In der für Börsianer entscheidenden Frage, ob die Aktienmärkte nun ihren großen Trend nach oben noch halten oder schon eine Baisse eingeschlagen haben, kam der Dax in den vergangenen zwei Wochen nicht weiter. Nach wie vor pendelt er um die Mittelachse der vergangenen zehn Tage, die etwa bei 10.200 Punkten verläuft. Schon geben findige Derivate-Banken spezielle Papiere heraus, mit denen Anleger in solchen Seitwärtsphasen verdienen können. Schlagzeilen von erhöhter Volatilität auf der Stelle machen die Runde. Dabei ist die Situation im Dax und an den Weltbörsen alles andere als entspannt.
Die Risiken manifestieren sich. In der chinesischen Wirtschaft werden die Schwächesignale immer offensichtlicher, die Gefahren der Überspekulation und die Angst davor, die administrative Steuerung des großen Aufschwungs könnte am Ende doch versagen.
Neue Ausfälle bei europäischen Banken?
Dazu kommt die Krise in den großen Schwellenländern Brasilien und Russland. In Südamerika ist ein Ende des Konjunkturrückgangs nicht in Sicht. Zudem entstehen Befürchtungen, dass diese Schwäche über direkte Wirtschaftsverbindungen europäischer Unternehmen auf die EU stärker als erwartet durchschlägt.
Betroffen sind vor allem spanische Banken, die zum Teil 30 bis 40 Prozent ihrer operativen Geschäfte in Südamerika abwickeln – und denen jetzt neue Risiken erwachsen; in einer Zeit, in der die Banken ohnehin einen schwierigen Spagat vollziehen müssen: Einerseits gilt es, wegen regulatorischer Vorschriften immer mehr Eigenkapital vorzuhalten; andererseits drohen neue Abschreibungen, sollte es in Südamerika zu unerwarteten Ausfällen kommen.
Heikel bleibt die Lage in Russland. Zum einen kämpft das Land in der Ukraine und neuerdings im Syrien-Konflikt um seine Rolle als Weltmacht; zum anderen ist es wirtschaftlich vor allem durch die Energiepreisbaisse substanziell angeschlagen. Wobei der jüngste Deal zwischen dem Staatskonzern Gazprom und BASF hier ein wichtiges Zeichen der Entspannung ist – unten dazu mehr.
Wenig Spielraum für die Fed
Pessimisten unter den Börsenstrategen sehen im Niedergang der Schwellenländer – und dabei ist China mit einbezogen – das größte Risiko auch für die alten Industrieländer: weil die Hoffnung auf die großen Wachstumsmärkte zerplatzt, durch die Rohstoffbaisse Deflationsrisiken hereinkommen, die schwachen Währungen (Rubel, Real, und jetzt auch Renminbi) das gesamte Weltfinanzsystem in Schieflage gerät.
Die Schwäche der Schwellenländer trägt auch dazu bei, dass sich der Spielraum der führenden Notenbank Fed einengt und sie womöglich von ihrer langen Linie abweichen muss. Bisher hatte die Fed geplant, die Zinsen in diesem Herbst, spätestens Ende des Jahres leicht zu erhöhen. Das wäre ein wichtiges Signal gewesen: für die Stabilität der Konjunktur und für die langsame Rückkehr zu wirtschaftlich normalen Zuständen (bei denen Zinsen ein realer Preis für Geld sind.)
Sture Zinspolitik
Inwieweit die Fed an dieser Linie angesichts der Schwellenländer-Schwäche festhalten kann, ist offen. Sicherlich hat Janet Yellen kein Interesse daran, wegen einer sturen Zinspolitik die US-Wirtschaft über einen noch stärkeren Dollar und noch schwächere Handelspartner (hier vor allem Brasilien) in die Bredouille zu bringen.
Andererseits darf Yellen natürlich nicht als Papiertigerin dastehen. Sie wird also wahrscheinlich weiterhin laut über Zinserhöhungen nachdenken, diesen Schritt aber auf der Zeitachse immer weiter nach hinten verschieben.
Man könnte meinen, für die Aktienmärkte sei das positiv, weil es die schier endlose Verlängerung der laxen Geldpolitik bedeutet. Dem ist aber nicht so. Denn an den Aktienmärkten wächst mittlerweile die Angst davor, dass mit niedrigen Zinsen (oder sogar noch niedrigeren, wie in Europa) die wirtschaftlichen Probleme nicht mehr zu bewältigen sind.
Baisse-Gefahr kommt vom Dow Jones
An den Börsen ist diese Unsicherheit der Grund dafür, dass die großen Trends schwer ins Wanken gekommen sind. Im Dow Jones hat der jüngste Rückschlag, der Ende August bei 15.666 Punkten sein bisheriges Tief gefunden hat, mittlerweile etwa das Ausmaß des 2011er-Crashs. Damals haben sich die Aktienmärkte nach wenigen Monaten wieder stabilisiert und ihren großen Aufwärtstrend fortgesetzt.
Indes, obwohl sich der Optimismus an den Weltbörsen abgekühlt hat, kann von einer nachhaltigen Stabilisierung jetzt noch nicht die Rede sein. Der Dow Jones ist mittlerweile so weit unter seinen 200-Tage-Durchschnitt gerutscht, dass alle bisherigen Erholungen nur vorübergehende Baisse-Rallys sind. Die 200-Tage-Linie selbst hat seit einer Woche sogar nach unten gedreht. Das letzte Mal, als es eine solche Konstellation im Dow gab, war Frühjahr 2008.
