Raumtemperatur und Stimmung sind auf Eisschrank-Niveau, als Jürgen Rüttgers kurz vor elf seinen Platz im Tagungsraum des Dortmunder Hotels Pullman einnimmt. Der Ex-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen lehnt sich zurück, blickt gedankenverloren in den Raum, seine Mundwinkel hängen tief. Ein bitterer Tag: Als Aufsichtsrat der CFC Industriebeteiligungen AG muss Rüttgers eine außerordentliche Hauptversammlung (HV) abhalten. CFC musste für einige seiner Töchter Insolvenz anmelden, die frustrierten Aktionäre – die CFC-Aktie hat binnen eines Jahres 85 Prozent an Wert verloren – stellen eine Menge unangenehmer Fragen.
CFC (Eigenwerbung: „Companion for Companies“) gehörte lange zur Angermayer, Brumm und Lange Gruppe (ABL), also zum Reich des Christian Angermayer. Kurz vor der Schreckens-HV stiegen seine Unternehmen im Februar bei CFC aus.
Der 34-jährige Angermayer galt lange Zeit als einer der aufstrebenden Sterne am Frankfurter Finanzhimmel. Allzu gern umgab er sich mit Prominenten, die ihm Aufmerksamkeit verschafften und die nötige Seriosität verliehen, um an Investoren für seine Projekte zu kommen.
Prominente Freunde
In die Kategorie „Aufmerksamkeit“ fallen Showgrößen wie Stargeiger David Garrett, mit dem Angermayer gut bekannt ist, aber auch Moderatorin Sonya Kraus oder Filmstar Uma Thurman. „Seriosität“ bietet neben Rüttgers bei CFC auch Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel, der bis vor Kurzem im Aufsichtsrat der ABL-Firma Heliad saß. Seit 2008 berät Angermayer Ruandas Präsidenten Paul Kagame, zeitweise zusammen mit dem britischen Ex-Premier Tony Blair, dem ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton, dem früheren Weltbank-Präsidenten Paul Wolfowitz und Management-Guru Michael Porter. Mit Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer und dem CDU-Politiker Philipp Mißfelder saß er bis 2011 im Kuratorium des Quadriga-Preises.
Die Bank, die keine ist
Sein mit Abstand wichtigster Promi-Kontakt aber ist Golo Quandt. Ihm hat Angermayer zu verdanken, dass er sein Investmenthaus nach Golos Mutter benennen durfte. Die Silvia Quandt & Cie. AG, die den Namen der bekannten Industrie-Dynastie nutzt, ist ein Kernstück von ABL. Ein Investmenthaus ist eine Bank, die sich so nicht nennen darf, weil sie keine Lizenz hat, aber alle möglichen Geschäfte einer Bank macht: Kapital besorgen, Aktienanalysen schreiben, Unternehmen beim Verkauf von Beteiligungen beraten. Sie braucht dafür nur einen Partner mit Lizenz. Bei Silvia Quandt ist dies die biw Bank aus Willich.
Das vor 13 Jahren von Angermayer und den Kaufleuten Peter Brumm und Andreas Lange gegründete Finanzkonglomerat ABL besteht aus mehr als 40 Gesellschaften. An der Spitze steht der Vermögensverwalter Altira mit der Beteiligungsgesellschaft Heliad. Zweite wichtige Beteiligung ist die Aragon AG, unter deren Dach sich diverse Finanzvertriebe tummeln, deren 22.000 Berater Versicherungen, Fonds und dergleichen verkaufen. Das Angermayer-Reich, dem Kunden 2011 noch mehr als fünf Milliarden Euro anvertraut haben, wird jetzt erschüttert von Glaubwürdigkeitsverlusten und Ärger über massive Interessenkonflikte. Aragon, Altira und Heliad, die Mitte 2007 an der Börse noch über 600 Millionen Euro kosteten, haben heute nur noch gut 50 Millionen Euro Marktwert. Verlierer dürften oft die Anleger sein.
Enge Bande
Und so entlädt sich in Dortmund eine Menge Unmut über den gequält dreinschauenden Rüttgers. So mancher CFC-Anteilseigner hegt den Verdacht, dass die Bande zwischen der Silvia Quandt & Cie. und CFC zu eng gewesen sein könnte – zum Nachteil der Anleger. Bis vor Kurzem hielt Silvia Quandt & Cie. Aktien der CFC, zudem hat die Bank, die keine ist, CFC an die Börse gebracht, Kapitalerhöhungen platziert, CFC beraten, Kaufstudien geschrieben und so über die Jahre mehrere Millionen Euro Gebühren kassiert. Die Aktionäre wollen auf der HV nun wissen, welche Verträge und welche Gegenleistungen es gab – und warum Quandt-Analysten die Zukunft der CFC in rosigen Farben gemalt haben.
