Wo gibt es für Anleger noch mehr als fünf Prozent pro Jahr? Etwa bei Total: Aktionäre des französischen Ölmultis erhalten geschätzte 5,6 Prozent Dividendenrendite. Bei 55 Prozent Rückgang beim Ölpreis in den vergangenen zwei Jahren sieht das fast nach Zauberei aus. Tatsächlich ist Total unter Druck: Im ersten Quartal machten die Franzosen 37 Prozent weniger Gewinn als im Vorjahreszeitraum; sie sind aber finanzkräftig genug, um nicht an der Ausschüttung zu sparen.
Stattdessen kürzt Total, wie andere Ölmultis auch, seine Investitionen. In diesem Jahr streichen die Konzerne im Durchschnitt ihre Etats um 17 Prozent zusammen, so die Prognose der Internationalen Energie Agentur (IEA). Die Kürzungen wirken sich bisher nicht auf die Fördermenge und den Ölpreis aus, weil Jahre vergehen, bis bei einem neuen Projekt Öl fließt. Was etwa 2012 noch zu einem Ölpreis von über 100 Dollar pro Barrel in zusätzliche Fördermenge investiert wurde, überschwemmt jetzt den Markt.
Noch fördern die Opec-Staaten auf Hochtouren: 32,6 Millionen Barrel pro Tag im Mai, der höchste Wert seit 2012. Versuche, Fördermengen zu begrenzen, sind bisher an Saudi-Arabien und Iran gescheitert. Die Iraner wollen nach Lockerung der Sanktionen Anteile im Ölgeschäft gewinnen. Das wollen die Saudis, der Rivale Irans, verhindern.
Derzeit werden rund eine Million Barrel pro Tag mehr Öl gefördert, als der Markt abnimmt. Im kommenden Jahr wird sich der Überschuss jedoch verringern, weil die Nachfrage schneller als das Angebot wächst. Die Investmentbank Goldman Sachs geht daher von einem Ölpreis von durchschnittlich 55 Dollar je Barrel aus. Für viele Ölunternehmen wird dies noch zu wenig sein, um profitabel zu werden. Nur ein Teil der Ölbranche hat rechtzeitig Kosten gedrückt und Schulden begrenzt. Genau diese Unternehmen aber sind für Anleger interessant.
Attraktive Aktien in allen Sparten
Chancen und Risiken für Aktionäre sind derzeit im Ölgeschäft ungleich verteilt. Die Produktionskette besteht aus:
-Ölförderern und Unternehmen, deren Service und Technik hilft, Ölfelder zu erschließen und zu betreiben. Im Fachjargon heißt diese Sparte Upstream;
-Konzernen, die Öl transportieren und lagern, aus der Sparte Midstream;
-Ölverarbeitern, wie beispielsweise Raffinerien, die zur Sparte Downstream zählen.
In allen drei Ölsparten finden sich attraktive Aktien. Es gibt einige Grundregeln, die die Suche erleichtern:
-Kosten: Nur wer effizient produziert, wird die Ölpreisflaute überleben.
-Finanzen: Mehr Effizienz erfordert Investitionen und damit ausreichend freie Mittel.
-Zukunftsfähigkeit: Erdgas und erneuerbare Energien werden Öl verdrängen. Darauf müssen die Unternehmen reagieren.
Ölförderer kommen bei einem Ölpreis von rund 50 Dollar kaum auf ihre Kosten. Royal Dutch Shell etwa machte im vergangenen Jahr 8,70 Dollar Verlust pro Barrel. Nur wenige verdienten 2015 Geld, etwa ExxonMobil mit durchschnittlich 4,70 Dollar Gewinn je Barrel.
Gewinne jetzt mitnehmen
Um in Ölförderer zu investieren, gibt es zwei Strategien. Die defensive Variante ist, die Aktien der effizientesten Förderer zu kaufen, etwa Total oder die italienische Eni. Die Idee dahinter ist, dass die Sparfüchse der Ölbranche am besten mit niedrigen Preisen zurechtkommen. Riskanter sind Ölkonzerne mit hohen Förderkosten, etwa Royal Dutch Shell. Wer in Shell investiert, spekuliert darauf, dass der Konzern die Kosten stärker senkt als die Branche. Entsprechend größer ist das Potenzial. Es bleibt aber das Risiko, dass Sparziele verfehlt werden.
