Schwere Vorwürfe der Justiz Kengeter stürzt die Deutsche Börse ins Chaos

Nachdem die Staatsanwaltschaft den Chef der Deutschen Börse in einem Brief des Insiderhandels und der Marktmanipulation bezichtigt hat, herrscht Chaos im Unternehmen. Dabei ist die Börse selber schuld – allen voran Aufsichtsratschef Joachim Faber.

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Der Chef der Deutschen Börse, Carsten Kengeter Quelle: imago images

So etwas hat es wohl noch nie gegeben: Da ist der Chef der Börse, Kengeter, der Aktien seines Unternehmens kauft. Da ist die Staatsanwaltschaft, die der Börse schwarz auf weiß mitteilt: das war wohl Insiderhandel. Und da ist die Aufsicht, die sich dazu veranlasst sieht, zu prüfen, ob Kengeter überhaupt noch als Chef der Deutschen Börse geeignet ist. Da ist die Börse, die öffentlich behauptet, das Verfahren gegen Kengeter könnte eingestellt werden – und eine Staatsanwaltschaft, die sagt, das sei längst nicht ausgemacht. Doch der Angeschossene, Kengeter, klebt an seinem Stuhl.

Man fragt sich, was noch passieren muss, damit Kengeter endlich zurücktritt? Er ist unhaltbar geworden.

Blicken wir zurück: Aufsichtsratschef Joachim Faber soll Kengeter einst geholt haben, weil er dem Investmentbanker zugetraut haben soll, endlich einen großen Deal für die Börse einfädeln zu können. Doch einer wie Kengeter, der einst das Investmentbanking der Schweitzer Bank UBS leitete, dürfte wohl kaum für kleines Geld zu haben sein. Faber initiierte also ein spezielles Kaufprogramm auf Aktien der Börse. Der Aufsichtsrat machte den Weg frei – am 14. Dezember 2015 war es soweit: Kengeter kaufte Aktien der Deutschen Börse im Wert von 4,5 Millionen Euro. Aktien im gleichen Wert schenkte ihm die Börse zum Dank obendrauf.

Doch sowohl das Timing von Kengeter als auch das von Faber war schlecht: Faber persönlich soll erst wenige Tage zuvor, am 3. Dezember 2015, über die Fusionspläne mit der London Stock Exchange (LSE) verhandelt haben. An diesem Tag hatte er sich Recherchen der WirtschaftsWoche zufolge mit dem LSE-Chairman Donald Brydon in London getroffen. Bei diesen Gesprächen sollen die beiden bereits festgezurrt haben, dass der Sitz der zusammengeschlossenen Börse in UK sein solle. Die Staatsanwaltschaft bewertet dies offenbar bereits als Insiderwissen.

Dass die Fusion zustande kommt, war an diesem Tag demnach hinreichend wahrscheinlich. In einem Brief, den die Behörde der Börse am 18. Juli übermittelt hat, heißt es, Kengeter habe gegen das „Erwerbsverbot“ verstoßen, weil er „unter Verwendung einer Insiderinformation Insiderpapiere erwarb“. Dem Schreiben der Staatsanwaltschaft zufolge habe er sogar mit „bedingtem Vorsatz“ gehandelt, da er als „Verhandlungsführer“ der Deutschen Börse „um das Entstehen einer Insiderinformation bei Fortgang der Gespräche“ nach dem 3. Dezember 2015 gewusst habe. Die Börse äußert sich dazu gegenüber der WirtschaftsWoche nicht, weist Vorwürfe der Staatsanwaltschaft aber in einer Adhoc-Meldung zurück.

Nun versinkt die Börse, weil Kengeter nicht zurücktritt, immer tiefer ins Chaos. Mittlerweile ist ein Grad erreicht, bei dem die Börse ohne einen Rücktritt ihres Chefs nicht mehr auf eine solide Basis zurückfinden kann.

