Riedls Dax-Radar

Amerikanische Stärke gegen britischen Sonderweg

Brexit-Ängste lassen den Dax taumeln, doch die Geldpolitik der Fed und die robusten US- Finanzmärkte sind eine entscheidende Stütze.

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Ein Blick auf den Dax am 16. Juni. Quelle: REUTERS

Verhaltene Arbeitsmarktdaten und die Angst vor dem Brexit haben die amerikanische Notenbank-Chefin Janet Yellen bewogen, die Zinsen erst einmal nicht anzuheben. Ob sie das im Juli nachholt, ist fraglich. Die Weltbank hat ihre Prognose für das internationale Wachstum vor Kurzem von 2,9 Prozent auf 2,4 Prozent gesenkt; das spricht eher gegen höhere Zinsen. Auch andere Prognosen gehen mittlerweile nur noch von einem verhaltenen Wachstum der US-Wirtschaft aus. Die Dynamik der Unternehmensgewinne in den Vereinigten Staaten flaut ab. Ein solches Umfeld drängt nicht nach höheren Zinsen.

Ohnehin dürfte die amerikanische Notenbank-Chefin zufrieden sein, dass sie wieder an Souveränität gewonnen hat. 2015 sprach sie frühzeitig von der Zinswende, kam aber zunächst nicht zum Handeln. Dann, als sie im Dezember vergangenen Jahres den Hebel umlegte, war es fast schon zu spät – und der schwache Jahresstart 2016 an den Börsen brachte sicher auch den einen oder anderen Falken ins Wanken.

Doch diese Hängepartie hat die US-Notenbank überstanden: Die erste Zinserhöhung ist verdaut, von Abschnürung der Wirtschaft kann keine Rede sein - und die amerikanischen Finanzmärkte sind in einer guten Verfassung: US-Treasuries bringen 1,6 Prozent Rendite auf zehn Jahre. Das ist ein wesentlich realistischeres Niveau als es die Negativ-Bunds hierzulande bieten.

Was Partnerländer über einen EU-Ausstieg denken
US-Präsident Barack Obama in London Quelle: AP
Die chinesische Flagge vor einem Hochhaus Quelle: dpa
Ein paar Rial-Scheine Quelle: dpa
Der russische Präsident Wladimir Putin Quelle: REUTERS
Das Logo des japanischen Autobauers Nissan Quelle: REUTERS

Führender Dollar gegen weltweite Weichwährungen

Zudem ist die internationale Spitzenposition des US-Dollars weniger denn je gefährdet, ohne dass der Dollar dabei für die US-Wirtschaft unangenehm teuer wäre. Im Gegensatz dazu bieten die anderen Währungen ein diffuses Bild:

- Der Euro leidet nicht nur unter der Krise des alten Kontinents, mittlerweile wachsen die Zweifel an seiner dauerhaften Existenz. Wer kann heute schon mit Sicherheit sagen, in welcher Währung er Anleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren oder mehr eines Tages zurückbekommt?

- Darin liegt auch ein Charme, der Staatsanleihen der Bundesrepublik Deutschland derzeit ganz besonders attraktiv macht; ein Effekt, der die Zinsen hierzulande noch weiter ins Negative zieht.

Die bekanntesten Brexit-Gegner und -Befürworter
 Christine Lagarde Quelle: dpa
David Cameron Quelle: REUTERS
George Osborne Quelle: REUTERS
 Jean-Claude Juncker Quelle: REUTERS
Michael Gove Quelle: REUTERS
Donald Trump Quelle: AP
Barack Obama Quelle: AP

- Das Pfund Sterling diskreditiert sich durch das Risiko des britischen Sonderwegs. Selbst wenn die Briten in der EU bleiben sollten, ist das derzeit ausgedrückte Misstrauen alles andere als ein Anreiz für internationale Investoren.

- Der chinesische Renminbi, der zwischenzeitlich immer wieder als neue Weltwährung eingestuft wurde, hat durch die wirtschaftliche Zitterpartie Chinas an Renommee verloren.

