Schwellenländer-Börsen Wann platzt die Blase in den Schwellenländern?

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Auch Asien ist krisenanfällig

Das Ende des Wachstums
Brasilien: Schwache Strukturen bremsen das große PotenzialDie größte Volkswirtschaft Lateinamerikas will nicht mehr so recht anlaufen. Wuchs sie 2010 noch um über sieben Prozent, hat sie seitdem nicht einmal mehr drei Prozent erreicht. Der IWF korrigierte seine aktuelle Prognose sogar noch nach unten. Unter den Schwellenländern wurde die Prognose für Brasilien am stärksten gekürzt. Hier sieht der IWF im laufenden Jahr ein Wachstum von 0,3 Prozent und im nächsten Jahr von 1,4 Prozent. Im Juli rechnete der IWF noch mit 1,3 Prozent und zwei Prozent Plus. Langfristig sehen mehrere Studien nach wie vor ein großes Wachstumspotenzial für Brasilien. Das liegt vor allem an dem Rohstoffreichtum des Landes, der gut funktionierenden Landwirtschaft und der großen und konsumfreudigen Bevölkerung. Kurz- und mittelfristig seien die Aussichten allerdings unsicher. So bemängeln Analysten die hohen Steuern und das komplizierte Steuersystem. Weitere Wachstumshemmnisse sind die marode brasilianische Infrastruktur und die schwerfällige Bürokratie. Hohe Löhne und Finanzierungskosten sowie protektionistische Handelsregeln halten Investoren derzeit auf Abstand. Auch qualifizierte Arbeitskräfte sind Mangelware - die Arbeitsproduktivität in der sechst größten Volkswirtschaft der Welt liegt 30 bis 50 Prozent unter dem europäischen Niveau. Die Arbeitslosenquote ist mit 5,6 Prozent relativ moderat. Brasiliens Präsidentin Dilma Roussef hat nach ihrem knappen Wahlsieg viel zu tun, wenn sie die Potenziale ihrer Volkswirtschaft ausreizen will. Quelle: dapd
„Sollte das Wachstum jetzt geringer ausfallen, wird die Regierung alle Instrumente nutzen, um eine Konjunkturabkühlung zu verhindern“, erwartet José Carlos de Faria, Chefökonom der Deutschen Bank in São Paulo. Unterstützung erhält die Konjunktur dadurch, dass derzeit staatliche und private Infrastrukturprojekte für umgerechnet rund 180 Milliarden Euro bis 2014 umgesetzt werden. Und Brasilien verfügt über Spielraum für weitere Stimulierungen. Die Devisenreserven sind hoch, ausländisches Kapital strömt weiter ins Land, und auch die Notenbank kann die Zinsen noch senken. Doch Wachstumsraten von über sieben Prozent wie 2010 sind außer Sichtweite: Nach einer Umfrage der Zentralbank rechnen die führenden Investmentbanken damit, dass Brasilien 2013 rund vier Prozent wachsen wird. Alexander Busch Quelle: AP
Russland: Die Wirtschaftssanktionen sind nicht Russlands größtes ProblemDer größte Flächenstaat hat sich selbst in eine Krise manövriert. Die politische Machtdemonstration in der Ukraine kostet Russlands Wirtschaft Kraft. Erst im vergangenen Monat hat die US-Ratingagentur Moody's die Kreditwürdigkeit Russlands deswegen von „Baa1“ auf „Baa2“ herabgestuft – damit liegt die Bonität Russlands nur noch knapp über dem Ramschniveau. Auch der Ausblick für die zukünftige Entwicklung ist negativ. Die Sanktionen des Westens belasten die mittelfristigen Wachstumsaussichten. Der IWF geht davon aus, dass die russische Wirtschaft in diesem Jahr um 0,2 Prozent und im nächsten Jahr um 0,5 Prozent wachsen wird. Allerdings sind die Wirtschaftssanktionen nicht das größte Problem Russlands. Der Absturz des Rubels und des Ölpreises machen der Wirtschaft viel mehr zu schaffen. Quelle: picture-alliance/ dpa
