Die EZB hat geliefert. Vor einer Woche habe ich an dieser Stelle dazu geraten, in das zu erwartende Strohfeuer hinein zu verkaufen. Denn der EZB wird es mit den beschlossenen Maßnahmen genauso wenig wie bisher gelingen, die Eurozone aus der Krise zu führen. Es funktioniert nun Mal nicht, eine Insolvenz mit immer mehr Liquidität und Schulden zu lösen. Man kann nur die Konkursverschleppung fortsetzen, in dem man den Schuldnern die Zinsen erlässt oder – die wirklich neue Volte in dieser Krise – noch Geld dafür bezahlt, dass sie sich verschulden. Wie hoch die Überschuldung ist, sieht man daran, dass selbst bei Negativzinsen die Schulden noch schneller wachsen als die Wirtschaft. Mathematisch ist da per Definition irgendwann einmal Schluss.
Zur Person
Daniel Stelter war von 1990 bis 2013 Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group (BCG), zuletzt als Senior Partner, Managing Director und Mitglied des BCG Executive Committee. Seit 2007 berät Stelter internationale Unternehmen zu den Herausforderungen der fortschreitenden Finanzkrise. Zusammen mit David Rhodes verfasste er das 2010 preisgekrönte Buch „Nach der Krise ist vor dem Aufschwung“. Weitere Bücher folgten, so eine Replik auf das Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ des französischen Ökonomen Thomas Piketty unter dem Titel „Die Schulden im 21. Jahrhundert“. Im Februar 2016 erschien sein neues Buch, „ Eiszeit in der Weltwirtschaft“. Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Forums „Beyond the Obvious“, das Antworten auf die wirtschaftlichen und finanzpolitischen Fragen unserer Zeit sucht.
Die EZB und mit ihr die anderen Notenbanken setzen alles daran, den Schlusspunkt der Entwicklung aufzuschieben. Um jeden Preis soll der Status Quo erhalten werden. Im Interesse der Politiker, die ein Scheitern des Euro für undenkbar halten und zudem davor zurückschrecken, dem Wahlvolk die Wahrheit zu sagen. Aber auch im Interesse der Banken, die sonst wie der Kaiser im Märchen für jeder Mann offensichtlich nackt durch die Straßen laufen. Damit braut sich eine explosive Lage zusammen, die Wahlergebnisse mit sich bringen könnte, die die Ereignisse vom vergangenen Sonntag in den Schatten stellen. Aber Politik ist ja nicht Gegenstand dieser Kolumne.
Pressestimmen zum EZB-Entscheid
„Das viele frische Geld dürfte kaum in der Realwirtschaft ankommen, sondern vielmehr die Blasenbildung an den Finanzmärkten verstärken. Der wichtigste Transmissionsmechanismus für die Übertragung geldpolitischer Impulse, die Kreditvergabe der Banken, wird durch negative Zinsen zusehends blockiert. So können die Banken die Negativzinsen kaum an Sparer weiterreichen, da diese ihr Geld sonst abheben und „unter der Matratze“ horten könnten. Um die höheren Zinskosten dennoch auf die Kunden abzuwälzen und der sinkenden Profitabilität zu begegnen, erhöht manche Bank einfach ihre Kreditzinsen, etwa im Hypothekarbereich. Die zur Ankurbelung von Krediten gedachten Negativzinsen führen in diesen Fällen zu einer Verschärfung der Kreditpolitik. Die überdosierte Medizin der EZB ist bisweilen nicht nur wirkungslos, sondern gar kontraproduktiv.“
