Angesichts der tiefen Verunsicherung an den Börsen kann man fragen, was sich denn in den vergangenen Monaten so grundlegend verändert hat, das solche – oder noch größere – Kursverluste rechtfertigt.
An den Konjunkturaussichten hat sich nicht so viel geändert. Die waren im Herbst vielleicht einen Tick besser als heute, aber Abweichungen dieser Art liegen im Rahmen üblicher Prognoseungenauigkeiten. Einen heftigen und plötzlichen Konjunkturumschwung nach unten jedenfalls kann man in den Industrieländern nicht feststellen. Im Gegenteil, vor allem der Konsum ist unabhängig von allen Krisen robust. Wen wundert’s, wenn man für sein Geld gar keine oder nur noch marginale Zinsen bekommt. Der Konsum dürfte ein zentraler Stabilisator der allgemeinen Konjunktur bleiben.
Ist plötzlich über Nacht Inflation oder Deflation neu aufgetaucht? Auch hier zeigt sich wenig Änderung an den bisherigen Rahmendaten, die von der EZB gewünschte leichte Inflationierung ist nach wie vor nicht vorhanden.
Dazu trägt vor allem der niedrige Ölpreis bei. Mit einem durchschnittlichen Niveau um 30 Dollar liegt er in der Tat unter dem Niveau vom Herbst, damals kostete Öl zwischen 55 Dollar und 35 Dollar. Immerhin, seit Mitte Januar ist der Ölpreis nicht mehr weiter gesunken, die um 30 Dollar erwartete Stabilisierung hat zumindest begonnen.
Und China? Der Aktienmarkt in Shanghai ist im Januar noch einmal um ein Drittel abgesackt. Doch auch das ist angesichts der hohen Volatilität chinesischer Aktien relativ. Noch immer notieren Shanghai-Stocks deutlich über dem Niveau der Jahre 2012 bis 2014. Niemand im Westen hat sich damals über chinesische Aktien Sorgen gemacht. Bei der Währung ist es ähnlich: Der Yuan hat seit Anfang Dezember gegenüber dem Euro ein Zehntel verloren, liegt aber ebenfalls noch gut zehn Prozent über dem Niveau von 2012 bis 2014. In beiden Fällen, bei Aktien und Währung, wäre sogar noch etwas Luft, ohne dass die langfristigen Aufwärtsbewegungen in China beendet wären.
Fed-Zinserhöhungen nicht in Sicht
Eine große Veränderung gab es im Dezember in der Zinspolitik mit der ersten, leichten Anhebung durch die Fed und der Ankündigung weiterer Zinsschritte. Doch spätestens seit den Turbulenzen vom Januar und der Verunsicherung an den Märkten ist die Fed hier vorsichtiger geworden. Natürlich kann sich Janet Yellen nicht von heute auf morgen wieder drehen; doch mit dem Verweis auf die fragile Konjunktur ist sie nicht in Zugzwang, die Zinsen weiter heraufsetzen zu müssen.
Genau das spiegelt sich an den Märkten wider: Der Euro hat sich von seinen Tiefstständen erholt und Boden gegenüber dem Dollar gut gemacht. Man könnte sogar zwischen 1,06 und 1,15 Dollar die Chance auf eine Aufwärtswende sehen, die dem Euro langfristig Potenzial bis 1,30 Dollar und mehr eröffnen würde. Wäre das eine Katastrophe?
In den Jahren 2012 bis 2014 pendelte der Euro zwischen 1,20 und 1,45 Dollar, und von Weltuntergang war nicht die Rede. Im Gegenteil: Ein etwas nachgebender Dollar dürfte vor allem amerikanischen Unternehmen zugutekommen, die in den vergangenen Monaten in ihrem internationalen Geschäft deutlich gebremst wurden. Die Aussicht darauf gäbe nicht nur der taktgebenden Volkswirtschaft Rückhalt, sondern dürfte auch dazu beitragen, dass sich der Dow Jones wieder stabilisiert.
Viel mehr als die chinesische Wirtschaft ist die US-Wirtschaft der Schlüssel für die weltweite Entwicklung in diesem Jahr. Hier kommt die Finanzkrise von 2008 ins Spiel, die ihren Ausgang im amerikanischen Immobilienmarkt hatte. Jetzt ist die amerikanische Energieindustrie eine Krisenbranche – jedenfalls diejenigen Unternehmen, die unter dem massiven Energiepreisverfall besonders leiden und deren Kredite entsprechend im Feuer stehen; derzeit besonders etwa Chesapeake. Eine Stabilisierung des Ölpreises und ein nachgebender Dollar jedenfalls wären für die US-Wirtschaft und ihre Krisenfelder eine wichtige Entlastung.
Banken im Mehrfach-Dilemma
Wenn man die Makro-Entwicklung Revue passieren lässt, kann man zu dem Zwischenergebnis kommen, dass sich im Vergleich zum Herbst nicht so viel verändert hat. Allerdings, auf einem zentralen Gebiet hat sich das Risiko wesentlich erhöht: bei den Banken – und zwar weltweit.
Dabei sind die Probleme im Grunde überall sehr ähnlich. Seit der Finanzkrise von 2008 stecken die Banken in einem mehrfachen Dilemma, aus dem viele noch keinen Ausweg gefunden haben und – schlimmer noch – das durch die jüngsten Turbulenzen an den Asset-Märkten wieder verschärft wird.
Seit der Finanzkrise sind die Banken dabei, risikoreiche Aktiva (faule Kredite, wacklige Beteiligungen, zweifelhafte Wertpapiere) abzubauen und ihr Geschäft stärker mit hartem Eigenkapital zu unterlegen. Dieser Prozess wird weltweit durch die Aufsichtsbehörden forciert, weil die Regierungen nicht mehr in die Zwangslage kommen wollen, bei einer Bankenkrise sowohl diese Geldhäuser als auch die allgemeine Konjunktur retten zu müssen.