Zweifel an der Unabhängigkeit und Neutralität der Silvia Quandt & Cie. sind durchaus angebracht. Unterlagen, die der WirtschaftsWoche vorliegen, legen nahe, dass die Quandt & Cie. den Auftrag erhielt, den Aktienkurs des gruppeneigenen Finanzdienstleisters Aragon im Sinne des Großaktionärs ABL zeitweise nach oben zu treiben, was die Beteiligten bestreiten.
Mit Promi-Bonus
Kuriose Börsenpannen
Fast 45 Minuten konnten am 29. Oktober 2013 an der US-Börse Nasdaq einige Indexstände nicht übermittelt werden. Wegen der fehlenden Daten wurde der Optionshandel vorübergehend ausgesetzt. Als Grund für die Panne nannte der Betreiber menschliches Versagen: Durch einen Bedienfehler seien Störungen in der Datenübertragung entstanden.
Wegen technischer Probleme hat die Derivate-Börse Eurex den Handel am Morgen des 26.8.2013 vorübergehend gestoppt. "Die Aussetzung wurde durch eine fehlerhafte Zeit-Synchronisierung im System verursacht", teilte die Tochter der Deutschen Börse mit. Aus diesem Grund sei der Handel zwischen 08:20 und 09:20 Uhr (MESZ) angehalten und sämtliche Produkte auf den Stand vor Börseneröffnung zurückgesetzt worden.
Eine technische Panne hat die US-Technologiebörse Nasdaq am 22. August 2013 für mehrere Stunden lahmgelegt. Grund für den Knock out sei ein Softwareproblem gewesen, teilte der Börsenbetreiber Nasdaq OMX mit. Die Übermittlung von Kursdaten an die New Yorker Börse an der Wall Street war offenbar zusammengebrochen. Auch der Optionshandel wurde bis auf weiteres ausgesetzt. Erst nach rund dreistündiger Zwangspause konnte die Börse den Handel mit den Papieren von Technologiefirmen wie Apple, Facebook, Microsoft oder Google wiederaufnehmen. Die Nasdaq rechnet aber bisher nicht mit Schadenersatz- oder Haftungsansprüchen.
Die US-Investmentbank Goldman Sachs hat am 21. August 2013 versehentlich eine riesige Menge von Optionsgeschäften getätigt. Die irrtümlichen Orders wurden kurz nach Handelseröffnung aufgegeben und betrafen Optionen auf Aktien, deren Börsensymbole mit den Buchstaben H bis L beginnen. Eine mit den Problemen vertraute Person, die nicht namentlich genannt werden wollte, führte die fehlerhaften Aufträge auf eine Computerpanne zurück. Diese habe dazu geführt, dass bloße Interessensbekundungen an den Optionen irrtümlich als Orders an die Handelsplätze versandt worden seien. Möglicherweise drohe Goldman Sachs ein Verlust in Millionenhöhe.
Ein Aktienhändler der UBS handelte durch Eingabe zu vieler Nullen im Januar 1999 innerhalb von zwei Minuten zehn Millionen Aktien der Pharmafirma Roche, von den aber überhaupt nur sieben Millionen Stück existierten. Das Handelsvolumen überstieg die Marktkapitalisierung von Roche um knapp die Hälfte. Den Verkauf versuchte er durch eigene Kauforders rückgängig zu machen. 2001 verkaufte ein Händler der Investmentbank Lehman Brothers aus Versehen immer hundertmal mehr Aktien als er wollte – vor allem von Schwergewichten wie AstraZeneca und BP – und vernichtete so zeitweise 30 Milliarden Pfund an Börsenwert.
Im Dezember 2001 begleitete UBS Warburg den Verkauf neuer Aktien des japanischen Unternehmens Dentsu. Ein Händler vertippte sich und verkaufte statt 16 Dentsu-Aktien zu 600.000 Yen gleich 610.000 Aktien zu 6 Yen an. Schnell verkaufte die UBS so 64.915 Aktien, was etwa der Hälfte des Emissionsvolumens entspricht. Die UBS verlor so 100 Millionen Dollar, weil sie die Aktien selbst zum Marktpreis kaufen musste, um die Käufer mit den Papieren zu versorgen.