Meilensteine der Ölpreisentwicklung
Die ersten gewinnbringenden Erdölbohrungen finden Mitte des 19. Jahrhunderts statt. In dieser Zeit entstehen auch die ersten Raffinerien. Bis 1864 steigt der Ölpreis auf den Höchststand von 8,06 Dollar pro Barrel (159 Liter); inflationsbereinigt müssen damals im Jahresdurchschnitt 128,17 US-Dollar gezahlt werden. In den folgenden Jahrzehnten bleibt der Preis auf einem vergleichsweise niedrigen Level, fällt mitunter sogar, bedingt etwa durch den Erfolg der elektrischen Glühlampe, durch die Öl im privaten Haushalt nicht mehr zur Beleuchtung nötig ist.
Mit dem Erfolg des Automobils zu Beginn des 20. Jahrhunderts steigt die Öl-Nachfrage rasant; speziell in den USA, wo der Ford Modell T zum Massenprodukt wird. 1929 fahren insgesamt 23 Millionen Kraftfahrzeuge auf den Straßen. Der Verbrauch liegt 1929 in den Staaten bei 2,58 Millionen Fass pro Tag, 85 Prozent davon für Benzin und Heizöl. Die Preise bleiben allerdings weiter unter fünf Dollar pro Fass (nicht inflationsbereinigt), da auch mehr gefördert wird.
In den 30er Jahren kommt die Große Depression, die Unternehmenszusammenbrüche, Massenarbeitslosigkeit, Deflation und einen massiven Rückgang des Handels durch protektionistische Maßnahmen zur Folge hat. Während der Weltwirtschaftskrise verringert sich die Nachfrage nach Erdöl und der Preis sinkt auf ein historisches Tief. 1931 müssen bloß noch 0,65 Dollar pro Barrel gezahlt werden (inflationsbereinigt etwa zehn US-Dollar). So billig sollte das schwarze Gold nie wieder sei.
Nachdem sich die Weltkonjunktur erholt hat, steigt der Preise für Öl wieder, bleibt aber konstant unter fünf Dollar pro Barrel. Für die Jahre zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Ölkrise im Herbst 1973 spricht man deshalb vom „goldenen Zeitalter“ des billigen Öls.
In den 70er und 80er Jahren kommt der Ölpreis in Bewegung. Als die Organisation der erdölexportierenden Länder (Opec) nach dem Krieg zwischen Israel und den arabischen Nachbarn im Herbst 1973 die Fördermengen drosselt, um politischen Druck auszuüben, vervierfacht sich der Weltölpreis binnen kürzester Zeit. Zum Ende des Jahres 1974 kostet ein Barrel über elf Dollar (inflationsbereinigt fast 55 US-Dollar). Dies bekommen auch Otto-Normal-Bürger zu spüren: In Deutschland bleiben sonntags die Autobahnen leer, in den USA bilden sich Schlangen vor den Tankstellen.
Während der zweiten Ölkrise in den Jahren 1979/1980 zieht der Ölpreis nach einem kurzfristigen Rückgang weiter an. Ausgelöst wird dies im Wesentlichen durch Förderungsausfälle und Verunsicherung nach der Islamischen Revolution. Nach dem Angriff Iraks auf Iran und dem Beginn des Ersten Golfkrieg explodieren die Preise regelrecht. Auf dem Höhepunkt im April 1980 kostet ein Barrel 39,50 Dollar (inflationsbereinigt 116 Dollar).
Die 80er und 90er Jahre sind – abgesehen von dem kurzzeitigen Anstieg verursacht durch den Zweiten Golfkrieg – eine Phase niedriger Ölpreise. Die Industriestaaten befinden sich in einer Rezession und suchten aufgrund vorhergehenden Ölkrisen mit besonders hohen Preisen nach alternativen Energiequellen. Weltweit gibt es Überkapazitäten. Während der Asienkrise 1997/1998 sinkt die Nachfrage weiter. Ende des Jahres 1998 werden 10,65 Dollar pro Barrel verlangt.