„Das war mehr als die Finanzmärkte erwartet hatten, und sie reagierten anfangs auch begeistert. Doch dann trübte sich das Bild. Denn der Hintergrund der weiteren Lockerung der Geldpolitik ist keineswegs rosig. Die EZB senkte nämlich zugleich ihre Erwartungen hinsichtlich des wirtschaftlichen Wachstums sowie ihre Voraussagen zur Entwicklung der Inflation. Sie stellt somit fest, dass ihre Therapie bislang nur unzureichend wirkt, und sie verdoppelt deshalb die Dosis ihrer Medizin. Derweil geht das Vertrauen in eine wirtschaftliche Erholung verloren.“
„Die Kreditkrise war entstanden, weil es zu billig war, sich Geld zu leihen und Unternehmen ebenso wie Verbraucher zu viele Schulden machten. Die EZB ist nun erneut dabei, das Schuldenmachen zu stimulieren. Damit ist das Risiko verbunden, dass diese Schulden die Wirtschaft später wieder in Schwierigkeiten bringen. Wenn Banken zu riskante Kredite vergeben, können neue Seifenblasen entstehen. Hinzu kommt, dass Banken durch die Negativzinsen unter Druck geraten und so noch weiter geschwächt werden. Angesichts dieser Risiken kritisieren vor allem Zentralbanken in Nordeuropa schon seit geraumer Zeit die Zinspolitik der EZB.“
„Hin- und hergerissen zwischen den Rufen der Finanzmärkte nach noch mehr billigem Geld und kritischen Kommentaren von Volkswirten ob der Wirkungslosigkeit der bisherigen Maßnahmen mussten er und die anderen Mitglieder des geldpolitischen Rats eine wegweisende Entscheidung treffen. Nun sind die Würfel gefallen: Draghi setzt alles auf eine Karte und versucht mit einer monströsen Flut an Geld einen Befreiungsschlag - von dessen Gelingen die wirtschaftliche Zukunft der Eurozone zu großen Teilen abhängt.
Um des Hauptproblems, nämlich immer niedrigerer Inflationsraten, Herr zu werden, drückt der EZB-Chef die Zinsen noch tiefer, teilweise auch unter null. Damit entsteht eine Situation, die genauso skurril ist, wie sie klingt: Zur Verbesserung der wirtschaftlichen Gesamtwetterlage in Europa setzt Draghi just auf jene Maßnahmen, welche die Probleme herbeigeführt haben - nämlich eine zu laxe Geldpolitik, wie sie auf globaler Ebene seit Jahrzehnten praktiziert wird.“
„Jetzt haben wir den Beweis, dass sich die Europäische Zentralbank auch dann nicht beeinflussen lässt, wenn ihre Kritiker so mächtig sind wie die Welt der deutschen Wirtschaft. Dass sie nicht schüchtern ist und sich auf jungfräuliches Gebiet wagt. Dass sie zu überraschen weiß. Tatsächlich hat sie gestern mit einem komplexen Maßnahmenpaket überrascht und damit deutlich gemacht, dass sie nicht die Absicht hat, ihre Glaubwürdigkeit durch zögerliche Entscheidungen zu gefährden. Für die Märkte war dies die Botschaft, dass die EZB reagiert, wenn sich die wirtschaftlichen Umstände in der Eurozone und global ändern.“
„Die Entscheidungen der EZB sind eine verschlüsselte Botschaft an Berlin. EZB-Präsident Mario Draghi signalisiert damit der Bundesregierung, dass die Eurozone eine andere Finanzpolitik braucht. Europa kann die Stagnation überwinden, wenn Berlin zwei Dinge einsieht.