Ein Händler von Bear Stearns verkaufte im Oktober 2002 Aktien für vier Milliarden Dollar anstelle von vier Millionen. Bevor der Vertipper auffiel, gingen bereits Wertpapiere im Wert vom 600 Millionen Dollar an neue Besitzer. Der Leitindex Dow Jones sank dadurch um 2,3 Prozent.
Der Hochfrequenzhandel war für den "Flash Crash" an der Wall Street verantwortlich, als sich im Mai 2010 durch einen blitzartigen Kurseinbruch aus heiterem Himmel binnen Minuten fast eine Billion Dollar Marktwert in Luft auflöste. Einige Aktien verloren in der kurzen Zeitspanne rund die Hälfte ihres Wertes. Schon davor hatte es Kritik gegeben an den immer schnelleren Börsengeschäften über Computersysteme. Beim sogenannten Hochfrequenzhandel werden tausende Transaktionen binnen Millisekunden durch Computer ausgelöst.
Ende Juni 2010 fielen die Aktien der Citigroup nach Massenverkäufen durch elektronische Handelssysteme zeitweise um17 Prozent. Da die US-Börsenaufsicht SEC nach dem „Flash Crash im Mai zuvor beschlossen hatte, Aktien aus dem Index S&P 500 vom Handel auszusetzen, sofern diese innerhalb von fünf Minuten mehr als zehn Prozent fallen oder steigen, stoppte diese Sicherungssystem den Kursrutsch. Fünf Minuten stoppte der Handel, dann beruhigte sich die Lage. Den Handelstag beendete die Citigroup-Aktie sieben Prozent im Minus.
Noch vor Facebook gab es einen weiteren verpatzten Börsengang: Die Erstnotiz der drittgrößten US-Börse BATS Global Markets Ende März 2012 endete mit einem Totalschaden. Die Aktien sollten auf der eigenen Handelsplattform ihr Börsendebüt feiern, aber die neuen BATS-Aktien sackten binnen Minuten von 16 Dollar auf unter einen Cent. Als Schuldige wurde eine neue Software ausgemacht. BATS musste falschen Transaktionen zurücknehmen - und nahm die eigenen Aktien nach dem peinlichen Vorfall gleich mit von der Börse.
Als das 900 Millionen Nutzer starke Social-Media-Portal im Mai 2012 den Sprung an die Börse wagte, bekam die Erfolgsstory deutliche Risse. Nach gravierenden Pannen im Handelssystem der Technologiebörse Nasdaq in New York stürzte der Kurs des Börsenneulings rapide in die Tiefe. Beteiligte Firmen erlitten hohe Millionen-Verluste, etliche fordern von der Nasdaq Schadenersatz. Die Schweizer Großbank UBS, die beim Facebook-Börsengang 349 Millionen Franken (290 Millionen Euro) verlor, drohte bereits mit einer Klage gegen die Börse.
Am 31. Juli 2012 versetzte eine fehlerhafte Handelssoftware versetzte Wertpapierhändler und Anleger an der Wall Street in Aufruhr: In den ersten 45 Minuten des Handelstages verzeichneten rund 150 Aktientitel so hohe Umsätze wie sonst an einem ganzen Tag. Die Folge waren heftige Preisschwankungen, und fünf Aktien mussten sogar ganz aus dem Handel genommen werden. Das Börsenhandelshaus Knight Capital räumte ein, Probleme mit seinen computergestützten Systemen seien dafür verantwortlich. Ein neues Handelsprogramm hatte die Börse mit fehlerhaften Handelsaufträgen geflutet. Knight Capital verbuchte durch die viel zu teuer gekauften Aktien einen Verlust von rund 440 Millionen Dollar.
Kurz nach dem Handelsstart im April 2014 an der Technologiebörse Nasdaq schossen die Aktien des Lebensmittelherstellers Kraft Foods binnen einer Minute um satte 30 Prozent nach oben, von 45 auf mehr als 58 Dollar. Die Nasdaq verneinte Probleme mit ihrer Handelsplattform und machte einen Börsenmakler als Verursacher aus. Laut "Financial Times" hatte ein Handelsprogramm irrtümlich versucht, 30.000 Kraft-Aktien binnen kürzester Zeit zu ordern. Die Nasdaq und andere betroffene Börsen erklärten nach einer Untersuchung der Kursbewegungen die fragwürdigen Transaktionen oberhalb eines Kurses von 47,82 Dollar für ungültig. Der Fehler ereignete sich nur einen Tag, nachdem Kraft Foods sich aufgespalten und sein Geschäft mit Snacks außerhalb der USA unter dem Namen Mondelez International als eigenständige Aktie an die Nasdaq gebracht hatte.
