Als die Briten vor einem halben Jahr überraschend gegen die EU votierten, kam es zwar an den Aktienmärkten zu kurzen Turbulenzen, danach aber setzten sich die großen Trends fort. Als Donald Trump Anfang November überraschend die Präsidentschaftswahl gewann, schüttelte das die Indizes kurz durch, dann ging es weiter nach oben. Nun steht die Entscheidung in Italien bevor. Wird sie den Börsen eine neue Richtung geben?
Dennoch, politische Ereignisse dieses Kalibers sind für Anleger keineswegs Non-Events. Denn in den genannten Fällen gab es sehr wohl heftige und nachhaltige Reaktionen. Gemeint ist hier nicht der Zusammenbruch britischer Immobilienaktien oder das Hochschießen amerikanischer Rüstungs- und Bankaktien - das sind letztlich Gewichtsverlagerungen zwischen Branchen, die dem Gesamtmarkt keinen neuen Trend geben.
Viel schwerwiegender sind die Rückwirkungen auf die Währungsmärkte. Das Pfund Sterling ist gegenüber dem Euro nach dem Brexit von 1,30 auf 1,10 gesunken, nun hat es sich wieder in Richtung 1,20 erholt. Nach dem Sieg von Trump ist der Dollar von 0,90 auf 0,95 Euro hochgeschnellt, derzeit pendelt er um 0,93 Euro. Bedenkt man, dass die Währungsmärkte in ihrem Volumen wesentlich größer sind als die Aktienmärkte, wird sichtbar, welche finanzelle Folgen solche politischen Entscheidungen haben.
Fakten zum Italien-Referendum
Durch eine Verfassungsänderung soll das Regieren in Italien leichter werden. Die zweite Kammer, der Senat, wird quasi abgeschafft. So müssen nicht mehr alle Gesetze von beiden Kammern verabschiedet werden - was die für Italien typischen politischen Dauerblockaden auflösen soll. Kritiker sagen, dass die Regierung so zu viel Macht bekommt und die Reform nicht die wirklichen Probleme des Landes löst.
Ministerpräsident Matteo Renzi hat angekündigt, bei einer Niederlage in der Volksabstimmung zurückzutreten. Wenn also das „Nein“-Lager gewinnt, könnte ein Regierungssturz oder eine Regierungskrise folgen. Und auf politische Instabilität reagieren auch die Finanzmärkte. Es könnte auch zu Neuwahlen kommen, bei denen die eurokritische Fünf-Sterne-Bewegung punkten könnte. Auch das löst Verunsicherung aus, in unsicherem politischen Klima investieren Anleger ungern.
Die italienische Notenbank warnte bereits für den Tag nach dem Referendum vor Turbulenzen. Finanzminister Pier Carlo Padoan sagte: „Die Märkte sind in Sorge, dass der Reformprozess unterbrochen werden könnte.“ Er betonte aber auch, dass er keine schwere Krise erwarte, weil Italien mittlerweile wirtschaftlich besser dastünde. Auch Premier Renzi beschwichtigte: Am Tag nach dem Referendum würden nicht „die Heuschrecken“ kommen.
Der „Spread“ ist ein wichtiger Indikator für eine Krise, in diesem Fall ist er so etwas wie die Fieberkurve Italiens. Die Zahl misst, wie es um das Interesse der Anleger an italienischen Staatsanleihen bestellt ist. Je größer der „Spread“, desto schlechter wird Italien im Vergleich zu Deutschland aus Sicht der Investoren bewertet.
Denn mit der Größe ist die Differenz (Spread) zwischen den Renditen gemeint, die italienische und deutsche Staatspapiere mit zehn Jahren Restlaufzeit gerade abwerfen. „Wir erwarten, dass der „Spread“ bei einem Nein hochgehen wird, das müsste sich aber nach ein paar Tagen beruhigen, es wird ein Sturm im Wasserglas sein“, glaubt Tatjana Eifrig, Analystin der italienischen Bank Finnat.
