Riedls Dax-Radar

Gefährliche Kettenreaktionen aus Großbritannien

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Die EU wird den Briten kaum entgegenkommen

Eine der größten Unsicherheiten für die Märkte besteht darin, welche Position Großbritannien gegenüber der EU einnehmen wird. Es wird viele Jahre dauern, bis die Verträge, die darüber im Einzelnen ausgehandelt werden, dingfest gemacht sind. Dass die EU den Briten dabei entgegenkommt ist unwahrscheinlich. Darunter wird die britische Wirtschaft insgesamt leiden und London als Finanzplatz besonders.

Eine Gefahr geht vom britischen Immobilienmarkt aus, der eine jahrelange Hausse hinter sich hat. Ein Zusammenbruch des aufgeblähten Immobilienmarkts auf der Insel hat direkte Folgen für die britischen Banken – und damit wiederum Auswirkungen auf das gesamte europäische und weltweite Finanzsystem. Kein Wunder, dass am Morgen nach dem Brexit im Dax die Bankaktien mit deutlich zweistelligen Verlusten besonders schwach notieren.

Auch die langfristigen, politischen Folgen des Brexit, die Gefahr eines Dominoeffekts der europäischen Wackelkandidaten, werden an den Börsen mit einem Auge beachtet. Andererseits gibt es aus strukturellen politischen Erwägungen auch die Chance, die EU ohne die Briten nun klarer auf europäische Bedürfnisse auszurichten. Für Anleger stehen aber die Reaktionen auf die Entwicklung von Währung und Wirtschaft zunächst im Vordergrund.

Doppelte Gefahren für den Dax

Im Dax sind die Verluste unterschiedlich. Besonders stark erwischt es die Banken und die Versorger. Gründe sind die Angst vor einer neuen Finanzkrise und die britischen Geschäfte der Energiekonzerne. In einem schwachen Gesamtmarkt geraten aber auch klassische Industriekonzerne wie Siemens, BASF oder Thyssenkrupp unter die Räder.

Am glimpflichsten kommen Pharmawerte davon – und der Immobilienkonzern Vonovia. Der hat zwar Wohn- und nicht Geschäftsimmobilien im Portfolio, doch insgesamt dürfte der deutsche Immobilienmarkt zu den Gewinnern des britischen Sonderwegs zählen. Schon seit Wochen sind auf dem deutschen Wohnungsmarkt große Käufer aus anderen europäischen Metropolen zu sehen, etwa aus Paris. Die schwindende Attraktivität in Britannien dürfte zu einem weiteren Kapitalfluss nach Deutschland führen.

Seit März besteht die Gefahr einer Abwärtswende

Im Dax war die Situation schon vor der Brexit-Enttäuschung angespannt. Hier besteht eine doppelte Bedrohung, die sich durch den Briten-Schock noch einmal verschärft: Gemessen an den Schlusskursen im Dax besteht seit März die Gefahr einer mittelfristigen Abwärtswende. Die entscheidende Untergrenze dafür liegt bei 9400 bis 9500. Die wurde an diesem Freitag im frühen Handel schon unterschritten.

Sollte sich diese Abwärtswende manifestieren, muss spätestens das Niveau um 8900 halten. Hier etwa verläuft die entscheidende Untergrenze einer möglichen Abwärtswende, deren Anfänge bis 2013 zurückreichen. Diese große Abwärtswende wiederum hätte eine Zielzone, die deutlich unter 7000 Punkten liegt. Dabei entsteht noch ein zusätzliches Problem. Sollte der Dax wirklich bis in den Bereich 8900 abrutschen, wäre der seit 2009 bestehende langfristige Aufwärtstrend ernsthaft in Gefahr.

Warten auf Kaufgelegenheiten

Fazit: In den nächsten Wochen geht es schlichtweg darum, ob die gesamte Hausse-Bewegung seit der Finanzkrisen-Baisse 2009 weiter Bestand hat oder nicht. Die Entscheidung darüber wird nicht an einem Tag fallen, auch nicht an einem Schock-Tag wie dem 24. Juni 2016. Dennoch wäre es leichtfertig, die enorme fundamentale Unsicherheit bei einer gleichzeitig brisanten Marktverfassung auf die leichte Schulter zu nehmen.

Europa und die europäische Wirtschaft stehen vor schwierigen Monaten – und genau diese tiefe Verunsicherung spiegelt sich an den Märkten wider. Als Anleger kann man dem nur mit Vorsicht begegnen. Für die gesamte Dax-Tendenz heißt das: Die Märkte ausschwingen lassen, Pulver trocken halten, in kurzen Anstiegsphasen auch einmal etwas verkaufen. Lieber beweglich bleiben als hohes Risiko fahren. Günstige Kaufgelegenheiten für Aktien dürfte es in den nächsten Wochen immer wieder geben.

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