Blick zurück: Wer in Frankfurts Finanzwelt etwas werden will, darf nicht kleckern. Angermayer klotzte gewaltig: mit markigen Aussagen – 2007 verkündete er, ein Unternehmen wie Goldman Sachs formen zu wollen – und mit bekannten Namen.
Vor allen anderen half ihm der Name Quandt: Zwar bekam er den nicht von der BMW- und Altana-Linie um Johanna Quandt, der dritten Frau des Industriellen Herbert Quandt – dieser Familienzweig soll über die Nutzung des Namens nicht erbaut sein –, aber doch von Silvia, einer Tochter aus Herbert Quandts erster Ehe.
Mit Quandts auf Werbetour
2006 gründeten Angermayer und Co. mit Golo Quandt, Mutter Silvia und dem Banker Joachim Paech die Silvia Quandt & Cie. AG. Angermayer wurde Vorstand und ging mit dem Namen der Quandts auf Werbetour. Er wurde nicht nur für das Investmenthaus gemietet. Auch die Vermögensmanagement-Tochter Altira wies darauf hin, dass die Vermögensverwaltung von Silvia Quandt langjähriger Investor des Unternehmens sei. Die Beteiligungsgesellschaft Heliad pries Quandt als Teil des Netzwerks, beim Immobilienentwickler Squadra fand sich der Name in Präsentationen, die Filmhouse AG führt aus, dass die Familie Silvia Quandt „strategischer Partner“ des Mehrheitseigners ABL sei.
Die Familie Silvia Quandt hielt bei Gründung 25 Prozent der Quandt & Cie., bei Altiras Börsengang 2007 war die damals von Angermayer geführte Vermögensverwaltung von Silvia Quandt mit zehn Prozent an Altira beteiligt, Golo Quandt hielt zeitweise zehn Prozent an Heliad. Ohne Quandt passierte wenig im Angermayer-Reich.
Doch das Band scheint zumindest auf der geschäftlichen Ebene gekappt. Ein Anwalt der Familie bestätigt, dass Silvia und Golo Quandt nicht mehr an Unternehmen der ABL-Gruppe beteiligt sind.
Das Misstrauen ist groß
Auch eine andere Superreiche tritt nicht mehr in Erscheinung. José Marie Kolb, ein Mitglied des Milliardärs-Clans Werhahn (Diamant-Mehl, Zwilling), war 2009 bei Altira eingestiegen. 2010 taucht Kolb noch im Geschäftsbericht auf („Unsere Großaktionäre sind uns auch in diesem Jahr treu geblieben“), heute ist sie nicht mehr beteiligt. Allianz Global Investors, die seit 2008 auf die Altira-Aktie setzten, sind 2011 ebenfalls ausgestiegen. „Das Misstrauen ist groß. Vielen ist die ABL-Gruppe zu undurchsichtig“, sagt ein Insider.
Wie groß das Misstrauen ist, lässt sich an den Börsenkursen ablesen. Die Altira-Aktie, in der Spitze 60 Euro wert, kostet jetzt 2,50 ; der Finanzvertrieb Aragon fiel von 32 auf 2,40 Euro. Die Kursentwicklung von Heliad und dem Fondsanbieter FIHM (früher SHB) ist ähnlich grauenvoll. Eine CFC-Aktie, in der Spitze 18 Euro wert, notiert heute unter 15 Cent.
Schlechte Geschäfte
Dass Anleger zurückweichen, ist verständlich: Vielen ABL-Beteiligungen geht es schlecht. Aragon hat in den vergangenen drei Geschäftsjahren auf Konzernebene insgesamt einen Verlust von 13,7 Millionen Euro gemacht. Altira verzeichnet für den Zeitraum einen Verlust von 22,2 Millionen, der Solarfinanzierer Ecolutions ein Minus von 17 Millionen Euro, Heliad machte 30,5 Millionen Euro Verlust. Eine Dividende erhielten Aktionäre bislang nur von Altira – und das auch nur in einem einzigen Jahr.