Nach Überwindung der Krise wachsen die Weltwirtschaft und damit auch der Ölbedarf schnell. Selbst die Anschläge auf das World Trade Center 2001 sorgen nur für einen kurzen Rücksetzer. Anfang 2008 steigt der Ölpreis erstmals über 100 US-Dollar je Barrel, Mitte des Jahres sogar fast auf 150 Dollar. Ein Grund für den Preisanstieg wist der Boom des rohstoffhungrigen China, mittlerweile zweitgrößter Verbraucher der Welt.
Die globale Finanzkrise und eine schwächelnde Konjunktur sorgen für einen Rückgang der Nachfrage. Gleichzeitig bleibt das Angebot durch die massive Förderung in den USA (Fracking) hoch. Die Folge: Der Ölpreis bricht ein. Ab Sommer 2014 rutscht der Preis für Brentöl innerhalb weniger Monate um rund 50 Prozent auf 50 Dollar. Erst im Februar 2015 erholte sich der Ölpreis leicht und schwankt um die 60 Dollar je Barrel.
Im Mai 2015 hatten sich die Ölpreise zwischenzeitlich erholt. Die Sorte Brent erreichte mit einem Preis von 68 US-Dollar je Barrel ein Jahreshoch. Von da aus ging es bis September des Jahres wieder steil bergab auf 43 Dollar. Nach einer Stabilisierung zwischen September und November nahm der Ölpreis seine wieder Talfahrt auf. Am 15. Januar hat der Ölpreis die 30-Dollar-Marke unterschritten.
Momentan spricht mehr für die effizienten Förderer. Denn wer teuer produziert, muss erst investieren, um effizienter zu werden. Das mindert jedoch zunächst die Profite. Folglich steigen die Aktien der teuren Produzenten erst später.
Anleger, die bereits im Januar und Februar zu Tiefstpreisen Aktien der Ölförderer gekauft haben, sollten einen Teil der Gewinne mitnehmen. Schließlich, so Ole Hansen, Rohstoffexperte der Saxo Bank, drohe ein schwächerer Ölpreis, weil in den kommenden Monaten mehr Produktion an den Start gehen werde. So steige in den USA wieder die Zahl der aktiven Bohranlagen.
"Der Anschwung ist noch nicht vorbei"
Für die Ölausrüster wird das kaum reichen. Denn die Förderer dampfen bisher geplante neue Projekte weiter ein. Beim österreichischen Unternehmen Schoeller-Bleckmann etwa gingen im vergangenen Jahr 59 Prozent weniger Aufträge ein. „Der Abschwung ist noch nicht vorbei“, sagt Vorstandschef Gerald Grohmann.
Wer als Ölausrüster überleben will, sollte auch von Ölfeldern auf dem Festland profitieren. So wollen viele Ölkonzerne, darunter Chevron und ConocoPhillips, künftig weniger in Ölquellen auf hoher See und mehr in solche an Land investieren. An Land zu bohren ist billiger und bringt die Förderer schneller an das Öl. Davon dürfte die britische Wood Group profitieren, die auch Produktionsanlagen für Schieferöl baut.
Pleiten häufen sich
Die Ausrüster drücken zu viele Schulden. Folge: Die Pleiten in der Branche häufen sich. In Großbritannien beispielsweise stiegen sie im vergangenen Jahr gegenüber 2014 um 55 Prozent.
Wie gut es um die Finanzen eines Ölunternehmens bestellt ist, zeigt das Verhältnis der Nettoschulden zum Gewinn vor Zinsen und Steuern, dem Ebit. Ein niedriger Wert ist ein Indiz dafür, dass es dem Konzern leichtfällt, Schulden aus laufenden Einnahmen zu bedienen. Beim Ölausrüster Schlumberger machten die Nettoschulden 2015 das Zweifache des Ebit aus – tragbar. Beim US-Wettbewerber Baker Hughes lag der Faktor bei 2,3, die Wood Group kam auf 2,4.
