Daniel Ek, Gründer des Internet-Musikdienstes Spotify, verschwendet keine Zeit auf lange Reden. Bei seinem ersten Auftritt auf dem Branchentreff der Plattenbosse wartet der 23-Jährige geduldig, bis das Gemurmel im Saal sich legt. Seine erste Folie enthält keinen Text, nur zwei Symbole: eine durchgestrichene Piraten-Totenkopfflagge, und ein Bündel Dollar-Noten. Die zumeist älteren Herren schütteln die Köpfe; viele schauen wieder auf ihre Blackberrys statt auf die Präsentation des kahlköpfigen Schweden. Der junge Mann dort oben auf dem Panel verspricht nicht weniger, als die Produktpiraterie zu besiegen und die Musikbranche wieder auf Wachstumskurs zu bringen. In den Ohren vieler klingt das wie blanker Hohn – ausgerechnet ein Internet-Start-up erdreistet sich dazu. Das Internet ist für sie der Feind. Früher und tiefer als andere Branchen pflügt es gerade die Musikbranche um.
Das war 2006, und der Trend hat sich noch sechs Jahre fortgesetzt. Allein durch Netz-Piraterie ging der Musikbranche von 1999 bis 2012 fast die Hälfte ihres globalen Jahresumsatzes flöten. Das Problem Internet ist aber zugleich die Lösung: Der von Ek gegründete Internet-Musikdienst Spotify hat heute 41 Millionen Kunden, zehn Millionen davon zahlen regelmäßig für Musik im Internet.
Seine alte Vision vom Tod der Piraten und neuen Einnahmequellen wird wahr: 2013 stiegen die Umsätze der Musikindustrie wieder, nach 15 Jahren stetigen Rückgangs; die beiden ersten Quartale 2014 geben Anlass zu noch mehr Optimismus, bis 2018 soll der Umsatz der Branche in Deutschland laut den Konsumforschern von GfK um gut zehn Prozent zulegen. Zwar fallen die CD-Verkäufe weltweit weiter rapide. Doch eine neue digitale Vermarktungsform wächst rasant, je nach Land mit Raten von bis zu 90 Prozent pro Jahr: Musik-Streaming.
Dabei greifen die Kunden gegen eine monatliche Pauschale (Flatrate-Abo) von rund zehn Euro über das Netz auf den gesamten Katalog fast aller Musikverlage zu. Bis zu 32 Millionen Titel aus allen Genres stehen ihnen für relativ kleines Geld zur Verfügung – wann sie wollen, wo sie wollen, so oft sie wollen, vom Handy aus, vom PC, über die Stereoanlage. „Eine radikal kundenfreundliche Lösung, die anfangs in der Branche umstritten war,“ sei das, sagt Philip Ginthör, Chef von Sony Music Mitteleuropa.
Doch wahrscheinlich ist Streaming die letzte Chance, die über Jahre eingeschliffene Gratiskultur im Netz zu besiegen. Mit wegweisender Wirkung für andere Medienbranchen. „Die Musikindustrie hat nach 15 Jahren des Niedergangs endlich Geschäftsmodelle gefunden, die ihr das Überleben in der rein digitalen Zukunft ermöglichen“, sagt Adam Bird, Director bei McKinsey und weltweit zuständig für Medien und Entertainment. Immer mehr Menschen bezahlen wieder für Musik, weltweit sind es schon über 30 Millionen, Tendenz steigend (siehe Grafik auf Seite 2) – obwohl es weiter illegale, kostenlose Angebote gibt.
Das Schlimmste kommt noch
TV-Sendern, Filmstudios und vor allem Verlagen, meint Bird, stehe der härteste Teil des Umbruchs noch bevor. Meilenweit seien die großen Player noch von einer gemeinsamen Netz-Strategie entfernt, von einem Schulterschluss über Branchengrenzen hinweg ganz zu schweigen. Doch die zweite Internet-Revolution betreffe „alle, die mit geistigem Eigentum handeln“, sagt Dieter Gorny, Chef des Bundesverbands Musikindustrie und Gründer des TV-Senders Viva, „auch TV-Sender und Verlage werden in 15 Jahren nicht wiederzuerkennen sein.“ Immer mehr Konsumenten wandern ab vom traditionellen TV zu den neuen Angeboten wie Netflix oder Hulu, lesen auf dem iPad statt auf Papier, hören Napster, Simfy oder Spotify statt Radio.
Die großen Werbebudgets werden den Nutzern folgen und so die Umsätze der Etablierten weiter gefährden. Seit Neuestem drängen nun auch die Internet-Giganten Apple, Google und Amazon in das Geschäft. Sie haben das Potenzial von Streaming erkannt – und tiefe Taschen. Für Anleger bietet das Thema enorme Chancen. Sie tun gut daran, nicht zu spät auf den Trend zu springen. Im ersten digitalen Umbruch von 1988 bis 2000 wurden die Gewinne zu Anfang gemacht, nicht erst kurz vor der Jahrtausendwende, als die Investmentbranche den Trend in Fonds und Zertifikate gegossen und ihre Promotion-Maschinen angeworfen hatte.