenswerten Jahresendrally ein. Das sieht nach einer verkehrten Finanzwelt aus.
Sitzen in den Handelssälen der großen Banken lauter Zyniker, die maschinenartig ihre Deals erledigen und sich um das Leid in der Welt nicht kümmern? Nein, denn die Händler gehören meist zu den ersten, die von schrecklichen Ereignissen wie in Berlin erfahren, schließlich flimmern in ihren Büros und "Warrooms" nicht nur die Börsenkurse über die Bildschirme, sondern auch die Programme globaler Nachrichtensender. Und persönlich nehmen die Marktakteure durchaus Anteil an Tod und Terror, etwa nach dem Anschlag auf das Pariser Satiremagazin, als einige von ihnen ihre Bildschirme und Internetprofile demonstrativ mit „Je suis Charlie“-Bannern schmückten.
„Kurzfristig wird Terrorismus erst bei deutlich höherer Intensität wieder an den Finanzmärkten eine Rolle spielen, so dramatisch die aktuellen Ereignisse auch tatsächlich sind“, sagt Björn Kising, Geschäftsführer beim Institut für Kapitalmarktanalyse in Köln (IfK). Doch hätten die Märkte derzeit Probleme beim Unterscheiden kurzfristiger und langfristiger Folgen.
Große Terroranschläge in Europa
Ein Lieferwagen rast auf der Flaniermeile "Las Ramblas" im Zentrum Barcelonas in eine Menschenmenge. Nach offiziellen Angaben soll es mindestens einen Toten und 32 Verletzte gegeben haben, Medien berichten von zwölf Toten. Die Polizei bestätigt, dass es sich um einen Terroranschlag handelt. Die Hintergründe der Tat sind zunächst unklar.
Auf der London Bridge überfahren drei Attentäter mehrere Fußgänger, dann greifen sie eine beliebte Markthalle an. Mindestens sechs Menschen kommen ums Leben, die Angreifer werden getötet.
Bei dem Selbstmordanschlag in Manchester auf Gäste eines Pop-Konzerts hatte Salman Abedi, ein Brite libyscher Abstammung, 22 Menschen ermordet. Außerdem wurden 116 Menschen zur Behandlung von Verletzungen in Krankenhäuser gebracht. Die Polizei geht davon aus, dass Abedi kein Einzeltäter war, sondern dass ein ganzes Terrornetzwerk hinter der Tat steckt.
Auf dem Pariser Boulevard Champs-Élysées schießt ein Islamist mit einem Sturmgewehr in einen Polizeiwagen. Ein Beamter wird getötet, zwei weitere Polizisten und eine deutsche Passantin werden verletzt. Die Polizei erschießt den Angreifer, die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) reklamiert die Attacke für sich.
Ein gekaperter Lastwagen rast in einer Einkaufsstraße erst in Stockholm in eine Menschenmenge und dann in ein Kaufhaus. Fünf Menschen werden getötet, 15 verletzt. Noch am selben Tag nimmt die Polizei einen 39-jährigen Usbeken unter Terrorverdacht fest.
Ein Attentäter steuert ein Auto absichtlich in Fußgänger auf einer Brücke im Zentrum Londons und ersticht anschließend einen Polizisten. Von den Opfern auf der Brücke erliegen vier ihren Verletzungen. Sicherheitskräfte erschießen den Täter.
Auf dem Pariser Flughafen Orly verhindern Soldaten nur knapp einen möglichen Terroranschlag. Ein Mann will einer dort patrouillierenden Soldatin das Gewehr entreißen und wird von anderen Soldaten erschossen. Erst Anfang Februar war nahe dem Louvre-Museum ein Ägypter niedergeschossen worden, der sich mit Macheten auf eine Militärpatrouille gestürzt hatte.
Am Abend des 19. Dezember 2016 rast ein LKW in einen Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche. Das Attentat fordert 12 Tote und viele teils Schwerverletzte.
In Nordfrankreich ermorden zwei Angreifer einen katholischen Priester in einer Kirche und verletzen eine weitere Person schwer. Beide Attentäter werden von den Sicherheitskräften erschossen.
In Ansbach in Bayern sprengt sich ein 27-jähriger syrischer Flüchtling vor dem Eingang zu einem Musikfestival mit einer Rucksackbombe in die Luft. Der Attentäter stirbt. 15 Menschen werden verletzt. Auf dem Handy des Mannes findet die Polizei später ein Bekennervideo. Das IS-Sprachrohr Amak behauptet einen Tag später, der Attentäter sei „Soldat des Islamischen Staates“.
