Riedls Dax-Radar

Die EU zerfällt – und der Dax steigt trotzdem

Trotz wahrscheinlicher Zinserhöhung in den USA und europäischer Dauerkrisen steuern deutsche Aktien neue Höhen an. Die Chancen auf steigende Kurse bis Mitte Januar stehen gut. Warum der Dax die Krisen ignoriert.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
So viel schütten Dax-Konzerne 2017 aus
Dividendenarie Quelle: DPA
Daimler Quelle: AP
Fresenius Quelle: dpa
Pro Sieben Sat 1 Quelle: DPA
Munich-Re Quelle: REUTERS
Deutsche-Telekom Quelle: DPA
Eli-Lilly Quelle: AP

Bemerkenswert nach der jüngsten EZB-Entscheidung war die Reaktion des Euro. Er sauste in wenigen Stunden von 1,08 auf 1,06 Dollar nach unten. Offensichtlich waren einige größere Marktteilnehmer auf dem falschen Fuß erwischt worden, weil sie eigentlich auf einen steigenden Euro gesetzt hatten. Dahinter stand die Erwartung, dass die EZB nun vielleicht doch den Einstieg in den Ausstieg der extrem laxen Zinspolitik wagen könnte. Nun, genau das hat sie mit ihren jüngsten Maßnahmen nicht gemacht.

Das um 20 Milliarden Euro pro Monat geringere Anleihevolumen gleicht sie aus durch eine Verlängerung der Rückkaufaktion bis Ende 2017. Und auch danach kann sie spendabel bleiben: Indem sie etwa – wie die Commerzbank-Volkswirte schreiben – mit einem Fünfjahrestender die Banken so großzügig mit Zentralbankgeld versorgt, dass die ihrerseits Staatsanleihen kaufen um damit die Zinsen am Boden halten.

Die Probleme der EU, das zeigt besonders die Entwicklung in Italien, sind so gravierend, dass auf absehbare Zeit nicht mit einer Änderung der Geldpolitik der EZB zu rechnen ist. Selbst wenn sich das eine oder andere Land zwischenzeitlich etwas besser entwickeln sollte – sei es der Sanierungsfall Griechenland oder die Lokomotive Deutschland – werden die Zinsen insgesamt auf sehr niedrigem Niveau bleiben. Wie dabei die Funktion des Zinses ausgehebelt wird, können Sie in der aktuellen WirtschaftsWoche 51 (wiwo.de/legenden) in einem grundlegenden Beitrag von Malte Fischer über die Bedeutung des Zinses für die Wirtschaft gut nachlesen.

Alles andere als eine Zinserhöhung durch die Fed wäre überraschend

Amerika hat es besser. Frühzeitig hat Janet Yellen signalisiert, dass sie die Zinsen heraufsetzen werde, wenn es Wirtschaft und Arbeitsmarkt erlaubten. Beides entwickelt sich in den USA derzeit so, dass eine Zinserhöhung kommende Woche ziemlich wahrscheinlich ist. Und bleibt die Fed bei ihrer Linie, könnte es 2017 bei einer soliden Konjunktur zwei weitere Zinsschritte geben.

Mit 2,4 Prozent haben die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen etwa das Top-Niveau von 2015 erreicht. Gut möglich, dass es hier beim Eintreten der Fed-Zinserhöhung eine Pause gibt, nach dem Motto: sell the fact. Danach dürfte mittelfristig der Anstieg auf 3,0 Prozent auf dem Programm stehen, das Zins-Top vom Jahreswechsel 2013/2014.

Bei alledem spielt der Einfluss der neuen Regierung Trump mit hinein. Aktuell hält sich die Notenbank bedeckt, und Janet Yellen ist auch noch bis Februar 2018 im Amt. Dass Trump massiv darauf hinwirkt, die Zinsen trotz Erholungskurs der Wirtschaft zu drücken, ist wenig wahrscheinlich. So gesehen dürfte sich am Normalisierungskurs der Fed, den Janet Yellen fährt, grundsätzlich nichts ändern. Allenfalls mag sich das Tempo unter einer neuen Fed-Leitung im Sinne Trumps beschleunigen; von Scharfmachern, die die Abschaffung der Notenbank fordern, einmal abgesehen.

US-Leitzins zieht langfristige Zinsen in Europa mit

An den US-Märkten sollten die Zinsen damit weiter nach oben tendieren. Dies hat auch indirekt Einfluss auf die Zinsen in Europa, die dadurch am langen Ende etwas mitgezogen werden. Dennoch dürfte der Abstand groß bleiben oder sogar noch weiter auseinandergehen. Schon heute ist der amerikanische Zinsvorteil von gut zwei Prozentpunkten so groß wie noch nie im vergangenen Vierteljahrhundert.

