Riedls Dax-Radar

Drei Warnsignale für sommerliche Börsengewitter

Die großen Trends an den Aktienmärkten sind intakt. Dennoch sollten sich Anleger in den nächsten Monaten auf häufigere Kurskorrekturen gefasst machen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Anleger sollten sich in den nächsten Monaten auf häufigere Kurskorrekturen gefasst machen. Quelle: dpa

Bis zu 29,80 Euro wurde bisher am vorbörslichen Graumarkt für die Aktie des Online-Lieferdienstes Delivery Hero bezahlt. Delivery ist zwar kein Dax-Wert, dennoch ist der Börsenstarter mit einer Marktkapitalisierung von gut fünf Milliarden Euro (die sich aus diesem Preis bei einer Aktienzahl von 172 Millionen Stück ergibt) ein Schwergewicht. Geht es nach den führenden Banken, ist die Nachfrage nach dieser Aktie richtig lebhaft. Immerhin liegen die grau gehandelten Kurse deutlich oberhalb der Zeichnungsspanne von 22 bis 25 Euro.

Es sieht also ganz danach aus, dass Anleger fünf Milliarden Euro für ein Unternehmen bezahlen, das im vergangenen Jahr nicht einmal 300 Millionen Euro Umsatz gemacht hat und gleichzeitig 95 Millionen Verluste. Wenn es gut geht, könnten es in diesem Jahr 450 bis 500 Millionen Euro Umsatz werden. Ob Delivery nun echte Gewinne schafft, ist fraglich, vor allem fürs Marketing fallen hohe Kosten an.

Ein Substanzwert ist Delivery auch nicht. Zwar stehen nominell an die 50 Prozent Eigenkapital in der Bilanz und durch den Börsengang und die Kapitalerhöhung dürfte noch einiges dazukommen. Dennoch ist das vor allem die Folge von Firmenwerten und Markenwerten. Da aber stecken Abschreibungsrisiken drin, wenn das operative Geschäft nicht wie erwartet läuft.

Erstes Problem für die Börse: Es gibt Zeichen der Überspekulationen

Eine zehnfache Umsatzbewertung bei fraglicher Substanz und operativen Verlusten – das erinnert an die Hochzeiten der Jubelhausse um 2000. Wer damals auf echt verdiente Gewinne und reales Eigenkapital pochte, galt als Gestriger, der die Zeichen der neuen Zeit nicht erkannt habe. Nun, auch jetzt bekommen wir von aufstrebenden Jungunternehmern zu hören, dass es altmodisch sei, sich auf so etwas wie Nettogewinne oder KGVs zu kaprizieren.

Es ist durchaus möglich, dass junge Börsenstarter, die wie Delivery heute noch Verluste schreiben, in Zukunft die nächsten Amazons werden. Amazon machte um 2000 auch Verluste, hatte nach klassischen Vorstellungen eine miserable Bilanz und eine Bewertung, die den damals üblichen Rahmen bei weitem sprengte. Und dennoch wurde daraus eine der größten Erfolgsgeschichten der Börse.

Allerdings, gern wird bei dieser Geschichte vergessen, dass auch Amazon an der Börse eine herbe Entwicklung hinter sich hat. In der Baisse von 2000 bis 2001 hat die Aktie 90 Prozent ihres Werts verloren. Selbst die Aktien der besten Unternehmen gehen an der Börse in die Knie, wenn es nach einer überzogenen Hausse eine scharfe Bereinigung gibt.

Für die aktuelle Börsensituation heißt das: Der Run auf neue Aktien zeigt mittlerweile Züge eines heiß gelaufenen Marktes. Auch wenn es keinen Automatismus gibt, dass es wieder so wie nach der Jahrtausendwende laufen muss, ist eine solche Überspekulation ein Warnsignal, das kein Anleger auf die leichte Schulter nehmen sollte.

Der Hype um Technologieaktien

Zweites Problem: Der Hype um Technologieaktien

Digitalisierung, Onlinehandel, Cloud, neue Mobilität, Künstliche Intelligenz – das alles sind Megatrends, die mit großer Wahrscheinlichkeit Wirtschaft und Gesellschaft noch auf Jahre hinaus prägen werden. Und es ist kein Wunder, dass sich diese Trends an den Börsen widerspiegeln. Mehr noch: Sie sind der entscheidende Motor warum der Dow über 20.000 steht und der Dax über 12.000. Aktuell etwa zeigt sich das in den exzellenten Zahlen von Oracle, die besonders durch das Cloud-Geschäft gepusht werden und wieder einmal zu höheren Prognosen führen.

Innerhalb dieser großen Trends aber gibt es Fragezeichen und Brüche. Zuallererst erwischte es die Ikone der High-Techs schlechthin, Apple, mit der Frage, wie es denn eigentlich um die Zeit nach dem iPhone bestellt sei. Nun, Apple hat nach wie vor ein hochrentables Geschäft, Barmittel wie kein zweiter und eine Bewertung, die trotz umgerechnet 700 Milliarden Euro durchaus fundiert ist. Dennoch, nachdem die Aktie in den vergangenen 13 Monaten von 80 auf 140 Euro gestiegen ist, könnte es eine längere Pause geben. Als Apple 2015 das letzte Mal in eine mittelfristige Korrektur rutschte, verlor die Aktie ein Drittel ihres Wertes und es dauert ein ganzes Jahr, bis sie ihre langfristige Aufwärtsbewegung fortsetzte.