In wirtschaftlich guten Zeiten wäre es kein Problem für die Banken, aus einem operativ starken Geschäft entsprechende Rücklagen zu bilden. Zudem wären in diesem Fall auch wesentlich weniger Aktiva risikogefährdet.
Nun ist aber auf beiden Seiten genau das Gegenteil der Fall: Durch die von den Notenbanken verordneten Minizinsen wird den Banken das klassische operative Geschäft massiv erschwert. Zudem sind immer mehr einst sichere Wertpapiere gefährdet, vor allem Staatsanleihen. Dazu tragen auch die politischen Rettungsaktionen angeschlagener Länder bei, von Griechenland über Portugal bis Italien. Das alte Allheilmittel der Banken, das Investmentbanking, funktioniert angesichts hochnervöser Börsen und der riesigen Anleiheblase nicht mehr. Abgesehen davon ist es auch politisch nicht mehr erwünscht.
Die Folge dieser mehrfachen Zwangslage ist, dass selbst bei einem einstigen Primus wie der Deutschen Bank mittlerweile Fragen nach der Sicherheit aufkommen. Das wiederum setzt eine negative Spirale in Gang. Denn bei dem nun erreichten niedrigen Kursniveau (die Aktie der Deutschen Bank hat das Niveau von 1984 erreicht!) ist eine Kapitalisierung über die Börse unmöglich; von der Belastung für die Bank durch den Vertrauensverlust ganz zu schweigen.
Natürlich lassen sich damit nicht die Verfehlungen der Banken entschuldigen, die Marktmanipulationen und die windigen Wertpapiere, die in den vergangenen Jahren auf den Markt geworfen worden. Doch weder den Wertpapiermärkten noch der allgemeinen konjunkturellen Entwicklung ist geholfen, wenn man jetzt in der Krise noch stärkeren Druck auf die Banken ausübt.
Denn im nächsten Schritt könnte, das hat die Finanzkrise von 2008 gezeigt, die Stützung von Banken notwendig werden. Das beginnt bei der möglichst problemlosen Refinanzierung durch die Notenbanken und reicht bis hin zur direkten Staatsbeteiligung wie einst bei der Commerzbank. Dass sich Finanzminister Wolfgang Schäuble überhaupt zur Sicherheit der Deutschen Bank äußert, zeigt, wie brisant die Lage an den Märkten mittlerweile geworden ist.
Breite Abwärtstendenz am deutschen Aktienmarkt
Die neue Unsicherheit um die Banken wird so schnell nicht verfliegen. Der Chef der Deutschen Bank warnt Anleger davor, zu früh Erfolge zu erwarten. Selbst in dem Szenario, das John Cryan zeichnet, dürfte die Wende erst 2017 oder 2018 gelingen. Das muss nicht heißen, dass die Baisse an den Aktienmärkten solange dauert. Doch jetzt schon wieder an nachhaltig steigende Kurse zu denken, ist eindeutig zu früh.
Genau das spiegelt sich an den Börsen wider. Zahlreiche große und kleine Indizes haben durch den Januar-Rutsch obere Wendeformationen gebildet und sind mit dynamischen Verkaufssignalen nach unten durchgerutscht. Im Dax fand die Entscheidung auf dem Niveau um 9800 statt. Diese Verkaufssignale eröffnen ein Abwärtspotenzial mindestens wie in der Baisse von 2011. Im Dax reicht das theoretische Risiko, wie vor einer Woche an dieser Stelle beschrieben, nach wie vor bis etwa 7500 Punkte. Dabei wären die Verluste noch nicht so hoch wie in der Finanzkrise 2008/09.
In den vergangenen Tagen hat sich an der schwachen Tendenz im Dax nichts geändert. Dass der Index mit 8700 am 11. Februar ein neues Tief markiert hat, bestätigt die Baisse. Ein einziger Dax-Wert, Adidas, notiert noch über seiner 200-Tage-Linie, 29 meist weit darunter. Das ist eine Negativ-Quote von 97 Prozent und damit felsenfeste Baisse-Tendenz. Immerhin, dieser Wert ist schon wieder so extrem negativ, dass schnelle, heftige Zwischenerholungen möglich sind.
Heute (12. Februar) ist das vor allem bei der Commerzbank der Fall, die einen überraschend starken Gewinn melden kann – und deren Aktien auch die der Deutsche Bank mit nach oben ziehen.
Der Gewinn der Commerzbank im Vergleich zu den horrenden Verlusten der Deutschen Bank ist durchaus ein Hoffnungszeichen: Er zeigt, dass eine Bank nach der Sanierung wieder Geld verdienen kann. Allerdings war die Aktie der Commerzbank nach der Finanzkrise zwischenzeitlich um 97 Prozent gesunken und die Sanierung hat viele, mühevolle Jahre gedauert. Bei der Deutschen Bank hat die Sanierung gerade erst angefangen.
Fazit für den Dax: Die übergeordnete Tendenz bleibt weiter abwärts gerichtet, nach oben sind allenfalls kurzfristige Erholungen möglich. Um die alte Hausse wieder fortzusetzen, müsste der Dax über 11.500 klettern. Zu einem solchen Kraftakt dürfte der Markt auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein. Für die nächsten Wochen ist bestenfalls mit hohen Schwankungen zu rechnen – es kann aber auch noch deutlich tiefer gehen. Die nächste Station wäre dann das alte Hoch im Bereich 8200 bis 8300.