Die nicht börsennotierte Silvia Quandt & Cie. allerdings blieb über Jahre profitabel. Angermayer sagte 2007, die Stärke der Gesellschaft bestehe darin, dass sie nicht um Fusionen oder Börsengänge kämpfen müsse, die Mandate bekomme sie von ABL. Sie platzierte Kapitalerhöhungen für Altira oder Ecolutions und brachte Beteiligungen wie CFC an die Börse.
Der Nukleus der Gruppe mit dem großen Namen „Quandt“ warb fleißig Investoren und schrieb eifrig Researchberichte. Das fällt dem Unternehmen nun auf die Füße. Weil die Silvia Quandt & Cie. sie in die heute strauchelnden ABL-Unternehmen lockte, will so mancher Investor mit Silvia Quandt nichts mehr zu tun haben. Dabei steht oft der Verdacht im Raum, dass sie weniger für externe Aktionäre als vielmehr zum Vorteil der ABL-Gruppe agiert, den eigenen Grundsätzen („Stelle Anleger und Kunden an erste Stelle“, „Setze ethische Maßstäbe an“) zum Trotz.
Zweifelhafte Studien
Silvia-Quandt-Analysten schreiben Aktienstudien und verbreiten sie. Solche Studien können bei kleinen Werten Kurse bewegen. Analysten sollen deshalb unabhängig entscheiden, ob sie eine Aktie zum Kauf oder Verkauf empfehlen, auf keinen Fall darf der Arbeitgeber Einfluss nehmen. So ist das laut Geschäftsführer Ralf Groenemeyer auch bei Silvia Quandt Research.
Die von Quandt öffentlich verbreiteten Studien lassen aber, gelinde gesagt, genau daran Zweifel aufkommen. Denn sie kennen für Aktien aus dem ABL-Reich im Wesentlichen nur eine Empfehlung: Kaufen! Und das unabhängig davon, wo der Aktienkurs gerade steht und wie sich das Unternehmen operativ entwickelt.
Meist wurden hohe Kursziele angesetzt. Doch die Werte fielen ins Bodenlose. Groenemeyer sieht darin keinen Fehler: Die Verschlechterung des Marktumfelds habe bei einer Vielzahl von Unternehmen zu einer schlechteren Kursentwicklung als vorher angenommen geführt. Kursziele für Unternehmen der ABL-Gruppe seien auch teilweise deutlich nach unten angepasst worden. Den Rat, Aktien aus dem ABL-Reich zu verkaufen, haben die Analysten aber nicht ein einziges Mal erteilt.
Verlierer sind die Anleger
Ein Beispiel für Interessenverquickungen und überoptimistisches Research liefert der Fall der heute von Rüttgers beaufsichtigten CFC: Silvia Quandt brachte sie 2006 an die Börse. Anteile hielten zeitweise gleich vier ABL-Unternehmen: Silvia Quandt, Altira, Heliad und Themis. Groenemeyer brannte förmlich für CFC. Nach einer Talfahrt der Aktie von 18 auf 3 Euro blieb er im September 2009 dennoch „optimistisch“ und pries die Aktie weiterhin an. CFC-Chef Marcus Linnepe versichert, die Empfehlungen nicht beeinflusst zu haben. Ob er den Optimismus des Analysten nachvollziehen konnte? Kein Kommentar. Wer von den positiven Analysen profitierte, ist unklar. Klar ist nur, dass Anleger, die oben eingestiegen waren, massiv verloren.
Der Aragon-Skandal
Sehr viel klarer werden die Motive der ABL-Beteiligten im Fall Aragon. Im Sommer 2008 bekam Silvia Quandt nach Recherchen der WirtschaftsWoche den Auftrag, den Kurs des Vertriebsunternehmens zu pushen. Damals hält der Schiffsfondsanbieter HCI Capital ein Viertel der Aragon-Aktien, will aber verkaufen. ABL will die Aktien mit Gewinn weiterreichen. Silvia Quandt soll dafür sorgen, dass der neue Investor die Aktien möglichst teuer bezahlt. Das geht aus Unterlagen hervor, die der WirtschaftsWoche vorliegen.