In einem Vorort von Würzburg greift ein 17-jähriger Flüchtling aus Afghanistan in einem Regionalzug Fahrgäste mit einer Axt an. Er verletzt mehrere Menschen teils schwer. Auf seiner Flucht wird er von der Polizei erschossen. Einen Tag später veröffentlichte das IS-Sprachrohr Amak im Internet ein Video des Attentäters. Darin spricht er davon, dass er im Auftrag des IS gehandelt habe und sich an Nicht-Muslimen rächen wollte, die seinen Glaubensbrüdern Leid angetan hätten.
In Nizza fährt ein schwer bewaffneter Franzose tunesischer Herkunft mit einem Lastwagen in die Menge, die den französischen Nationalfeiertag feiert. Er tötet 84 Menschen.
Am Flughafen Istanbul-Atatürk schoss am 28. Juni 2016 ein Attentäter in der Eingangshalle mit einem Sturmgewehr um sich, warf Handgranaten in die Menge und zündete einen Sprengsatz. Zeitgleich sprengte sich ein weiterer Attentäter in einem Parkhaus in die Luft. Ein dritter Täter zündete offenbar einen Bombe in U-Bahn-Nähe. Die türkische Regierung ordnet den Anschlag dem Islamischen Staat zu. Insgesamt kamen 44 Menschen ums Leben (darunter die drei Attentäter); 239 weitere wurden verletzt. (Stand: 29.06.2016, 14:30 Uhr)
Ein Franzose marokkanischer Herkunft ermordet in einem Pariser Vorort einen Polizisten und dessen Lebensgefährtin, die ebenfalls bei der Polizei arbeitet.
Am Morgen des 22. März 2016 sprengten sich zwei Terroristen am Flughafen Brüssel-Zaventem in die Luft sowie ein weiterer im U-Bahnhof Maalbeek/Maelbeek in der Brüsseler Innenstadt nahe der EU-Behörden. Nach offiziellen Angaben kamen 35 Menschen ums Leben, darunter drei der Attentäter. Mehr als 300 Personen wurden verletzt.
Zwei Attentäter brachten ihr gestohlenes Auto an der Bushaltestelle einer Metrostation im Stadtzentrum von Ankara zur Explosion – 38 Menschen kamen ums Leben, darunter waren auch die Attentäter. Mehr als 120 Menschen wurden verletzt. Zu dem Anschlag, der sich am 13. März 2016 ereignete, bekannte sich eine Splittergruppe der Terrororganisation PKK.
Ein IS-Attentäter sprengte sich am 12. Januar 2016 auf dem belebten Sultan-Ahmed-Platz in Istanbul in die Luft – und riss 12 Menschen mit in den Tod. Elf von ihnen gehörten einer deutschen Touristengruppe an. 13 weitere Personen wurden verletzt.
Extremisten mit Verbindungen zur Terrormiliz Islamischer Staat greifen die Konzerthalle Bataclan und andere Ziele in der französischen Hauptstadt Paris an. Dabei kommen 130 Menschen ums Leben. Ein Hauptverdächtiger im Zusammenhang mit den Angriffen ist der 26 Jahre alte Salah Abdeslam, der am 18. März 2016 in Brüssel festgenommen wird.
Ein 22-jähriger radikalislamischer Angreifer tötet den Filmemacher Finn Nørgaard und einen jüdischen Wachmann einer Synagoge in Kopenhagen. Bei einem Feuergefecht mit einer Spezialeinheit der Polizei wird er erschossen.
Drei Extremisten töten bei einer mehrere Tage dauernden Terrorwelle in Paris 17 Menschen, bevor sie selbst erschossen werden. Zunächst greifen zwei Brüder das Büro der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ an und erschießen zwölf Menschen. Für den den Angriff übernimmt Al-Kaida auf der arabischen Halbinsel die Verantwortung. In den Tagen darauf tötet ein weiterer Extremist eine Polizistin und nimmt in einem koscheren Supermarkt Geiseln. Vier jüdische Kunden sterben.
Im Jüdischen Museum in Brüssel tötet ein Angreifer mit einer Kalaschnikow vier Menschen. Der mutmaßliche Täter ist ein ehemaliger französischer Kämpfer, der Verbindungen zur Terrormiliz Islamischer Staat in Syrien haben soll.
Zwei von Al-Kaida inspirierte Extremisten greifen auf einer Londoner Straße den britischen Soldaten Lee Rigby an und töten ihn mit Messern und einem Fleischerbeil.
Ein Bewaffneter, der nach eigenen Angaben Verbindungen zur Al-Kaida hat, tötet in der südfranzösischen Stadt Toulouse drei jüdische Schulkinder, einen Rabbi sowie drei Fallschirmjäger.
Der muslimfeindliche Extremist Anders Behring Breivik legt eine Bombe im Regierungsviertel der norwegischen Hauptstadt Oslo und greift anschließend ein Jugendlager auf der Insel Utøya an. 77 Menschen werden getötet, viele davon Teenager.