Die Dax-Favoriten der Woche

Nicht mehr ganz so prominent, aber durchaus im Zentrum der Technologiebranche ist die Entwicklung anderer Klassiker, die ebenfalls Schwächen zeigen: Intel, IBM, Cisco oder – etwas weiter im Industriegeschäft verankert – General Electric. Wenn solche Kernunternehmen an den Börsen ins Straucheln geraten, ist Vorsicht geboten.

Im Dax sehen die Techniker noch ganz gut aus: SAP wird von den jüngsten Oracle-Zahlen beflügelt, Infineon gehört zu den stabilsten Werten im Index ohne besonders überbewertet zu sein. Bei Siemens indes könnte es etwas schwieriger werden, weil die Aktie seit Anfang 2016 um 60 Prozent gestiegen ist, immerhin ein Vermögenszuwachs von etwa 40 Milliarden Euro. Mit anderen Worten: Siemens dürfte in so vielen großen und kleinen Depots vertreten sein, dass die Risiken einer Korrektur die Chancen neuer Kursgewinne überwiegen.

Fazit zur Techno-Frage: Auch wenn die Megatrends weitergehen, haben an den Börsen Korrekturen begonnen, die ein Investieren knifflig machen. Da die Technologieaktien in den vergangenen Monaten die Protagonisten des Aufschwungs waren, wird das auch die allgemeine Börsentendenz beeinträchtigen.

Drittes Problem: Wacklige Öl- und Rohstoffmärkte

Es ist erst wenige Monate her, da sah die Zukunft beim Öl, dem wichtigsten Rohstoffmarkt überhaupt, gar nicht so schlecht aus. Die Preise hatten sich deutlich über 50 Dollar je Fass stabilisiert, mögliche Produktionsbegrenzungen schürten die Hoffnung auf höhere Notierungen. Seit Frühjahr aber schmiert der Ölpreis wieder ab, vor allem wegen neuer Produktionsrekorde und übervoller Lagerbestände.

Auch bei anderen Rohstoffen haben sich die Preiserwartungen nicht erfüllt. Kupfer und Aluminium, die zentralen Industriemetalle, können die Preisbandbreiten der vergangenen Monate gerade noch so verteidigen; bei Erz und Stahl sind die Notierungen seit Frühjahr deutlich gesunken.

Der Dax zeigt Schwächen

Billiges Öl und billige Rohstoffe sind nicht gut für Wirtschaft und Märkte. Als erstes leiden darunter die produzierenden Schwellenländer und deren Währungen. Sichtbar ist das vor allem an Russland und dem Rubel, der mit dem Öl wieder nach unten dreht. Kurzfristig mag sich mancher Chemiker hierzulande über günstiges Öl im Einkauf freuen, doch mittelfristig wird er spüren, dass den Käufern in den Schwellenländern das Geld ausgeht. Das gilt besonders für die großen arabischen Ölländer, die traditionell zu guten Kunden deutscher Unternehmen gehören.

Der Ölpreis steht weiter massiv unter Druck

Mehr noch: Einer der größten Ölproduzenten überhaupt sind die Vereinigten Staaten, die einen wesentlichen Teil ihres Wachstums in den vergangenen Jahren aus dem Schieferölgeschäft gezogen haben. Ohnehin ist das Wachstum der US-Wirtschaft ziemlich überschaubar geworden. Und dass die Kurse von Exxon oder Chevron schwer angeschlagen sind, ist eine Hypothek für den Gesamtmarkt. Auch Caterpillar wird sich nicht gut entwickeln, wenn es Minen- und Bergbaukonzernen schlecht geht.

Fazit zu den Rohstoffen: Auch wenn sich wacklige Rohstoffmärkte nicht sofort und direkt auf den Dax durchschlagen müssen, sind sie mittelfristig ein Risikofaktor. Es sind Warnsignale für die Konjunktur – und den Notenbanken schmeckt es auch nicht, wenn sie mit dem Öl einen ihrer Inflationsantriebe verlieren.

Selbst der Dax zeigt Schwächen

Der Dax hat die aufkommenden Probleme bisher gut weggesteckt, immerhin rangiert er fast auf Allzeithoch. Dennoch gibt es auch hier seit einigen Wochen Schwächesignale. Geradezu klassisch war der jüngste Fehlausbruch nach oben, als es kurzfristig über die bisherigen Höchstkurse um 12.800 Punkte (gemessen an den Tagesschlussnotierungen) ging, danach aber keine Anschlussorders kamen. Dass Dax-Aktien wie BASF, Daimler, BMW, Deutsche Bank und selbst Münchener Rück mittlerweile angeschlagen sind (obwohl sie von der Bewertung nicht zu teuer sind), ist kein gutes Zeichen für den Gesamtmarkt.

Noch ist der mittelfristige Aufwärtstrend intakt, den der Dax im vergangenen Herbst begonnen hat. Dennoch dürfte es schwierig sein, die bisherige Dynamik aufrecht zu erhalten. Statistisch ist der Juli im Dax meist ein passabler Monat, August und September dagegen können gefährlich werden. Wolkenlos ist der Himmel jetzt schon nicht mehr.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%