Wieso ist das so? Das Schreiben der Staatsanwaltschaft ist als Anhörung konzipiert. Die Behörde schlägt vor, dass das Unternehmen 10,5 Millionen Euro Bußgeld zahlt – weil auch die Börse selber schlecht organisiert gewesen sein soll. So soll die Compliance-Abteilung nicht sauber gearbeitet und zu wenige oder die falschen Rückfragen gestellt haben, als Kengeter fragte, ob es okay sei, die Aktien zu kaufen. Die Börse schweigt dazu, muss jetzt aber dennoch entscheiden, ob sie dem Vorschlag der Behörde zustimmt und sie das Bußgeld zahlt.

Chance auf Schadensersatz für Deutsche-Börse-Anleger?

Zahlte sie es, öffnete sie die Büchse der Pandora. Erstens würde die Börse durch ihre Zustimmung Fakten schaffen. Denn damit das Bußgeld rechtskräftig wird, muss ein Gericht es beschließen. Damit aber würde amtlich, dass das Unternehmen die Strafen bezahlt, weil Chef Kengeter sich des Insiderhandels und der Marktmanipulation schuldig gemacht hat. Weiterhin würde amtlich, dass Kengeter sogar vorsätzlich gehandelt hat. Denn für den Insiderhandel hat die Staatsanwaltschaft eine Buße über 5,5 Millionen Euro vorgeschlagen. Und das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten sieht Bußen bis zu fünf Millionen Euro „im Falle einer fahrlässigen Straftat“ vor, Bußen bis zu zehn Millionen Euro „im Falle einer vorsätzlichen Straftat“.

Ein zweites Bußgeld über fünf Millionen Euro soll die Börse zahlen, weil Kengeter eine Adhoc-Meldung um Wochen zu spät veranlasst haben soll, mit der Anleger über die Fusionspläne informiert worden sind. Damit kommen wir zur Büchse der Pandora Punkt zwei: Sobald amtlich ist, dass die kapitalmarktrelevante Adhoc zu spät kam, könnten Anleger ihre Chance auf Schadensersatz ergreifen und das Unternehmen auf Millionen verklagen – schließlich haben einige von ihnen dann wohl zu teuer Aktien gekauft oder zu billig verkauft. Es könnte also nicht bei 10,5 Millionen Euro Bußgeld bleiben – die Angelegenheit könnte für die Börse dann erst richtig teuer werden.

Nimmt die Börse den Vorschlag der Staatsanwaltschaft hingegen nicht an, dürfte Kengeter erledigt sein. Zum einen, weil die Staatsanwaltschaft dann weiter ermitteln dürfte und ihn – das ist mein Gefühl nach all den mir vorliegenden Informationen – am Ende auch anklagen dürfte.

Schlimmer aber noch wiegt, dass der Aufsichtsrat seinen Vertrag, der im März ausläuft, nicht verlängern kann, solange die Sache nicht aus der Welt ist. Bis März aber dürfte sich die Staatsanwaltschaft in diesem Fall locker noch Zeit lassen. Am Ende stünde Kengeter womöglich ohne Vertrag da. Der Börse läuft daher jetzt die Zeit davon.

Was die Sache zusätzlich besonders schlimm macht, ist nicht nur der Punkt, dass die Börse als Dax-Konzern eins der größten deutschen Unternehmen ist. Die Deutsche Börse ist kein normales Unternehmen, in dem man lange auf die Unschuldsvermutung pochen kann. Sie hat einen öffentlich-rechtlichen Kern und sie ist hochpolitisch. Alle Beschäftigten in einem Unternehmen, das faktisch den Kapitalmarkt verkörpert, sollten dessen Regeln besonders streng auslegen - zuvorderst Kengeter. Der muss sich nicht nur an Gesetze halten, sondern sollte sich auch aus jeder rechtlichen Grauzone raushalten. Das Urteilsvermögen dazu hätte er als Investmentbanker haben müssen.

Kurzum: Faber sollte neben Kengeter gleich mit zurücktreten. Denn er trägt moralisch gesehen ebenso Schuld. Als Chef des Aufsichtsrates wäre es seine Aufgabe gewesen, Kengeter vom Kauf der Aktien zu jenem Tag abzuraten. So viel Feingefühl muss ein Aufsichtsrat mindestens mitbringen, um seiner Aufgabe gerecht zu werden.

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