Aragon-Chef Sebastian Grabmaier erklärt darin, dass Versicherer wie HDI Gerling oder Deutscher Ring für eine Beteiligung an einem Finanzvertrieb einen Aufschlag von 30 Prozent auf den aktuellen Aktienkurs zahlen würden. Die Aragon-Aktie steht damals bei 20 Euro. Die Aufgabe der Silvia Quandt bestehe darin, den Kurs in Richtung 24 bis 25 Euro zu bewegen, damit der Verkaufspreis dann um die 30 Euro liege. Wenn ihr das gelinge, solle sie einen Bonus erhalten. Die Aragon-Vorstände und ABL-Partner Grabmaier und Ralph Konrad streiten den Vorgang gegenüber der WirtschaftsWoche ab. Die Silvia Quandt AG habe den Kurs mangels eigener Handelsabteilung gar nicht bewegen können. Darüber hinaus habe sich der Kaufpreis nicht am Börsenkurs orientiert, sondern sei „aufgrund der individuellen Bewertungsmodelle der Kaufpreisinteressenten“ zustande gekommen. Ein Bewegen des Kurses hätte folglich keinen Sinn gemacht.
Dagegen sprechen nicht nur die Unterlagen, sondern auch die Kurse der Aragon-Aktie: Bis zum Herbst macht sie einen Sprung von knapp 20 auf 27,50 Euro. Am 10. September verkündet Aragon den Einstieg des Versicherungskonzerns Axa mit 25,01 Prozent. Direkt danach stürzt der Kurs bis Anfang Dezember auf unter 10 Euro. Aragon erklärt dies mit den Verwerfungen an der Börse infolge der Lehman-Pleite.
Kurstreibend war etwa eine wunderbare Erfolgsmeldung, die Aragon selbst produzierte. Dem Finanzdienstleister gehörten damals 62 Prozent der biw Bank. In jenem Sommer 2008, als der Verkauf an Axa eingefädelt wird, meldet Aragon den Verkauf von 15 Prozent ihrer Anteile an der biw an die Christ Capital AG, für sagenhafte zwölf Millionen Euro. Sie hätte damit für die 15 Prozent an der biw mehr bekommen, als sie selbst für ursprünglich 75 Prozent gezahlt hatte. Angermayer klassifiziert den Deal intern als einen „der wichtigsten Milestones der Aragon“, weil hierdurch hohe stille Reserven aufgedeckt worden seien. „The growth story goes on and on and on...“, schreibt er.
Die Research-Truppe hat die Neuigkeit bereitwillig verbreitet. In seiner Analyse zu Aragon vom 15. Juli 2008 beschreibt Groenemeyer den Verkauf auf der ersten Seite als „smart move“ und erklärt, dass Aragon ein interessantes Ziel für institutionelle Investoren sei. Das Kursziel sieht er bei 40 Euro.
Unerfüllte Forderungen
Der „smart move“ hat – wie sich heute zeigt – nur einen Haken. Aragon hat für ihren 15-Prozent-Anteil an der biw niemals zwölf Millionen Euro erhalten. Christ Capital zahlte damals nur 1,3 Millionen Euro in cash. Die restlichen 10,7 Millionen Euro verbuchte Aragon als Forderung – die niemals erfüllt wird. Es begann eine Kette von Anteilsverschiebungen, in deren Verlauf 2009 die Axa immerhin rund sieben Millionen Euro für den 15-Prozent-Anteil an der biw zahlte. Auf dem Papier hätten Aragon weitere 4,5 Millionen Euro zugestanden. Doch die musste das Unternehmen am Ende abschreiben. Die Forderung konnte „nicht geltend gemacht werden“, erklärt der Aragon-Vorstand, weil die Zahlung an einen Mehrerlös im Falle eines Verkaufs der Anteile gekoppelt und „der am Ende erzielte Kaufpreis nicht hoch genug war“.
Zahlungen verschleppt
Seit viele ABL-Unternehmen Verlust machen, brauchen sie die Silvia Quandt & Cie. kaum noch. 2011 mussten Mitarbeiter entlassen und Gehälter zeitweise gekürzt werden. Dieter Pfundt, Ex-Kapitalmarktchef von Sal. Oppenheim, 2010 als Berater zur Bank gekommen, musste nach nicht mal einem Jahr wieder gehen. Das Vorstands-Gastspiel von Wolfgang Jensen, früher Bereichsleiter bei Sal. Oppenheim, dauerte nur wenige Wochen. Im September 2011 schied auch Mitgründer Paech aus dem Quandt-Vorstand aus und ist seitdem nur noch Verwaltungsrat der Schweizer Tochter. Seit Angermayer in den Aufsichtsrat wechselte, leistet sich die Boutique mit Johann Ostermair nur noch einen Vorstand.
