Stefan Riße im Interview "Eine Aktienhausse zu erwarten, ist gefährlich"

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"Vor einer Zinserhöhung müssen wir alle Banken verstaatlichen"

Mit welchen Maßnahmen Regierungen und Notenbanken Sparer attackieren können
Instrument: NiedrigzinsAusgestaltung: Notenbank kauft (über Banken, die günstig Geld bekommen) Staatsanleihen; Notenbank hält Leitzinsen untennegativ betroffen wären/sind: Konten, Anleihen, Lebensversicherung, Betriebsrenten, VersorgungswerkeEintrittswahrscheinlichkeit: läuft bereits; •••••wie gefährlich für das Vermögen?: Inflation frisst Zinsen; Sparen lohnt sich kaum; ••••∘Vorteil für Staaten: niedrige Zinslast auf eigene Schuldenhistorische Vorbilder: USA• = unwahrscheinlich/ sehr niedrige Einbußen; ••••• = so gut wie sicher/ sehr hohe Einbußen Quelle: dpa
Instrument: Inflation zulassenAusgestaltung: Notenbanken schöpfen weiter Geld; Bürger verlieren Vertrauen; Umlaufgeschwindigkeit des Geldes steigtnegativ betroffen wären/sind: Bargeld, Konten, Anleihen, LebensversicherungEintrittswahrscheinlichkeit: aktuell gering; langfristig wahrscheinlich; •••∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: Hohe Inflation kann sämtliche Geldvermögen entwerten; •••••Vorteil für Staaten: Schulden werden nicht auf dem Papier, aber real drastisch verringerthistorische Vorbilder: Deutschland 1923; Frankreich 18. Jahrhundert; Zimbabwe 2009 Quelle: dpa
Instrument: NegativzinsAusgestaltung: Notenbank setzt negativen Leitzins fest; Banken legen negative Zinsen auf die Guthaben von Sparern um oder verteuern Gebühren/Kreditenegativ betroffen wären/sind: KontenEintrittswahrscheinlichkeit: ist bereits in der Diskussion; •••∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: Erspartes leidet nominal durch Negativzinsen und real durch Inflation ••••∘Vorteil für Staaten: höheres Wachstum durch ausgeweitete Kreditvergabe erhoffthistorische Vorbilder: Schweiz 1964, 1970er; Schweden; Dänemark Quelle: dpa
Instrument: VermögensabgabeAusgestaltung: Staat schneidet sich von allen Vermögenswerten einmalig ein Stück abnegativ betroffen wären/sind: Konten, Aktien, Anleihen, ImmobilienEintrittswahrscheinlichkeit: wird diskutiert, aber starker Widerstand zu erwarten; ••∘∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: je reicher desto härter; ••••∘Vorteil für Staaten: kann Schulden sofort drastisch senkenhistorische Vorbilder: Deutschland 1918/19, 1952 Quelle: dpa
Instrument: ZwangsanleiheAusgestaltung: Staat zwingt Bürger, einen Teil ihres Vermögens in Staatsanleihen zu packen; wird (teilweise) zurückgezahltnegativ betroffen wären/sind: Konten, Aktien, Anleihen, ImmobilienEintrittswahrscheinlichkeit: wird diskutiert, aber starker Widerstand zu erwarten; ••∘∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: hängt von Rückzahlungen ab; •••∘∘Vorteil für Staaten: verschafft Spielraum bis zum Rückzahlungsdatumhistorische Vorbilder: Deutschland 1914, 1922/23 Quelle: dpa
Instrument: Neue SteuernAusgestaltung: Vermögensteuer, zum Beispiel ein Prozent auf steuerpflichtiges Vermögen (nach Abzug von Freibeträgen)negativ betroffen wären/sind: Vermögen generellEintrittswahrscheinlichkeit: politische Forderung; ••••∘wie gefährlich für das Vermögen?: für Vermögende; •••∘∘Vorteil für Staaten: weitere Einnahmenhistorische Vorbilder: Deutschland, wurde 1997 abgeschafft Quelle: dpa
Instrument: Neue SteuernAusgestaltung: Transaktionsteuer von 0,1 Prozent auf Aktien und Anleihen und 0,01 Prozent auf Derivate; fällig für jedes Geschäft negativ betroffen wären/sind: Aktien, Anleihen, Derivate; indirekt auch Fonds und LebensversicherungenEintrittswahrscheinlichkeit: politisch herrscht Konsens; •••••wie gefährlich für das Vermögen?: drückt auch Rendite von Fonds und Versicherungen; •••∘∘Vorteil für Staaten: weitere Einnahmenhistorische Vorbilder: Deutschland 1881–1991; Schweden 1985–1992 Quelle: dpa

Wie bewerten Sie denn die Signale, die von der US-Notenbank kommen? Reagiert der Markt nicht allzu hysterisch auf Andeutungen jedweder Art?