Gazprom profitiert zwar von dem Ende des Gasstreits zwischen der Ukraine und Russland – gute Zukunftsaussichten sehen aber anders aus. Der Ölpreis ist aufgrund der nachlassenden Weltkonjunktur von 107 Dollar pro Fass auf 86 Dollar gefallen. Für die vom Öl und von Gas abhängige russische Wirtschaft birgt das große Probleme – Russland generiert rund die Hälfte seiner Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Die Schwäche des Rubels drückt das Wachstum ebenfalls und kostet Russland monatlich Milliarden. Seit Januar ist der Kurs des Rubels um 20 Prozent gefallen. Das führt dazu, dass die Importe teurer werden. Der Lebensmittelpreis ist beispielsweise im September um zwölf Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Quelle: dpa
Indien: Eine Wirtschaft auf ReformkursGemessen an den Bevölkerungszahlen ist Indien die zweitgrößte Wirtschaft der Welt. Auch in Bezug auf das Wirtschaftswachstum war Indien lange Zeit weltspitze. 2010 wuchs die Wirtschaft noch um über zehn Prozent – 2014 sind es vergleichsweise nur noch magere fünf Prozent. Gemessen an den westlichen Industrieländern ist diese Quote allerdings immer noch beeindruckend. Für 2015 erwartet der IWF, dass die indische Wirtschaft wieder stärker anzieht. Ein Wirtschaftswachstum von 6,5 Prozent wird erwartet. Besonders tragen dazu die Bereiche Elektrizität, Gas- und Wasserversorgung sowie Finanzen an. Analysten fühlen sich in ihrer Annahme bestätigt: Sie mutmaßten, dass das zuletzt verhältnismäßig enttäuschende Wirtschaftswachstum auf eine ineffiziente Wirtschaftspolitik zurückzuführen ist. In den letzten beiden Jahren wuchs die indische Wirtschaft um weniger als fünf Prozent. Der neue Premierminister Narenda Modi reformiert das Land. So erneuert er beispielsweise die indischen Arbeitsgesetze, die zum Teil noch aus der Zeit der britischen Kolonialherrschaft stammten, die 1974 endete. Quelle: ap
Problematisch ist für Indien die nach wie vor hohe Abhängigkeit von der Landwirtschaft. Zwar macht sie mittlerweile nur noch 14 Prozent der Wirtschaftsleistung aus, von ihren Erträgen hängt aber immer noch das Wohl von 40 Prozent der Bevölkerung ab. Der Monsunregen, der für die Landwirtschaft existenziell ist, fiel in diesem Jahr nur schwach aus. Ein weiteres Problem ist die Teuerung, die Indien nicht in den Griff zu kriegen scheint. Im Juli lagen die Verbraucherpreise Indiens über acht Prozent über dem Vorjahreswert. Der Notenbankgouverneur Raghuram Rajan hat sich deshalb verpflichtet, den Anstieg der Konsumentenpreise bis 2015 auf unter acht Prozent zu drücken. Quelle: dpa
China: Vom Bauernstaat zur modernen DienstleistungsnationVon 2002 bis 2012 wuchs Chinas Wirtschaft um unfassbare 170 Prozent. Doch die Zeiten des Super-Wachstums scheinen vorerst vorbei zu sein. Im dritten Quartal 2014 ist die chinesische Wirtschaft so langsam gewachsen wie seit 2009 nicht mehr. Der IWF geht aber nach wie vor von Wachstumsraten über sieben Prozent aus. China ist aber nur scheinbar geschwächt. Die Staatsführung will die Wirtschaft neu ausrichten und ist bereit, dafür geringeres Wachstum hinzunehmen. Der Kurs scheint erfolgreich. Alleine in den ersten acht Monaten dieses Jahres wurden in China zehn Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen. Ein moderner Dienstleistungsstaat will China werden. Dienstleistungen trugen im ersten Halbjahr 2014 mit 46 Prozent mehr zum BIP bei als die Industrie. Die Hightech-Industrie legte um 12,4 Prozent zu. Zu den neuen Motoren der chinesischen Wirtschaft zählt auch das Online-Geschäft, das um fast 50 Prozent zulegte. Quelle: dpa