Sparen war offenbar dringend notwendig: Im Frühjahr 2012 schreibt Ostermair seinem Aufsichtsrat, dass Silvia Quandt & Cie. „in der derzeit schwierigen Liquiditätslage die Möglichkeit, Zahlungen zu verschieben, soweit wie möglich“ ausnutzt. Vertragspartner sind über dieses Gebaren wenig begeistert.
- Der Personalberater: Er hatte der Silvia Quandt AG den ehemaligen PwC-Berater Ralf Hafner vermittelt. Im Mai 2011 gab Silvia Quandt die Verpflichtung bekannt. Honorar wollte man dem Personalberater dennoch nicht zahlen, der klagte – und bekam recht: Am 8. August 2012 verdonnerte Richter Ralf Barthelmann in der dritten Etage des Frankfurter Landgerichts die Silvia Quandt & Cie. AG dazu, 35.700 Euro plus acht Prozent Zinsen und Anwaltskosten zu zahlen. Quandt-Vorstand Ostermair erklärt hierzu, dass es seiner Ansicht nach keine „rechtsverbindliche Vereinbarung über die Zahlung einer Vermittlungsgebühr gibt“. Ostermair hat Berufung eingelegt.
- Der Investorenberater: Einen ähnlichen Streit gibt es mit einem Finanzdienstleister aus München, mit dem Silvia Quandt eine Kapitalerhöhung platziert hatte. Das Honorar sollte aufgeteilt werden, doch Silvia Quandt zahlte nicht. Ostermair sagt hierzu, dass die Platzierung allein von der Silvia Quandt AG durchgeführt worden und man deshalb der Meinung sei, dass die „Verkaufsagenten keinen Anspruch auf eine Fee haben“. Der Berater hat inzwischen Klage eingereicht. Er habe mit der Quandt AG als Team zusammengearbeitet und seine „Kunden aufgefordert die Kapitalmaßnahme bei der Silvia Quandt AG zu zeichnen“. Dass man nun sein Honorar nicht zahle, „ist mir unbegreiflich und in meiner 25-jährigen Berufserfahrung“ noch nie passiert.
- Ein Banker, der der Silvia Quandt Geschäft vermittelt hatte, beschwerte sich im Juni bei Ostermair, dass die von ihm im Dezember eingeforderte Provision bis heute nicht bezahlt sei und Silvia Quandt auf seine Anschreiben nicht reagiere. Ostermair erklärt hierzu, dass „dritte Personen eine unterschiedliche Meinung darüber haben können, ob ein Anspruch gerechtfertigt ist“.
Auch die Schweizer Quandt-Tochter scheint Zahlungen zu verzögern. Ebenfalls im Juni weist die Revisionsstelle, eine Art Wirtschaftsprüfer für Schweizer Gesellschaften, den Aufsichtsrat der Mutter in Frankfurt darauf hin, dass sowohl Sozialversicherungsbeiträge als auch Quellensteuern „seit Monaten nicht bezahlt worden sind“. Ostermair erklärt hierzu, dass der Vorgang derzeit geprüft werde, und etwaige offene Zahlungen würden erst „mit Abschluss der Prüfung ausgeglichen“.
Verkaufstalent Angermayer
Wenig später scheint sich die Geschäftslage stark verbessert zu haben – womöglich haben anziehende Umsätze und Börsenkurse die Lage entschärft. Im ersten Halbjahr 2012 hat Ostermair einen Vorsteuergewinn von 0,8 Millionen Euro erzielt.
Angermayer aber, so scheint es, hat an dem Konglomerat die Lust verloren. Von Goldman Sachs ist keine Rede mehr. Er konzentriert sich auf Projekte wie die kurs- und gewinnmäßig noch nicht abgesoffene ADC, die in Afrika investiert, und die Berliner Filmhouse. Die plant einen Paganini-Film, in dem Angermayers Geiger-Kumpel David Garrett den Titelhelden geben soll. Angermayer hat geholfen, dafür zehn Millionen Euro bei Investoren einzusammeln.
Wie das Verkaufstalent so etwas macht, zeigt das Beispiel Ecolutions, eine heute völlig abgestürzte Solarbude: „Hallo, hoffe es geht euch gut“, schreibt er 2007 an potenzielle Investoren. „Wir haben mal wieder ein spannendes Friends&Family Programm: ecolutions.“ Auf 13 Zeilen folgt das Geschäftsmodell des Unternehmens, das von der ABL-Tochter Altira gemanagt wird. „IPO wird dann im zweiten Halbjahr 2007 sein, angepeilter Emissionspreis liegt zwischen 2,75 und 3,1 Euro.“ Das reicht. Keine neun Stunden später antwortet der Adressat. „Herzlichen Dank für die Einladung zur Zeichnung. Ich finde dies eine super Sache“ – und verspricht zu zeichnen.