Der Markt hat da einen kompletten Fetisch entwickelt. Zum Beispiel der Einbruch im Juni vergangenen Jahres war völlig unlogisch. Bernanke sagt, die Fed könne ab Herbst vielleicht die Anleihekäufe von 85 auf 75 Milliarden Dollar monatlich senken, und schon brechen die Aktienmärkte ein, auch der Goldpreis und die Schwellenländer brechen ein. Klar, das ist Psychologie und die haben gesehen, die Geldpolitik wird straffer. Aber die Geldpolitik wird nur von ultra-ultra-leicht auf ultra-leicht umgeschaltet. Die Geldpolitik ist leicht und sie bleibt auch leicht – und stützt insofern auch den Aktienmarkt.

Aber irgendwann sind die Anleihekäufe der US-Notenbank auf Null reduziert – und spätestens dann droht eine Leitzinserhöhung – auch in Europa.

Eine richtig restriktive Geldpolitik werden wir über Jahre gar nicht sehen können. Sonst bräche die Welt doch unter ihren Schulden zusammen. Für eine Leitzinserhöhung im Bereich von drei oder vier Prozent müssten wir vorher alle Banken verstaatlichen. Denn die sitzen voll mit Anleihen und müssen die immer wieder refinanzieren. Wenn die kurzfristigen Refinanzierungszinsen aber so hoch sind, sind gerade die europäischen Banken am Ende.

Seit Ausbruch der Finanzkrise warten die Sparer auf einen deutlichen Anstieg der Inflation, aber der blieb aus. Zuletzt sank die Inflation sogar deutlich. Warum glauben Sie immer noch, dass die Inflation deutlich steigen wird?

Die Inflation ist da. Sie macht sich zuerst am Aktienmarkt, dann am Immobilienmarkt bemerkbar. In den letzten Jahren ist sie eben am Anleihenmarkt gelandet. Irgendwohin muss das Geld ja fließen. Wir haben seit Mitte der 80er Jahre eine Geldmenge, die zweieinhalb Mal so schnell gestiegen ist, wie die Wirtschaftsleistung nominal zugenommen hat. Die Inflation sehen wir aktuell bei den Anleihen, zunehmend auch bei Aktien, sogar am Londoner Immobilienmarkt. Nur bei den Verbraucherpreisen noch nicht. Dort ist sie meiner Meinung nach aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Denn die Notenbanken werden alles tun, um eine langjährige Rezession mit vielen Pleiten – möglicherweise gepaart mit Deflation – um jeden Preis zu verhindern. Die Notenbanken können für 85 Milliarden oder für 850 Milliarden Dollar monatlich Papiere aufkaufen, bis die letzte Anleihe aufgekauft ist. Wenn es hart auf hart kommt, so prognostiziere ich, werden sie genau das machen.

Aber dann wird es wieder dauern, bis der Verbraucher etwas von der steigenden Inflation merkt.

Damit das beim Konsumenten ankommt, benötigen wir einen Inflationstrigger aus irgendeiner Richtung. In meinem Buch von 2009 hatte ich vermutet, die Inflation käme über die Rohstoffpreise. Jetzt glaube ich eher, dass sie von den Löhnen ausgeht. Die Reallöhne der normalen arbeitenden Bevölkerung in den USA steigen seit Jahren nicht mehr. Dort haben Menschen zwei bis drei Jobs, um den Lebensstandard der 90er Jahre zu halten. In den USA ist aller Zuwachs der letzten Jahre bei den reichsten fünf Prozent gelandet. Da muss etwas passieren, denn die Amerikaner wollen am Wirtschaftsaufschwung teilhaben. Das wird auch in Europa so gehen. Die jüngsten Lohnabschlüsse in Deutschland sind da schon ein Fingerzeig. Auch in den Schwellenländern ist das zu beobachten. In China ist der Mindestlohn mal eben um 15 Prozent angehoben worden; in den letzten Jahren hatten die Lohnsteigerungen von mehr als 100 Prozent. Jetzt steigen die Löhne schneller als die Produktivität. Dann werden die Importpreise für Produkte aus dieser Region steigen. Mit diesem Trigger könnte die Inflation auf drei oder vier Prozent springen.

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