Der Haushaltsnotstand in den USA weckt Erinnerungen: Vor fast 18 Jahren lieferte sich der damalige Präsident Bill Clinton erbitterte Budgetschlachten mit einer republikanischen Parlamentsmehrheit. Damals stand die öffentliche Verwaltung vom 16. Dezember 1995 bis zum 6. Januar 1996 still. Wie heute blieben die Märkte auch damals gelassen. Von Panik keine Spur. Im Gegenteil: Der US-Standardwerteindex Dow Jones und der breitere S&P 500 legten sogar kräftig zu. Für den Dow Jones ging es von Anfang November bis Mitte Dezember um fast neun Prozent aufwärts, der S&P 500 legte sechs Prozent zu. Während des Notstands 1995 bewegten sich die Märkte fast gar nicht, legten aber in den Wochen nach der Einigung wieder zu.
Lage der USA
Die USA haben Schulden in Höhe von 17,557 Billionen US-Dollar (Stand: 1. Juli 2014). Bis zum Ende des Jahres sollen die Schulden auf 18,52 Billionen Dollar steigen. Das wären 105,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Das Haushaltsdefizit soll in diesem Jahr bei 6,4 Prozent liegen. Ende 2013 stand ein Minus von 7,3 Prozent zu Buche.
Die Arbeitslosenquote lag im Juni 2014 bei 6,3 Prozent. Seit Jahresbeginn hat sich die Zahl damit nur um 0,3 Prozent verbessert.
Nun also die Neuauflage des Stillstands im öffentlichen Leben? Eine Neuauflage an der Börse? In den vergangenen Wochen, während Republikaner und Demokraten schon hitzig über den Haushalt stritten, legten Dow Jones und S&P leicht zu. Zwar konnte die Wall Street am Montagabend auf den sogenannten Government Shutdown noch nicht reagieren, doch zu Handelsschluss hatte sich bereits abgezeichnet, dass es keine Einigung gibt. Das Minus an den US-Börsen hielt sich aber in Grenzen. Der Dow Jones gab um 0,9 Prozent nach, der S&P 500 um 0,6 Prozent. Auch an den Börsen in Asien und Europa hielt sich die Reaktion in Grenzen. Der Deutsche Aktienindex legte um 0,6 Prozent zu. Am Montag hatte er unter dem Eindruck des Haushaltsstreit noch 0,77 Prozent verloren. Der Euro Stoxx 50 rückte um 0,5 Prozent vor. Die Börse in Tokio schloss mit einem leichten Plus von 0,2 Prozent.
Nachdem die Aktienmärkte zuletzt wegen des Konflikts erheblich unter Druck standen, haben sich Händler und Investoren offenbar darauf eingestellt, dass es diesmal nicht mehr zu einer Einigung vor Ende der Frist kommen würde. „Die Börsen reagieren noch gelassen auf die partielle Schließung der US-Regierung“, sagt Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank zu Handelsblatt Online. Das liege daran, dass dieses Verfahren nicht grundsätzlich neu sei. „Die konjunkturellen Auswirkungen haben sich in der Vergangenheit immer in Grenzen gehalten“, ergänzt er. „Das wird auch so bleiben, solange es „nur“ beim Shutdown bleibt.“
Die größten Pleitekandidaten der USA
Kaliforniens Haushaltsloch brachte schon Ex-Gouverneur Arnold Schwarzenegger zur Verzweiflung. Weder die Schließung von Gefängnissen noch die Sperrung von Nationalparks konnten die Finanzkrise des Landes lösen. In diesem Jahr wird im bevölkerungsreichsten US-Staat wohl eine Lücke im Haushalt von 25,4 Milliarden Dollar klaffen. Zur Einordnung: Das ist fast ein Drittel (29,3 Prozent) des Gesamtetats von 2011. Nun wird überall gespart – außer bei der Filmförderung für Hollywood.
Der fünftgrößte US-Staat war jahrelang die Heimat von US-Präsident Barack Obama. Er arbeitete in Chicago und ist noch heute in der „windy city“ äußert beliebt. Die Finanzlage des Landes ist besorgniserregend. Für 2012 erwartet Illinois ein Haushaltsloch von 15 Milliarden Dollar (44,9 Prozent des aktuellen Budgets). Die Bonität des Staates gilt schon jetzt als gering. Investoren leihen Illinois nur für hohe Zinsen ihr Geld. Die Schuldenspirale dreht sich damit immer weiter.