Bei 25 von 30 Dow-Jones-Aktien verlaufen die Kurse derzeit deutlich unterhalb der 200er-Linie. (Positive Ausnahmen sind die Defensiv-Klassiker Home Depot, Nike und Visa; McDonald’s und United Health halten sich noch vage.) Das ist eine Quote von 83 Prozent. Und das ist – ob man will oder nicht – unter mittelfristiger Perspektive stabile Baisse.
Natürlich, gerade die US-Börsen sind bekannt dafür, dass sie sich selbst in auswegloser Lage wie Münchhausen retten – sei es durch eine mitfühlende Notenbank oder erstaunlich starke Käufer, die am Ende einer Sitzung plötzlich koordiniert zuschlagen. Insofern ist das Kreuz über dem Dow noch nicht gemacht. Das aber ändert nichts daran, dass von den US-Märkten jetzt und wahrscheinlich noch in den nächsten Wochen ein ausgesprochen hohes Risiko für die weltweiten Börsen ausgeht.
Deutschland - Insel der Stabilität?
Und davon wird sich der Dax nicht lösen können. Natürlich ist es positiv, wenn die Wirtschaftsaussichten hierzulande nach den jüngsten Indikatoren sogar robuster sind als die Stimmung. Zudem zeigt sich, dass führende Unternehmen wie derzeit Daimler ziemlich unbeirrt an ihrem langfristigen Wachstumskurs festhalten können. (Der mögliche Einstieg des chinesischen Partners BAIC würde diese robuste Perspektive unterstreichen.)
Solche Nachrichten sprechen derzeit zumindest für Deutschland dafür, dass die Aktienmärkte nicht vor einem Crash oder einer langen Baisse stehen, sondern sich mitten in einer scharfen Korrektur befinden. Allerdings fehlt auch am deutschen Markt bisher noch die notwendige Stabilisierung, nach der man an schwachen Tagen einfach kaufen könnte.
Zwei mögliche Szenarien für den Dax
Selbst im vergleichsweise moderaten Crash von 2011 – in dessen Ausmaß sich die bisherigen Verluste noch abspielen – gab es nach einem ersten Rückschlag und einer nachfolgenden Erholung einen zweiten Rückschlag. Angesichts der unsicheren Nachrichtenlage und der Schwächesignale der Kurse ist es unwahrscheinlich, dass die Märkte 2015 glimpflicher davonkommen als 2011.
Für den Dax kann man damit die Entwicklung der nächsten Monate auf zwei mögliche Szenarien reduzieren: Entweder die Märkte setzen das Muster der scharfen Korrektur fort – dann dürfte es mindestens noch einmal unter 10.000 gehen, maximal sogar bis 8500. Oder es kommt im zweiten Abschwung doch zu einem stärkeren Verfall als 2011. Der Dow Jones könnte dann in den Bereich 14.000 bis 13.000 sinken, der Dax mindestens bis an seine alte Obergrenze um 8100.
Solange die Entscheidung darüber nicht gefallen ist, drängen sich Neukäufe nicht auf. Vielmehr geht es jetzt darum, einen guten Teil Liquidität in Reserve zu halten, um dann – auf welchem Niveau auch immer – wieder Qualitätsaktien zu kaufen. Und dazu werden Klassiker gehören wie die genannten Daimler und BASF.
Russische Förderung der BASF
Für die Ludwigshafener gab es zuletzt wichtige Nachrichten. BASF wird seinen im vergangenen Jahr aus politischen Gründen abgeblasenen Assettausch mit Gazprom nun doch durchziehen. Dabei geht das Gashandelsgeschäft inklusive Gasspeicher komplett an den Partner Gazprom. BASF erhält dafür direkten Zugang zur sibirischen Gasförderung.
Auf einen Schlag wird BASF damit 12 Milliarden Euro von bisher 74 Milliarden Euro Jahresumsatz verlieren, denn diese Umsatzgröße des Gashandels wurde im jüngsten Geschäftsbericht voll eingebucht. Die Umsatzbewertung der BASF-Aktie steigt damit etwa um ein Fünftel. Auf der anderen Seite sind von den neuen Quellen wahrscheinlich erst ab 2018 echte Umsätze und Gewinne zu erwarten.
Dennoch, unterm Strich hat der Deal für BASF mehr Vorteile. BASF wollte schon länger das margenschwache Gashandelsgeschäft loswerden, das einst gegen die Dominanz von E.On Ruhrgas aufgebaut wurde. Die direkte Förderung in Sibirien ist für BASF langfristig wichtiger, zudem erhöhen sich die Gasreserven wahrscheinlich um etwa ein Drittel. Dass BASF in politisch schwieriger Zeit weiter mit seinem langjährigen Partner Gazprom zusammenarbeiten kann, ist für die Ludwigshafener von grundsätzlichem Wert.
An den Zahlen zur Gewinnbewertung der Aktie wird sich kaum etwas ändern. Wesentlich besser könnten die Renditekennzahlen des Unternehmens ausfallen, da der Gewinnbeitrag des Gashandelsgeschäfts bisher ziemlich mager war.
Und dass die Energienotierungen derzeit so niedrig sind, könnte sich im Nachhinein sogar als günstiges Umfeld für ein solches Investment erweisen. Denn wegen des weltweit ungebrochenen Verbrauchs sind langfristig ohne weiteres auch wieder einmal höhere Gaspreise denkbar.