Sinkendes Ausfallrisiko Türkische Lira auf Rekordtief zum Euro

Die türkische Lira war noch nie so schwach wie in dieser Woche. Ist das ein Zeichen dafür, dass die Wirtschaft am Bosporus bald einbricht? Ein Blick auf wichtige Kennzahlen zeigt ein anderes Bild.

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Deutsche und türkische Flaggen: Die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen beiden Ländern sind eng. Quelle: dpa

Düsseldorf Noch nie war die türkische Währung so preiswert wie am gestrigen Dienstag: Für einen Euro erhielten Anleger 4,16 Lira – oder mussten umgerechnet nur 24 Eurocent für eine Lira hinlegen. Ist dieses neue Allzeittief gegenüber der europäischen Gemeinschaftswährung ein Indiz dafür, dass die Wirtschaft am Bosporus immer schwächer wird?

Was dafür spricht: Zeitlich gesehen hängt der Kurstrend mit einer Neuausrichtung der deutschen Türkei-Politik zusammen. Als Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) am 20. Juli ankündigte, die Absicherung von Geschäften und Exporten über Hermes-Bürgschaften sowie Investitionskredite und Wirtschaftshilfe auf den Prüfstand zu stellen, lag der Wechselkurs für einen Euro noch bei 4,06 Lira und stieg danach rasant. Außerdem hatte die Bundesregierung die Reisehinweise des Auswärtigen Amtes verschärft.

Solche Ankündigungen haben einen hohen Stellenwert für beide Länder, denn die wirtschaftlichen Verknüpfungen sind eng. Im vergangenen Jahr exportierte Deutschland Waren im Wert von 21,6 Milliarden Euro in die Türkei, das entspricht 1,8 Prozent der gesamten deutschen Exporte. Im selben Zeitraum beliefen sich die türkischen Exporte nach Deutschland auf 15,4 Milliarden Euro – ein Anteil von zwölf Prozent an den gesamten Ausfuhren. Nach Angaben des türkischen Finanzministeriums summierten sich 2016 die deutschen Direktinvestitionen auf 430 Millionen US-Dollar.

Blickt man in die Daten, dann zeigt sich: Die aktuelle Schwäche der Lira ist kein Indiz für eine schwächelnde türkische Wirtschaft, sondern eher für die grundsätzliche Stärke des Euros. Denn gegenüber dem US-Dollar bewegt sich die türkische Währung aktuell auf dem Niveau von Dezember letzten Jahres. Auch gegenüber dem Südafrikanischen Rand, der am Devisenmarkt als vergleichbare Schwellenlandwährung gilt, zeigte sich die Lira in den vergangenen Monaten stabil.

„Die fundamentalen Rahmenbedingungen in der Türkei entwickeln sich bei weitem nicht so schlecht, wie das vor einigen Monaten noch erwartet wurde“, begründet DZ-Bank-Analyst Sören Hettler in einer aktuellen Studie das insgesamt robuste Erscheinungsbild der Lira. Der Marktkonsens prognostiziere für 2017 und 2018 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im Bereich von 3,5 Prozent. Zu wenig für ein aufstrebendes Schwellenland mit stark wachsender Bevölkerung, aber weit entfernt von einem Katastrophen-Szenario.


Ausfallrisiko der Türkei-Anleihen sinkt

Auch die Inflation, die für 2017 auf rund zehn Prozent geschätzt wird, sollte in dem islamischen Land laut Hettler bereits den Höhepunkt hinter sich gelassen haben. Denn obwohl Präsident Recep Tayyip Erdogan sich selbst als „Feind“ von Zinsen bezeichnet und die Kreditkosten in der Türkei als zu hoch gebrandmarkt hat, verschärfte die Notenbank ihre geldpolitische Ausrichtung „durch die Hintertür“. So wurden der Satz für die sogenannte Notfallliquidität deutlich angehoben und damit die Finanzierungsbedingungen am Interbankenmarkt spürbar verteuert. Der offizielle Leitzins ist hingegen seit Ende 2016 konstant geblieben.

Ein Indiz für die Bonität eines Landes sind Credit Default Swaps (CDS), sogenannte Kreditausfallversicherungen. Mit ihnen sichert sich der Kreditnehmer gegen den Zahlungsausfall der Anleihe eines Schuldners ab. Je höher das Risiko des Zahlungsausfalls, desto höher muss die Prämienzahlung sein. Denn desto eher erwartet der Markt, dass ein Schuldner seine Anleihe nicht bedienen kann.

Das Negativbeispiel ist Venezuela. Bei einer fünfjährigen Anleihe des südamerikanischen Landes müssen Anleger 42 Prozent der Anlagesumme jährlich zahlen, um sich vor einer Pleite abzusichern. Auf der anderen Seite der Liste stehen Deutschland und Norwegen. Um sich vor einem Ausfall einer fünfjährigen Bundesanleihe zu schützen, muss 0,15 Prozent jährlich bezahlt werden, für norwegische Bonds gar nur 0,14 Prozent.

Wer angesichts der zunehmenden politischen Konflikte glaubt, dass das Ausfallrisiko für türkische Staatsanleihen in der Vergangenheit gestiegen ist, irrt. Lediglich 1,89 Prozent sind derzeit bei fünf Jahren Laufzeit jährlich zu zahlen. Der Wert liegt deutlich unterhalb des Durchschnitts der vergangenen sechs Monate in Höhe von 2,2 Prozent. Auf einem ähnlichen Niveau wie das Land am Bosporus liegen Portugal (1,75 Prozent) und Russland (1,68 Prozent).

Entsprechend sind auch die Renditen der türkischen Staatsanleihen seit knapp einem Jahr stabil geblieben. Für einen Staatsbond mit zehnjähriger Laufzeit erhalten Anleger aktuell eine Rendite von 10,35 Prozent. Im vergangenen Zwölf-Monats-Zeitraum war 9,26 Prozent der niedrigste und 11,62 Prozent der höchste Wert. Anders sah die Lage im Januar 2015 aus: Damals lag die Rendite noch bei rund sieben Prozent jährlich.

„Es ist fraglich, ob und inwieweit sich die vorhandenen politischen Spannungen der Türkei mit Deutschland und der Europäischen Union mittelfristig auf die Wirtschaft am Bosporus auswirken werden“, lautet das Fazit DZ-Bank-Analysten des Sören Hettler. Derzeit rechne das Gros der Marktteilnehmer und Analysten offenbar nicht damit, dass es zu nachhaltigen oder gravierenden Bremswirkungen kommt.

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