Investoren schlagen zurück
Der Börsengang kam nie. Die Anteilsscheine sind heute nahezu wertlos. Im Juni 2012 schlägt Altira vor, die Gesellschaft zu liquidieren. Einige Aktionäre können es nicht fassen. „Bei der letzten Hauptversammlung im November wurde uns noch erzählt, dass 24 Millionen Euro Cash da sind und Ecolutions 2011 einen Gewinn machen wird“, sagt Fady Khallouf, Chef des Investors Theolia aus Aix-en-Provence. Wie das letzte Jahr tatsächlich gelaufen ist, wissen die Aktionäre nicht. Es gibt bislang keinen Geschäftsbericht – was Altira zu verantworten hat. Durch deren Liquidationsantrag fehlte Ecolutions plötzlich die Fortführungsprognose. In einem solchen Fall sind Vermögensgegenstände ganz anders zu bewerten, als wenn ein Unternehmen weitergeführt werden soll. Die bis dahin errechneten Zahlen taugten nicht mehr.
Und wieder gibt es eine unerfreuliche Hauptversammlung eines maroden Angermayer-Unternehmens. Um kurz nach elf am 10. September haben die Ecolutions-Aktionäre ihre Plätze im Ballsaal des Westin Grand Hotels in Frankfurt eingenommen. Auf dem Podium nur Namensschilder der Aufsichtsräte. Dann platzt die Bombe: Ein Ecolutions-Geschäftsführer verkündet, Altira sei am Wochenende ausgestiegen, die HV falle flach, er bitte um Verständnis. Doch das geht den Aktionären ab. Die Theolia-Vertreterin stellt sich ans Mikro und will einen Versammlungsleiter wählen lassen, als man ihr den Ton abdreht. Die Botschaft ist klar: Aktionäre haben nichts zu sagen. Doch die organisieren einen Notar und ziehen die HV durch. Das Ergebnis ist brutal für die Angermayer-Truppe: Mit Mehrheit beschließt die HV, Aufsichtsrat und Geschäftsführer abzuberufen und einen Sonderprüfer zu engagieren, der die Geschäftsbeziehungen zwischen Ecolutions, der Silvia Quandt und der ABL-Gruppe unter die Lupe nehmen soll. Er werde nicht zulassen, dass sich Altira und Ecolutions aus der Verantwortung stehlen, sagt Khallouf. Ob die Beschlüsse gültig sind, werden wohl Gerichte klären müssen.
Verärgerte Investoren
Ähnliche Ansinnen formulierte schon Overseas Asset Management (OAM), ein Großaktionär der Altira-Beteiligung Heliad. Dieser will Schadensersatzansprüche in zweistelliger Millionenhöhe gegen Unternehmen der ABL-Gruppe prüfen lassen und dafür nun vor Gericht ziehen. Die Vorwürfe sind zahlreich. Einer davon geht so: Innerhalb der ABL-Gruppe seien „nicht marktübliche Tätigkeits- und Haftungsvergütungen“ gezahlt worden, was Heliad-Geschäftsführer Andreas Lange auf der Hauptversammlung im August bestritt.
Börse Frankfurt am Abend
Viele Investoren scheuen öffentlichen Rabatz, machen ihrem Ärger aber insgeheim Luft:
- Ein Multimillionär, der mit Ecolutions viel Geld verloren hat, will mit ABL nie wieder Geschäfte machen: „Man hat viel versprochen, aber nichts eingehalten.“
- Ein institutioneller Investor beginnt – angesprochen auf sein Investment in ein ABL-Unternehmen – zu stottern und fleht, seinen Namen nicht zu nennen.
- Ein Banker klagt in einem Report über ein „frustrierendes“ Treffen mit einem Investor, der an ABL-Unternehmen beteiligt ist. Man brauche endlich einen Deal, der aufgehe. Derzeit sehe der Kunde Silvia Quandt als „Garanten für Rohrkrepierer“.
Für Angermayer dürfte es künftig in Deutschland schwierig werden, neue Investoren zu finden. Der Name Silvia Quandt steht nach den ganzen Misserfolgen längst nicht mehr für erfolgreiches Unternehmertum.