Rekorde beim S&P 500 Die Bullen sind los

Der wichtigste Wall-Street-Index hat den zweiten Tag in Folge einen neues Allzeithoch markiert. Obwohl Experten vor extremen Bewertungen warnen, treibt der Renditehunger der Investoren die Kurse immer höher.

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Risikofreudige Anleger tendieren zu Investitionen in den USA. Quelle: Reuters

Kaufrausch an der Wall Street: Das US-Aktienmarkt-Barometer S&P-500 steigt am Dienstag den zweiten Tag in Folge auf ein neues Allzeithoch. Der Leitindex steigt um 0,6 Prozent auf den Rekordwert von 2.149 Zählern. Damit trotzt der wichtigste Aktienindex der Welt, der die wichtigsten 500 börsennotierten Unternehmen der USA abbildet, allen politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten. Der Dow Jones, der noch traditionsreicher ist als der S&P, kletterte in den ersten Minuten 0,5 Prozent höher auf 18.316 Punkten und lag damit etwa einen halben Prozentpunkt unter seinem bisherigen Rekord.

Das Augenmerk der Investoren liege derzeit darauf, wie lange sich der Index auf diesem Niveau halten könne, sagte Marktstratege Robert Pavlik vom Vermögensverwalter Boston Private Wealth. Schub bekommen US-Aktien derzeit durch eine traumhafte Kombination, die es nicht häufig gibt: Die US-Konjunktur ist robust, und dennoch sind bis auf weiteres kaum Zinserhöhungen der US-Notenbank (Fed) zu erwarten. Das heißt für die Börse: viel Kraft und nur lose Zügel. Hinzu kommt, dass es in den beiden wichtigen Industrienationen Japan und Großbritannien wieder Aussichten auf klare politische Verhältnisse sowie auf neue Konjunkturstützen der dortigen Notenbanken gibt.

„Investoren denken, dass sie an Bord springen müssten bevor der Zug den Bahnhof verlässt“, sagte Aktienstratege des News Yorker Brokerhauses Miller Tabak & Co gegenüber dem Nachrichtendienst Bloomberg. Die große Unsicherheit, die das Brexit-Votums gebracht habe, werde die US-Notenbank Fed davon abhalten in diesem Jahr zu handeln, was helfe Aktienverkäufe zu vermeiden.

Hintergrund: Am Freitag hatte die US-Regierung einen überraschend starken Bericht zum Arbeitsmarkt bekannt gegeben. Die Ängste, der US-Konjunktur könne die Puste ausgehen, sind damit wieder verflogen. Zugleich hat die Fed aber deutlich gemacht, dass sie nur sehr vorsichtig, wenn überhaupt, die Zinsen erhöhen wird, solange nicht klar ist, welche Auswirkungen der Brexit, der voraussichtliche Ausstieg der Briten aus der Europäischen Union, haben wird.

Das hat massive Auswirkungen auf die Prognosen der Investoren zur US-Geldpolitik, zeigt eine Auswertung des US-Großbank J.P. Morgan: Sollte sich beim Stellenwachstum, der Inflation oder den Unternehmensinvestitionen nicht noch eine überraschende Wende abzeichnen, rechnen demnach die meisten Marktteilnehmer in diesem Jahr offenbar nicht mehr mit einem weiteren Zinsschritt.

„Die Aussicht darauf, dass die US-Zinsen nun sogar noch länger auf ihrem niedrigen Niveau bleiben und andere Zentralbanken eine weitere Lockerung vornehmen könnten, hat das Volumen der globalen Anleihen mit einer Rendite von unter 0 % seit der Brexit-Entscheidung um 1 Billionen US-Dollar auf über 11 Billionen US-Dollar erhöht“, erläutern die Experten von J.P. Morgan in einer aktuellen Studie.
Damit dürfte das Referendum zum Brexit die US-Börse indirekt sogar beflügeln –schließlich wurden auch die Renditen der Zinspapiere in Europa noch weiter in den Keller getrieben. Europas Anleger kaufen auf ihrer Suche nach einer besseren Alternative daher mehr US-Staatspapiere und haben deren Renditen im zehnjährigen Bereich auf ein Rekordtief von unter 1,5 Prozent getrieben.

