Spotify, Amazon, Apple, Google Wie kreative Zerstörer die Medien-Branche aufmischen

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Serviceangebot besiegt Gratiskultur

Will Page ist von Haus aus Ökonom; er arbeitete für Banken, verfasste vor 20 Jahren Studien über die Integration der DDR in den Kapitalismus. Jetzt ist er Chefökonom und Leiter Research bei Spotify und beschäftigt sich mit Leuten wie Borchers, „allerdings nicht, wie in unserer Branche 20 Jahre lang üblich, mit Kopierschutztechnik und Anwälten“, sagt der Schotte. Page erforscht, ob und wie sich an eine jahrelange Gratiskultur gewöhnte Konsumenten mit „positiven Anreizen“ für legale (und natürlich kostenpflichtige) Angebote zurückgewinnen lassen; seine Forschungen lassen aufhorchen, nicht nur in der Musikbranche. In den USA spricht er jetzt oft vor TV- und Filmmanagern, etwa bei Time Warner, beim Kabelriesen Viacom oder bei Disney.

Page macht seine Fallstudien dort, wo es besonders weh tut: in Holland, Russland oder Italien – Länder, in denen wegen eines laxen Urheberrechts das Musikgeschäft bis vor Kurzem so gut wie tot war. Ein neuer Nummer-eins-Hit etwa wurde in den Niederlanden pro legalen Download über 100 Mal illegal aus dem Netz gezogen; in Umfragen gaben 2005 rund 90 Prozent der Holländer mit Internet-Anschluss an, gratis Musik aus dem Netz zu ziehen. Doch das ändert sich gerade:

„Bereits der Start von Apples iTunes 2004 hat die Raubkopier-Rate erheblich gesenkt“, meint Page, „und seit fast jeder Holländer ein Smartphone und eine Handyflatrate hat, ist die Piraterie dort so gut wie erledigt. Heute macht nur noch ein harter Kern von rund zehn Prozent der Internet-Nutzer Raubkopien, und das aus Prinzip.“

Auffällig sei, „dass Streaming im Moment vor allem junge Musikfans unter 25 Jahren gewinnt“, beobachtet auch Holger Christoph, Vice President Digital Sales bei Universal Music in Berlin, „etwa die Hälfte der Streamingnutzer war zuvor Nichtkäufer, die bislang gar kein Geld für Musik ausgegeben haben.“

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Sind die Teenager weltweit auf einmal zu braven Verfechtern des geistigen Eigentums mutiert? „Wohl kaum“, sagt Philip Ginthör, Chef von Sony Music im deutschsprachigen Raum. Der gelernte Anwalt sagt: „Mit Abmahnungen und dem Schließen von Piraterie-Web-Seiten würden wir die jungen Leute nie zurückgewinnen.“ Ginthör setzt stattdessen auf „Convenience“: Der Kunde soll es so bequem wie nur möglich haben; mit Musik auf allen Kanälen, auf dem Handy, vom PC, aus der Hi-Fi-Anlage. Dann werde er schon zahlen.

McQuivey sieht hier die einzige Lösung: „Sobald das professionelle Angebot für die Leute bequemer, schneller und einfacher ist als das illegale oder kostenlose, bezahlt ein hoher Anteil der Nutzer auch wieder dafür“, sagt er. Laut Umfragen sind in den meisten Ländern 45 bis 65 Prozent der Bevölkerung prinzipiell bereit, für Musik Geld auszugeben – solange sie die bequem und ohne lästige Einschränkungen der Auswahl bekommen.

Zum ersten Mal legal gehört

Die Inhalte-Schaffenden selbst sind noch gespalten; viele Künstler üben harsche Kritik an den niedrigen Tantiemen, die das Streamen im Vergleich zu CD und Dateidownload abwirft – noch. Einige, wie die Alt-Rocker AC/DC, untersagen ihren Rechteverwertern gar das Einspeisen ihrer Werke in die Internet-Dienste. Andere, wie der Belgier Jonathan Vandenbroeck, besser bekannt als Milow, sehen die Chancen:

„Streaming ermöglicht vielen Menschen überhaupt zum ersten Mal, Musik legal zu konsumieren“, sagt Milow. Viele Menschen in Schwellenländern hätten keine teuren CD-Player, aber Smartphone und Internet-Flat. Die aktuelle Debatte findet er kurzsichtig: „Ich denke, dass Streaming künftig mehr Leute erreicht, die noch nie oder seit langer Zeit nicht mehr für Musik bezahlt haben. Ich bin zuversichtlich, dass wir sogar höhere und vor allem regelmäßigere Lizenzeinnahmen erhalten werden.“

Das wäre wichtig; denn ohne Geld würde früher oder später auch der Nachschub an interessanten Inhalten austrocknen. Aus Sicht der Konsumenten ist die Sache klar: „Die Musikindustrie war noch nie so kundenfreundlich“, sagt Bird von McKinsey. Früher jubelte sie ihren Kunden alte Songs aus dem Archiv oder mies digital neu abgemischte Klassiker für teures Geld unter. Bird: „Heute kann jeder hören, was er will, so oft er will.“ Folge: Nicht nur Fans mit riesigen Plattensammlungen, die ohnehin viel Geld für ihre Leidenschaft ausgeben, sondern auch Menschen wie Albert Erdmann, 55, lassen sich ködern.

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