Weiteres Plus für Schlumberger: Trotz niedrigem Ölpreis erwirtschaftete der Ölausrüster im vergangenen Jahr 6,4 Milliarden Dollar an frei verfügbarem Cash. Zum Vergleich: Baker Hughes kam auf nur 831 Millionen Dollar an freien Mitteln. Und Schlumberger investiert sein Geld klug: im April in den US-Ölausrüster Cameron. Mit dessen begehrter Technik, darunter moderne Pumpen, lässt sich Schieferöl effizienter fördern.
Anders als die Ausrüster hängen die Öllogistiker mehr an der transportierten Menge als am Ölpreis. Die kanadische Enbridge beispielsweise, ein Betreiber von Ölpipelines, verlor an der Börse weit weniger als der Ölpreis. In den vergangenen zwei Jahren büßte der Kurs der Kanadier lediglich knapp vier Prozent ein.
Ölverarbeiter sind Nachzügler an der Börse
Billig ist Enbridge daher nicht mehr: Derzeit kostet das kanadische Unternehmen das 3,5-Fache des Buchwertes, der den Anteil der Aktionäre am Unternehmensvermögen angibt. Dennoch steckt im Öllogistiker Kursfantasie. So kann das Unternehmen von Dezember an Öl über eine neue Pipeline vom Zentrum Kanadas zu den Raffinerien in Montreal transportieren. Zudem haben die Waldbrände in Kanada weniger Schaden in der Infrastruktur von Enbridge angerichtet als befürchtet.
Da der kanadische Öllogistiker jedoch schon stark gestiegen ist, sollten Anleger auf einen Rücksetzer warten, bevor sie einsteigen.
Ölverarbeiter dagegen sind an der Börse Nachzügler. Zwar sind deren Raffinerien bis zu 93 Prozent ausgelastet. Allerdings gehen deren Produkte, etwa Benzin oder Heizöl, zum Teil direkt ins Lager und nicht zum Endkunden. Wachsende Lagerbestände drücken die Preise im Terminhandel und damit auch die Margen der Ölverarbeiter. Die Ölverarbeitung liegt vor allem in den Händen der großen Ölmultis ExxonMobil, Royal Dutch Shell oder Total. Zwar werden mit dem Ölpreis auch die Margen für die Ölverarbeiter steigen. Damit löst sich jedoch nicht das größte Problem der Branche: Öl wird zunehmend durch Erdgas ersetzt.
Nachfrage nach Erdgas wird steigen
Bis 2040 wird die Nachfrage nach Erdgas um 47 Prozent wachsen, gemessen am Stand von 2013, so die IEA. Dick im Gasgeschäft ist beispielsweise Shell. Im Februar haben die Briten die Übernahme des Gaskonzerns BG Group abgeschlossen. Mit dieser Akquisition sind sie der weltgrößte Anbieter von Flüssiggas. Der größte Vorteil der BG-Übernahme liege in den niedrigen Produktionskosten der Gassparte, so Teng Ben, Analyst des US-Researchhauses Bernstein. Im Transportsektor, der nach Statistik der Opec 57 Prozent der Ölnachfrage schluckt, wird Öl als Treibstoff langfristig durch Strom ersetzt. Die Elektromobilität wird den Ölpreis drücken. Nicht sofort, aber in etwa einem Jahrzehnt. Es ist daher sinnvoll, Gewinne bei Ölaktien mitzunehmen, spätestens wenn der Preis wieder das Niveau von mehr als 100 Dollar erreichen sollte.
Noch ist unklar, ob den Ölmultis die Energiewende gelingt. Total beginnt zumindest damit: Anfang Mai kauften die Franzosen den Batteriehersteller Saft Group, einen Zulieferer für Elektroautos. Gemessen am Börsenwert, macht Saft jedoch nur 0,9 Prozent des Total-Konzers aus. Es bleibt also noch viel Arbeit für die Ölmultis.