Der Bundesstaat an der Grenze zu Kanada hat nicht nur viele Gewässer ("Land der tausend Seen"), sondern auch viele Schulden. Für das Gesamtjahr 2012 gehen die Behörden von einem Haushaltsloch von knapp vier Milliarden US-Dollar aus. Schon im Juli 2011 war Minnesota zeitweise zahlungsunfähig. Zoos und Nationalparks wurden geschlossen, Bauarbeiten an Straßen wurden eingestellt und 22.000 staatliche Bedienstete in den unbezahlten Urlaub geschickt.
Der kleine Ostküstenstaat zwischen New York und Rhode Island steckt ebenfalls in der schwersten Finanzkrise seiner Geschichte. Im Haushalt 2012 fehlen 3,7 Milliarden Dollar (20,8 Prozent des 2011er-Etats). Selbst die private Elite-Uni Yale in Connecticut bleibt von der Krise nicht verschont. In ihrem Uni-Budget für 2011/12 fehlen 68 Millionen Dollar.
Der Südstaat musste in den vergangenen Jahren viele Tiefschläge verkrafte. Erst wütete Hurrikan „Katrina“ über das Land, dann folgte eine schmerzhafte Rezession und 2010 schließlich noch die Ölkatastrophe. Der Haushalt ist vollkommen überlastet. Es klafft 2012 ein Loch von 1,7 Milliarden US-Dollar (22 Prozent des 2011er-Etats).
Der Wüstenstaat ist durch eine Stadt weltbekannt: Las Vegas. Die Spielermetropole zieht jährlich Touristen aus allen Teilen der Erde an. Der Haushalt des Bundesstaates kann davon aber nicht profitieren. 2012 wird der Haushalt eine Lücke von 1,5 Milliarden Dollar aufweisen. Allerdings: Die Summe entspricht fast der Hälfte des derzeitigen Etats Nevadas.
Der nördliche Nachbar von Kalifornien wird 2012 wohl ein Haushaltsloch von 1,8 Milliarden US-Dollar verkraften müssen. Diese Summe beträgt ein Viertel des Gesamthaushaltes von 2011. Es wird drastisch gespart: Sowohl bei Kranken und Rentnern als auch bei Schülern und Studenten.
Neue Gefahr droht Mitte Oktober
Etwas weniger optimistisch ist Tilmann Galler, Kapitalmarktexperte von JP Morgan Asset Management: „Eine kurzfristige Korrektur der Aktienmärkte aufgrund des Shutdowns der US-Regierung und der damit verbundenen Unsicherheit ist wahrscheinlich“, sagt er. Die Mitglieder des US-Kongress hätten für sich entschieden, die inzwischen jährliche Eskalation um die Schuldengrenze eine Stufe weiterzudrehen. „Wir bekommen jetzt in der Tat den ersten Shutdown seit den 90er-Jahren“, so Galler. „Sie werden das Spiel solange weiterführen, bis der Druck aus der Wählerschaft so groß wird, dass man sich auf eine weitere Anhebung der Schuldengrenze einigen wird.“ Er erwartet, dass das aller Voraussicht nach in den nächsten Wochen geschehen wird. Trotz aller Querelen um die Staatsfinanzen sieht er aber keine Anzeichen für eine Börsenbaisse. „Einen nachhaltig negativen Einfluss auf die Kapitalmärkte halten wir aber für sehr unwahrscheinlich“, ist er überzeugt. „Die fundamentale Lage der Weltwirtschaft und der Unternehmen ist so robust, dass der mittelfristige Trend für Aktien weiterhin positiv ist.“
Also Entwarnung für die Märkte? Erheblich zuspitzen wird sich die Lage, wenn der Streit um den Haushalt noch Wochen andauert und auf die Debatte zur Erhöhung der Schuldenobergrenze überschwappt. Stimmt der Kongress nicht bald für eine Anhebung des derzeit bei 16,7 Billionen Dollar liegenden Limits, sind die USA ab voraussichtlich Mitte Oktober zahlungsunfähig, sprich sie können unter anderem ihre Schulden nicht mehr bedienen.