- Von den großen Schwellenländerwährungen hat die Rupie wegen der Aufbruchsstimmung der indischen Wirtschaft etwas mehr Substanz. Rubel, türkische Lira und brasilianischer Real müssen sich nach massiven Turbulenzen erst wieder stabilisieren.

- Bleibt der Schweizer Franken. Doch auch der ist für Anleger nicht automatisch ein Hort der Stabilität – spätestens, seitdem die Schweizer Nationalbank vor eineinhalb Jahren ihn von der Leine ließ. In den vergangenen drei Jahren schwankte der Franken gegenüber dem Euro wild zwischen 0,80 und 1,00 Euro.

8900 bis 9000 Punkte im Dax müssen langfristig halten

Die Aktienmärkte in Europa sind mittlerweile in einer kritischen Verfassung. Im Stoxx 600, dem marktbreiten Index europäischer Aktien (inklusive Schweizer und Briten), sehen die Schwankungen der vergangenen drei Jahre so aus, als ob langsam eine große obere Wende entsteht. Nur noch zehn Prozent Spielraum nach unten hätte der Index, und es könnte zu einem schweren, langfristigen Verkaufssignal kommen.

Im Dax ist das Bild ähnlich. Auch hier hat der Markt durch die Rückschläge unter das Niveau von 10.000 Punkten (einmal im Herbst 2015, deutlicher dann im Februar dieses Jahres) die langjährige Aufwärtstendenz zunächst unterbrochen. Auch der Rutsch unter den 200-Tagedurchschnitt und der Abwärtsdreh dieser Linie signalisieren mittelfristige Gefahren.

Gefährlich wird es, wenn der Dax selbst die Zone 9000/8900 nicht mehr verteidigen kann. Dann wäre nach klassischer Lesart eine Abwärtswende vollzogen, der eine längere Baisse bis in den Bereich 7000/6500 Punkte folgen könnte.

Nachdem der Dax vor einigen Tagen mit dem Rückgang unter 9900 ein kurzfristiges Verkaufssignal gegeben hat, kommt es in den nächsten Wochen nun darauf an, dass er sich möglichst oberhalb von 9000/8900 stabilisiert. Je mehr Abstand der Dax dabei von dieser Untergrenze gewinnt, desto besser sind die mittelfristigen Aussichten für die nächsten Monate.

Der Dow hat sogar die Chance auf ein Kaufsignal

Dass der Dax im direkten Umfeld der Brexit-Abstimmung in so einer heiklen Verfassung ist, spiegelt wider, wie bedeutungsvoll diese Entscheidung ist. Während sich aus politischer Sicht bei einem Austritt Großbritanniens Chancen für die EU ergeben, wäre dies für die Märkte zunächst mit großen Unsicherheiten verbunden: Das beginnt bei einer turbulenten Entwicklung des Pfunds, geht über die Frage wirtschaftlichen Verflechtung deutscher Unternehmen in Großbritannien und reicht bis zu den Folgewirkungen für Wackelkandidaten unter den Europäern.

Letztlich ist diese Unsicherheit in ganz Europa, die divergierenden Tendenzen in vielen Ländern ein entscheidender Grund, warum die europäische Notenbank einen so heiklen Kurs fährt. Und das spiegelt sich unterm Strich an den Finanzmärkten wider – ob es nun um den Euro geht, um Anleihen oder Aktien: Auf allen drei großen Gebieten hängt Europa derzeit hinterher.

Bleibt zu hoffen, dass die US-Märkte robust genug sind um die europäischen Finanzmärkte vor einem großen Absturz zu bewahren. Immerhin, der Dow Jones verläuft seit zweieinhalb Monaten stabil in einer Konsolidierung die dank steigender 200-Tagelinie im zweiten Halbjahr sogar nach oben aufgelöst werden könnte. Bei einem deutlichen Anstieg über 18.000 Punkte gäbe er sogar ein regelrechtes Kaufsignal.

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