Das Land leidet unter einer geringen Produktivität, Vetternwirtschaft und Korruption. Die Wirtschaft lahmt seit Jahren, das Wachstum für 2017 soll bei nur 0,9 Prozent liegen. Zudem ist Italien mit 133 Prozent des Bruttoinlandsproduktes das am zweithöchsten verschuldete Mitglied der Eurozone - gleich nach Griechenland. Seit Jahren schwelt eine Bankenkrise, die bisher nicht wirklich gelöst wurde. Die Geldhäuser sitzen auf faulen Krediten von 300 Milliarden Euro.
Sorgenkind ist vor allem die Krisenbank Monte dei Paschi di Siena. Derzeit würden die Probleme im Euroraum allerdings durch die lockere Geldpolitik überdeckt, sagt der Chefvolkswirt der DZ Bank, Stefan Bielmeier. Sobald die Europäische Zentralbank (EZB) die Zügel wieder straffer ziehe, könnten die Probleme stärker sichtbar werden.
Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft des Euroraums. Gerät sie weiter ins Trudeln, könnte das andere Länder mitreißen. Ein europäisches Rettungspaket wie für Griechenland würde für Italien wohl nicht funktionieren, weil das Land zu schwergewichtig ist.
Einige Experten sprechen sogar vom möglichen Euro-Ausstieg Italiens. So sagte Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz in einem Interview: „Den Italienern wird gerade klar, dass Italien im Euro nicht funktioniert.“ Und der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn meinte: „Die Wahrscheinlichkeit, dass Italien dauerhaft Teil des Euro bleibt, fällt von Jahr zu Jahr.“ Auch die Wirtschaftszeitung „Financial Times“ urteilte vor kurzem, dass das Referendum in Italien der „Schlüssel für die Zukunft des Euros“ sei.
Mit Blick auf Italien sagt Analystin Eifrig: „Einen Austritt aus dem Euro können wir uns derzeit gar nicht vorstellen.“ Zwar mehren sich in Italien auch die Euro-Gegner. Wenn es wirklich zu Neuwahlen kommen sollte und dabei die derzeit stärkste Oppositionspartei „Movimento 5 Stelle“ (Fünf-Sterne-Bewegung) gewinnen sollte, dann wird das Thema heißer. Denn die Protestpartei will ein Referendum über den Euro.
Aber: „Ein Referendum über einen Euro-Ausstieg kann gar nicht gemacht werden, das ist gegen die Verfassung. Das kann nur das Parlament bestimmen“, erklärt Eifrig. Sie sieht in der Schwarzmalerei eine Strategie der Befürworter der Reform, nach dem Motto: Je düsterer das Szenario, desto mehr Menschen werden aus Angst mit „Ja“ stimmen. Und generell gilt zumindest theoretisch das Prinzip: Wer den Euro einmal hat, der behält ihn auch. Wie ein Euro-Austritt überhaupt im Detail durchgeführt werden könnte, ist völlig unklar.
Derzeit spiegelt sich das vor allem im Euro wider. Seit zwei Jahren schwankt die europäische Währung zwischen 1,05 und 1,16 Dollar. Die Trump-Wahl in Amerika, die Aussicht auf eine Erhöhung der US-Zinsen und die tiefgreifen Probleme in Europa haben ihn nun an die untere Begrenzung dieser Bandbreite gedrückt. Aus technischer Sicht kommen Verkaufssignale dazu: Die hohe Abwärtsdynamik der vergangenen Wochen, der Bruch des vorübergehende Aufwärtstrend 2016, das Abdrehen der 200-Tage-Linie. Als es im Euro letztmals eine vergleichbare Konstellation gab, im Herbst 2014, folgte danach der Absturz von 1,30 auf 1,05 Dollar.
So gesehen wäre es wenig überraschend, wenn der Euro nach einem antieuropäischem Votum und einer Regierungskrise in Italien erneut nach unten durchrutscht. Schnell könnte dann die Parität zum Dollar erreicht werden, wahrscheinlich ginge es dann noch einige Stufen tiefer. Eine Bodenbildung im Euro, der dann eine längere Erholung folgen könnte, wäre erst der Fall bei einem deutlichen Anstieg über 1,16 Dollar. Das ist, selbst bei einem europafreundlichen Ausgang in Italien, auf absehbare Zeit wenig wahrscheinlich.