Riedls Dax-Radar

Die EU zerfällt – und der Dax steigt trotzdem

Seite 2/2

Für die Börsen haben die europäischen Krisen ihren Schrecken verloren

Die Aktienmärkte haben gelernt, mit den Dauerkrisen der vergangenen Jahre zu leben. Dieses Problem betrifft nicht die US-Märkte, denn dort bestehen diese Krisen nicht: Die Konjunktur ist auf gutem Weg, die Banken wurden nach der Finanzkrise saniert – und Probleme mit internationalen Handelspartnern wird man auf amerikanische Weise in den Griff bekommen.

Die Krisenbörsen sind vor allem die europäischen. Und dennoch, obwohl es hier gerade mit Italien einen schweren Problemfall gibt, sind die Kurse nach dem Renzi-Aus nicht zusammengebrochen, ganz im Gegenteil.

Auf den ersten Blick hat das mit dem bisherigen Argumentationsschema der Börsianer zu tun, dass eine Verschärfung der Krisenlage automatisch eine Zementierung oder Verlängerung der expansiven Geldpolitik bedeutet.

Wirkt die expansive Geldpolitik überhaupt noch?

Allerdings stellt sich dabei eine entscheidende Frage: Wenn die Wirksamkeit der Geldpolitik von immer mehr Marktteilnehmern bezweifelt wird, warum soll sie dann überhaupt noch entscheidend sein für die Rally an den Aktienmärkten?

Die Krise der EU ist seit vielen Jahren so allgegenwärtig, dass sie an den Börsen längst zum Normalfall geworden ist. Mehr noch: Selbst das Szenario eines Auseinanderfallens der EU dürfte die Börsen nicht mehr im Mark erschüttern. Denn faktisch spielt sich dieser Prozess gerade ab, wenn wichtige europäische Länder wie Großbritannien sich abkehren, Frankreich dahinsiecht, Italien in Schulden versinkt, Polen und Ungarn sich re-nationalisieren – und einst hoffnungsvolle Kandidaten wie die Türkei diktatorische Züge annehmen.

Wäre der faktische Zerfall der EU ein Drama für die Börsen, stünde der Dax nicht bei 11.000 Punkten, sondern vielleicht bei 7000.

Es gibt in den großen, international ausgerichteten Dax-Konzernen wohl kein Vorstandsgremium, das nicht einen Plan B hat, sollte sich die EU eines Tages formal auflösen oder durch ein neues Gebilde reformiert oder ersetzt werden. Es ist bemerkenswert, wie zum Beispiel Siemens die große Bedeutung von Amerika hervorhebt, Daimler seine Offensive in China oder Fresenius seine neuen Märkte im asiatisch-pazifischen Raum. Europa ist für viele Unternehmen natürlich ein Kernmärkt, doch das Schicksal abhängig machen vom Gedeihen einer politischen EU, wäre fahrlässig.

Die Tops und Flops im Dax
Deutsche Konzerne Quelle: DPA
Adidas Quelle: DPA
Daimler-Chef Dieter Zetsche Quelle: DPA
Deutsche Telekom Quelle: DPA
SAP Quelle: DPA
Deutsche BankSchlechter geht immer. Seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 leiden die Aktionäre des größten deutschen Bankhauses. Die Aktie kostet nur noch 12,60 Euro. Das sind gut 80 Prozent weniger als vor zehn Jahren. Im zweiten Quartal 2016 brach das Ergebnis vor Steuern um 67 Prozent auf nur noch 408 Millionen Euro ein. Nicht nur die extrem niedrigen Zinsen setzen der Deutschen Bank zu. Hinzu kommen Rechtsstreitigkeiten und der langwierige Konzernumbau. Quelle: AP
Commerzbank Quelle: dpa

Klassische Kaufsignal im Dax

Aktuell ist die Tendenz im Dax stabil: Mit dem Anstieg über 10.800 Punkte hat der Index ein klassisches Kaufsignal gegeben. Ebenfalls typisch ist das Hochdrehen der 200-Tage-Linie, das an dieser Stelle frühzeitig angekündigt wurde. An der robusten Verfassung des deutschen Aktienmarktes dürfte sich vorerst nichts ändern, auch nicht bei einer Zinserhöhung in den USA.

Der Nachrichtenfluss der nächsten Wochen sollte geprägt sein von moderat zuversichtlichen, aber nicht überschäumenden Ausblicken auf das Jahr 2017. Zugleich gibt es zum Jahreswechsel traditionell hohe Geldbestände zur Neuanlage. Damit kann sich an den Märkten das traditionelle Muster fortsetzen: Nach einem gemischten November folgt ein starker Dezember und ein Anstieg, der bis in die erste Januar-Hälfte reicht. Kurzfristig intakt ist das positive Szenario, solange der Dax über 10.800 bleibt.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%