Erstens muss Deutschland mehr investieren, vor allem in die Verbesserung der Infrastruktur. Zweitens kann eine niedrige Nachfrage durch staatliche Investitionen belebt werden. Europa muss ein Konjunkturprogramm finanzieren. Es wird nicht leicht sein, Berlin davon zu überzeugen. Daher muss Draghi seine Botschaft ständig wiederholen.“
„Ein Land, das Entscheidungen trifft, ohne die Interessen seiner Partner zu berücksichtigen, kann von ihnen selbst keine Solidarität erwarten. Deutschland muss lernen, selbst Verantwortung für die Folgen seiner Entscheidungen zu tragen. Diese Beobachtung ist weiterhin gültig. (...) Dass die Probleme und Proteste zunehmen, bedeutet nicht, dass die Deutschen ihre Kanzlerin stürzen wollen. Eher wollen sie die Regierungschefin zu einer Änderung ihrer Politik bewegen - und das geschieht Schritt für Schritt auch. Doch weit mehr noch hat sich die Position Deutschlands innerhalb der EU verändert. (...) Deutschland ist inzwischen selbst im Westen der Europäischen Union zu einer großen Insel (in der Flüchtlingspolitik) geworden.“
„Die Christdemokraten werden wahrscheinlich nicht glänzend abschneiden, aber niemand wird wegen eines Stimmenverlustes Merkel wegputschen. Sie hat keinen Herausforderer, es gibt keine Alternative zu ihr. Horst Seehofer weiß das auch. Hinter den lästigen Manövern des bayerischen Landesregierungschefs und CSU-Vorsitzenden, wie etwa seine Kumpelei mit dem ungarischen Ministerpräsidenten, steckt die Überlegung, dass er mit stark populistischen Schritten in dem in der Flüchtlingsflut als Frontstaat geltenden Bayern der AfD den Boden entziehen kann.
Bedenklicher ist, wie einsam die Kanzlerin der führenden politisch-wirtschaftlichen Macht Europas geblieben ist. Der Bundesrepublik ist es bisher immer im Interesse einer gemeinsamen europäischen Lösung gelungen, einen gewissen Konsens zu schaffen - obwohl die Griechen dazu andere Erfahrungen haben und verständlicherweise anderer Meinung sind. Deutschland und seine Regierungschefin wirken im März 2016 wie isolierte Reisende auf einem Sonderweg. Alle anderen schließen. Routen, Grenzen. Im Kalten Krieg gab es vielleicht eben soviel Stacheldraht auf dem Kontinent, der nur mit seinen Zäunen und seinem Klingendraht höchstens etwas Zeit gewinnt. Die Flüchtlinge kommen.“
Wirtschaftspolitik in Wellen
Sicher ist, dass die letzten Zweifel am Endspiel verfliegen. Die Zeichen stehen ganz klar auf umfassende Monetarisierung der Schulden. An dieser Stelle habe ich bereits mehrfach erläutert, was zu tun ist, wenn die Helikopter kommen, und die Notenbanken Staaten direkt finanzieren und in einem nächsten Schritt die Schulden gleich über die Notenbankbilanz bereinigen.
Vorerst setzt sich der Kampf zwischen Deflation und Inflation fort: Die hohe Schuldenlast, die Fehlinvestitionen und Überkapazitäten aus der Boomphase, die verhinderte Bereinigung derselben und in Folge die Alimentierung von real- und finanzwirtschaftlichen Zombies führen zu einem erheblichen deflationären Druck. Diesem kann reine Geldpolitik immer weniger entgegensetzen. Genau aus diesem Grund lassen sich folgende Wellen der wirtschaftspolitischen Interventionen absehen:
- In der nächsten Welle ist die direkte Finanzierung von Konjunkturprogrammen zu erwarten.
Da dies nicht genügen wird, werden die Notenbanken zusätzlich direkt oder indirekt (also über den Umweg über Staaten) den Banken die faulen Forderungen abnehmen.
Intelligente Regulierung vorausgesetzt – was nicht so wahrscheinlich ist – wird Pensionsfonds und Lebensversicherungen ermöglicht, in Sachwerte, also vor allem Immobilien und Aktien zu diversifizieren. Japan macht dies gerade vor, wo diese Investoren Staatsanleihen an die Bank of Japan verkaufen und stattdessen in Aktien und ausländische Wertpapiere investieren.
Nach dem massiven Aufkauf von Staatschulden wird die EZB diese zu einem zukünftigen Zeitpunkt annullieren. Oder zins- und tilgungsfrei stellen, was wirtschaftlich dasselbe ist.
