Stefan Riße im Interview "Eine Aktienhausse zu erwarten, ist gefährlich"

Stefan Riße, bekannt als Börsenjournalist und -moderator, setzt als Fondsmanager auf Inflation. Warum Deflation ihn nicht schreckt und die Börsenregeln von André Kostolany auch heute noch gelten.

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Stefan Riße war fünf Jahre lang Börsenkorrespondent für den Nachrichtensender n-tv. Heute ist der Fondsmanager bei HPM Hanseatische Portfoliomanagement Quelle: dpa

WirtschaftsWoche Online: Herr Riße, die Börse steht vor einer Richtungsentscheidung, die Schwankungen sind hoch. Wie ist diese Nervosität zu bewerten?

Stefan Riße: Für den langfristigen Trend ist die Stimmung an der Börse sicher sehr optimistisch. Es ist immer zu hören, an der Aktie führe kein Weg vorbei, Aktien seien alternativlos. Als Antizykliker lässt mich das etwas vorsichtiger werden. Kurzfristig ist nicht mit neuen Rekordkursen zu rechnen.

Sie glauben, die Mehrheit der Prognosen ist falsch?

Die große Mehrheit liegt immer falsch. Zwar nicht auf die ganz lange Sicht, da halte ich Aktien tatsächlich für alternativlos. Aber wenn alle neue Hochs voraussagen, passiert erst einmal das Gegenteil. Das haben wir am Jahresanfang gesehen: Da war der Optimismus für Aktien riesengroß, für Gold aber war die Mehrheit pessimistisch. Letztlich war Gold der große Gewinner, der Aktienmarkt eher schwieriger. Wenn alle für Aktien sehr optimistisch sind, geht es kurz- bis mittelfristig eher in die andere Richtung. Das ist dann die Chance, Papiere günstiger zu kaufen, bevor es auf lange Sicht wieder nach oben geht.

Zur Person

Sobald der Dax in die Nähe von 10.000 Punkten klettert, verlässt ihn die Kraft. Wäre dann nicht ohnehin eine Obergrenze erreicht?

Von solchen psychologischen Grenzen halte ich nicht sehr viel. Die werden überbewertet. Die 10.000-Punkte-Marke kann durchaus überschritten werden. Allerdings sorgen dafür meistens nicht Anleger, die auch oberhalb von 10.000 Punkten noch Aktien kaufen, sondern Profianleger, die auf fallende Kurse gewettet haben und sich mit Aktien eindecken müssen. Die müssen ihre Engagements bei steigenden Kursen dann eindecken, bloß weil der Markt aufgrund einiger weniger Käufe ins Laufen kommt. Denn wenn wir wie derzeit wenig Angebot haben, treibt schon eine geringe Nachfrage die Kurse weiter nach oben.

Die Zahlen der Unternehmen spielen demnach nur eine Statistenrolle?

Man muss sich vor Augen führen, dass theoretisch nur zwei Marktteilnehmer genügen, die ein Papier jeden Tag aufs Neue etwas teurer handeln. Wenn alle anderen still halten, steigen die Kurse. Wer auf fallende Kurse wettet – also short ist – kommt nicht raus, ohne immer höhere Preise zu bieten. Der Aktienmarkt ist im ganzen Herbst immer wieder von solchen Schüben nach oben getrieben worden. So einen spekulativen Schub würde ich auch vermuten, wenn wir mit dem Dax über die 10.000 Punkte klettern.

Das wäre dann wieder nur ein Strohfeuer an der Börse. Viele Experten sind sich aber einig, dass höhere Kurse auch fundamental – also mit den Unternehmensergebnissen – begründbar seien, die Märkte seien gar nicht so hoch bewertet.

Was die aktuelle Bewertung der Unternehmen betrifft, sehe ich kein hohes Risiko. Ich halte Aktien in diesem Zinsumfeld bestenfalls für fair bewertet, eher sind sie sogar unterbewertet. Die historischen Kurs-Gewinn-Verhältnisse, die als Vergleichsmaßstab herangezogen werden, sind aber alle aus Zeiten, in denen die Zinsen am Anleihemarkt bei vier, fünf Prozent lagen. Das ist mit der heutigen Zeit nicht mehr vergleichbar, in der die Dividendenrendite höher ist als die Zinsen auf zehnjährige Bundesanleihen. Was die künftigen Unternehmensgewinne betrifft, bin ich allerdings skeptischer. Ich glaube, wir werden Gewinnsteigerungen im zweistelligen Prozentbereich wie in den vergangenen Jahren nicht mehr sehen. Denn ein großer Teil der Gewinnsteigerungen beruhte darauf, dass die Unternehmen Kosten und Investitionen gesenkt haben. Aber die lassen sich nicht auf 100 Prozent steigern, auch die Kosten können nicht auf null sinken. Die Potenziale sind erschöpft.

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