Den Euro wird das drücken. Er könnte dabei doch noch aus der Bandbreite rutschen, die er zwischen 1,05 und 1,16 gegenüber dem Greenback seit zwei Jahren markiert. Für das politische Schicksal der EU ist das alles andere als ein Vertrauensbeweis.

Für die Börsen haben die europäischen Krisen ihren Schrecken verloren

Die Aktienmärkte haben gelernt, mit den Dauerkrisen der vergangenen Jahre zu leben. Dieses Problem betrifft nicht die US-Märkte, denn dort bestehen diese Krisen nicht: Die Konjunktur ist auf gutem Weg, die Banken wurden nach der Finanzkrise saniert – und Probleme mit internationalen Handelspartnern wird man auf amerikanische Weise in den Griff bekommen.

Die Krisenbörsen sind vor allem die europäischen. Und dennoch, obwohl es hier gerade mit Italien einen schweren Problemfall gibt, sind die Kurse nach dem Renzi-Aus nicht zusammengebrochen, ganz im Gegenteil.

Auf den ersten Blick hat das mit dem bisherigen Argumentationsschema der Börsianer zu tun, dass eine Verschärfung der Krisenlage automatisch eine Zementierung oder Verlängerung der expansiven Geldpolitik bedeutet.

Wirkt die expansive Geldpolitik überhaupt noch?

Allerdings stellt sich dabei eine entscheidende Frage: Wenn die Wirksamkeit der Geldpolitik von immer mehr Marktteilnehmern bezweifelt wird, warum soll sie dann überhaupt noch entscheidend sein für die Rally an den Aktienmärkten?

Die Krise der EU ist seit vielen Jahren so allgegenwärtig, dass sie an den Börsen längst zum Normalfall geworden ist. Mehr noch: Selbst das Szenario eines Auseinanderfallens der EU dürfte die Börsen nicht mehr im Mark erschüttern. Denn faktisch spielt sich dieser Prozess gerade ab, wenn wichtige europäische Länder wie Großbritannien sich abkehren, Frankreich dahinsiecht, Italien in Schulden versinkt, Polen und Ungarn sich re-nationalisieren – und einst hoffnungsvolle Kandidaten wie die Türkei diktatorische Züge annehmen.

Wäre der faktische Zerfall der EU ein Drama für die Börsen, stünde der Dax nicht bei 11.000 Punkten, sondern vielleicht bei 7000.

Es gibt in den großen, international ausgerichteten Dax-Konzernen wohl kein Vorstandsgremium, das nicht einen Plan B hat, sollte sich die EU eines Tages formal auflösen oder durch ein neues Gebilde reformiert oder ersetzt werden. Es ist bemerkenswert, wie zum Beispiel Siemens die große Bedeutung von Amerika hervorhebt, Daimler seine Offensive in China oder Fresenius seine neuen Märkte im asiatisch-pazifischen Raum. Europa ist für viele Unternehmen natürlich ein Kernmärkt, doch das Schicksal abhängig machen vom Gedeihen einer politischen EU, wäre fahrlässig.

Die Tops und Flops im Dax
Deutsche Konzerne Quelle: DPA
Adidas Quelle: DPA
Daimler-Chef Dieter Zetsche Quelle: DPA
Deutsche Telekom Quelle: DPA
SAP Quelle: DPA
Deutsche BankSchlechter geht immer. Seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 leiden die Aktionäre des größten deutschen Bankhauses. Die Aktie kostet nur noch 12,60 Euro. Das sind gut 80 Prozent weniger als vor zehn Jahren. Im zweiten Quartal 2016 brach das Ergebnis vor Steuern um 67 Prozent auf nur noch 408 Millionen Euro ein. Nicht nur die extrem niedrigen Zinsen setzen der Deutschen Bank zu. Hinzu kommen Rechtsstreitigkeiten und der langwierige Konzernumbau. Quelle: AP
Commerzbank Quelle: dpa

Klassische Kaufsignal im Dax

Aktuell ist die Tendenz im Dax stabil: Mit dem Anstieg über 10.800 Punkte hat der Index ein klassisches Kaufsignal gegeben. Ebenfalls typisch ist das Hochdrehen der 200-Tage-Linie, das an dieser Stelle frühzeitig angekündigt wurde. An der robusten Verfassung des deutschen Aktienmarktes dürfte sich vorerst nichts ändern, auch nicht bei einer Zinserhöhung in den USA.

Der Nachrichtenfluss der nächsten Wochen sollte geprägt sein von moderat zuversichtlichen, aber nicht überschäumenden Ausblicken auf das Jahr 2017. Zugleich gibt es zum Jahreswechsel traditionell hohe Geldbestände zur Neuanlage. Damit kann sich an den Märkten das traditionelle Muster fortsetzen: Nach einem gemischten November folgt ein starker Dezember und ein Anstieg, der bis in die erste Januar-Hälfte reicht. Kurzfristig intakt ist das positive Szenario, solange der Dax über 10.800 bleibt.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%