Konjunkturprogramme lösen Grundproblem nicht
Wie immer kann man auch hiervon als Investor profitieren. Konjunkturprogramme nutzen erfahrungsgemäß Infrastruktur- und Baufirmen und mit etwas Abstrichen dem Konsumgütersektor. Werden die Maßnahmen mit einem bestimmten politischen Ziel verknüpft, wie zum Beispiel dem Umweltschutz (zum Beispiel Elektromobilität) oder der Digitalisierung (etwa Breitbandnetze), ergeben sich wunderbare Sonderkonjunkturen, auf die es sich immer noch lohnt aufzuspringen, wenn sie verkündet werden. Um das ganze vor dem Wähler zu verstecken, tippe ich darauf, dass sich Brüssel direkt Geld leihen wird, und die EZB zeichnet dann einfach die 100jährige Negativzins-Anleihe von Herrn Juncker.
Banken: Erst Rally, dann Realwirtschaft
Da solche Konjunkturprogramme jedoch das Grundproblem nicht lösen, wird Europa auch dann – wie Japan in den vergangenen Jahrzehnten – in einer Stagnation verharren, vor allem auch angesichts der demografischen Entwicklung. Deshalb wird die EZB den Banken helfen, ihre Bilanzen zu bereinigen. Zum Beispiel indem sie staatlich garantierte (ja, was ist so eine Garantie schon wert....) Asset Backed Securities kauft, deren „Asset“ der Restmüll der Banken ist. Zu diesem Zeitpunkt wird es sich lohnen, die Rally in den Bankwerten mitzunehmen. Langfristig gehören Banken dennoch nicht in das Depot, werden sie doch zu dem zurückgestutzt, was sie eigentlich sind: zu Versorgern und Dienern der Realwirtschaft. Überkapazitäten und technologischer Wandel (Fintechs) tun ein weiteres.
Um Pensionsfonds- und Lebensversicherungen bei der beabsichtigten Inflationierung nicht völlig unter die Räder kommen zu lassen, wäre es dringend geboten, die Regulierung zu ändern. Da die EZB ohnehin die Staatsanleihen aufkauft, ist es zur Sicherung der Staatsfinanzierung nicht mehr erforderlich die Versicherungen in diese Anlageklasse zu zwingen. Stattdessen sollten Versicherungen massiv in Sachwerte diversifizieren. Jedes Signal einer Regulierungsänderung sollte auch hier für eine deutliche Outperformance sorgen.
Am Ende Annullierung der Staatschulden
Doch machen wir uns nichts vor. Nur durch Beseitigung der faulen Schulden endet die Dauerkrise. Deshalb steht am Ende das große monetäre Experiment: die Annullierung der Staatsschulden auf den Bilanzen der Notenbanken. Es kann gut sein, dass noch Jahre vergehen, bis es soweit ist. Es wird spannend sein zu sehen, ob die Optimisten dann Recht behalten, die mit Blick auf die Tatsache, dass das Geld ja bereits im Umlauf ist, keine Inflation erwarten. Oder ob die Pessimisten (denen ich mich zurechne), die eine massive Inflation aufgrund eines weitgehenden Vertrauensverlustes in Geld erwarten, richtig liegen.
Für den Investor ist aber klar: der Krieg gegen Vermögen und Ersparnisse ist im vollem Gange. Natürlich kann man mit der einen oder anderen Spekulation von den Maßnahmen der Notenbanken und Staaten profitieren. Am Ende geht es aber um Vermögenserhalt. Deshalb erneut mein Appell: diversifizieren, global anlegen und nicht nur vor Ort und vor allem Gold. An dieser Stelle immer wieder empfohlen, bleibt Gold die ultimative Währung und Versicherung. Verglichen mit den Bilanzsummen der Notenbanken ist es immer noch recht preiswert. Trotz der Rally seit Jahresanfang.