Fachleute warnen vor extremen Bewertungen

Das aber macht Aktien im Vergleich dazu attraktiver und treibt deren Kurse. So profitieren US-Aktionäre indirekt von den Anleihekäufen der Europäer. Oder, wie David Bianco, Aktienstratege der Deutschen Bank, formuliert: „Die Bewertung der Aktien im S&P steht auf den Schultern der Anleihen.“
Bianco nennt ein paar Gründe, warum es sich trotz der ausgereizten Kurse immer noch lohnt, Aktien zu kaufen. Dazu gehören ein moderates, aber robustes Wachstum der US-Konjunktur, stabile und angemessene Bewertungen der Aktien gemessen an den Gewinnen und „Anleiherenditen von Null nach Abzug der Inflation“.

Anders gesagt: Allein schon die Verzweiflung sollte Anleger, die etwas Rendite brauchen, in Aktien treiben. Die Fortsetzung des Rekordlaufs an der Wall Street unterstützten am Dienstag auch die Quartalszahlen des Aluminiumkomzerns Alcoa, der traditionell als erstes Schwergewicht Einblick in seine Finanzkennzahlen gibt. Die Anteilsscheine legten über drei Prozent zu, nachdem das Unternehmen mit seinen Quartalszahlen am Vorabend die Erwartungen übertroffen hatte.

Nicht alle Experten teilen allerdings den Optimismus an den US-Börsen und zeigen sich vor allem angesichts der hohen Bewertungen skeptisch: Ob es zu einem nachhaltigen Ausbruch am US-Aktienmarkt kommt, dürfte nach Einschätzung der BNP Paribas besonders durch die US-Berichtssaison beantwortet werden. „Eng verbunden mit den Bilanzen ist auch die Frage, ob die hohen Bewertungen der amerikanischen Börsen fundamental untermauert sind“, geben die Analysten der französischen Bank zu bedenken.

Die Bewertungskennzahlen hätten inzwischen historische Dimensionen erreicht: So liege das Kursgewinn-Verhältnis (KGV) des S&P 500 auf Basis der 2016er-Gewinnschätzungen bei knapp 18 und damit deutlich über dem mittel- bis langfristigen Durchschnitt von 14.

„Noch kritischer ist das Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV) zu sehen“, warnen die Fachleute. Denn während die Konzerne ihre Ergebnisse durch Sondereffekte beeinflussen könnten, sei die bei den Umsätzen nicht so einfach möglich. Im Klartext: Anleger sollten ihr Augenmerk lieber dieser verlässlicheren Kennzahl widmen, statt den oftmals künstlich niedrig gerechneten KGVs. Mittlerweile habe das KUV einen Wert von 1,9 erreicht und liege damit auf dem Niveau seines Allzeithochs aus dem Jahr 2000.

Auch die Strategen der DZ-Bank sehen die weitere Entwicklung der Unternehmenserträge als Risikofaktor für die Rally an der Wall Street: Für die jetzt angelaufene Berichtssaison zum zweiten Quartal, die mit den Alcoa-Zahlen begonnen hat, erwarteten Experten inzwischen einem durchschnittlichen Gewinnrückgang um 6,2 Prozent. Seit Jahresanfang, als noch ein geringes Plus von einem halben Prozentpunkt erwartet worden war, seien die Prognosen kontinuierlich gefallen.

„Wir gehen auch davon aus, dass die Erwartungen für das laufende Vierteljahr, für das zurzeit immerhin nur eine Stagnation vorausgesagt wird, schon bald in den Minusbereich abgleiten werden“, warnen die Fachleute der DZ Bank. Insgesamt sei von fundamentaler Seite keine Unterstützung für die Aktienkurse zu erwarten und die US-Geldpolitik dürfe für weitere Turbulenzen sorgen. Der amerikanischen Aktienmarkt sei anfällig gegenüber Störeinflüssen und die Bewertungen hoch. Man empfehle kurzfristig allenfalls selektive Engagements. Bis zum Jahresende dürfte nach Einschätzung der Analysten der S&P 500 Leitindex bei 2050 Punkten notieren - und damit knapp fünf Prozent tiefer im Vergleich zu seinem aktuellen Rekordniveau.

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