52 Pendler kommen ums Leben, als sich vier von Al-Kaida inspirierte Selbstmordattentäter in drei Zügen der Londoner U-Bahn und einem Bus in die Luft sprengen.
Bombenanschläge auf Züge zum Madrider Bahnhof Atocha töten 191 Menschen.
„Anleger können sich auf derart tragische, plötzliche Ereignisse nicht einstellen“, sagt Lars Edler, Co-Chief Investment Officer bei der Privatbank Sal. Oppenheim. Tatsächlich sei die Terrorgefahr aber im Begriff, Teil der täglichen Realität zu werden, für die Menschen im Alltag ebenso wie für die Finanzmärkte. „Auf diese ständige Bedrohungslage reagieren die Börsen kurzfristig relativ robust“, sagt Edler. Längerfristig und wiederholt könnten solche Ereignisse allerdings sehr negativ auf das allgemeine Stimmungsumfeld wirken und damit auf das Wirtschaftswachstum drücken, wodurch es an der Börse zu höherer Volatilität und zu Kursverlusten kommen könne.
Wer mit der Frankfurter Finanzelite spricht, begreift schnell, dass den Börsenprofis aufgrund ihrer täglichen Vernetzung mit Kunden und Kollegen überall auf der Welt nur zu gut bewusst ist, wie schnell auch wir in Deutschland persönlich vom Terror betroffen sein können. Der ist nämlich in den internationalen Finanzzentren wie London (IRA), New York (11. September 2001) oder Paris (Charlie Hebdo, Bataclan) leider schon längst angekommen.
Zudem ist der Finanzplatz Frankfurt selbst gespickt mit möglichen Anschlagszielen wie dem Rhein-Main-Airport, den Wahrzeichen des Kapitalismus in Form der Wolkenkratzer von Geschäfts- und Notenbanken oder nicht zuletzt der Börse selbst. Finanzexperten, die gewohnt sind, in Szenarien zu denken, ist das nur zu gut bewusst. So mancher von ihnen steigt morgens mit einem mulmigen Gefühl in den Aufzug, wohlwissend, dass die Einflugschneise eines der größten internationalen Flughäfen nur einen Steinwurf entfernt ist.
Merkwürdig erscheinende Ruhe an den Finanzmärkten
Die auf den ersten Blick merkwürdig erscheinende Ruhe an den Finanzmärkten hat auch damit zu tun, dass Investoren und Anleger mit einem Ereignis wie in Berlin bereits gerechnet haben und es bei ihren Handelsaktivitäten berücksichtigen konnten. Daher sind aus aktueller Sicht keine Korrekturen der bisher erfolgten Investitionen nötig. Nicht nur abgebrühte Börsenveteranen waren daher emotional vorgewarnt, auch ganz normalen Verbrauchern war klar, dass ein größerer Anschlag auch in Deutschland nur zu schnell Realität werden könnte.
Nach einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach für die aktuelle Ausgabe der WirtschaftsWoche haben 70 Prozent der Deutschen bereits mit einem solchen schrecklichen Ereignis gerechnet.
So ist es kaum verwunderlich, wenn Volkswirte mit kaum messbaren konjunkturellen Auswirkungen des Berliner Attentats rechnen und die Marktforscher von der Nürnberger GfK darauf verweisen, dass Verbraucher ihren Weihnachtskonsum nun pragmatisch noch stärker auf den Internethandel verschieben könnten, wo es sich ohne Angst vor Terror einkaufen lässt.
Bleibt die Frage, ob die ruhige Reaktion der Wirtschaftsakteure als Besonnenheit zu werten ist oder als Realitätsverlust. „Richtig ist, dass wir einerseits Gewöhnungseffekte an den Finanzmärkten hinsichtlich des jüngsten Terrorattentats feststellen“, sagt der Kölner Kapitalmarktexperte Kising. Das gelte nicht nur für die Aktienmärkte, Bond- und Zinsmärkte, sondern vor allem auch an den eigentlich noch sensibleren Märkten, wie den Devisenmärkten. Selbst an den Derivatemärkten ließen sich laut IfK bis heute Morgen keine wirklichen Anomalien feststellen.
Doch aus Sicht von Kising werden die langfristigen Folgen des Terrors und die gesellschaftspolitischen Ableitungen seitens der Finanzmärkte unterschätzt. So könnten Parteien die Oberhand gewinnen, die mit internationaler Abschottung auf den Terror antworten wollen. Das wiederum könnte zu politischer Instabilität und unkontrollierten Kapitalströmen führen, was Verwerfungen an den Finanzmärkten zur Folge hätte.
Dann wäre eine größere Korrektur fällig.