Wegen eines hohen Leistungsbilanzdefizits gilt auch Indonesien als krisenanfällig. Die Devisenreserven der größten Ökonomie Südostasiens bewegen sich seit Monaten unter der kritischen Marke von 100 Milliarden Dollar. Im November scheiterte eine Emission von Staatsanleihen. Um eine zehnjährige Anleihe über zwei Milliarden Dollar loszubekommen, musste die Regierung in der zweiten Januarwoche 5,95 Prozent Zinsen bieten – fast doppelt so viel wie im April 2013.

Ein weiteres Problem für Asiens Volkswirtschaften ist die von der japanischen Regierung mit allen Mitteln verfolgte Abwertung des Yen. Tokios Währungsdumping schafft Wettbewerbsnachteile bei diversen Exportprodukten. Politische Spannungen belasten die Schwellenländer zusätzlich: Die Türkei wird durch einen gigantischen Korruptionsskandal erschüttert, während in Thailand Touristen und Investoren von Unruhen abgeschreckt werden. Die Landeswährung Baht steuert bereits auf ein Vier-Jahres-Tief zu.

Die Fed sorgt für einen Kreditboom

Auch die Lage in Brasilien spitzt sich zu. 2011 strömten noch netto 65,3 Milliarden Dollar in das Land. Die Landeswährung Real erstarkte zum Dollar auf 1,50 Reais je Dollar. 2013 drehte die Bilanz ins Defizit: Unter dem Strich flossen 12,3 Milliarden Dollar ab. Der Real sackte zwischenzeitlich auf 2,45 Reais pro Dollar ab. Das war der erste jährliche Kapitalabfluss seit dem Krisenjahr 2008, in dem 983 Millionen Dollar abflossen. Allein im Dezember verlor Brasilien 8,8 Milliarden Dollar. Brasiliens Regierung hatte sich in den vergangenen Jahren an der Seite Chinas vehement gegen die ultralockere Geldpolitik der Fed gestemmt und vor deren Spätfolgen gewarnt.

Zuflüsse stocken, Schulden steigen

Mit ihrem Dauer-Niedrigzinsversprechen und Quantitative Easing trieb die Fed Investoren in die globale Jagd nach Rendite und sorgte für einen Kreditboom. Seit 2009 schwappten über 4000 Milliarden Dollar in die Schwellenländer. Ihre Auslandsverschuldung wird nach Schätzung des Institute of International Finance (IIF) in diesem Jahr auf rund 7000 Milliarden Dollar wachsen – eine Verdopplung gegenüber 2006. Knapp 2000 Milliarden Dollar davon sind Schulden, die kurzfristig refinanziert werden müssten. Das wird bei einer rasch sinkenden Kreditwürdigkeit zu einem immer größeren Problem.

Ein Wirtschaftsmodell an seinen Grenzen

Kollektiver Absturz

Ein zusätzliches und in seiner Dimension unterschätztes Risiko birgt die sich immer stärker abzeichnende Wachstumsschwäche in China. Die Chinese Academy of Sciences, ein dem Staatsrat unterstelltes Forschungsinstitut, beziffert die Gesamtverschuldung von Staat, Unternehmen und Privathaushalten in China inzwischen mit 215 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Die Quote liegt damit fast doppelt so hoch wie 2008. Das chinesische Kreditvolumen legte allein im vergangenen Jahr um mehr als 20 Prozent zu. Es wuchs damit mehr als doppelt so stark wie die chinesische Wirtschaft, die nach offiziellen Statistiken um 7,6 Prozent zugelegt haben soll – das niedrigste ausgewiesene Wachstum seit 14 Jahren. Die Lücke zwischen Kredit- und Wirtschaftswachstum klafft immer weiter auseinander. Das schuldenfinanzierte, auf Exporte gestützte Wirtschaftsmodell sowie eines der größten Konjunkturprogramme in der Wirtschaftsgeschichte stoßen allmählich an ihre Grenzen. Ein Yuan zusätzlicher Schulden sorgt nur noch für 0,4 Yuan Wirtschaftswachstum. Das haben Analysten der US-Vermögensverwaltung Sanford C. Bernstein & Co ermittelt. Vor 2009 waren es noch 0,8 Yuan.

Die angekündigten Reformen im Finanzsektor werden das chinesische Wirtschaftswachstum zusätzlich belasten. Vor allem das wild wuchernde Schattenbankensystem soll zurückgestutzt werden. Durch die immer laxere Kreditvergabe hat sich die chinesische Geldmenge seit Anfang 2007 mehr als verdreifacht. Die Qualität der vergebenen Kredite wird immer schwächer, entsprechend steigt die Zinsbelastung sprunghaft. 2008 beliefen sich die Zinszahlungen noch auf sieben Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung, 2013 dürften es laut Ratingagentur Fitch rund 13 Prozent gewesen sein. Bis Ende 2017 soll die Quote auf etwa 22 Prozent steigen.

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